Ob fern, ob nah – ich weiß nicht wo – lebte einmal ein alter Mann .
Sein ganzer Reichtum bestand aus einem bastgeflochtenen Sieb, einer silbernen Schöpfkelle und einem hölzernen Klopfer. Das war alles, was er besaß. Und so lebte er seine Tage .
Einst kam ihm zu Ohren, daß in einer nicht weit entfernten Siedlung bei einem Schamanen ein Leichenschmaus abgehalten werde. Da machte sich der Alte denn auf, und sein Sieb nahm er mit. Dies Sieb aber war von ganz besonderer Art! Man konnte sogar Sand hineintun oder Schnee, doch sobald man es schüttelte, fiel allerhand Eßbares heraus .
Unser Alter kam also zum Schamanen. Sein Sieb ließ er draußen am Haken und ging ins Haus. Die Bediensteten des Schamanen setzten dem Alten roten Branntwein vor. Der saß da und tat sich daran gütlich.
Während der Alte drinnen dem Branntwein zusprach, ging der Schamane hinaus und sah am Haken das bastgeflochtene Sieb des Alten hängen .
Da nahm der Schamane das Sieb in die Hand und schüttelte es tüchtig. Und siehe, aus dem Sieb sprangen Kalatschen, Pfannkuchen und Fladen.
„Na, so was“, freute sich der Schamane, „dies Sieb behalte ich mir!“
Und er versteckte es.
Derweil wollte sich der Alte auf den Heimweg machen. Er ging zum Haken, sein Sieb war weg. Überall suchte er es und fand es nicht. Das ergrimmte den Alten. aber was konnte er tun? Ohne Sieb zog er heim.
Am nächsten Tag wurde der Alte abermals zum Schamanen geladen. Diesmal nahm er seine silberne Kelle mit. Doch auch die war von besonderer Art. Man brauchte sie nur ein wenig zu neigen – schon floß guter Wein heraus.
Der Alte kam zum Schamanen. Seine Kelle ließ er wieder am Haken und ging ins Haus. Dort saß er nun und goß sich den roten Branntwein in die Kehle. Währenddessen aber stahl sich der Schamane hinaus und sah die silberne Kelle am Haken. Flink nahm er sie und senkte sie ein wenig. schon ergoß sich aus der Kelle Wein. Wieviel auch floß, wieviel er soff, der Wein rann ohne Ende . Da dachte sich der Schamane: ,So muß ich wohl auch die Kelle stehlen!‘
Und das tat er.
Als der Alte aufbrechen wollte, sah er sich um. Seine Kelle war weg. Er suchte hier, suchte dort, fand sie nicht. So mußte er denn ohne sie nach Hause gehen.
Am dritten Tag machte sich der Alte wiederum zum Schamanen auf. Er ging in seine Scheune, schaute sich um – doch außer dem Klopfer war nichts mehr vorhanden.
Da nahm er den Klopfer warf ihn über die Schulter und zog los. Und wieder geschah dasselbe:
Er ging in des Schamanen Haus, den Klopfer ließ er draußen am Haken. Kaum hatte er sich zu den anderen Gästen gesetzt und begonnen dem roten Branntwein zuzusprechen. da erschallte auf dem Hof ein Poltern, Schreien. Lärmen …
Die Gäste rannten hinaus und sahen, verdrischt doch der Klopfer den Schamanen!
Der brüllte:
„Au, au, schlag mich nicht tot“
Der KIopfer aber tanzte emsig auf seinem Rücken und verwalkte den Dieb nach Strich und Faden .
Der Schamane schrie:
„Au, schlag mich nicht tot. Ich geb das Sieb zurück…“
„Mach weiter. Klopfer“ rief der Alte.
„Ich hatte auch noch eine Kelle.“
Da stürzte der Schamane ins Haus, brachte Sieb und Kelle und gab sie dem Alten zurück.
Nun sagte der Alte zu seinem Klopfer:
„Laß gut sein! Hör auf, den Dieb zu prügeln. Er hat genug bekommen.“
Der Alte nahm sein bastgeflochtenes Sieb, die silberne Kelle, den hölzernen Klopfer und zog heim. Von da an blieb er hübsch zu Hause und stattete dem Schamanen keine Besuche mehr ab. So verbrachte er seine Tage. Wann und wo das geschehn ist -ich weiß es nicht.
Quelle:
(Märchen der Nanai Sibirien)