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Märchenbasar

Die Frau des Vagabunden

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Es war einmal ein junger Wandersmann, der es liebte, durch die Lande zu ziehen, das freie, unbeschwerte Leben eines Vagabunden zu genießen und dabei viele wundersame Dinge zu sehen.
So gelangte er eines Tages auch in eine Stadt, in der eine mächtige Hexe lebte, und wie es das Schicksal wollte, verliebte er sich in ihre schöne Tochter. Tag für Tag wartete er auf sie, wenn sie das Haus verließ, um frisches Wasser vom Brunnen zu holen. Lachend und scherzend begleitete er sie auf ihrem Weg und nahm danach nur ungern wieder von ihr Abschied. Auf diese Weise verbrachten die Liebenden viele heimliche Stunden miteinander.
Die Hexe aber war in vielerlei Zauberkünsten bewandert und so geschah es bald, dass sie auf die eine oder andere Weise von der Liebschaft ihres einzigen Kindes erfuhr. Da sie ihre Tochter über alles liebte und nicht an einen Mann verlieren wollte, ließ sie die beiden zu sich rufen und sagte zum Mädchen: “Mein liebes Kind, einem solchen Mann sein Herz zu schenken, bedeutet, die Einsamkeit zu wählen. Siehst du denn nicht, an welch einen Vagabunden und Herumtreiber du geraten bist, dessen große Liebe einzig das Reisen ist?”
Dem jungen Wandersmann hingegen drohte sie: “Ich werde alle Bannsprüche und Flüche über dich schicken, wenn du die Stadt nicht verlassen hast, ehe die Nacht hereinbricht.” Zwar wurde dem Jüngling angst und bange, als er diese Worte hörte, doch er zögerte, seine Geliebte zu verlassen. Die aber war selbst eine junge Zauberin und wusste um die Kräfte ihrer Mutter. So bat sie ihn, als sie ein letztes Mal durch die Straßen spazierten: “Geh, mein Liebster, denn wenn du bleibst, wird es dir schlecht ergehen.”
Als nun der Abend hereinbrach, war der Wandersmann betrübt und ging langsamen, schwermütigen Schrittes durch die Straßen. Er näherte sich schon dem Stadttor, um seine Liebste für immer zu verlassen, als ein junger Bursche an seine Seite trat und fragte: “Was seid Ihr so traurig, an solch einem schönen Abend in die weite Welt hinauszuziehen?”
“Ach, mein Junge”, antwortete der Vagabund. “Früher wäre ich voller Freude in neue Abenteuer gezogen, doch heute lasse ich etwas in dieser Stadt zurück, das mir sehr lieb geworden ist.”
“Nun, dann lasst uns zusammen gehen”, lachte der Bursche hell. “Vielleicht kann ich Euch die Trübsal nehmen.” Frohgemut schritt er an der Seite des Wanderers einher. Als dieser jedoch unter die Mütze des Burschen blicken wollte, da er dessen Gesicht nicht erkennen konnte, sah er darunter die hellen Augen seiner Geliebten schelmisch hervorblitzen. So konnte er leichten Herzens aus der Stadt fortziehen.

Viele Tage wanderten die beiden glücklich durch die Lande und der Vagabund zeigte der jungen Zauberin wunderbare Dinge, ehe er sie in sein Heimatdorf führte und zur Frau nahm. So vergingen einige schöne Jahre, ehe der Wandersmann erneut von der Sehnsucht nach fremden Ländern erfüllt wurde.
“Meine liebe Frau”, sagte er eines Morgens. “Ich werde wieder auf Reisen gehen. Willst du mich begleiten?”
Die Zauberin aber hatte das Leben im Dorf lieben gelernt und wollte nicht wieder fortziehen. So blieb ihr nichts, als ihren Mann ziehen zu lassen, denn tief im Herzen hatte sie gewusst, dass der Tag kommen würde. Unter Tränen nahmen sie Abschied voneinander und die junge Frau gab ihrem Mann viele Segenswünsche mit auf den Weg. Er aber versprach ihr, zum Mittsommerfest zurück zu sein.
Voller Ungeduld wartete die Zauberin nun auf ihren Geliebten, und als der Mittsommertag kam, setzte sie sich gleich am Morgen ans Fenster, auf dass sie ihn als Erste erblickte, wenn er aus dem Dunkel des Waldes kam. Doch niemand war zu sehen und sie saß allein in ihrem finsteren Zimmer, während die Leute im Dorf die Sonnwendfeuer entzündeten und die jungen Mädchen mit Bändern im Haar unter den hellen Junisternen tanzten.

Weitere Tage verstrichen, ohne dass der Wanderer heimkehrte und seine Frau weinte bittere Tränen. Am dritten Morgen schließich steckte sie ihr langes Haar zurück, zog alte Kleider ihres Mannes über und machte sich auf den Weg, ihn zu suchen. Sie nahm auch einen alten Wanderstab von ihm, über den sie einen Zauber sprach, sodass er sie zu ihm führen solle.
So wanderte die Zauberin viele Tage, bis der Stab sie schließlich ins Feenland leitete, wo die Bäume alt und hoch sind und auf immer Frühling herrscht. In einem blühenden Hain stand eine lange Tafel, an der die Feenkönigin selbst mit zahlreichen feinen Damen und Herren speiste. Ganz am Rand aber sah die Zauberin ihren Mann sitzen. Sie ging zu ihm und sprach ihn an: “Was tut Ihr als Sterblicher hier unter dem Feenvolk, während Eure Frau zu Hause wartet?”
“Ach, mein Junge”, antwortete dieser. “Die Zauber der Feen sind stark. Sie riefen mich und wollen mich nun nicht gehen lassen, denn wie es scheint, genießen sie die Gesellschaft von Menschen.”
Da beugte sich die Zauberin zu ihm hinab und wieder erkannte er sie an ihren hellen Augen.
“Meine liebe Frau”, flüsterte er voller Erstaunen und Glück. “Ist Mittsommer denn schon vorbei?”
“Lange, mein lieber Mann. Als ich das Feenland betrat, verfärbten sich in der sterblichen Welt schon die ersten Blätter.”
Da sagte er betrübt: “Das tut mir leid, doch ich kann dieses Land nicht verlassen, solange die Königin es mir nicht gestattet.”
Es gab vieles, das sie sich noch sagen wollten, aber nun hatten auch die Feen ihren ungebeteten Gast bemerkt und die Königin ließ die junge Frau zu sich rufen.
“Wie bist du in mein Reich gelangt, ohne dass ich dich rief, Junge?”, fragte sie den vermeintlichen Burschen. “Nur wenige Sterbliche können die Grenzen meines Landes aus eigenem Willen überschreiten.”
“Ich weiß es nicht”, log die Zauberin rasch. “Ich verlief mich im Wald und es war gewiss nicht meine Absicht, Euer Mahl zu stören.” Da winkte ihr die Königin, sich zu setzen, und der Frau blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Sie achtete aber darauf, dass sie nichts von den verlockenden Speisen aß und nicht zu lange den süßen Gesängen der Feen lauschte, um nicht auch ihrem Zauber zu verfallen. Auch die Königin bemerkte die Zurückhaltung ihres Gastes und sann auf einen Plan, wie sie den Jüngling doch noch für sich gewinnen könnte.
“Wenn unsere Speisen dir nicht munden”, sagte sie freundlich, “spricht dein Herz vielleicht eher einem unterhaltsamen Spiel zu?” Sie ließ sich einen Stapel Spielkarten, wie sie unter den Menschen üblich waren, reichen und bot sie der Zauberin neckisch an.
“Kann ich nicht erraten, welche Karte du vom Stapel nimmst, so will ich dir einen Wunsch gewähren”, versprach sie und die Zauberin wurde hellhörig.
“Ich darf Euer Reich verlassen und etwas mitnehmen, das ich frei wählen kann?”, fragte sie. Die Königin, die dachte, der Jüngling sinne nach Gold, Edelsteinen oder einer der Feenfrauen, in die er sich verliebt hatte, willigte ein.
“Was für einen Einsatz kannst du aber bringen?”
Da erschrak die Zauberin und musste zugeben: “Ich trage nichts von Wert bei mir. Aber alles, was ich habe, soll Euch gehören.”
“Alte Kleider und ein Wanderstab?”, lachte die Feenkönigin. “Da musst du mir schon dich selbst anbieten. Drei Jahre in meinen Diensten, wenn du verlierst!”
Hoffnungsvoll nahm die Zauberin eine Karte vom Stapel und die Feenkönigin erriet sie mit solcher Leichtigkeit, dass kein Zweifel an ihren hellseherischen Fähigkeiten bestand. Die junge Frau hingegen konnte ihre Zauberkraft im Feenreich nicht gebrauchen und trotz aller Anstrengungen gelang es ihr nicht, die rechte Antwort zu finden. Als sie die Königin verzweifelt um ein weiteres Spiel bat, lachte diese: “Drei Jahre werden diesmal nicht genügen. Wirst du auch dreißig als Einsatz bieten?”
Die Zauberin stimmte zu, doch auch diesmal wusste die Fee die richtige Antwort spielend leicht herzusagen, während ihr selbst alles Mühen nicht half.
“Nun diene erst deine dreißig Jahre ab, ehe du erneut dein weniges Glück versuchst!”, spottete die Feenkönigin, doch die junge Frau bat so eindringlich, dass sie sich zuletzt erweichen ließ.
“Diesmal jedoch musst du mir Gefolgschaft bis ans Ende deines Lebens versprechen”, sagte sie mit zufriedenem Lächeln. Da wurde es der Zauberin angst und bange, doch sie willigte tapfer ein, immer noch in der Hoffnung, auf diese Weise ihren Mann und sich selbst freikaufen zu können.
“Alle guten Geister, helft mir!”, flehte sie in Gedanken. Wie sie sich nun hinabbeugte, um eine Karte vom Stapel zu nehmen, rutschte ihr die Mütze vom Kopf und ihr langes Haar floss golden schimmernd herab.
“Eine Dame!”, schrie da die Feenkönigin wutentbrannt, die ihren Irrtum erkannte. “Das ist kein Jüngling, es ist eine Dame!”
“Oh nein!”, sagte die Zauberin schnell und ließ ihre Karte auf den Tisch fallen. “Ihr habt verloren! Seht Ihr, es ist keine Dame, sondern ein Kreuzbube!” Die Damen und Herren neben ihr am Tisch nickten zustimmend und der Königin blieb nichts anderes übrig, als zähneknirschend ihre Niederlage einzugestehen.
“Du hast das Spiel nicht auf ehrenhafte Weise gewonnen”, knurrte sie. “Aber niemand soll mir nachsagen können, dass ich mein Wort nicht halte. Nimm dir im Namen der vier Winde deinen Preis und geh, denn ich will dich kleine Betrügerin nicht mehr sehen!” Da trat die Zauberin glücklich zu ihrem Mann, nahm seine Hand und sagte: “Unter all euren Reichtümern wähle ich dies eine, das ihr mir gestohlen habt!” Und sie gingen fort aus den blühenden Hainen des Feenreiches, bis sich die Nebel hinter ihnen senkten und sie in die sterbliche Welt gelangten, in der eben der kalte November in feuchten Nebeln über die blattlosen Bäume kroch.

Einige Jahre lebten sie glücklich im Dorf, ehe es den Vagabunden wieder zu neuen Reisen fortzog. Manches Mal begleitete ihn seine schöne Frau, doch meistens ging er alleine und erlebte vielerlei Abenteuer. Dem Ruf der Feen aber, die in manchen warmen Nächten seinen Namen sangen, hielt er sich fern.

Quelle: Miyax

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