Es war vor langer, sehr langer Zeit. Die Menschen wohnten dazumal in einer Nomadensiedlung, in der vier Tschums standen,
Eines Tages gingen alle Männer in den Wald zum Jagen, Nur Frauen und Kinder blieben in den Tschums. So verstrichen drei Tage, Am dritten Abend ging eine Frau aus dem Tschum, hackte Holz und wollte kochen. Sie trug die Holzscheite hinein, warf sie in den offenen Herd. setzte sich mit ihrem Kindchen dicht ans Feuer und gab ihm die Brust, lustig. knisterten die Flammen und wärmten Mutter und Kind. Plötzlich stob ein Funke auf die Brust des Kleinen und verbrannte ihm die Haut, Das Kind weinte. Die Mutter sprang auf und schimpfte auf das Feuer:
„Was machst du? Ich füttere dich mit Holz und du tust meinem Kind weh. Kein Holz bekommst du mehr. Ich zerhack dich mit der Axt, begieß dich mit Wasser und 1ösch dich aus.“
Flink tat sie das Kind in die Wiege, nahm die Axt und begann auf das Feuer einzuhacken, Sodann griff sie nach dem Kessel und goß Wasser ins Feuer.
„So, jetzt versuch mal, meinen Sohn mit deinen Funken zu verbrennen! Zum ersten Mal bist du völlig erloschen. kein einziges Fünkchen ist mehr zu sehen!“
Das Feuer war ausgegangen. Kalt und finster wurde es im Tschum. Vor Kälte weinte das Kind noch kläglicher.
Da besann sich die Mutter und wollte schnell wieder Feuer anmachen. Sie bemühte sich sehr, blies hinein, doch vergeblich – da glühte kein Fünkchen mehr. Ihr kleiner Sohn aber schrie immer heftiger.
Die Mutter überlegte: , Ich lauf mal schnell in den Nachbartschum, hole mir Feuer und zünde meins wieder an!‘ Sie eilte in den nächsten Tschum, Doch kaum öffnete sie die Tür erlosch auch dort das Feuer. Sie trat in den Tschum, im Herd brannte kein Funken mehr. Die Frauen gaben sich große Mühe, das Feuer zum Brennen zu bringen. Doch sie konnten es nicht – kein Fünkchen wollte aufglühen. Die Mutter lief hinaus und eilte in einen anderen Tschum. Kaum hatte sie die Tür einen kleinen Spalt geöffnet, da ging auch hier das Feuer im Herd aus. Sie trat nicht mal ein. schloß nur rasch die Tür und lief eilends zum nächsten Tschum. Doch dort war es dasselbe. Sie öffnete für einen Spalt breit die Tür, und das Feuer erlosch.
Da eilte sie zu ihrem Tschum zurück. Seitab stand am Wege noch ein Tschum: er gehörte ihrer Großmutter. Dort brannte noch Feuer. Sie rannte hin und trat ein. Doch kaum war sie über die Schwelle, da fauchte das Feuer, stieß Rauch aus und erlosch. Die Großmutter schimpfte:
„Was ist denn? Kaum kommst du, erlischt das Feuer. Hast du etwa in deinem Herd das Feuer gekränkt, du Spinne?“
Die Frau brach in Tränen aus. In der ganzen Siedlung gab es kein Feuer mehr. Niemand konnte es anzünden. Ringsum war es finster und kalt.
„Komm, wir gehen in deinen Tschum. Ich will doch einmal sehen, was du angerichtet hast“, sagte die Großmutter.
Zu zweit traten sie in den kalten, dunklen Tschum, wo der Kleine weinte und jammervoll schluchzte.
Die Großmutter nahm Schwefelholz und versuchte, Feuer zu machen. Ach, wie plagte sie sich, aber das Feuer wollte nicht brennen. Da hockte sie sich vor den Herd und spähte in das schwarze Dunkel. Nichts war zu sehen. Doch dann erspähte sie, kaum erkennbar, eine Alte. Die saß da und glomm wie Feuer.
Die Alte sprach zur Großmutter:
„Wozu strengst du dich an? Deine Enkelin hat mir eine tiefe Beleidigung zugefügt.“
Die Großmutter fragte:
„Wieso, ich weiß ja nicht, was hier vorgegangen ist?“
„Meine Augen hat sie mit Wasser übergossen und mein Gesicht mit Eisen zerhackt. Warum die Törichte das getan hat, ich weiß es nicht.“
Das erzürnte die Großmutter noch mehr:
„Ich hab ja immer gesagt, daß diese Spinne noch was Schreckliches anstellen wird. Herrin der Feuerflammen, grolle nicht, gib uns Feuer!“
Doch die Herrin des Feuers schwieg. Lange ließ sie die Großmutter flehen. Endlich sprach sie:
„Ich gebe euch dann Feuer, wenn mir diese Frau ihren Sohn opfert. Aus seinem Herzen werde ich die Flamme aufspringen lassen. Ihr werdet immer daran denken, daß das Feuer aus dem Herzen eures Kindes kommt, und so werdet ihr es hüten !“
Die Mutter vergoß bittere Tränen. Die Großmutter sprach:
„Alle sieben Menschenstämme haben deinetwegen das Feuer verloren. Wie werden wir weiter leben? Gib deinen Sohn her!“
Und die Mutter opferte ihren Sohn.
Die Herrin des Feuers sprach:
“ Von heut an bis in Ewigkeit werden alle Selkupen wissen, daß man Feuer nicht mit Eisen schüren darf. Nur in höchster Not darf es mit Eisen berührt werden. Doch vorher muß man dazu die Erlaubnis erlangen. Ihr sieben Menschenstämme, merkt euch mein Geheiß !“
Und die Herrin des Feuers berührte das Holz leicht mit einem Finger. Die Flamme züngelte empor, und in ihren Lohen verschwand die Herrin des Feuers mit dem Knaben.
Die Großmutter sprach zu der Frau:
.,Noch in vielen Jahren wird eine Märchen davon erzählen. wie du mit dem Herzen deines Kindes das ausgegangene Feuer wieder neu entfacht hast.“
Quelle:
(Märchen der Selkupen – Sibirien)