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Die gestohlenen Ostereierfarben

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Das Osterfest rückt immer näher. Die Krokusse, Narzissen und Tulpen strecken ihre Köpfchen der Sonne entgegen und Puschel und Wuschel, zwei Hasenfrauen, haben dieses Jahr noch kein einziges Osterei bemalt.
Eigentlich sind sie beste Freundinnen, doch in der Vorosterzeit bekämpfen sie sich wie die größten Feindinnen. Jede behauptet von sich, die schönsten Muster malen zu können.
Felix, der Hasenmann von Puschel, hört sich das Gezanke eine Zeit lang an, dann hat er genug und schimpft: „Jedes Jahr dasselbe mit euch!“ Wütend hängt er sich seine Provianttasche um den Hals und verlässt den Bau.

Am Ende des Waldes unter einer alten Eiche lebt eine alte Häsin. Sie ist erst vor Kurzem zugezogen. In ihrem liebevoll angelegten Garten blühen ebenfalls Frühlingsblumen in den schönsten Farben.
Auf einem Tischchen, das vor der alten Eiche steht, liegen bunte Ostereier zum Trocknen aus. Erstaunt bleibt Felix stehen und bewundert die zauberhaft schillernde Pracht. So etwas Schönes hat der Hasenmann noch nie gesehen! Er kann einfach nicht widerstehen. Vorsichtig, auf leisen Pfoten, schleicht er näher, greift mit beiden Pfoten je ein Ei und stopft sie flugs in sein Futtersäckchen. Langsam hoppelt er mit Unschuldsmiene davon. Er weiß ja, dass man so etwas nicht macht. Aber wenn Puschel und Wuschel diese Eier sehen, werden sie vor Neid erblassen und endlich ihre Streitereien begraben. So hofft er jedenfalls!

Als er nach Hause kommt, legt er die Ostereier wortlos auf den Tisch und schaut seiner Frau lächelnd ins Gesicht. Puschel bekommt vor lauter Staunen das Mäulchen nicht mehr zu und flitzt zur Überraschung ihres Mannes zur Freundin. Aufgeregt und ohne Anzuklopfen stürmt sie in Wuschels Stube. Völlig außer Atem jappst sie: „Wu … Wu … Wuschel! Komm schnell! Du wirst nicht glauben, was Felix mir gerade gebracht hat!“ Schon ist sie wieder zur Tür hinaus. Die Freundin hoppelt neugierig und so schnell sie kann hinterher. Als beide wieder zu Atem kommen, wird gefragt, gestaunt und begutachtet. Felix muss erzählen, woher er diese prachtvollen Eier hat.
„Schaut sie nur richtig an“, sagt er grinsend, „denn ich bringe sie wieder zurück. Ich habe sie für euch – sagen wir mal – ausgeborgt, damit ihr sehen könnt, dass es noch schönere Ostereier als die euren gibt!“
Die Freundinnen sehen sich betreten an.
„Dein Mann hat recht!“, sagt Wuschel. „Dagegen kommen wir mit unserer Malerei nicht an. Aber, frag doch mal, ob uns die neue Häsin ihre Kunst beibringen würde.“
Felix schüttelt den Kopf, steckt die Eier wieder in seinen Beutel zurück und meint: „Das geht beim besten Wille nicht! Sie würde sagen, ich wäre ein Dieb und solchen Strolchen hilft man doch nicht auch noch.“
Das sehen die beiden ein.
Der Hasenmann hat Glück. Er kann die unerlaubt ausgeborgten Eier unbemerkt auf das Tischchen vor der alten Eiche zurücklegen.

Am anderen Morgen beschließen die Freundinnen endlich mit der Ostereiermalerei zu beginnen. Doch soviel sie auch suchen, alle Farben sind spurlos verschwunden.
„Ich weiß ganz genau, dass ich sie im Schuppen hinter die Bretter gestellt habe“, hadert Puschel, ist sich aber nicht ganz sicher. Verzweifelt sehen sich die Freundinnen an.
„Ohne Farben keine Ostereier“, jammert Wuschel und zupft ratlos an ihrem rechten herunterhängenden Ohr.
„Das können wir den Kindern nicht antun“, platzt Felix dazwischen. Wir müssen die Farben suchen! Von alleine bekommen die doch keine Beine!“
Und so machen sich die drei auf die Suche.
Als sie mitten im Wald rasten, sehen sie auf einem Baum zwischen den Ästen etwas Buntes umherflattern.
„Hallo, du da oben!“, ruft Felix. „Du bist so schön bunt. Hast du zufällig unsere Ostereierfarben benutzt?“ Das Wort `stehlen` wollte er nicht in den Mund nehmen.
Der Vogel fliegt näher und piepst: „Was soll ich haben? Eure Farben benutzt? Ich bin ein Buntspecht und schon so bunt aus dem Ei geschlüpft! Aber lasst mich mal überlegen! Ja genau! Da war doch gestern was? Was war das denn nur?“ Aufgeregt flattert er mit den Flügeln. „Es fällt mir momentan einfach nicht ein.“
„Lass gut sein!“, winkt Felix ab. „Dann suchen wir eben weiter. Irgendwo müssen die verflixten Farben ja zu finden sein!“
Kaum ein paar Meter weiter, da kommt der Buntspecht hinter ihnen hergeflogen und zwitschert aufgeregt: „Jetzt weiß ich‘s wieder! Gestern, als ich auf Futtersuche war, flog ein sonderbarer Vogel an mir vorbei. Er war so groß wie ein Rabe, aber nicht schwarz sondern bunt. Bunter ging‘s gar nicht mehr. Und er tropfte! Wenn ihr den zweiten Weg nach links geht, braucht ihr nur den bunten Klecksen auf dem Waldweg nachgehen. Diesen Vogel solltet ihr mal nach euren Farben fragen!“
Tatsächlich! Zwischen Moos und Tannennadeln finden sie bunte Farbkleckse auf dem Waldboden. Dann sehen sie ihn. Der Vogel sitzt unter einem Baum vor geöffneten Farbdosen und tunkt eifrig seinen Schnabel, die Federn und seine Stelzbeine hinein, wobei es ordentlich um ihn herum spritzt. Schwupps fliegt er eine Runde, um die Farben zu trockenen und beginnt die ganze Sache von vorn. Er sieht schrecklich kunterbunt aus und tropft ohne Unterlass vor sich hin.
„Hör sofort damit auf!“, brüllt Felix. „Das sind unsere Farben, die brauchen wir dringend zum Bemalen der Ostereier!“
Der Vogel erschrickt, macht eine ungeschickte Bewegung und die offenen Dosen kippen um. Sprachlos blicken Puschel, Wuschel und Felix auf ihre schönen Farben, die im Waldboden langsam versickern.
Ehe Felix weiterschimpfen kann, hat der Vogel das Weite gesucht.
„Jetzt ist alles aus, ich weiß nicht, was wir nun machen sollen“, klagt Puschel.
„Aber ich! Kommt mit! Wir holen zu Hause die gekochten Eier und bitten unsere neue Nachbarin um Hilfe!“
Kurze Zeit später stehen alle drei mit einem großen Korb vor der alten Eiche.
Die neue Nachbarin sitzt gerade in ihrem Gärtchen auf einer Bank, mümmelt genüsslich an einer Möhre und blinzelt zufrieden in die Sonne.
„Guten Tag!“, grüßt Felix freundlich und Puschel und Wuschel nicken scheu dazu.
„Wir möchten dich bitten … kannst du vielleicht …?“, stottert der Hasenmann, doch die neue Häsin schmunzelt und ergreift das Wort: „Ich habe schon von euerm Unglück gehört. Der Buntspecht hat mir alles erzählt. Natürlich helfe ich euch, jetzt wo ihr keine Farben mehr habt. Aber nicht mehr heute. Stellt den Korb mit den Eiern ab und kommt morgen wieder!“
„Danke, Frau Nachbarin. Also, dann bis morgen!“, klingt es von den dreien wie im Chor.
„Was für eine freundliche, nette Frau und so hilfsbereit“, stellt Felix auf dem Weg zum Bau fest. Puschel und Wuschel haben verstanden und versprechen sich, nie wieder miteinander zu zanken.
Die alte Häsin legte die Möhre beiseite, schnappt sich den Korb und stellt ihn neben die Blumen. Sie nimmt Ei für Ei aus dem Korb, hält ein jedes an eine Blume und augenblicklich nehmen sie die Farben der bunten Blüten an. Danach blickt sie lächelnd auf die wie in Perlmutt getaucht schillernde Pracht.
Felix, Puschel und Wuschel können es anderntags kaum erwarten, zur alten Eiche zu kommen. Aber was ist das? Einsam und allein steht sie da und ihre Blätter wispern im Wind. Kein Blumengarten! Keine Bank! Kein Tischchen! Kein Anzeichen, dass gestern hier noch eine Häsin gewohnt hat.
„Sie hat unsere Eier gestohlen und sich davongemacht“, heult Puschel los.
„So eine Hexe!“, schnauft Wuschel erbost.
Doch Felix zeigt plötzlich mit der Pfote auf etwas prachtvoll leuchtendes und ruft: „Da! Schaut doch! Unser Korb!“
Den dreien verschlägt es die Sprache. Hocherfreut packen sie zu und tragen den Korb in ihren Bau.

Die Kinder bekommen alle rechtzeitig Ostereier, wie es noch nie welche gegeben hat. Doch wie das alles zugegangen ist? Keiner weiß es! An des Rätsels Lösung knabbern Felix, Puschel und Wuschel noch heute. Dass es Feen, Hexen, Zwerge und Elfen gibt, wissen sie. Aber, dass es auch Zauberhasen gibt, das wissen sie eben nicht.

 
Marianne Schaefer

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