Die kleine Elfe wohnte am Ufer des Waldsees. Es war Nacht. Die Nachtigall hatte ihr letztes Lied gesungen, steckte ihr Köpfchen unter den linken Flügel und fiel in den Schlaf. Es war so still geworden, dass die kleine Elfe davon erwachte. Weit öffnete sie ihre Augen und entdeckte in der Ferne ein sanftes Leuchten. „Bald wird die Sonne mich mit ihren Strahlen berühren und meine Flügel in goldenes Licht tauchen. Ich werde ihr entgegenfliegen und sie begrüßen. Die Nacht ist kalt. Ich sehne mich so sehr nach ihrer Wärme“, dachte sie, breitete ihre zarten Flügel aus und wandte sich nach Osten. So lange sie sich noch im Wald bewegte, legten die hohen Bäume schützend die Arme um sie. Als sie dann über das Feld flog, traf sie auf Gevatter Wind. Er war stark. Ihre Flügel knickten ein und sie sank zu Boden.
„Was machst du hier? Das ist mein Reich. Flieg in den Wald zurück!“, rief er mit lauter Stimme. Sein Atem lastete schwer auf ihr. Die kleine Elfe konnte sich nicht mehr rühren. Mit schwacher Stimme bat sie den Wind: „Du bist bestimmt müde vom vielen Pusten. Mach eine Pause. Ich möchte der Sonne entgegenfliegen und sie begrüßen.“
„Wenn einer die Sonne begrüßt, bin ich das, aber heute will ich sie nicht sehen.“ Sein böses Lachen lockte dicke schwarze Wolken herbei. Von überall her kamen sie und schoben sich direkt vor die Sonne. Bald war es wieder so dunkel wie in der Nacht. Traurig und frierend schmiegte sich die Elfe an den Boden. Da hörte sie ein Summen. Aber so sehr sie auch ihre Augen anstrengte, sie konnte nichts sehen.
Plötzlich zupfte jemand am Ärmel ihres Kleides und sprach: „Der König der Trolle hat gehört, was der Wind getan hat und möchte dir helfen. Er schenkt dir eine silberne Harfe, goldene Schuhe und eine rote Schlafmohnblume. Wenn du diese drei Dinge richtig zu nutzen verstehst, wirst du den Wind besiegen können.“
Die kleine Elfe richtete sich mühsam auf, griff in die Saiten der Harfe und sang ein Lied von der Sonne. Die zarten Klänge schwangen sich hinauf auf den Rücken des Windes und flogen mit ihm weit in die Welt hinaus. Die dicken schwarzen Wolken bewegten sich dazu im Takt. Es wurde heller. Da zog die kleine Elfe die goldenen Schuhe an und tanzte. Der Wind konnte seinen Blick nicht von ihr wenden, so sehr bezauberte ihn ihr Tanz. Sanft hob er sie zu sich in die Höhe und pustete zu ihren Rhythmen. Die dicken schwarzen Wolken teilten sich und tanzten mit. Sie kreisten unter dem Himmelszelt und wurden schließlich ebenso zart und durchsichtig wie die kleine Elfe. Golden strahlte die Sonne hindurch und erwärmte die Erde. Die Trolle kletterten aus ihren Erdlöchern heraus und winkten der kleinen Elfe zu. Auf einem großen Stein saß der König der Trolle.
Die kleine Elfe nahm die Schlafmohnblume aus ihrem Haar und reichte sie dem Wind. Als er verzückt seine Nase in die Blüte steckte, wurde er müde. Er legte sich in sein Wolkenbett und schlief fest ein. Glücklich flog die kleine Elfe zum großen Stein, verbeugte sich vor dem König der Trolle und dankte ihm für seine Hilfe. Sie zog die goldenen Schuhe aus und wollte sie zurückgeben. Der König lächelte und sprach: „Liebe kleine Elfe, du hast mir das Leben gerettet. Ich war sehr krank. Nur die wärmenden Strahlen der Sonne konnten mich heilen. Bitte behalte die goldenen Schuhe und die silberne Harfe. Schlafmohnblumen wachsen auf der Wiese, du kannst sie jederzeit pflücken. Falls der Wind wieder einmal besänftigt werden muss, wirst du nun wissen, was zu tun ist.“
Die kleine Elfe kehrte an den Waldsee zurück. Jeden Abend sang sie zu den Klängen der Harfe. Sie erfand noch viele schöne Lieder, mit denen sie nicht nur den Wind verzauberte. An manchen Tagen zog sie auch ihre goldenen Schuhe an und tanzte mit dem Wind.
Quelle: nicht angegeben