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Die Frucht des hohen Baums

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Es war einmal ein König, auf dessen Hof war ein grosser hoher Baum. Dieser König wollte wissen, was für eine Frucht der Baum habe. Er liess im ganzen Reich ausrufen, dass er demjenigen, der hinaufsteigen und verkünden würde, wie die Frucht sei, eine seiner Töchter geben würde, welche er wolle.
Herzöge, Barone und Prinzen kamen daher, doch keiner konnte ihn ersteigen. Und da war mal ein Zigeunerjunge an seinem Hofe, und dieser Zigeunerjunge sagte seiner Mutter, ihm würde das schon gelingen, seine Mutter sollte zum König gehen und dem König sagen, er würde auf den Baum klettern.
Der König wollte es nicht glauben und liess den Zigeunerjungen vor sich rufen und sprach:
»Du wirst auch nicht hinaufklettern können! Und wenn du nicht hinaufklettern kannst, dann lasse ich dir den Kopf abschlagen.«
Und der Zigeuner sagte, es sei ihm recht, er sollte ihm den Kopf abschlagen, wenn er nicht hinaufklettern könnte. Und er sagte dem König, er sollte ihm drei Tage Zeit lassen, um nachzudenken, und unterdessen liess er vom Schmied ein paar Eisenanker machen, und dann begann er hinaufzuklettern.
Er stieg und stieg aufwärts, stieg drei Tage, und auf einmal findet er ein Häuschen in der Seite des Baums. Er tritt ein, und darinnen erblickt er eine sehr alte Frau, und er grüsst sie, spricht:
»Guten Abend, Grossmutter!«
Die Frau sagt zu ihm:
»Gut, dass du mich Grossmutter genannt hast, denn sonst hätte ich dich auf der Stelle getötet.«
Dann forschte sie:
»Was führt dich her, mein Sohn?«
Er sprach:
»Liebe Grossmutter, könnt Ihr mir nicht sagen, was für eine Frucht dieser Baum hat?«
Die Frau sprach:
»Warte, bis mein Sohn heimkehrt; er wird es dir schon sagen, denn er bläst in jedes kleine Loch und muss das auch wissen.«
Das war die Mutter des Windes. Abends, als ihr Sohn heimkam, witterte er etwas, Menschenduft. Er fragt seine Mutter:
»Ich wittere Menschenduft. Wer ist hier, und was führt ihn her?«
Da sagt die Frau, es sei ein guter Mensch und er wolle wissen, was für eine Frucht dieser Baum habe. Da sprach der Wind, denn das war ihr Sohn:
»Und ob ich gleich in jedes Loch blase, so hab ich doch nirgends erfahren, was dieser Baum für Früchte hat.«
Da wurde der Zigeuner traurig und zog fürbass. Mittlerweile bis er dort hinaufgekommen war, hatte er ein Paar Eisenanker abgewetzt, und drauf zog er ein anderes Paar hinauf. Wiederum stieg er drei Tage, da fand er wiederum ein Haus in der Baumseite. Er trat auch da ein, grüsste die Frau:
»Guten Abend, Grossmutter!«
Die antwortete ihm auch wie die andere Frau und fragte:
»Was führt dich her?«
Der Zigeuner erzählte, dass er die Frucht jenes Baumes suche. Und die Frau sagt:
»Ich kann es dir wahrlich nicht sagen, aber warte, mein Sohn kommt heim; er wird es dir schon sagen.«
Die Frau gab ihm zu essen, denn er war sehr hungrig, und liess ihn sich schlafen legen.
Drauf kam ihr Sohn, und der machte es auch so wie der Windmutter Sohn, er fragte, wer hier sei. Seine Mutter erzählte, dass es ein guter Mensch wäre und was ihn herführte. Dies war die Mutter des Mondes. Da sprach der Mond:
»Wahrlich ich gucke überall hinein, doch was für Früchte dieser Baum hat, das weiss ich nicht.«
Frühmorgens erwacht der Bursche und fragt die alte Frau:
»Hat Euer Sohn gesagt, was für eine Frucht der Baum hat?«
Da holte er wiederum ein Paar Eisenanker herauf und warf das andere hinunter. Auf der Erde erhaschten des Königs Diener das und zeigten es dem König. Der König meinte, der Zigeuner wäre schon ordentlich hoch oben. Wenn er auch die Frucht des Baumes erlangen sollte, er würde ihm dennoch nicht seine Tochter geben.
Der Bursche, der Zigeuner, stieg jetzt weiter; nach drei Tagen langte er wiederum bei einem Hause an. Dort fand er auch eine alte Frau, aber es ging ihm ebenso wie mit den andern; das war aber die Mutter der Sonne gewesen.
Nun stieg er weiter. Er stieg, stieg, stieg sieben Tage und hatte doch noch nicht den Eisenanker abgewetzt. Am Abend des siebenten Tages kam er hinauf in den Himmel.
Dort beim Himmelstore fand er einen sehr alten Mann. Dieser alte Mann fragte ihn:
»Nicht wahr, du bist müde?«
Sagt ihm der Bursch, der Zigeuner:
»Ja freilich, ich bin müde.«
»Nun,« entgegnete der alte Mann, »wenn du müde bist, setz dich auf meinen Platz, bis ich zurück komme.«
Der Zigeuner setzte sich, wartete eine Stunde, zwei, drei, doch der alte Mann kam nicht zurück. Da versuchte er aufzustehen, doch er konnte nicht, wie wenn er auf dem Sessel angeklebt gewesen wäre. Da kam ein schönes Mädchen zu ihm und fragte:
»Würdest du dich wohl als Kutscher bei Fee Ilona verdingen?«
Er antwortete: »Aber gewiss, nur kann ich von hier nicht aufstehen.«
»Du wirst gleich von da aufstehen, ich schicke gleich den alten Mann zurück, der hier gewesen ist.«
Flugs ging sie zu Fee Ilona und berichtete, dass der alte Mann nicht an seinem Platz wäre und einen anderen an seinem Platz gelassen hätte, der aber würde als Kutscher sich hierher verdingen, doch er könne nicht aufstehen. Da sagte Fee Ilona zu ihrem Läufer:
»Lauf geschwind und hole den alten Mann zurück!«
Der Läufer lief, lief einen ganzen Tag, holte ihn nicht ein. Er lief wiederum einen Tag, und gegen Abend holte er ihn ein. Da packte er ihn beim Schlafittchen und prügelte ihn tüchtig durch und setzte sich dem Alten auf den Rücken und führte ihn geradewegs hin zum Zigeuner. Der konnte gleich aufstehen, der Zigeuner, als sie dort angelangt waren. Und der Läufer prügelte den Alten nochmals tüchtig durch und setzte ihn aufs neue auf seinen Platz zurück.
Jetzt ging der Zigeuner zu Fee Ilona als Kutscher. Fee Ilona hatte zwei goldhaarige Reitpferde, und sie sagte dem Zigeuner:
»Wenn du bei mir als Kutscher eintreten willst, so bade in dieser Kufe.«
Der Zigeuner zögerte auch nicht lange. Er legte sein Gewand ab und sprang in den Bottich.
Eine halbe Stunde badete er, dann befahl ihm Fee Ilona herauszusteigen. Und als er herausgestiegen war, Herr mein Gott, siehe, da war er so schön geworden, dass seinesgleichen auf Erden nicht zu finden war. Nun kleidete er sich an und wurde in den Stall geführt. Dort waren die zwei goldhaarigen Reitpferde, und jenes Mädchen sagte ihm:
»Hier in diesem Zimmer ist goldener Hafer, und gib den Pferden jeden Tag einmal einen Scheffel.«
Dann verschwand sie. Der Zigeuner hatte drei Tage gedient, und jenes Mädchen kam wiederum und sagte dem Zigeuner, wer Fee Ilona in allem nachahmen könnte, den nähme sie zum Gemahl. Da freute sich der Zigeuner und sagte zu dem Mädchen:
»Führe mich nur hinein zu Fee Ilona; ich werde sie so nachahmen, wie wenn sie es selbst wäre.«
Dann ging er hinein. Es ging zum Abend; Fee Ilona hatte ein zweites Bett in ihr Zimmer stellen lassen, ein bischen abseits von ihrem. Dann begann sie sich auszukleiden. Als sie sich entkleidete, hatte sie sechszehn Gewänder, der Zigeuner jedoch hatte nur eine Hose. Er zerschlitzte seine Hose in sechszehn Stücke und legte sie sorgsam auf einen Stuhl, wie Fee Ilona es machte. Dann setzte er seine Hose wieder zusammen und wollte sie nähen, doch die Hose hielt von selbst zusammen, und er legte ein Stück nach dem andern an. Das Mädchen, Fee Ilona, verwunderte sich sehr darüber.
Dann gingen sie sich waschen. Zwei Waschschüsseln waren schon aufgestellt. Fee Ilona wusch sich in sechszehn Wassern; der Zigeuner machte es ebenso; doch er hatte nicht sechszehn Seifen; doch die eine Seife, die er hatte, brach er in sechszehn Stücke und wusch sich so.
Nun ging Fee Ilona sich kämmen, und der Zigeuner ging hinter ihr her. Zwei Spiegel waren aufgestellt und mit Kamm und allem versehen, und sie begannen, sich zu kämmen. Wenn Fee Ilona einmal den Kamm durch das Haar zog, dann tat’s der Zigeuner auch. So zog Fee Ilona sechszehnmal, und er auch sechszehnmal. Der Zigeuner hatte auch langes Haar, und als sie sich gekämmt hatten, da wurde sein Gesicht gerade so wie Fee Ilonas Antlitz.
Als Fee Ilona ihn erblickte, wusste sie sich vor Freude nicht zu lassen. Sie rief ihn gleich zu sich und umarmte und küsste ihn. Dann hielten sie eine grosse Hochzeit, und sie schickte den Zigeuner, ihren Mann, auf die Jagd, denn jetzt war er nicht mehr Zigeuner. Ehe sie ihn fortschickte, gab sie ihm einen Spiegel und sprach zu ihm:
»Wenn du sehen willst, was ich mache, schau nur in den Spiegel, und du siehst es.«
Dann nahmen sie Abschied von einander, und er zog auf die Jagd. Wie er ein Stück gegangen war, da sieht er den Läufer vor sich, der rennt. Der Läufer ruft ihm zu, Fee Ilona habe gesagt, er sollte keinem Wild etwas zu leide tun, nur zwei Hasen schiessen. Drauf geht er weiter, und wie er wandert, wandert, eine halbe Stunde gegangen war, da sieht er einen Wald, dessen Bäume waren aus eitel Gold, und er sieht ein Rudel Tiere laufen, die hatten alle goldene Felle, doch er sah keinen Hasen unter ihnen. Er geht tiefer in den Wald; wiederum kommt ein Rudel Wild hervor, aber auch unter diesen sah er keinen Hasen. Wiederum geht er tiefer hinein, kommt wiederum ein Rudel Wild; unter diesen war auch nur ein Hase. Flugs zielt er auf ihn und schiesst ihn nieder.
Er geht tiefer hinein, um noch einen Hasen zu schiessen. Wie er geht, erblickt er kein Tier, aber er verirrte sich. Jetzt wusste er nicht, wohin er gehen sollte. Er sann nach und nahm den Spiegel vor und schaute hinein. Da sah er Fee Ilona, wie sie mit der Hand wies, er sollte rechts gehen. Er geht auch rechts, geht, geht, vier Stunden lang, rastet nicht, und da kommt ein Haufen Hasen in Sicht. Doch was sollte er jetzt machen? Weil er kein sehr guter Schütze war, fürchtete er, zwei niederzuschiessen. Er wartete, wartete eine Weile, doch es waren immer viele Hasen vor ihm. Da wurde er ärgerlich und schoss zwischen sie, und da sah er drei Hasen fallen.
Es reute ihn fürwahr, dass er seiner Frau nicht hatte Wort halten können, aber er machte sich dennoch auf den Heimweg. Und wie er heimwärts ging, vertritt ihm ein grosser, grosser, langer Mann den Weg und fragt ihn:
»Schämst du dich nicht, dass du meine zwei Hasen geschossen hast?«
Denn jene zwei, die er bei den dreien geschossen hatte, die zwei waren seine, nur der eine gehörte Fee Ilona. Und er sagte zu ihm:
»Komm, wir wollen ringen.«
Da erschrak der Zigeuner sehr und nahm seinen Pfeil und zielte auf den Mann. Der Mann nahm auch seinen Pfeil, wollte zielen, doch da war er auch schon niedergeschossen.
Er kommt heim, und Fee Ilona sieht, dass er vier Hasen geschossen hat. Da erschrak Fee Ilona sehr und sagte:
»Wehe, warum hast du jene andern zwei geschossen! denn wenn ihr Herr das erfährt, tötet er dich gleich.«
Da sprach der Zigeuner:
»Sorge dich nicht darum; ich habe die Sache mit ihm schon erledigt.«
Und der Zigeuner sagte zu Fee Ilona:
»Ich will dich etwas fragen, wenn du es sagst.«
»Wie sollte ich es dir nicht sagen; traun, wir haben doch keine Geheimnisse vor einander.«
Da fragte der Zigeuner:
»Sag an, was für eine Frucht hat dieser Baum?«
Und da sagte Fee Ilona:
»Nur das wolltest du mich fragen? Also warum sollte ich das denn nicht sagen? Ich werde dir auch davon zu essen geben, soviel du nur willst.«
Dann rief sie flugs einen Diener und sagte, er sollte zehn jener Früchte bringen. Der Diener stieg auf den Baum, doch der Baum hatte dreierlei Früchte: goldene Äpfel, goldene Pflaumen, goldene Birnen. Nun holte sie der Mann. Er wollte sie bringen, doch er wusste nicht einzuteilen, von welchen er vier bringen sollte. Er sann nach und holte von den Pflaumen vier, weil die Pflaume kleiner als Birne und Apfel ist, und brachte sie hinein zu Fee Ilona. Fee Ilona gab sie ihrem Mann. Sprach ihr Mann:
»Ich hätte eine kleine Angelegenheit auf der Erde.«
Und da sagt Fee Ilona:
»Wenn du hinunter gehen willst, kannst du jetzt gleich gehen.«
Flugs befahl sie, eine Schaukel zu machen, die ganz bis zur Erde reichte, und sie setzte ihren Mann in die Schaukel. Kaum hatte ihr Mann sich’s nur gedacht, und da war er schon unten auf der Erde. Das Obst war in seiner Tasche, und nun stand er dort just neben dem Baum.
Er ging zum König hinein, wies ihm das Obst. Der König hatte ihm vorher die Tochter nicht geben wollen; doch als er sah, wie schön er war, da gab er sie ihm; doch das Mädchen wollte nicht gehen. Sie dachte bei sich, er würde wieder so hässlich werden, wie der Zigeuner gewesen war. Der Zigeuner packte sie beim Ohr und führte sie zu seiner Mutter; seine Mutter aber lud er ein und sagte, sie sollte mit ihm kommen, er wolle irgendwo hingehen. Dann ging er hin zum Baum, und seine Mutter fragte, was er wolle. Und da dachte der Zigeuner eins, und da war die Schaukel schon unten. Er setzte seine Mutter und die Königstochter hinein, und er hängte sich auch an die Schaukel. Wieder dachte er eins, und schon waren sie oben. Da sprach er zu dem Mädchen:
»Du wolltest mich nicht lieben, drum liebe ich dich auch nicht.«
Und er packte sie und schleuderte sie auf die Erde hinunter. Das Mädchen fiel drei Tage lang, und am dritten Tag fiel sie auf die Erde nieder. All ihre Glieder wurden zerschmettert, und der eine Diener des Königs fand ihren Kopf. Nur der Kopf war unversehrt geblieben. Und er ging gleich zum König und wies ihn ihm. Der König wurde sehr traurig und dachte bei sich:
»O mein Gott, warum habe ich meine Tochter nicht gutwillig dem Zigeuner gegeben!«
Und unterdessen stand dort plötzlich der Zigeuner und fragte den König:
»Würdest du mir jetzt deine Tochter gutwillig geben?«
Der König sprach:
»Ich würde dir nicht nur gutwillig meine Tochter geben, sondern auch noch mein halbes Königreich würde ich dir geben, wenn das Mädchen wieder lebendig würde.«
Da ging der Zigeuner heim und sagte seiner Mutter, was der König gesagt hatte. Seine Mutter sprach:
»Schau, ich gebe dir eine Schachtel. In der Schachtel ist ein Pulver, wenn du damit das Antlitz jenes Hauptes bestreichst, wächst gleich der ganze Leib.«
Der Zigeuner ging geschwind zum König und bat um des Mädchens Haupt. Der König gab es ihm gleich, und er bestrich des Mädchens Haupt mit dem Pulver. Da wuchs gleich des Mädchens Körper an, und sie begann zu sprechen. Der König hätte ihm jetzt gern seine Tochter gegeben, doch der Zigeuner brauchte sie nicht. Er nahm sie nicht und sprach:
»Lebe glücklich zusammen mit deiner Tochter, denn ich habe schon eine Frau.«
Dann rief er seine Mutter, und sie gingen zum Baum, und die Schaukel war schon dort. Und sie setzten sich hinein, und als sie sich hinein gesetzt hatten, da waren sie gleich im Himmel. Dort empfing sie Fee Ilona voller Freude, sie hielten eine grosse Hochzeit und lebten glücklich. Seiner Mutter aber liess er ein schönes Schloss machen und schickte sie da hinein und sprach:
»Wenn du mich zu sehen begehrst, dann schicke diesen Diener, und ich werde zusammen mit meiner Gemahlin kommen.«
Dann ging er heim, und sie hielten eine grosse Hochzeit. Den König wollten sie auch einladen; doch der Zigeunerbursche erlaubte es nicht, weil er ihn hatte betrügen wollen, und darum luden sie auch noch die Maus zu Gaste; die hatte es auch gut. Auch ich habe eine Keule erwischt und aufgegessen. Drauf habe ich sie dort verlassen, und wenn sie nicht gestorben sind, feiern sie auch noch bis heute Hochzeit.

[Ungarn: Elisabet Róna-Sklarek: Ungarische Volksmärchen]

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