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Märchenbasar

Die drei Bäumchen oder die drei befreiten Jungfrauen

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Einst war ein König, der hatte drei wunderschöne Söhne von funfzehn, siebzehn und achtzehn Jahren, und einen grossen Garten, in welchem er sie erziehen liess. Eines Tages bekamen diese drei schöne ausländische Bäumchen zum Geschenk und pflanzten sie in die Erde, aber am andern Morgen fanden sie dieselben ausgerissen. Ganz verwundert darüber riefen sie den Gärtner und befragten ihn, wer das gethan habe, aber der wusste nichts und somit setzten sie dieselben von neuem. Doch schon am andern Tage fanden sie die Bäumchen neuerdings ausgerissen auf der Erde liegen. Nicht minder erstaunt als geärgert darüber berathschlagten sie, was denn zu thun sei; da ergriff der Aelteste das Wort und sagte: »Wohlan, setzen wir sie abermals, ich will heute Nacht dabei wachen und doch sehen, wer sich untersteht, uns stets unsere Freude zu verderben.« Richtig wachte er bei den Bäumchen, bis die Schlossuhr die Mitternachtsstunde schlug. Da erhoben sich die Bäumchen plötzlich selbst aus der Erde und ihnen nach folgte eine Todtenbahre, begleitet von vier Männern, welche Windlichter trugen; dem Prinzen aber wurde gar schauerlich zu Muthe, er floh in das Schloss zu seinen Brüdern und erzählte ihnen das Gesehene. »Ach du lügst uns an«, sagte der mittlere Bruder, »warte nur, morgen will ich wachen.« Sie pflanzten wieder die Bäumchen, und als es dunkel zu werden begann, stellte sich der jüngere Prinz auf die Wache. Da kam die Mitternachtsstunde herbei, die Bäumchen erhoben sich wieder aus der Erde, hinter ihnen folgte der Sarg mit den Männern, aber auch der jüngere Prinz floh entsetzt zu den Brüdern und bestätigte, was der ältere erzählt hatte.
»Ach was«, sagte der jüngste der Brüder, »ihr seid mir schöne Helden! Morgen werde ich wachen, und ich stehe euch dafür, etwas neues sollt ihr durch mich erfahren.« Richtig wachte am andern Abende der jüngste Prinz bei den wieder gepflanzten Bäumchen; als sich aber diese zur gewohnten Stunde wieder erhoben und der Sarg mit seinem Gefolge erschien, entfloh er nicht, sondern blieb auf dem Platze stehen, und als die Bahre um ihn herumgetragen wurde, so fragte er entschlossen einen der Fackelträger, was dieses zu bedeuten habe und warum man ihnen täglich die Bäumchen ausreisse.
»Jüngling«, antwortete ihm dieser, »du hast viel Muth, und scheinst mir werth zu sein, die Ursache dieser Erscheinung zu vernehmen. Wisse denn, dass unter jener Stelle ein grosser Schatz vergraben ist. Gräbst du an derselben nach, so wirst du auf einen gemauerten Brunnen stossen, in dessen Tiefe ein Sarg voll Gold bewahret ist.« Die Erscheinung verschwand und ruhig kehrte der Prinz zu seinen neugierigen Brüdern zurück, denen er alles genau erzählte.
Schon zeitlich am nächsten Morgen fanden sich die Prinzen mit einigen Arbeitern an der bezeichneten Stelle ein, als man aber nach langem Graben auf eine grosse Steinplatte gestossen war und durch deren Beseitigung den Brunnen bloss gelegt hatte, wagte niemand hinabzusteigen. Da war es neuerdings der jüngste Prinz, der sich muthig hinabliess, den Sarg öffnete und mit einer am Stricke befestigten Glocke stets das Zeichen gab, die mit Gold gefüllten Kessel hinaufzuziehen.
Nachdem der Sarg leer war, sah er sich unten im Brunnen etwas näher um und entdeckte einen gemauerten Gang, den er betrat und nach kurzer Strecke in einen prachtvollen Palast gelangte. Nachdem er viele und reich möblirte Säle durchschritten hatte, gelangte er in den Hof, in welchem er drei Mädchen von blendender Schönheit traf. »Unglücklicher«, riefen diese ihm zu, »wie kommst du hieher? Wisse, dass dieser Palast einer der mächtigsten Zauberinnen gehört. Entdeckt sie dich, so bist du verloren.« Wenn dem so ist, meinte der Prinz, so verlange ich gerade nicht die Bekanntschaft dieser liebenswürdigen Dame zu machen, sondern gehe, woher ich gekommen bin.
»O nimm uns mit!« riefen gleichzeitig die Mädchen, »denn auch wir sind der hässlichen, mürrischen Alten satt.« »Nun so folgt mir«, sagte er und führte sie in den Brunnen, von wo er sie eine nach der andern hinaufziehen liess. Als aber die Brüder oben die Menge Goldes gewahrten, und obendrein noch die schönen Mädchen, von denen die Jüngste, die zuletzt hinaufkam, ihnen am besten gefiel, da überwältigte sie der Neid, und sie berathschlagten, was zu thun sei, um ihrem Bruder seinen Antheil zu entziehen. »Sicher«, sagten sie, »wird er als der Jüngste auch das jüngste Mädchen für sich beanspruchen, sowie als Entdecker vielleicht den ganzen Schatz; es ist also das klügste, wir schneiden den Strick ab und lassen ihn so im Brunnen verhungern.« Und das thaten sie auch.
Als der Prinz sah, dass der abgeschnittene Strick zu seinen Füssen fiel und kein anderer Strick mehr herabgelassen wurde, ahnte er den Verrath seiner Brüder und konnte daraus ermessen, dass für ihn keine Rettung mehr möglich war. Hunger und Durst nöthigten ihn, durch den unterirdischen Gang in den Palast zurückzukehren, und da begegnete er gleich im ersten Zimmer der alten Zauberin.
»Was suchst du hier, Verwegener! und wie bist du hierher gekommen?« schnauzte ihn diese grimmig an. »Wie ich hierher gekommen?« antwortete der Prinz, »das weiss ich selbst nicht, auch liegt mir gar nichts daran, es zu wissen, aber wie ich von hier recht bald wieder wegkommen könnte, das zu erfahren interessirt mich sehr, und könnt ihr mir dazu behülflich sein, so rechnet auf meine wärmste Dankbarkeit.« War es die Meinung, dass er ihre Mädchen noch nicht gesehen, oder gefiel der Alten der hübsche Jüngling mit seinem offenen, entschlossenen Wesen, kurz sie warf minder böse Blicke auf ihn, zog ein Ringlein vom Finger und sagte mit milder Stimme: »Nehmet diesen Ring, er wird thun, was ihr wünscht.« Da nahm er dankend den Ring und wünschte sich zurück in das Reich seines Vaters, aber nicht in dessen Palast, denn er fürchtete die Bosheit seiner Brüder.
Um unerkannt zu bleiben, nahm er Dienst bei einem Goldarbeiter, lernte das Handwerk und wurde so ein braver, fleissiger Geselle, dass ihn sein Meister sehr lieb gewann.
Unterdessen bewarben sich seine Brüder, obwohl vergeblich, um die Gunst des jüngsten Mädchens vom Brunnen, auch andere mächtige Freier hatten sich schon zahlreich eingefunden; da beschloss der König ein grosses Turnier zu geben und setzte als Preis für den Sieger die Hand dieses Mädchens aus.
Von weit und breit kam zahlreiches Volk zur Stadt, das prachtvolle Schauspiel zu sehen; auch der Goldarbeiter ging und wollte seinen braven Gesellen mitnehmen, aber der entschuldigte sich mit Unwohlsein. – Kaum war jedoch sein Herr fortgegangen, so liess er sich durch den Ring ein edles Pferd und eine prächtige Rüstung bringen und eilte zum Turnier. Niemand konnte ihm den Sieg streitig machen, aber als es zur Preisvertheilung kam, war der Sieger nirgends zu finden. Am folgenden Tage erschien er wieder auf dem Kampfplatze zur Verzweiflung aller Mitkämpfer; als er sich aber nach geendetem Ritterspiele wieder fortmachen wollte, wurde er ertappt und fast mit Gewalt zum Könige geführt, der ihm das schöne Mädchen als Braut übergab. Da musste er denn knieend, wie es die Sitte gebot, seinen Dank aussprechen, und als er dabei sein Haupt tief neigte, entdeckte der König an seinem Halse ein ihm wohlbekanntes Muttermal und somit in dessen Träger seinen längst als todt beweinten Sohn.
Als am folgenden Tage mit unendlicher Pracht und Jubel die Hochzeit gefeiert wurde, erreichte der Neid seiner Brüder den höchsten Grad, und sie verschworen sich, ihn in der Brautnacht zu ermorden, aber die Verschwörung wurde noch rechtzeitig entdeckt.
Neuerdings und tief gereizt erzählte er seinem Vater schon ihren früheren Angriff auf sein Leben im Brunnen, worauf sie der König im ersten Zorne zum Tode verurtheilte, dann aber auf seine Fürbitte blos mit Enterbung und ewiger Verbannung bestrafte, ihn aber zum Mitregenten annahm.

[Italien: Georg Widter/Adam Wolf: Volksmärchen aus Venetien]

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