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Märchenbasar

Die Königstochter und der Hirtenjunge

2.3
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Einst trug sich in einem fernen Königreich folgende Geschichte zu.
Nach vielen Jahren der Hoffnung schenkte die Königin ihrem Gatten eine bildschöne Tochter. Doch war die Geburt so schwer, dass die Mutter kurz darauf starb. Nun hatte der König zwar ein Kind, doch keine Frau mehr und dem Mädchen Janina fehlte die Mutter.
Im Königreich wohnte auch die Hexe Esmeralda. Sie wollte schon immer den König zum Manne haben. Als sie vom Tod seiner Gattin erfuhr, schmiedete sie einen Plan. Esmeralda verwandelte sich in eine liebevolle junge Frau und bot dem König ihre Dienste als Amme und Erzieherin der kleinen Königstochter an.
Der König, welcher nur eine anmutige Frau sah und die Hexe nicht erkannte, willigte ein.

Das Trauerjahr war vorüber und weil der König sich in Esmeralda verliebt hatte, nahm er sie zur Frau. So wurde die Hexe zur Stiefmutter der Prinzessin. Ein Jahr später gebar Esmeralda ebenfalls eine Tochter. Sie war ein sehr ansehnliches Kind, aber nicht so hübsch wie ihre ältere Stiefschwester Janina. Das ärgerte die Hexe fürchterlich.

Es gingen die Jahre ins Land. Janina wurde erwachsen und verstand sich mit der ein Jahr jüngeren Tochter Esmeraldas sehr gut. Da dem König dies gefiel, war er mit seinem Leben zufrieden.
Plötzlich wurde der Herrscher krank. Ihm ging es von Tag zu Tag schlechter, bis er schließlich an Fleckfieber starb. Janina, seine erstgeborene Tochter, musste die Herrschaft im Königreich übernehmen. Esmeralda war darüber natürlich sehr erbost. Sie wollte ihre Tochter auf dem Thron als Regentin des Landes sehen. Der Hexe musste irgendetwas einfallen, damit sie Janina loswurde.

Vor dem großen Schloss erstreckte sich eine herrliche Blumenwiese, auf der ein Hirtenjunge seine Schafherde grasen ließ. Janina schaute öfters aus dem Fenster ihres Gemachs zu, wie die Tiere munter herumliefen und sich das Gras schmecken ließen.
Eines Tages ging sie hinunter auf die Weide, um sich die Schafe mit ihren Lämmern näher anzuschauen. Dabei beobachtete ihre Stiefmutter sie. Plötzlich kam der Hexe eine Idee und sie verzauberte Janina in ein Lamm. Da der Hirtenjunge eine große Herde besaß, bemerkte er nicht, dass sich ein weiteres Tier zu den Schafen gesellt hatte.

Tags darauf tat Esmeralda sehr verwundert, als sie ihre Stieftochter nirgends finden konnte. Sie ließ im Land verkünden, dass Janina verschwunden war. Das Volk war sehr bestürzt und traurig über die Kunde. Die junge Königin tauchte auch Tage und Wochen später nicht mehr auf. Doch die Regierungsgeschäfte mussten weitergehen. So kam es, dass Esmeralda zusammen mit ihrer Tochter die Herrschaft über das Königreich erlangte. Damit war die Hexe endlich an ihrem Ziel.
Als erste Amtshandlung ließ sie den Hirtenjungen mit seiner Schafherde von der großen Weide vor dem Schloss vertreiben und mit ihm musste auch Janina ihre Heimat verlassen. Der Hirtenjunge war sehr traurig darüber, weil es nirgends so schönes, saftiges Weideland gab. Er zog mit seiner Herde in eine Ebene, wo das Gras nicht so üppig wuchs. Die Herde musste Hunger leiden.

Wie so oft setzte sich der Hirtenjunge zum Nachdenken auf einen großen Stein. Da lief ein Lämmchen um ihn herum. Er nahm das Tier auf den Arm und streichelte es. Es war ein ganz besonderes Jungtier. Es sah fast königlich aus und sein Fell fühlte sich viel weicher an, als bei den anderen. Nur die Augen blickten sehr traurig.
Abends legte sich der junge Bursche wie immer inmitten seiner Herde ins Gras. Es wurde Mitternacht und irgendwie wollte der Schlaf in dieser Nacht nicht kommen. Plötzlich sah er etwas Seltsames. Inmitten seiner Herde stand ein engelhaftes Mädchen. Es ging zum Fluss, wusch sich, kämmte sein schwarzes Haar und sang eine liebliche Melodie. Da der Schäfer des Nachts stets schlief, hatte er die geheimnisvolle Gestalt noch nie gesehen. Doch das Mädchen war niemand anders als die junge Königin Janina, die sich jeden Tag um Mitternacht in ein liebreizendes Wesen zurückverwandelte.

Der Hirtenjunge glaubte an einen Traum. Doch nach einer Viertelstunde verwandelte sich das schöne Mädchen zurück in ein Lamm. Der Hirte begriff nicht gleich das Gesehene und suchte nach der verschwundenen Jungfer. An deren Stelle stand jedoch nur das königliche Lamm.
Am nächsten Tag bei Dunkelheit legte sich der junge Hirte wieder auf den Erdboden und tat, als ob er schliefe. Es wurde Mitternacht und erneut erschien das wundersame Mädchen. Es ging zum Fluss, wusch sich, kämmte sein Haar und sang eine liebliche Melodie.
Der junge Bursche war wie gelähmt. Er konnte nicht aufstehen. Nach einer Viertelstunde war der Spuk vorbei, die junge Frau wieder verschwunden.
Auch in der nächsten Nacht war alles so wie in den Nächten zuvor. Nur dieses Mal stand der Hirte auf und ging auf die geheimnisvolle Gestalt zu. Als Janina den Schäfer sah, fing sie fürchterlich an zu weinen. Da nahm er sie in den Arm und wollte sie trösten. Doch schon hatte sie sich wieder in das königliche Lamm zurückverwandelt. Nur einige Tränen flossen dem Tier aus den Augen.

Sobald es hell wurde, trieb der Hirte seine Herde zu einem Bauern. Der Schäfer erzählte ihm, was er in den letzten drei Tagen erlebt hatte.
Der Bauer war ein weiser Mann und meinte: „Das Lämmchen ist ein verwunschenes Mädchen und so, wie du sie mir beschrieben hast, könnte es Janina, unsere junge Königin sein. Sie war eines Tages plötzlich verschwunden, keiner hat sie je wieder gesehen. Doch seitdem Janina fort ist, geht es unserem Volk sehr schlecht. Die neue Königin und deren Mutter behandeln ihr Volk wie Sklaven und nehmen ihm das letzte Hemd. Ich glaube fast, hinter dem Ganzen steckt die böse Hexe Esmeralda. Man hat sie seit Jahren nicht mehr in ihrem Hexenhaus gesehen. Nur ihr traue ich zu, Janina verwandelt zu haben.“
„Wie kann man den Zauber rückgängig machen?“
Der Bauer zuckte mit den Schultern. „Gehe zu dem alten Fischer am großen Fluss und frage ihn. Er weiß viel, vielleicht kann er dir einen Rat geben.“
Der Hirtenjunge trieb seine Herde zu besagtem Ort.
Der alte Fischer saß vor seinem Haus und flickte sein Netz. Der Schäfer grüßte freundlich und erzählte dem Alten, was er die letzten Nächte erlebt hatte und was der weise Bauer vermutete.
„Ich kenne Esmeralda schon lange. Sie hat hier am Fluss auch ihr Unwesen getrieben. Damals wurden alle Fische in Krähen verwandelt. Uns ging es danach sehr schlecht. Wir konnten nichts mehr fangen, verloren unsere tägliche Nahrungsquelle und unseren Lebensunterhalt. Geholfen hat uns seinerzeit ein kleiner Waldgeist. Er ist als Erdbeermännchen bekannt und lebt hinter dem großen Berg, im tiefen Wald. Du musst dort nach Walderdbeeren suchen, dann findest du auch ihn. Ich werde in der Zwischenzeit auf deine Schafherde aufpassen. Wir treiben sie zum Bauern und dann kannst du den Waldgeist suchen gehen.“

Als die Tiere auf einer Weide untergebracht waren, machte sich der Hirtenjunge auf den Weg. Am Rande des tiefen Waldes spielten zwei Eichhörnchen, die er nach dem Weg zum großen Berg fragte.

„Hm“, machte das eine Eichhörnchen und das andere rief: „Oh, bis zum hohen Berg ist es sehr weit, der Weg dorthin birgt viele Gefahren. Ein gefährlicher Bär und angriffslustige Wölfe treiben dort ihr Unwesen.“
Der Schäfer erzählte, dass er das Erdbeermännchen suche, um die schöne Königstochter Janina vom Zauber zu befreien. „Deshalb muss ich in den tiefen Wald und zu dem hohen Berg.“
„Wir helfen gern und zeigen dir den Weg.“ Und so brachen die beiden Nager und der junge Bursche auf. Als sie in den Teil des Waldes kamen, wo der Bär sein Unwesen trieb, kletterten die Eichhörnchen auf die Bäume und suchten nach ihm. Sie entdeckten das Tier schlafend unter einer dicken Eiche. Unbemerkt schlichen sich die drei an dem Pelzigen vorbei.

Gleich darauf ließ sie das Geheul der wilden Wölfe zusammenschrecken. Eins der Hörnchen hatte eine gute Idee. „Wir klettern hier auf die hohe Eiche und ich wecke den Bären auf. Dann locke ich ihn hierher. Wir machen einen riesigen Radau, der die hungrigen Wölfe anlockt. Sie entdecken den Bär und werden mit ihm kämpfen.“
Gesagt, getan!
Von dem Krach angelockt, pirschten die Wölfe heran, sahen den gewaltigen Bären und stürzten sich gleich auf ihn. Meister Petz wehrte sich und bekam einen der Wölfe zu packen. Er warf ihn auf den Boden und dieser brach sich das Genick. Die anderen beiden Wölfe bissen den Bären, so dass er vor Schmerzen brüllte. Der Kampf dauerte über eine Stunde, bis die Wölfe jaulend und humpelnd ins Dickicht des Waldes flohen. Sie sahen, zu was der riesige Bär fähig war. Doch das Pelztier gab nicht auf und setzte den fliehenden Wölfen nach.

Der Hirtenjunge und die Eichhörnchen hatten alles mit angesehen. Sie freuten sich, dass sie die gefährlichen Tiere durch eine List los wurden. Sie kletterten vom Baum herunter und liefen weiter in den tiefen Wald.
Auf einer Lichtung sah der Hirtenjunge einen winzigen Mann mit einem großen Korb, in dem Walderdbeeren waren. Der junge Schäfer grüßte freundlich und fragte, ob der kleine Kerl das Erdbeermännchen sei.
„Ja, das bin ich in der Tat. Was willst du von mir?“
Der Bursche erzählte von dem kleinen Lamm in seiner Schafherde, das sich um Mitternacht in ein wunderschönes Mädchen verwandelte und vielleicht die verschwundene junge Königin sei. Schuld an allem sei wohl ihre Stiefmutter, die Hexe Esmeralda.
Da antwortete das Erdbeermännchen: „Die Hexe kenne ich. Sie hat auch hier im Wald sehr viel Unheil angerichtet. Komm, wir gehen zu meinem Erdbeerhaus und überlegen dort, was wir tun können.“
Vorher aber verabschiedeten sich die Eichhörnchen von dem Hirten und erhielten als Belohnung den Korb mit den leckeren Walderdbeeren vom Männchen.
Die kleinen Nager freuten sich sehr und kosteten sofort die Erdbeeren. Doch kaum hatten sie davon probiert, als ein seltsames Geräusch zu hören war. Es klang wie Lachen und Freuen. Als sich der Hirte umdrehte, standen vor ihm zwei stattliche junge Männer. Die beiden erzählten, dass Esmeralda auch sie vor vielen Jahren verhext hatte.
Das Erdbeermännchen war zwischenzeitlich in sein kleines Haus gegangen, das versteckt zwischen den Erdbeerstauden lag. Gleich darauf erschien es wieder, bepackt mit einem Korb Walderdbeeren und einer kostbaren Kette.
„Iss diese Walderdbeeren, mein Junge, sie bringen dir Zauberkraft, und lege die Kette dem kleinen Lämmchen um den Hals. Du wirst sehen, was dann passiert.“
Der Schäfer bedankte sich für die Gaben und verabschiedete sich. Zusammen mit den beiden jungen Männern ging er zurück durch den Wald, am hohen Berg vorbei, hin zu seiner Schafherde.
Unterwegs naschte der Hirtenjunge von den Walderdbeeren, die herrlich süß schmeckten.
Sofort lief er zu seiner Schafherde und suchte das kleine königliche Lamm. Er holte die Kette heraus und legte sie dem Tier um den Hals. Er traute seinen Augen kaum, als das Lamm zu der liebreizenden Königin Janina wurde. Auch die beiden Jünglinge waren bei der Schafherde und sahen die liebevoll aussehende Königstochter.
Zusammen mit allen Helfern feierte der Hirte die Rettung seiner geliebten Königin. Am nächsten Tag kehrten alle in den Königspalast zurück.
Als Esmeralda die beiden jungen Männer sah, fing sie an zu schreien. Der Anblick ihrer Stieftochter Janina aber, war ihr zu viel. Sie verwandelte sich wieder in ihre hässliche Hexengestalt zurück. Sofort griff sie nach ihrem Besen, setzte sich darauf und entschwand auf Nimmerwiedersehen.

Der Hirtensohn heiratete Janina und wurde König. Der Fischer und der weise Bauer standen ihnen als Minister mit Rat und Tat zur Seite. Die beiden jungen Männer allerdings zog es in die Welt hinaus. Sie wollten die Hexe suchen. Janinas Schwester, die eigentlich gar kein schlechtes Herz hatte, entschuldigte sich bei Janina und durfte weiter mit ihr im Palast wohnen. Das junge Königspaar regierte sein Land gerecht und den Untertanen ging es sehr gut. Jedes Jahr am Tag der Rückkehr ihrer Königin Janina feierte das Volk ein großes Fest.

 
Quelle: Friedrich Buchmann

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