In der Tannenschonung ging es zu wie in jedem Jahr. Jeder Baum wollte der schönste sein und so rekelten und streckten sie sich nach der Sonne. Wenn es regnete, spreizten sie ihre Zweige und Nadeln, um immer den meisten Regen abzubekommen. Jeder wollte den gleichmäßigsten, rundesten Wuchs haben. Das hatte einen Grund: Von Forstarbeitern, die immer mal wieder im Wald nach dem Rechten sahen, hatten sie einige Sätze von einem Weihnachtsfest im Dezember aufgeschnappt, zu dessen einzigem Zweck sie gepflanzt wurden, von geschmückten Weihnachtsbäumen, und leuchtenden Kinderaugen. Doch Genaueres wusste nicht einmal die einzige, riesige, uralte und krummgewachsene Kiefer dieser Schonung. Leider war noch nie ein geschlagener Baum zurückgekommen, um zu berichten, was er alles erlebt hatte.
Ende November kam ein Förster und markierte viele Bäume. Alle, die nun ein weißes Kreuzchen besaßen, träumten vor sich hin. Jeder hatte so seine eigenen Vorstellungen vom Weihnachtsfest, indem er eine Hautrolle spielen sollte.
Hin und wieder wurde in der Schonung mächtig gestritten Eine Douglastanne beschimpfte eine Kiefer, sie soll sich nicht so breit machen und ihr die ganze Sonne nehmen. Die Edeltannen waren schlecht auf die Kiefern zu sprechen und so schimpfte jede auf jede. Nur gegen die Laubbäume im angrenzenden Wald, die stets alles besser wissen wollten, waren sich die Nadelbäume einig: Die Laubler wären einfach nur töricht. Bei all der Streiterei schlügen sie wütend mit den Zweigen um sich und verlören so alle Blätter, bis sie kahl und nackt dastünden.
„Kahle Bäume, kahle Bäume, kahle Bäume ha, ha, ha!“, tönte es dann wie im Chor von den Nadlern.
Eine Linde keifte böse zurück: „Keiner von uns wird Weihnachtsbaum. Na gut! Aber ihr landet zu guter Letzt im Osterfeuer. Und eine Buche knarzte voller Wut: „Wenn ihr geschlagen seid, dann habt ihr auch bald keine Nadeln mehr, weil ihr vertrocknet, aber wir bekommen im Frühjahr neue Blätter, hi, hi, hi!“
Eine Douglastanne plärrte „Dafür seht ihr keine glücklichen Kinderaugen!“
So verging die Zeit und eines Tages standen die Waldarbeiter in der Schonung.
Ein Raunen ging durch die Baumwipfel. Alle Bäume streckten sofort ihre obersten Äste und jede einzelne Nadel gen Himmel. So wirkten sie größer.
Als die dralle Douglastanne fiel, kam auf einmal eine ganz kleine Weißtanne zum Vorschein, leider verkrüppelt.
Die Waldarbeiter ließen sie stehen. Dabei hatte sich die kleine Tanne so sehr gewünscht, auch geschmückt zu werden. Aber im Schatten der ausladenden Douglastanne bekam sie keine Sonne und kaum Regen ab. Ja, das hatte ihr wahrlich gefehlt und nun genoss sie all das in vollen Zügen.
Das Schlagen der Bäume hatte bald ein Ende und in der Schonung war Ruhe eingetreten und Platz geworden.
Doch schon am nächsten Tag kam der Förster noch einmal zurück, grub die Krüppeltanne samt Wurzelballen aus, packte sie auf seinen Autoanhänger, murmelte: „Zu Schade zum Schreddern“ und stieg in seinen Wagen.
Angekommen an seinem Haus, pflanzte er sie in einen Topf und stellte sie in den Wintergarten. Oh, hier war es lange nicht so kalt und windig wie im Wald, einfach herrlich – fand das Bäumchen. Da erblickte es plötzlich durch eine große Scheibe die dralle Edeltanne, unter der es noch vor ein paar Tagen verdeckt gestanden hatte, herrlich bunt geschmückt und mit vielen, vielen Lichter bestückt. Etwas neidisch war die kleine Krüppeltanne nun schon und sie seufzte, das wie ein leises Knarzen durch den Wintergarten ging.
Das Bäumchen beobachtete begierig das Weihnachtsfest und wusste nun alles darüber. Wie gerne hätte es den Laubbäumen erzählen wollen, was es alles gesehen hatte, denn die wussten ja so vieles nicht.
Doch irgendwann war das Weihnachtsfest vorbei. Da bekam die Krüppeltanne eines Tages einen solchen Schock, dass sie beinahe genadelt hätte. Da wurde doch der wunderschöne Schmuck von ihrer ehemaligen Nachbarin abgenommen und oh Schreck, sie hatte ja auch fast keine Nadeln mehr. Nun wurde sie auch noch brutal aus dem Fenster in den Hof geworfen – einfach schrecklich! Letztendlich rief der Förster: „Die kommt mit ins Osterfeuer. Ihr kräftiges Stämmchen wird lange brennen.“
„Also doch, die Laubler haben recht. Nach dem Fest und aller Pracht, mit dem eine Tanne oder Kiefer in einen Weihnachtsbaum verwandelt wird, wird man tatsächlich verbrannt – einfach fürchterlich und kaum zu glauben! Oh, welch ein Glück, dass man mich verschont hat!“, dachte die kleine Tanne und schüttelte sich, so sehr saß ihr der Schreck in den Ästen.
Seither ist ein Jahr vergangen und wieder steht Weihnachten vor der Tür. Die kleine Krüppeltanne hat die Zeit über im Vorgarten gestanden. Ein herrlicher Platz mit ausreichend Luft, Sonne, Regen und vor allem einer sehr guten Aussicht. So hat sie sich wunderbar entwickelt und ist zu recht stolz auf sich.
Kurz vor dem Fest sagt die Frau Försterin zu ihrem Mann und zeigt dabei auf die Tanne im Vorgarten: „Dieses Jahr werden wir sie schmücken. Es wird herrlich aussehen.“
Die Weißtanne ist erschüttert. Hat sie doch noch das schaurige Ende ihrer ehemaligen Nachbarin vor Augen. „Oh nein! Dann lieber keinen Schmuck und keine Lichter!“, jammert sie, aber wer hört sie schon. Sie kann an nichts anderes mehr denken und nachts stellen sich alle Nadeln steil in die Höhe, wenn sie vom Osterfeuer träumt.
Heilig Abend ist da. Und welch eine Freude! Die Weißtanne wird nicht geschlagen, sie wird im Vorgarten mit goldenen Kugeln geschmückt und vielen, vielen Lichtern bestückt, genau wie im vorigen Jahr ihre ehemalige Nachbarin. Ihre Nadeln verliert sie natürlich nicht, muss aber sicher den schönen Schmuck wieder hergeben. Doch das ist der Weißtanne egal, denn sie weiß nun, dass sie noch viele Male wunderschön geschmückt zum Weihnachtsfest eine Hauptrolle spielen wird. Sie ist einfach nur noch glücklich!