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Die Kette

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Es war einmal vor langer, langer Zeit. Anna wohnte mit ihrem Vater in einem Haus am Rande einer kleinen Stadt. Die Mutter war sterbenskrank. Auf dem Totenbett gab sie ihrem Kind eine wunderschöne Kette. Dazu sagte sie: „Trage diese immer an deinem Herzen und gib sie einmal weiter an deine Tochter. Es ist ein ganz besonderes Stück.“ Nachdem die Mutter den Satz beendet hatte, schloss sie für immer die Augen. Voll Trauer legte Anna das Schmuckstück um den Hals. Das Mädchen war gerade zwölf Jahre alt. Es musste jetzt den Haushalt führen und hatte kein schönes Leben mehr.

Annas Vater war zwar gut, doch als Kaufmann den ganzen Tag unterwegs. Ein Jahr nach dem Tode der Mutter geschah ein fürchterliches Unglück. Ein Blitz traf das Haus und es brannte bis auf die Grundmauern nieder. Nun hatten beide keine Bleibe mehr und Anna wurde zur Tante gebracht. Der Vater wollte und musste sein Leben neu gestalten, da hatte ein Kind keinen Platz. Als er wieder auf einer Geschäftsreise war, überfiel ihn eine Räuberbande. Dabei wurde er schwer verletzt und starb. Anna hatte nun keine Mutter und auch keinen Vater mehr.
Der Tante fehlte bald das Kostgeld, welches für Anna regelmäßig geschickt worden war. Als sie eines Tages den letzten Heller für Brot hergegeben hatte, sagte sie: „Du hast eine wunderschöne Kette. Wir werden sie verkaufen. Von dem Erlös können wir bestimmt ein Jahr lang leben.“
Anna erschrak. „Das können und dürfen wir nicht tun, die Kette ist ein Erbstück meiner Mutter, sie hat mir das Schmuckstück auf dem Totenbett überreicht. Ich soll die Kette einmal an meine Tochter weitergeben. Sie soll auch etwas ganz Besonderes sein.“
„Es ist nur ein Schmuck. Jahrelang habe ich dich durchgefüttert. Erbstück hin oder her, jetzt hungern wir. Die Kette wird zu einen Pfandleiher gebracht und wenn du zu Geld gekommen bist, kannst du sie ja wieder zurückkaufen.“
Wie es die Tante gesagt hatte, wurde es gemacht. Annas Flehen half nichts.

Das Mädchen ging täglich ins Pfandhaus und fragte nach der Kette.
„Ja, ja mein Fräulein, ich hab sie noch“, bekam es jedes Mal zur Antwort.
Doch eines Tages sagte der Pfandleiher: „Jetzt sind schon drei Jahre herum und ich brauche selbst dringend Geld. Ich werde die Kette auf dem Goldmarkt verkaufen.“ Anna brach in Tränen aus. Doch er ließ sich nicht länger hinhalten und erzielte einen ordentlichen Batzen Münzen. Für ihn war es ein gutes Geschäft.
Anna war sehr traurig. Auf ihrem Weg traf sie einen Bettler „Warum bist du so traurig?“ Die Jungfrau erzählte, was ihr widerfahren war. Der arme Mann tröstete das Mädchen und brachte es zum Haus der Tante.

Am nächsten Morgen hörte Anna lautes Geschwätz vor dem Haus. Unzählige Bettelbrüder standen davor und riefen laut ihren Namen. Als das Mädchen herauskam, bemerkte es, dass der Bettler von gestern auch dabei war und eine hölzerne Krone auf den Kopf trug. Er war der erwählte König der Bettler. Als dieser Anna sah, sagte er: „Ich habe alle meine Freunde zusammengerufen. Wir wollen dir helfen. Zuerst gehen wir zum Pfandleiher und umlagern sein Haus, bis er uns den Namen des Käufers nennt. Mal sehen, wie lange er aushält!“ Nach drei Tagen gab der Pfandleiher den Namen des Käufers der Kette preis. Die Bettlerarmee machte sich daraufhin mit Anne auf den Weg ins Falkenland, denn der dortige König hatte den Schmuck erworben. Der Monarch suchte gerade eine Frau und diese sollte das edle Prachtstück als Hochzeitsgeschenk bekommen.

Die Bettlerarmee und Anna hatten das Falkland erreicht und standen vor der Stadtmauer. Das königliche Schloss lag mitten in der Stadt auf einem bewaldeten Berg. Ein Soldat des Königs bemerkte die schäbig aussehenden Leute und meldete sie seinem Anführer. Dieser gab die Meldung an den König weiter und schlug vor, den Pöbel zu verjagen.
Doch der König lehnte ab. „Lasst die armen Menschen auf den Schlosshof und gebt ihnen Speis und Trank.“
Sofort wurden Bänke und Tische auf dem Hof aufgestellt und der königliche Koch und der Bäcker tafelten schmackhafte Hausmannskost und erfrischende Getränke auf.
Anna und die armen Teufel nahmen das Gastmahl dankend an. Der König des Falkenlandes schaute gütig in die Runde und entdeckte eine wunderschöne junge Frau, trat zu ihr und fragte nach dem Woher und Wohin dieses sonderbaren Zuges.
Anna erzählte dem König ihre Geschichte und dass die Leute ihr geholfen hätten, den Käufer des Schmuckstückes ausfindig zu machen und sie auf dem beschwerlichen Weg beschützten. Nun fragte Anna, ob sie vielleicht in seine Dienste treten dürfe, um so das Schmuckstück zurückkaufen zu können.
Der Falklandkönig lächelte und entgegnete: „Seid meine Königin und die Kette gehört euch.“
Anna aber erwiderte: „Euer Angebot ehrt mich sehr, Majestät. Doch ich habe mich in den König der Bettler verliebt, und wenn er mich haben möchte, werde ich seine Frau.“
Der Falklandkönig war überrascht, akzeptierte jedoch ihre Entscheidung und ließ den Pfarrer kommen. Die Jungfrau und der König der Bettler wurden getraut. Als Hochzeitsgeschenk überreichte der Falklandkönig dem Paar nichts Geringeres als die wunderschöne Kette.
Als Anna das Schmuckstück anlegte, verwandelte sich ihr Gewand in ein herrliches Hochzeitskleid. Auch der König der Bettler stand plötzlich in einer seidenen Kleidung da. Alle Hochzeitsgäste jubelten und es geschah ein weiteres Wunder. Ein jeder, der an diesem Fest teilnahm, ward augenblicklich herrlich ausgestattet. Keiner hätte je gedacht, dass diese Menschen einmal eine Bettlerarmee gewesen war.
Der König des Falkenlandes war erstaunt und fragte, ob sie nicht in seinem Land siedeln wollten. Sie bekämen Arbeit und Unterkunft. So geschah es. Der Bettelkönig legte seine Holzkrone ab, da es keine Bittsteller mehr gab, und führte gemeinsam mit seiner Anna ein Leben in Frieden und Wohlstand. Der König des Falkenlandes zählte zu ihren engsten Freunden und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Quelle: Friedrich Buchmann

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