Nun begab sich einmal, daß ein hoher Festtag war – ich glaube es war Karfreitag – da ging die Bauersfrau mit ihrem Mann zur Kirche und sagte den Kindern, sie sollten hübsch artig sein. Der Barbara aber und den Nächstälteren gab sie einige fromme Lieder auf die sie inzwischen auswendig lernen sollten. Darauf gingen die Eltern weg. Barbara und die andern Kinder waren anfangs auch recht artig. Die älteren nahmen Bücher und lasen, während die Kleinsten still aus dem Boden saßen und spielten. Nach einer Weile erblickte das eine Kind etwas hinter dem Ofen und rief: „Seht, was ist das für ein schöner, weißer Beutel!“ Der Beutel enthielt Nüsse und Äpfel, und die Mutter hatte ihn am Morgen hingehängt, denn sie wollte ihn am Nachmittag einem ihrer kleinen Paten bringen. Die Kinder sprangen alsbald auf. Sie guckten den Beutel von allen Seiten an, und auch Barbara die Älteste, stand auf und guckte mit. Die Kinder flüsterten und sprachen dies und das über den schönen Beutel, und sie fragten einander, was wohl darin sei. Es gelüstete sie so sehr, dies zu erfahren; auf einmal riß eines der Kinder – man wußte eigentlich nicht recht, welches – den Beutel vom Nagel. Zögernd löste Barbara die Schnur, mit der er zugebunden war – und siehe da: Äpfel und Nüsse fielen ihr entgegen. Wie die Kinder die Äpfel und Nüsse auf dem Boden dahinrollen sahen, vergaßen sie alles, auch daß es Festtag war, und was die Mutter ihnen befohlen und aufgegeben hatte. Sie setzten sich hin, schmausten die Äpfel und knackten die Nüsse und aßen alles rein und säuberlich auf.
Als nun Vater und Mutter aus der Kirche nach Hause kamen, sah die Mutter die Nussschalen auf der Erde liegen. Sie suchte den Beutel, aber sosehr ihre Augen auch hinsahen: sie konnte ihn nicht mehr entdecken. Da erzürnte sie sich sehr und ward zum ersten Male in in ihrem Leben ungehalten. Sie schalt die Kinder tüchtig aus und rief: „Potz Blitz! Ich wollte, daß ihr alle zu Mäusen werdet.“ Dieser Wunsch war aber eine große Sünde, denn es war doch ein heiliger und hoher Festtag, an einem anderen Tag hätte Gott es sicher der Bauersfrau eher verziehen, denn sie war sonst eine fromme und gottesfürchtige Frau. Kaum war der Mutter dieses schlimme Wort entschlüpft, da waren all die sieben niedlichen Kinderchen weg. Es war, als hätte sie der Wind weggeblasen, und siehe: sieben bunte Mäuse liefen in der Stube herum mit roten Köpfchen, wie die Röcke und Mützen der Kinder gewesen waren. Vater und Mutter erschraken darüber so sehr, daß sie hätten zu Stein werden mögen.
Als der Knecht hereinkam und die Tür öffnete, liefen die sieben bunten Mäuse schnurstracks hinaus und über den Flur auf den Hof. sie liefen so geschwind, daß man sie mit dem Blick gar nicht mehr verfolgen konnte. Als die Frau das sah, war sie bestürzt; sie konnte sich nicht halten, stürzte zur Tür hinaus und lief den Mäusen nach. Diese aber eilten den Weg entlang spornstreichs zum Dorfe hinaus. Sie liefen über die Felder und kamen immer tiefer in den dunklen Wald hinein. Die Mutter kam ganz außer Atem; sie konnte weder schreien noch weinen und wußte sich keinen Rat. Auch im Walde blieben die Mäuse nicht. Sie liefen wieder in ein freies Feld hinein, einem kleinen Busche zu. Einige hohe Eichen standen davor; etwas seitlich befand sich ein spiegelheller Teich, über dem sich in der Sonne eine Schar Mücken spielend herumtrieb. Noch heute steht dieser Busch mit seinen Eichen und heißt der Mäusewinkel. Als die Mäuse an den Teich herankamen, standen sie plötzlich alle sieben still und guckten um sich, und die Bauersfrau stand dicht bei ihnen. Es schien als wollten sie Abschied von ihr nehmen, denn als die Frua so ein Weilchen die Mäuse angesehen hatte, plumps! sprangen alle sieben zu gleicher Zeit ins Wasser. Sie schwammen aber nicht, sonden gingen gleich in der Tiefe unter. Dies geschah alles an einem sonnigen Mittag. Die Mutter blieb hilflos stehen, und konnte weder Hand noch Fuß rühren, denn auch sie war kein Mensch mehr, sondern zu einem Stein erstarrt; und auch dieser Stein liegt noch an derselben Stelle, wo sie stand und die Mäuslein verschwinden sah. Und dies ist der große Stein, an dem wir sitzen.
Und nun hört einmal, was nach diesem geschehen ist und noch jede Nacht geschieht. Wenn die Glocke zwölf Uhr schlägt und alles schläft und still ist und die Geister herumwandeln, kommen die sieben bunten Mäuse aus dem Teiche heraus und tanzen eine ganze ausgeschlagene Stunde um den Stein herum, bis es eins schlägt. Und es geht die Sage, daß dann der Stein zu klingen anfängt, als ob er sprechen könnte. Dies ist wohl die einzige Stunde, wo die Kinder und Mutter sich verständigen können und voneinander wissen. All die übrige Zeit sind sie wie tot. Die Mäuse tanzen nun wohl schon tausend Jahre und länger um den Stein, und es geht die Sage, daß sie einmal wieder verwandelt werden sollen. Dies kann nur durch Gottes Gnade und auf folgende Weise geschehen:
Es muß eine Frau sein, die gerade alt ist, wie die Bäuerin war, als sie aus der Kirche kam. Diese Frau muß dann sieben Söhne haben, die genauso alt sind, wie die kleinen Mädchen es waren. Sind sie nur eine Minute älter oder jünger, so geht es nicht mehr. Diese Frau muß an einem Karfreitag in der Mittagszeit, da die Bäuerin zu Stein ward, mit ihren sieben Söhnen in den Busch kommen und sich auf den Stein setzen. Sobald sich die Frau gesetzt hat, wird der Stein lebendig werden und sich wieder in einen Menschen verwandeln; leibhaftig und eben in den Kleidern, die die Mutter getragen hat, als sie den Mäusen nachlief, steht dann die Bauersfrau wieder da. Die sieben bunten Mäuse aber werden wieder zu sieben kleinen Mädchen in bunten Röcken und mit roten Mützen auf den Köpfen. Und jedes kleine Mädchen geht dann zu einem Knaben hin, und sie werden Braut und Bräutigam. Und wenn sie dann groß werden, so halten sie Hochzeit an einem Tage und tanzen ihre Kränze ab. Es sollen die schönsten Jungfrauen werden auf der ganzen Insel, sagen die Leute, und auch die glücklichsten und reichsten, denn all diese Güter und Höfe hier umher sollen ihnen gehören……………
Aber ach, wann werden sie sich verwandeln?
Quelle: Ernst Moritz Arndt