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Die Erlösung

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Ein frommer Pfarrer pflegte jeden Abend beim Schlafengehen aus einem dicken Buche noch einige Seiten zu lesen. Einmal lag er wieder im Bett und hatte eben das Buch auf den Tisch gelegt. Er konnte nicht weiterlesen, denn die Augen gingen ihm vor Müdigkeit zu. Das Licht aber hatte einen langen Docht und brannte sehr düster. Siehe, da erschien eine schwarze Gestalt, lahm und einäugig und riss das Buch, noch ehe sich’s der Pfarrer versah, vom Tisch und verschwand. Der Pfarrer merkte gleich, dass es ein Teufel gewesen. Am andern Morgen machte er sich auf den Weg zur Hölle, um sich das Buch zu holen. Denn er musste es haben, ohne das konnte er keine Kirche halten. Gegen Abend kam er in einen großen Wald. Da stand eine einsame Hütte, und weil er sehr ermüdet war, kehrte er daselbst ein. Nur eine alte Frau war zu Hause. „O du Unglücklicher, fliehe weg von hier“, sprach sie, „mein Sohn ist ein großer Raubmörder. Er hat schon neunundneunzig Menschen erschlagen, und wenn er dich hier trifft, bist du der hundertste.“ Der Pfarrer aber war so müde, dass er nicht weitergehen konnte, und blieb da.
Als der Räuber nach Hause kam und den Fremden sah, rief er: „Ha, jetzt erschlage ich dich, du sollst mir die Zahl hundert voll machen!“ Er fragte ihn aber zuvor, wer er wäre und wohin er gewollt. Der Pfarrer erzählte ihm alles genau. „Gut denn“, sprach der Räuber, „weil du in die Hölle ziehst, will ich dich leben lassen. Du sollst mir da auch etwas bestellen. Frage die Teufel, zu was für einem Herrn sie mich nach meinem Tode machen würden, wenn ich noch den hundertsten Menschen totschlüge?“ Nun zog der Pfarrer fort. Als er in die Hölle kam, wollte keiner der Teufel von seinem Buche etwas wissen. Da ließ der Oberste der Teufel alle zusammenkommen und sprach: „Wenn du mir jetzt den nicht zeigen kannst, der dir das Buch genommen hat, so geht es dir schlecht!“ Der Pfarrer sah sich zitternd die ganze Reihe an, allein der Dieb war nicht darunter. Nur einmal sah man den lahmen und einäugigen Teufel herbei hinken. Er brachte auch das Buch. „Da ist er!“ rief der Pfarrer ganz froh, lief hinzu und nahm sein Buch. „Jetzt kannst du gehen“, sprach der Oberste der Teufel. „Noch einen Auftrag habe ich“, sprach der Pfarrer: „Ein Mann, der neunundneunzig Menschen umgebracht hat, lässt fragen, wozu ihr ihn machen würdet, wenn er noch den hundertsten umbrächte“ – „Sage ihm: wir würden ihn sieden, braten, ins Feuer werfen, und da solle er bleiben in Ewigkeit!“ Nun hatte der Pfarrer nichts mehr zu tun und wollte gehen. Doch da er wusste, dass man den Teufeln nicht den Rücken zukehren dürfe, weil sie sonst einem den Hals umdrehen, so ging er immer rücklings, bis er zur Hölle hinaus war. Die Teufel folgten ihm auf dem Fuße nach. Als sie keine Macht mehr über ihn hatten, riefen sie: „Dein Glück, dass du dich nicht eher umgewendet hast!“
Bald war der Pfarrer wieder im Wald. Nun fürchtete er, wenn er dem Räuber die wahre Antwort der Teufel sage, werde er im Zorn ihn ganz gewiss umbringen, und ging einen anderen Weg, um nicht an die Hütte zu kommen. Aber es war umsonst, denn hier gerade lauerte der Räuber auf Reisende, und so kam er ihm in den Wurf. „Nun, was bringst du mir aus der Hölle?“ rief der Räuber schon von weitem, als er den Pfarrer sah. Da dieser jetzt nicht mehr ausweichen konnte und auch nicht lügen wollte, so sagte er frei heraus, man werde ihn kochen, braten, ins Feuer werfen, und da solle er bleiben in Ewigkeit. Der Räuber wurde wider Erwarten des Pfarrers ganz still und in sich gekehrt. Die ewige Höllenqual ging ihm zu Herzen und machte ihm bange. Endlich rief er mit einem tiefen Seufzer, und Tränen traten ihm in die Augen: „Sage mir doch, du frommer Mann Gottes, kann ich es noch möglich machen, dass der Herr meine schweren Sünden mir vergibt?“ – „Ja, wenn du genau tust, was ich dir sage!“ – „Das will ich“, sprach der Räuber, „wie schwer es auch sein sollte!“ – „So gehe heim und sage deiner Mutter, sie solle all dein gestohlenes Gut den Armen geben, nimm dann den Stock, mit dem du die neunundneunzig Menschen totgeschlagen, und komme zu mir her!“ Der Räuber lief in einem Atem heim und tat, was ihm der Pfarrer gesagt hatte, und kam bald wieder mit dem Stock in der Hand. Nun führte ihn der Pfarrer zu einem Feldkreuz, hieß ihn den Stock da in die Erde stecken und daneben niederknien und sprach: „Knie jetzt hier so lange und benetze den Stock mit deinen Tränen, bis er grüne Blätter und Blüten treibt, das sei dir ein Zeichen der Gnade Gottes!“
Der Pfarrer kehrte darauf heim und konnte wieder Kirche halten. Nach einem Jahre dachte er an den großen Räuber. Er wollte sehen, was aus ihm geworden, ob er sich wohl gebessert habe oder ob er wieder in seine Sünden zurückgefallen sei. Als er an die Stätte kam, fand er ihn noch kniend. Doch waren seine Glieder schon erstarrt. Der Stock aber hatte eben grüne Blätter und Blüten bekommen. Kaum hatte der Räuber den Pfarrer erblickt, so rief er mit letzter Stimme: „Der Herr ist gnädig!“ sank dann tot nieder, und eine weiße Taube erhob sich über ihm und flog zum Himmel.

Quelle: (Josef Haltrich)

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