Er ging forsch darauf zu, und als er näher kam, erkannte er, daß der Lichtschein aus dem Fenster eines Steinunterstandes kam, wie ihn die Bauern benutzten, wenn sie bei ihren Herden auf den Sommerweiden bleiben. „Hier werde ich ein Lager für die Nacht bekommen, und ein gutes Torffeuer dürfte es wohl auch geben“, dachte Ian und klopfte an die Tür. Zu seinem Erstaunen öffnete niemand. „Es muß doch aber jemand da drinnen sein“, überlegte er, „eine Kerze zündet sich schließlich nicht von allein an.“ Er klopfte ein zweites Mal an die Tür. Wieder kam keine Antwort, obwohl er von drinnen Stimmen hörte. Darüber wurde Ian zornig und er rief: „Was seid ihr nur für seltsame Leute, daß ihr einen wegmüden Fremden in einer Winternacht keine Zuflucht geben wollt?“ Da hörte er Füße schlürfen, und die Tür wurde gerade so weit geöffnet, um eine Katze hereinzulassen. In dem Spalt aber zeigte sich eine alte Frau, die ihn scharf musterte. „Ich denke, du kannst die Nacht hierbleiben“, sagte sie nicht sehr freundlich, es gibt kein anderes Haus weit und breit. Also komm herein und leg dich vor den Herd.“ Sie öffnete die Tür etwas weiter. Ian betrat den kleinen Unterstand, und sofort schlug hinter ihm sie die Tür wieder zu. Auf dem Herd brannte ein gutes Torffeuer, und zu beiden Seiten davon saß noch je eine alte Frau. Die drei Alten sagten kein Wort zu Ian, aber jene, die ihm die Tür aufgemacht hatte, führte ihn zum Herd, wo er sich in seinen Plaid rollte. Er konnte nicht einschlafen, denn es kam ihm unheimlich vor in dem kleinen Unterstand, und er dachte: Besser du hälst deine Augen auf. Nach einer Weile erhob sich eine der alten Frauen. Offenbar glaubte sie ihr, der unerbetener Gast sei inzwischen eingeschlafen. Sie ging zu einer großen hölzernen Kiste, die in einer Ecke des Raumes stand. Ian hielt den Atem an und sah, wie sie den schweren Deckel hochklappte, und eine blaue Mütze herausnahm und sie aufsetzte.
Dann rief sie laut mit knarrender Stimme: „Carlisle!“ Und zu Ians Erstaunen war sie darauf verschwunden. So ging das auch bei den beiden anderen alten Weibern. Ein jedes stand auf, holte eine blaue Mütze aus der Kiste, rief „Carlisle!“ und hatte sich im nächsten Augenblick in Luft aufgelöst. Sobald er ganz allein war, stand Ian auf und ging zu der Kiste. Drinnen fand er noch eine weitere blaue Mütze, die genauso aussah wie die anderen, und da er neugierig war zu erfahren, in welche Welt die drei Hexen davongefahren waren, zog er die Mütze an und rief laut, wie er es von ihnen gehört hatte: „Carlisle!“ Sofort wichen die Steinmauern des elenden Unterstands zur Seite, und es war Ian, als schieße er mit großer Geschwindigkeit durch die Luft. Dann stürzte er mit einem Bumms zu Boden, und als er sich umschaute, sah er, daß er in einem riesigen Weinkeller stand, wo die drei Weiber ausgelassen zechten. Als sie aber Ian sahen, hörten sie sofort auf und riefen: Kintail, Kintail wieder zurück!
Sofort waren sie verschwunden. Ian spürte kein Verlangen, ihnen auch diesmal wieder zu folgen, denn in dieser Umgebung gefiel es ihm. Er betrachtete alle Krucken und Flaschen sorgfältig, nahm hier und dort einen Schluck, bis er in eine Ecke schwankte und in tiefen Schlaf fiel. Nun war es aber so, daß der Weinkeller, in den Ian auf so geheimnisvolle Weise gelangt war, dem Bischof von Carlisle gehörte und unter dessen Palast in England lag.
Am Morgen kamen die Diener des Bischofs in den Keller hinunter und erschraken, als sie die leeren Flaschen sahen, die am Boden herumlagen. „Es haben schon öfter Flaschen aus den Regalen gefehlt“, sagte der Steward, „aber so schandbar hat sich der Dieb hier unten noch nie aufgeführt.“ Dann entdeckten die Diener Ian, der immer noch in der Ecke lag und schlief, und immer noch hatte er die blaue Mütze auf dem Kopf. „Da ist der Dieb. Da ist der Dieb!“ riefen sie. Ian wachte auf, sie banden ihm die Arme auf den Rücken, legten ihm an den Fußknöcheln Fesseln an und zerrten ihn fort wie eine Gans, die auf den Schlachtklotz soll. Der Gefangene wurde vor den Bischof gebracht, und ehe man ihn vor den Thron des hohen Herrn führte, riß man ihm die Mütze vom Kopf, denn es war ein Zeichen der Missachtung, wenn ein Mann mit einer Mütze den Palast betrat. Ian wurde verhört und dem bischöflichen Gericht vorgeführt, das ihn zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilte.
Auf dem Marktplatz von Carlisle häufte man einen großen Holzstoß und band den armen Sünder darauf fest. Und viel Volk versammelte sich, um zu sehen, wie der Mann durch das Feuer kam. Ian hatte sich schon in sein schlimmes Schicksal gefügt, als er plötzlich einen guten Einfall hatte. „Eine letzte Bitte!“ rief er, „ich will nicht ohne meine blaue Mütze in die Ewigkeit eingehen.“
Seine Bitte wurde ihm gewährt, man setzte ihm die blaue Mütze auf den Kopf. Kaum aber fühlte Ian, daß man sie ihm aufgesetzt hatte, da warf er einen verzweifelten Blick auf die Flammen, die schon unter seinen Zehenspitzen züngelten, und rief, so laut er konnte: Kintail! Kintail! wieder zurück! Und zum großen Erstauen der guten Leute von Carlisle waren Ian und der Holzstoß in eben diesem Augenblick verschwunden und wurden in England nie mehr gesehen. Als Ian wieder zu sich kam, befand er sich in den Wäldern zwischen Totaig und Glenelg, aber von dem alten Unterstand, in dem die drei Hexen gesessen hatten, war keine Spur mehr zu sehen. Es war ein schöner Tag nach einer Nacht mit Nebel, und Ian sah einen alten Bauern auf ihn zukommen.
„Würdest du mich von diesem elenden Holzstoß losbinden?“, bat Ian den alten Mann. „Aber wie in aller Welt ist es dazu gekommen, daß man dich da festgebunden hat?“, fragte er dann. Ian betrachtete den Stoß schuldbewusst, aber dann sah er, daß es kein festes Holz war, und es fiel ihm plötzlich wieder ein, weshalb er von zu Haus fortgegangen war.
„Ach, das ist eine Lage Holz, die ich zusammengetragen habe, um einen neuen Kiel für mein Fischerboot zu machen“, erwiderte er, „der Bischof von Carlisle selbst hat es mir gegeben.“ Und als der Bauer ihm den rechten Weg nach Ardelve gewiesen hatte, ging Ian fröhlich pfeifend heim.
Quelle: Märchen aus Schottland