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Märchenbasar

Die im Mondschein badenden Jungfrauen

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Es lebte einmal ein Jüngling, der nirgends Ruhe hatte, sondern sich abmühte, alle verborgenen Dinge zu erforschen, die andern Leuten unbekannt geblieben waren. Als er die Vogelsprache und andere geheime Weisheit genugsam erlernt hatte, hörte er zufällig, daß unter der Decke der Nacht sich Manches zutragen solle, was den Augen Sterblicher zu schauen verwehrt sei. Jetzt sehnte er sich darnach, solche Heimlichkeiten der Nacht zu ergründen, und mochte sich nicht eher zufrieden geben, als bis ihm diese verborgene Kunde geworden wäre. Wohl ging er eine Zeit lang von einem Zauberer zum andern, und lag ihnen an, ihm zu seinem Zwecke die Augen zu schärfen, aber keiner konnte helfen. Da kam er durch einen glücklichen Zufall endlich mit einem Mana-Zauberer aus Finnland zusammen, der über diese verborgenen Dinge Auskunft zu geben wußte. Als er diesem seinen Wunsch kund gethan hatte, sagte der Zauberer warnend: »Söhnlein! jage nicht allerlei leerer Weisheit nach, welche dir kein Glück bringen kann, wohl aber Unglück. Manches ist den Augen der Menschen verhüllt, weil es dem Frieden des Herzens ein Ende machen müßte, wenn es erkannt würde. Wer alle geheimen Dinge schauen lernt, der findet keine Freude mehr an dem, was ihm die Alltagswelt vor Augen bringt. Dies bedenke, ehe du später bereuest. – Dennoch will ich, falls du meiner Abmahnung nicht achtest und dein Unglück wünschest, dich unterweisen, wie du die unter der Decke der Nacht geschehenden Dinge gewahr werden kannst. Aber du mußt mehr als Mannesmuth haben, sonst kannst du nie geheimer Weisheit inne werden.« Darauf gab ihm der Zauberer aus Finnland einen Ort an und nannte ihm die, zum Glück nahe bevorstehende Nacht, wo der Schlangenkönig immer nach sieben Jahren mit seinem Hofstaat zusammenkommt, um ein großes Festgelage zu halten. »Der Schlangenkönig hat ein Goldschüsselchen mit Himmelsziegenmilch vor sich; wenn es dir nur gelingt, ein Stückchen Brot in diese Milch zu tunken und den eingetunkten Bissen in den Mund zu stecken, ehe du dich wieder auf die Flucht begiebst, so kannst du alles Geheime schauen, was unter der Decke der Nacht geschieht, ohne daß die Menschen Kunde davon haben. Als einen glücklichen Zufall kannst du es ansehen, daß des Schlangenkönigs Fest gerade in dieses Jahr fällt, sonst hättest du sieben Jahre auf die Wiederkehr desselben warten müssen. Sei aber dreist, beherzt und rasch, sonst geht die Sache schief.« – Der Jüngling dankte für diese Belehrung und ging mit dem festen Vorsatz, derselben nachzukommen, und müßte er auch dabei sein Leben einbüßen. Als nun die bezeichnete Nacht herangekommen war, ging er Abends auf ein großes Moor, wo der Schlangenkönig mit seinen Unterthanen zusammenkommen sollte, um das Fest zu feiern. Obwohl aber der Jüngling seine Augen nach allen Seiten scharf umhergehen ließ, so sah er doch im Mondenschein nichts weiter, als eine Anzahl Rasenhügel, die unbeweglich da lagen. Schon wurde ihm die Zeit lang, Mitternacht konnte nicht mehr fern sein, als plötzlich mitten auf dem Moor ein heller Feuerschein aufstieg, etwa wie wenn ein Stern des Himmels auf einem der Rasenhügel schimmerte. In demselben Augenblicke, wo der Feuerschein aufglänzte, fingen sämmtliche Rasenhügelchen an zu krimmeln und zu wimmeln, und von jedem derselben kamen Hunderte von Schlangen herunter und krochen alle auf den Feuerschein zu – und jetzt war nur noch flaches Moor vorhanden. Die vermeintlichen Hügelchen waren nichts weiter als Haufen lebendiger Schlangen gewesen, die hier ihren König erwartet hatten. Als nun sämmtliche Schlangen sich an der Stelle, wo der Feuerschein glänzte, versammelt und sich dort zu einem Haufen zusammengeknäult hatten, war dieser so hoch und breit wie ein kleiner Heuschober geworden, und auf der Spitze desselben hielt sich der helle Feuerschein. Das Gewirre und Geschwirre in dem Schlangenhaufen war so groß, daß der Jüngling vor Furcht keinen Schritt näher zu treten wagte, sondern lange von weitem stehen blieb, und das Wunder betrachtete. Allmählich aber faßte er sich ein Herz, und ging fein sachte Schritt vor Schritt auf den Zehen vorwärts. Was er da sah, war gräulicher als gräulich, und ging über alle Begriffe. Tausende von Schlangen, groß und klein, von allen Farben, waren hier wie in einem Traubenbündel um eine große Schlange gelagert, deren Körper die Dicke eines tüchtigen Balkens zu haben schien, und die auf dem Kopfe eine prächtige goldene Krone trug, von welcher jener Glanz ausstrahlte. Hunderte und Tausende von Schlangenhäuptern, die aus dem Haufen hervorragten, züngelten und zischten wie böse Gänse und machten ein so arges Geräusch, daß es zum Taubwerden war. Der Jüngling hatte lange nicht das Herz, an den Schlangenhaufen heranzugehen, wo jeder Augenblick ihm Tod drohte; als er aber plötzlich das Goldschüsselchen, von dem er gehört hatte, vor dem Schlangenkönig erblickte und an den daran geknüpften Gewinn dachte, durfte er nicht länger zaudern. Obwohl ihm die Haare zu Berge standen und das Blut im Herzen erstarrte, so stachelte ihn doch sein Verlangen und trieb ihn vorwärts. – O was für ein Gewirr und Geschwirr sich jetzt in dem Schlangenhaufen erhob! Alle die Tausend Köpfe sperrten die Mäuler weit auf und suchten den Mann zu stechen, aber zum Glück konnten sie ihre Leiber nicht so schnell aus dem Knäuel los wickeln. Der Jüngling hatte mit Blitzesschnelle einen Bissen Brot in das Goldschüsselchen getunkt, ihn in den Mund gesteckt und dann Fersengeld gegeben, als ob Feuer hinter ihm drein jagte. Aber der Verfolger war schlimmer als Feuer, darum ließ er sich nicht Zeit, hinter sich zu blicken, obgleich ihm war, als ob Tausende von Feinden ihm auf der Ferse wären und er stets das Geräusch derselben zu hören glaubte. Endlich stockte ihm der Athem und seine Kraft erlahmte; er fiel ohne Bewußtsein auf den Rasen und blieb starr wie ein Todter liegen. Wohl war er in Schlaf gefallen, aber schreckliche Traumbilder ließen die Gefahr noch viel größer erscheinen. So träumte ihm, als wäre der Schlangenkönig mit der funkelnden Goldkrone auf ihn gefallen und wollte ihn verschlingen. Mit lautem Geschrei sprang er auf und zur Seite, um dem Feinde zu entkommen und sah, daß der Strahl der aufgehenden Sonne ihn geweckt hatte. Er riß die Augen weit auf, sah aber nirgends die nächtlichen Feinde, und das Moor, wo er in so großer Gefahr gewesen, mußte zum mindesten eine Meile weit entfernt sein. Sicherlich hatte die Himmelsziegenmilch seine Kraft gestählt, daß er so weit hatte laufen können. Als er dann seine Gliedmaßen prüfte, fand er sie unversehrt; und nun war seine Freude groß, daß er mit heiler Haut davon gekommen war.
Nach Mittag ruhte er mehrere Stunden vom Schrecken und der Ermüdung der vergangenen Nacht aus, dann beschloß er, noch in dieser Nacht in den Wald zu gehen, um den Nutzen der Himmelsziegenmilch zu erproben, ob ihm nun wirklich verborgene Dinge offenbar werden würden. Im Walde sah er alsbald, was noch kein sterbliches Auge gesehen hatte und auch gewiß nicht wieder sehen wird. Unter den Baumwipfeln zeigten sich goldene, röthlich schimmernde Badebänke, silberne Quäste und silberne Eimer fehlten nicht, aber nirgends waren lebende Wesen sichtbar, welche hätten baden wollen. Der Vollmond glänzte und gab so viel Licht, daß der Mann Alles deutlich sehen konnte. Nach einiger Zeit hörte er ein Geräusch im Laube, als ob ein Wind sich erhoben hätte, dann kamen von allen Seiten nackte Jungfrauen, viel schöner und stattlicher anzuschauen, als sie irgendwo in unsern Dörfern aufwachsen. Sie waren alle des Waldelfen und der Rasenmutter Töchter und kamen, um zu baden. Der hinter dem Gebüsch spähende Jüngling hätte sich diese Nacht hundert Augen gewünscht, denn seine zwei konnten all‘ die Schönheit nicht erschauen. Endlich, als es schon gegen Morgen ging, verlor der Schauende Badegerüste und badende Jungfrauen aus dem Gesichte, als wären sie in Nebel verschwommen. Er blieb noch, bis die Sonne aufging; dann erst ging er wieder heim. Wohl dehnte sich seinem Sehnen der Tag länger als ein Jahr, bis wieder Abend und Nacht hereinbrachen, wo er hoffte, der im Mondschein badenden Jungfrauen abermals ansichtig zu werden; doch endlich war auch diese Zeit des Sehnens verstrichen. Aber im Walde fand er nichts mehr, weder Badegerüst noch Jungfrauen. Dennoch wurde er nicht müde, Nacht für Nacht hinzugehen, aber jeder Gang war vergeblich. Jetzt nagte der Kummer an ihm, es gab nichts mehr auf der Welt, was ihm hätte Freude machen können; er nahm weder Speise noch Trank zu sich, sondern verzehrte sich vor Sehnsucht. Gewiß ist es für den Menschen ein Glück, wenn er dergleichen Geheimnisse nimmer schaut.

[Estland: Friedrich Reinhold Kreutzwald: Ehstnische Märchen]

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