Die Prinzessin wuchs heran, und als sie sechzehn Jahr alt war, starb sie plötzlich. Da wurde sie denn, wie es einer Königstochter geziemt, mit großer Pracht in der Kirche beigesetzt, und ein Soldat wurde als Wache bei ihr gelassen. Doch als er am andern Morgen abgelöst werden sollte, war er verschwunden. Man stellte einen andern hin, doch auch von diesem war am folgenden Tage keine Spur zu finden. Und so ging es Tag für Tag viele Monate hindurch, und des Königs Heer wurde immer dünner. Da kam die Reihe an einen Soldaten, der ein schlauer Gesell war und dachte »Du kannst wohl etwas Klügeres thun als dich von dem Teufelskinde verschlingen lassen. Wie wär es, wenn du dich aufmachtest und davon liefst?« Wie gedacht, so gethan. Als es Abend wurde, machte er sich auf den Weg, lief über Berge und Felder und kam auf eine schöne Wiese. Da stand plötzlich ein graues Männchen vor ihm und fragte »Wohin des Weges? Darf man nicht mit?« Und weil das Männchen so treuherzig aussah, erzählte ihm der Soldat daß er fortgelaufen sei, und warum er das gethan habe. Das graue Männchen aber sprach »Wenns weiter nichts ist, so kehre getrost wieder um und gehe auf deinen Posten. Wenn es gegen zwölf kommt, stelle dich auf die Kanzel und rühre dich nicht, du magst sehen und hören was du willst; so kann dir kein Leid geschehen.« Dem Rathe folgte der Soldat und ging zurück in die Kirche.
Als die Glocke zwölf schlug, sprang der Deckel des Sarges auf, und die schwarze Prinzessin stieg heraus, rannte in der Kirche umher und suchte den Soldaten, und da sie ihn nicht fand, schalt sie auf ihren Vater und fluchte und lärmte, daß die Kirche wiederhallte. Da schlug es eins, und sie eilte zum Sarge zurück, legte sich hinein und war mäuschenstill. Der Soldat stieg von der Kanzel und setzte sich auf die Stufen des Altars; und als man am Morgen die Thür öffnete um eine neue Wache an den Sarg zu stellen, war man nicht wenig erstaunt ihn lebendig wieder zu finden. Er sollte nun erzählen was er gesehen hatte; doch das wollte er nicht: und zur Strafe löste man ihn nicht ab, sondern ließ ihn zum zweiten Mal in der Kirche wachen. Da lief er denn wieder davon: doch das graue Männchen begegnete ihm auch diesmal, redete ihm Muth ein und sagte, er solle sich nur auf den Altar stellen, so werde ihn die Prinzessin nicht finden. Das that er auch. Die schwarze Prinzessin sprang um zwölf wieder aus dem Sarge, tobte und lärmte noch mehr als in der ersten Nacht, doch den Soldaten sah sie nicht; und als es eins schlug, legte sie sich in den Sarg. Am folgenden Morgen sollte der Soldat wieder erzählen was ihm begegnet war, und weil er es nicht that, wurde er verurtheilt auch noch die dritte Nachtwache zu halten. Was sollte er nun thun? in der Kirche bleiben ohne das Männchen zu fragen? das könnte ihm übel bekommen. Doch wer weiß ob das graue Männchen wieder auf der Wiese sein wird? Er beschloß, wie es auch kommen möge, hinweg zu laufen und das Übrige abzuwarten. Doch zu seinem Glücke fand er das graue Männchen, und es sprach zu ihm »Du willst wieder fort; doch kehre nur um und wache noch diese Nacht: du wirst es nicht bereuen. Stelle dich an die linke Seite des Sarges, und sobald die Prinzessin herausgestiegen ist, lege dich hinein: und wenn sie dann auch noch so sehr flucht und dich zu erwürgen droht, so rühre dich nicht und sprich kein Wort, bis sie dich um der drei Wunden Christi willen bittet aufzustehen; dann steh auf, dann ist sie erlöst.« Damit verschwand das graue Männchen, und der Soldat ging wieder in die Stadt, stellte sich in der Kirche auf die linke Seite des Sarges und erwartete ruhig die Mitternacht.
Kaum hatte die Uhr ausgeschlagen, so sprang der Deckel vom Sarge, und die Prinzessin tobte in der Kirche umher. Der Soldat aber legte sich schnell in den Sarg. Und wie es das graue Männchen vorausgesagt hatte, kam sie heran und drohte ihn zu erwürgen, wenn er nicht gleich aufstünde; doch je mehr sie schalt, desto weißer wurde ihr Gesicht: und da sich der Soldat nicht regte, faßte sie ihn zuletzt freundlich bei der Hand und sagte »Steh auf, steh auf! ich bitte dich um der drei Wunden Christi willen.« Und wie sie das gesprochen hatte, wurde sie blendend weiß und wunderschön; und kaum war der Soldat aufgestanden, so fiel sie ihm um den Hals und rief »Wie soll ich dir danken, du mein Erlöser? Du sollst mein Bräutigam sein, und wenn mein Vater stirbt, schenk ich dir das ganze Königreich.« Sie setzten sich vor den Altar und herzten und küßten sich bis zum Morgen. Und als am Morgen die Wache kam den Soldaten abzulösen, erstaunte sie, als sie die beiden sitzen sah, lief zum Könige und erzählte ihm daß der Soldat seine Geliebte in der Kirche habe, und daß sie am Altar einander küßten. Doch der König merkte was geschehen war: er ließ seinen besten Staatswagen vorfahren und holte die beiden in der Kirche ab. Drei Tage darauf wurde Hochzeit gehalten; und als der König gestorben war, herrschte der Soldat mit seiner jungen Frau über das Land und beglückte alle Unterthanen.
Emil Friedrich Julius Sommer (1819–1846)
[Sagen Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen. Deutsche Märchen und Sagen]