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Die Legende von dem arabischen Astrologen

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Die Strahlen ihrer dunklen, glänzenden Augen trafen wie Flammenpfeile das verwitterte und verwelkte, aber noch immer entzündbare Herz des ehrwürdigen Aben Habuz; die schwellende Üppigkeit ihres Wuchses, die aufreizende Elastizität ihres Körpers ließ seine Sinnlichkeit zu neuem Leben erwachen.
„Schönste aller Frauen“, rief er entzückt, „wer und was bist du?“
„Die Tochter eines der Gotengrafen, die noch vor kurzer Zeit dieses Land beherrschten. Die Krieger meines Vaters wurden wie durch Zauberkraft in diesem Gebirge vernichtet und er selbst mit den wenigen Überlebenden in die Verbannung getrieben. Seine Tochter ist nun deine Gefangene. „
„Hüte dich, König!“ flüsterte Ibrahim Ihn Abu Ayub dem maurischen Monarchen ins Ohr, „es könnte dies eine jener nordischen Zauberinnen sein, von denen uns berichtet wird, dass sie die aufreizendsten und verführerischsten Formen und Gestalten annehmen, nur um arglose Männer, auf die sie es abgesehen haben, zu betören und zu berücken. Ich meine, Zauberkraft in ihren Augen zu lesen und Hexerei in jeder ihrer Bewegungen. Dies ist ohne Zweifel der Feind, den uns der eherne Reiter meldete. „
„Sohn des Abu Ayub“, erwiderte der König überlegen lächelnd, „ich gebe gerne zu, dass du ein weiser Mann, ein großer Philosoph und ein seltener Zauberer bist; aber von Frauen, lieber Freund, scheinst du wirklich wenig zu verstehen. In Kenntnissen über die weibliche Seele tut es mir keiner gleich, nein, auch der weise Salomon nicht, trotz der Vielzahl seiner Frauen und Konkubinen. Was nun dieses liebenswerte Mädchen anbelangt, so sehe ich wirklich keinen Makel an ihr; sie ist schön anzusehen und findet daher Gnade und Gunst vor meinen königlichen Augen.“
„Hör mir jetzt gut zu, mein König!“, erwiderte der Astrologe. „Ich habe dir mit meinen Kenntnissen und dem ehernen Talisman auf dem Turm zu vielen Siegen verholfen und niemals einen Beuteanteil von dir gefordert, wie es eigentlich Brauch und Sitte gewesen wäre. So gib mir denn heute diese verirrte Gefangene, auf dass sie mich in meiner Einsamkeit mit Gesang und Leierspiel aufmuntere und erfreue. Sollte sie aber wirklich eine Hexe sein, dann habe ich die wirksamen Gegenmittel, die all ihren Zauber unwirksam machen. „
„Was!“ schrie der König Aben Habuz, „noch mehr Weiber willst du haben? Hast du denn an den Tänzerinnen, die dir die Zeit vertreiben, nicht genug?“
„Ja, Tänzerinnen habe ich allerdings genug“, sagte ernst der Einsiedler, „aber es fehlen mir Sängerinnen, und mein Geist bedarf dringend der Entspannung und Erfrischung, wenn er von meinen anstrengenden Studien und schwerer Denkarbeit ermüdet ist. „
„Genug, alter Eremit!“ rief erzürnt der König und sagte, jedem Wort Nachdruck verleihend:
„Dieses schöne Christenmädchen ist für mich selbst bestimmt. Ich finde großen Gefallen an ihr, und sie soll mich trösten gleich der Sunamitin Abisag, deren Gesellschaft den alten Tagen Davids, des Vaters Salomons des Weisen, Glanz verlieh. „
Weitere Bitten des Astrologen blieben erfolglos; der König wollte um keinen Preis das schöne Mädchen hergeben, und schließlich trennten sich der König und der Magier, erzürnt und zerstritten wegen einer Frau. Ibrahim schloss sich in seiner Klause von der Welt des Hofes ab, um brütend und philosophierend darüber zu sinnen, wie es denn hatte angehen können, dass sein königlicher Freund seine wohlgemeinten Ratschläge so leichtsinnig missachtet hatte. Aber wo gibt es einen verliebten Greis, der auf einen Freundesrat hört? Aben Habuz war ein Sklave seiner Leidenschaft. Er wollte sich mit allen Mitteln bei der gotischen Schönen einschmeicheln, ihr gefallen und sich in den Besitz ihres Herzens setzen. Er war zwar nicht mehr jung, aber er besaß Geld, Gold und Schätze, und wenn ein alter Liebhaber wirbt, dann ist er auch gewöhnlich sehr freigiebig. Der Zacatin von Granada wurde nach den kostbarsten Erzeugnissen des Orients durchwühlt: Seidenstoffe, Juwelen, herrliche Edelsteine, auserlesene Wohlgerüche, alles, was Asien und Afrika Kostbares und Seltenes boten, wurden der spröden Grafentochter zu Füßen gelegt. Künstler ersannen Schauspiele und Festlichkeiten zu ihrer Unterhaltung. Es gab Musik, Gesang, Tanz, Kampfspiele und Stiergefechte. Granada feierte so ausschweifende Feste wie niemals zuvor, noch je danach. All das schien die Prinzessin nicht zu berühren. Sie nahm diese Huldigungen hin wie jemand, der solche Pracht selbstverständlich gewohnt ist. Es war für sie der Tribut, den man ihrer Schönheit schuldete. ja, es schien, als ob sie ein geheimes Vergnügen daran fände, den König zu Ausgaben zu veranlassen, die seinen Schatz hinschwinden ließen und deren Zahlung dem Hofmarschall immer mehr Kopfzerbrechen bereitete. Dabei behandelte sie seine übermäßige Freigebigkeit wie etwas, was sich ganz von selbst verstünde, ohne dass der König mit seinem Eifer und seiner Großzügigkeit auf die so verehrte Schöne den geringsten Eindruck gemacht hätte. Sie zürnte ihm zwar nie, auch machte sie keine finsteren Mienen, aber sie lächelte auch nie, und kein freundliches Wort kam über ihre kalten und schön geschwungenen Lippen. Sooft der königliche Liebhaber seinen Gefühlen Ausdruck verleihen und von seiner heißen Liebe sprechen wollte, griff sie in die Saiten ihrer silbernen Leier und entlockte ihr wundervolle Töne. Augenblicklich fing dann der König zu nicken an, Schläfrigkeit übermannte ihn, und bald sank er in tiefen Schlummer. Herrlich erfrischt erwachte er später wieder, und für Tage schien alle Leidenschaft aus seinem Herzen gewichen zu sein. Dem Liebeswerben war dies allerdings nicht förderlich, doch begleiteten angenehme Traumbilder diesen Zauberschlaf, die den Sinn des müden Liebenden derart fesselten, dass er weiter träumte, während ganz Granada über ihn lachte und den Schätzen nachtrauerte, die er für ein Spiel auf der Leier vergeudete.
Da kam es schließlich zu einem gefahrvollen Ereignis, vor dem der bronzene Maurenreiter seinen Herrn und König nicht warnen konnte. In der eigenen Hauptstadt kam es zu einer Rebellion und zu einem Volksaufstand. Ein bewaffneter Pöbel umzingelte den Palast des Aben Habuz und schrie blutrünstig nach den Köpfen der königlichen Bewohner. In der Brust des alten Recken glomm immer noch ein Funke kriegerischen Geistes. An der Spitze einer kleinen Schar treuer Leibwächter machte er einen tapferen Ausfall, jagte die Rebellen in die Flucht und erstickte die Empörung im Keime.
Als die Ruhe wiederhergestellt war, suchte er sogleich den Astrologen auf, der sich noch immer in seiner unterirdischen Klause vom Hofleben abgewandt aufhielt und, wenn er auch nicht gerade auf Rache sann, doch darüber nachdachte, wie er in den Besitz der schönen Gotin gelangen könnte.
Versöhnlich gestimmt, sprach zu ihm Aben Habuz: „Wie weise du doch bist, Sohn des Großen Abu Ayub! Wohl hast du mich vor dieser gefangenen Schönheit gewarnt und Gefahren vorhergesagt, die von ihr ausgehen würden; verkünde mir nun du, der du jedes kommende Übel schon im Schoß der Zeit vorhersehen kannst, was ich tun soll, um in Frieden leben zu können.“
„Entferne die Ursache allen Übels und schicke diese ungläubige Frau fort. „
„Lieber lass ich von meinem Königreich“, rief Aben Habuz. „Du schwebst in der Gefahr, beides zu verlieren“, erwiderte der Astrologe.
„Zürne mir nicht, weisester aller Philosophen. Erwäge die doppelte Not, das zweifache Unglück in der Brust eines Menschen, der zugleich König und Liebender ist. Zeige mir Mittel und Wege, mich vor drohendem Unheil zu schützen. Ich verlange nicht nach Ruhm, es gelüstet mich nicht nach Macht! Ich sehne mich nur nach Ruhe, nach einem stillen Zufluchtsort, wohin ich mich von der Welt und allen ihren Sorgen, ihrem Prunk und ihren Unruhen zurückziehen kann, um dort den Rest meiner Tage in Frieden und Liebe zu verbringen. „
Mit gerunzelter Stirn und unter den dichten Augenbrauen blinzelnd, blickte ihn der Astrologe an und sprach: „Und was gibst du mir, wenn ich dir einen solchen Zufluchtsort verschaffe, ehrwürdigster aller Könige?“
„Du selbst sollst deinen Lohn bestimmen, und was es auch sein mag, bei meiner Seele, es soll dir gehören, wenn es sich im Bereich meiner Macht befindet. „
„Hast du schon etwas von dem Garten von Jrem gehört, o König, jenem Wunder des glücklichen Arabiens?“
„Ich habe davon gehört; schließlich spricht auch der Prophet im Koran davon, in jenem Kapitel, das mit ‚Die Dämmerung des Tages‘ überschrieben ist. Zudem: Viele Mekkapilger, erzählten wunderbare Dinge von diesem Garten Gottes. Allerdings hielt ich bisher all dies für Fabeln, wie solche von Reisenden erzählt werden, die entlegene Länder besucht haben.“
„Du handelst nicht klug, mein König, wenn du den Berichten der Pilger misstraust“, erwiderte ernst der Astrologe, „sie enthalten kostbares Wissen, das von den Enden unserer Erde herbeigeholt ist. „
Und sich ruhig den langen Bart streichend fuhr er fort: „Was nun den Palast und den Garten von Jrem im speziellen anbelangt, so ist das, was man von ihm berichtet, die volle Wahrheit. Ich habe mit diesen meinen Augen Palast und Gärten gesehen. Höre auf den Bericht meines Abenteuers, denn er hat Bezug auf den Gegenstand meines Begehrens!“
Ibrahim überlegte eine Weile, schöpfte dann tief Atem und begann mit leiser Stimme seine Erzählung:
„In meinen jungen Jahren, als ich nichts als ein umherziehender Beduine war, hütete ich die Kamele meines Vaters, dessen Seele Allah gnädig sein möge. Als wir einmal durch die Wüste von Aden zogen, entfernte sich eines der besten Tiere von der Herde, verirrte sich und ging verloren. Vergebens suchte ich mehrere Tage nach ihm; müde und abgehetzt legte ich mich eines Mittags neben einen spärlich rieselnden Brunnen unter eine schattige Palme und schlief bald ein. Als ich erwachte, fand ich mich an den Toren einer Stadt. Ich trat ein und erblickte prächtige Straßen, Plätze, Märkte und Hallen; aber alles war still und kein Mensch war zu sehen; es schien sich um eine verzauberte Stadt ohne Einwohner zu handeln.
Lange Zeit schlenderte ich durch die Gassen und kam endlich zu einem prachtvollen Palast mit einem großen Garten, der mit Springbrunnen und Fischteichen, Lauben und Rosenhecken geschmückt war; Obstbäume standen darin mit den köstlichsten Früchten, aber auch hier war niemand zu sehen und kein Laut zu hören. Geängstigt und erschrocken eilte ich fort, und als ich die Stadt durch das Tor verlassen hatte, wandte ich mich nochmals um, denn zu schön für eines Sterblichen Auge war alles gewesen. Noch einen einzigen Blick wollte ich auf Stadt und Gärten werfen, aber nichts mehr war davon zu sehen. Nur die stumme Sandwüste breitete sich vor meinen Augen aus.
In der Nähe traf ich kurze Zeit danach einen alten Derwisch, der mit den Geheimnissen des Landes wohl vertraut war, und erzählte ihm, was ich gesehen hatte.
‚Da‘, sagte er mir, ‚war der weltberühmte Garten von Jrem, eines der vielen Wunder der Wüste. Nur von Zeit zu Zeit zeigt er sich einem Wanderer, wie er sich dir gezeigt hat, und erfreut ihn mit dem Anblick von Türmen, Palästen, Mauern und Gartenanlagen mit Obstbäumen und farbenprächtigen Blumen, um dann plötzlich wieder zu verschwinden, derart, dass nichts zurückbleibt als die einsame und öde Wüste. Und wenn du die Geschichte dieses kleinen Paradieses wissen willst, dann höre:
In alten Zeiten, als dieses Land noch von den Additen bewohnt war, gründete der König Scheddad, der Sohn Ads, eines Urenkels von Noah, hier in dieser Gegend eine große Stadt. Als sie vollendet dastand und er die Schönheit und Größe seines Werkes sah, schwoll sein Herz vor Stolz und Anmaßung. Sogleich beschloss er, einen königlichen Palast zu bauen und diesen mit Gärten und Anlagen zu umgeben, solcher Art, dass sie alles in den Schatten stellen würden, was uns der Koran vom himmlischen Paradies erzählt. Doch Hochmut kommt vor dem Fall, lehrt uns das Sprichwort, und den stolzen König traf des Himmels Fluch.
Er und seine Untertanen vergingen und verschwanden von der Erde, und seine Stadt, seinen prächtigen Palast und die herrlichen Gärten bannt ein ewiger Zauber, der sie vor jedem Menschenauge verbirgt. Nur manchmal steigen sie aus dem Nichts auf, und dann sieht ein Sterblicher des vermessenen Königs Werk, damit so dessen Sünde in steter Erinnerung bleibe.‘
Diese Geschichte des alten Derwischs und die Wunderwerke, die ich selbst gesehen habe, blieben in meinem Gedächtnis haften, und in späteren Jahren, als ich bereits in Ägypten gewesen und im Besitz des Buchs des Wissens des weisen Salomon war, beschloss ich, wieder in die Wüste bei Aden zu gehen, um den Garten von Jrem nochmals zu suchen.
Ich brach auf und fand ihn bald meinem sehenden Blick erschlossen.
Ich zog ein in den Palast des Scheddad und brachte mehrere Tage in diesem kleinen Paradies zu. Die Genien, die des Königs Heim bewachten, gehorchten meiner magischen Kunst und offenbarten mir die Bannsprüche, deren Zauberkraft den Garten ins Dasein rief und ihn dann wieder unsichtbar machte.
Eine solche Königsburg und gleiche Gärten kann ich für dich, friedfertigster aller Könige, hier auf den Berg oberhalb deiner Hauptstadt leicht hinbauen. Kenne ich nicht alle die geheimen Zaubersprüche? Und bin ich nicht der einzige Besitzer des Buchs des Wissens, das schon den weisen Salomon berühmt machte?“
„Oh, großer Sohn des weisen Abu Ayub“, rief Aben Habuz mit vor Begierde zitternder Stimme, „du bist fürwahr ein großer Mann, der weite Reisen unternommen und viel gesehen und gelernt hat! Verschaffe mir ein solches Paradies und fordere jeden Lohn! Dein soll er sein, und verlangtest du auch die Hälfte meines Königreichs.“
„Ach was!“ erwiderte der andere, „du weißt, ich bin ein alter Mann und ein Philosoph, der dürftig lebt und leicht zufrieden gestellt werden kann. Gib mir als Lohn das erste Lasttier mit seiner Bürde, das durch das magische Portal des Palastes schreitet.“
Der König bewilligte mit Freuden einen von soviel Zurückhaltung zeugenden Wunsch, und der Astrologe begann sogleich sein Werk.
Unmittelbar über seiner Klause ließ er auf dem Gipfel des Hügels einen großen und weiten Torweg bauen, der mitten durch einen festen Turm führte.
An der Außenseite war ein Portikus mit hohem Bogen, und drinnen ein Innenhof, den starke Türflügel abschlossen. In den Schlussstein des Portals meißelte der Astrologe eigenhändig einen großen Schlüssel; den zentralen Keilstein des äußeren Bogens der Halle – er war höher als der des Tores – versah er mit einer riesigen Hand.
Diese beiden Zeichen verkörperten mächtige Zaubermittel, über die er viele Sprüche und Formeln in einer unbekannten Sprache murmelte.
Als dieser Eingang vollendet war, schloss er sich zwei Tage lang in seiner astrologischen Studienhalle ein und beschäftigte sich ununterbrochen mit geheimen Beschwörungen. Am dritten Tag endlich stieg er den Hügel hinauf und verweilte von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang auf dessen Gipfel. Erst in später Nachtstunde kam er herunter und ließ sich sogleich dem König Aben Habuz melden.
„Endlich, mein König“, sagte er, „ist meine Arbeit vollendet. Auf dem Gipfel des Hügels erhebt sich einer der wunderbarsten Paläste, die je eines Menschen Geist erdacht oder das Herz eines Sterblichen erfreut hat. Du findest prächtige Säle, herrliche Hallen und Gänge, köstliche Gärten, kühle Brunnen und wohlriechende Bäder. Kurzum: Der ganze Berg ist in ein himmlisches Paradies verwandelt. Gleich dem Garten von Jrem schützt ihn ein mächtiger Zauber, der das Lustschloss vor den Augen und den Nachforschungen der gemeinen Sterblichen verbirgt und nur die dort alles Schöne genießen lässt, denen der Zauber kein Geheimnis ist.“
„Genug!“ rief Aben Habuz erfreut, „morgen früh mit Tagesanbruch wollen wir hinaufsteigen und dein Meisterwerk besichtigen.“
Wenig schlief der glückliche König in dieser Nacht. Kaum vergoldeten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne die verschneiten Gipfel der Sierra Nevada, als er schon zu Pferd stieg und, nur von einem kleinen Gefolge begleitet, den steilen und schmalen Weg zum Gipfel des Berges hinauf ritt.
Neben ihm trabte auf einem weißen Zelter die gotische Prinzessin, angetan mit einem herrlichen, von Juwelen blinkenden Seidenkleid; die silberne Leier trug sie an einer mit Perlen besetzten Goldkette, leicht über die Schulter gehängt.
Gestützt auf seinen Hieroglyphenstab schritt langsam zu Fuß der Astrologe dahin, denn er bestieg nie ein Pferd.
Aben Habuz blickte sich um. Er suchte auf der Höhe des Berges den Palast, die Türme, die schattigen Terrassen und duftigen Gärten. Doch nichts war von all dem zu sehen.
„Darin liegt eben das große Geheimnis“, sagte der weise Ibrahim, „und darin liegt auch die Sicherheit des Ortes, denn niemand kann das Schloss und die Anlagen sehen, der nicht den zaubergeschützten Torweg durchschritten oder )die Bergkuppe erobert hat.“
Als sie sich dem Eingang näherten, blieb der Magier stehen und zeigte dem König die in Stein gehauene mystische Hand und den Schlüssel und sagte zu seinen Begleitern, auf Portal und Bogen hinauf weisend: „Das ist der Zauberbann, der den Eingang ins granadinische Paradies schützt.
Jene steinerne Hand muss zum Schlüssel im Keilstein herunter greifen und ihn fassen, dann erst zerbricht der Zauber. Weder menschliche Gewalt noch Zauberkunst können, ohne dass dies geschieht, dem Herrn dieses Berges Schaden zufügen.“
Während der alte Aben Habuz mit offenem Munde und stummer Verwunderung die mystischen Zeichen anstarrte, schritt das Pferd der Prinzessin langsam weiter und trug sie in das Portal hinein, durch den Portikus hindurch bis in die Mitte des Außenwerkes.
„Sieh dort“, rief in eben diesem Augenblick der weißbärtige Astrologe, „da geht der mir verheißene Lohn. Das erste Tier, das durch den magischen Eingang schreitet, gehört mit seiner gesamten Last mir!“
Aben Habuz lächelte bei diesen Worten Ibrahims; er hielt .,alles für einen scherzhaften Einfall des alten Mannes.
Aber als er sah, dass das kein Spaß war, rief er zitternd vor Wut und Zorn: „Sohn des Abu Ayub! Betrüge mich nicht, lege dich nicht mit mir an! Du kennst genau den Sinn meines Versprechens. Gemeint war das erste Lasttier, das mit seiner Bürde durch das Portal schreitet. Das und nichts anderes wollte ich sagen. Nimm den stärksten Maulesel aus meinen Ställen, belade ihn mit den kostbarsten Schätzen meines Reiches, und sie sind dein; aber erdreiste dich nicht, mir jene Frau abzufordern, die die Wonne und das Glück meines Herzens ist. „
„Was soll ich mit all dem Reichtum aus deiner Schatzkammer“, rief verächtlich der Magier aus Arabien, „habe ich nicht das Buch Salomons des Weisen, mit dessen Hilfe ich über alle verborgenen Schätze der Erde gebiete? Dein königliches Wort ist verpfändet, und die schöne Christin gehört dem Wortlaut des Vertrages nach nun mir. Sie ist mein Eigentum von diesem Augenblicke an.“
Die Prinzessin blickte stolz von ihrem Zelter herab, und ein leichtes Lächeln des Hohnes kräuselte ihre rosigen Lippen bei diesem Streit der beiden alten Männer um den Besitz der durch sie verkörperten Jugend und Schönheit.
Der König konnte sich indessen nicht länger beherrschen; der Zorn übermannte ihn, und alle Vorsicht vergessend rief er laut: „Du Hundesohn der Wüste! Du magst Meister vieler Künste sein, aber dein Meister bin ich und werde es immer sein! Treibe nicht mit deinem Herrn und König Scherz. Das könnte dich teuer zu stehen kommen!“
„Mein Meister!“ wiederholte wild lachend der Astrologe, „was Ihr nicht sagt, mein König!“
Aus Ibrahims Blicken zuckten Blitze, als er fortfuhr: „Der Besitzer eines elenden Maulwurfshügels will den beherrschen, der über das Wissen Salomons gebieten kann? Regiere du dein kleines Reich und schwelge, du geiler Greis, in deinem Narrenparadies. Ich hohnlache über dich und deinesgleichen in meiner philosophischen Einsamkeit. Leb wohl, Aben Habuz!“
Bei diesen Worten fasste er die Zügel des edlen Pferdes, stieß seinen Zauberstab in die Erde und versank samt der gotischen Prinzessin durch den Boden in der Mitte der Torganges. Die Erde schloss sich über ihnen gleich wieder, und keine Spur deutete hin auf den furchtbaren Vorgang.
Aben Habuz war sprachlos vor Erstaunen, als er da hilflos mit ansehen musste, wie die Erde Ross und Reiterin und Zauberer verschlangen. Aber er war bald wieder Herr seiner Sinne, rief Tausende von Arbeitern herbei und ließ sie pausenlos mit Hacken und Schaufeln an der Stelle graben, wo der Astrologe kurz zuvor verschwunden war.
Sie gruben und gruben, doch vergebens; der felsige Grund des Berges widerstand ihren Werkzeugen, und wenn sie nach harter Arbeit wirklich eine kleine Grube gegraben hätten, dann rieselten der Sand und die Erde zurück und füllten die eher unscheinbare Vertiefung wieder aus. Aben Habuz suchte unterdessen den Eingang zum unterirdischen Palast des Astrologen. Gleichfalls vergebens, denn wo ehemals der Zugang war, da fand er nur eine glatte Felswand ohne Spalt und Loch.
Mit dem Verschwinden des Ibrahim Ibn Abu Ayub erlahmten auch die geheimen Kräfte und Eigenschaften des Talismans auf dem Turm der Königspfalz.
Fest und still stand von nun an der bronzene Reiter, Gesicht und Speer dem Tor zugekehrt, wo der Astrologe mit der schönen Gotengräfin verschwunden war, als ob dort der wahre Feind des Königs sich aufhalte.
Von Zeit zu Zeit vernahm man aus dem Innern des Hügels Musik und Gesang, und ein Bauer brachte sogar einmal dem König die Nachricht, dass er in der vergangenen Nacht im Fels einen Spalt gefunden habe, durch den er hineinkriechen und in eine unterirdische Halle von seltener Schönheit und Pracht habe hinabblicken können.
Der weißbärtige Astrologe Ibrahim habe dagesessen, schlummernd und träumend auf bequemen Daunenpolstern, umwoben von den magischen Silbertönen, die die schönste Gotin ihrer Leier entlockte.
Aben Habuz machte sich sofort auf die Suche nach dem Spalt im Felsen, doch der hatte sich wieder geschlossen.
Abermals wollte er seinen Nebenbuhler und die geraubte Prinzessin ausgraben und den Weg zum magischen Palast finden; aber alle Versuche blieben vergebens. Zu mächtig war der Zauber von Hand und Schlüssel in den Kei staunen des festen Portals; weder Menschenmacht noch Menschenkraft konnten ihn unwirksam machen und den Bann brechen.
Die Kuppe des Berges blieb nackt und leer; der verheißene Palast mit den Wundergärten unsichtbar. Die Leute nahmen aber an, dass alles nur ein Märchen des Astrologen gewesen sei, und so nannten die einen den Platz, wo dieses Paradies hätte stehen sollen, „Des Königs Torheit“, während ihn andere „Des Narren Paradies“ nannten.
Um den Kummer des friedlichsten aller Könige und unglücklichsten aller Liebhaber noch zu vermehren, regten sich auch seine feindlichen Nachbarn wieder. Bald hatten sie erkannt, dass sich der ihn schützende magische Zauber verflüchtigt hatte und er gleich allen anderen Sterblichen A‘, um Macht und Besitz kämpfen musste.
Als Aben Habuz noch vom Zauberreiter beschützt und bewacht war, als er auf dem Schachbrett des Turmzimmers mit der k leinen Lanze Heere vernichtete, hatte er stolz seine Angreifer gereizt und verhöhnt.
Nun fielen diese in sein Land ein, trugen reiche Beute davon und verbitterten so den Rest des Lebens des ehrwürdigsten und tugendhaftesten Königs, den es je gab.
Endlich starb Aben Habuz und wurde begraben.
Jahrhunderte sind seitdem verflossen. Kunstbegeisterte Fürsten erbauten auf dem so ereignisreichen und berühmten Hügel die Alhambra, wo der Traum vom Garten Jrem Wirklichkeit wurde und wir heute noch ein zu Stein gewordenes Märchen aus Tausendundeiner Nacht bewundern können.
Noch steht der verzauberte Eingang unversehrt da; der Zahn der Zeit konnte ihm nichts anhaben. Es ist die Puerta de la Justicia, das Tor der Gerechtigkeit, der Hauptzugang zur alten Maurenpfalz.
Noch immer schützen ihn die von Ibrahim gemeißelte Hand und der Schlüssel, und unterm Turm soll der Überlieferung nach in seiner unterirdischen Halle der alte Astrologe hausen und auf einem Diwan dahindämmern, vom Klang der Leier der Gotenprinzessin in den Traum gewiegt.
Die alten Veteranen, die am Tor der Gerechtigkeit Wache halten, vernehmen von Zeit zu Zeit in lauen Sommernächten die bannenden Töne der silbernen Leier und schlafen dann, alles vergessend, ruhig ein. ja, der Zauber ist so stark, dass man auch tagsüber die Posten dieses Außenwerkes auf den steinernen Bänken träumend oder unter den nahen Bäumen schlafend, antrifft. Es dürfte sich um das einschläferndste Quartier der ganzen Christenheit handeln.
All das, sagt die alte Legende, wird noch Jahrhunderte dauern. Die gefangene Prinzessin wird fortfahren, den Astrologen in bannenden Schlummer zu halten, bis endlich am jüngsten Tag die Posaunen zum letzten Gericht rufen, oder bis die mystische Hand nach dem magischen Schlüssel greift und so den auf dem Berg liegenden Zauber wirkungslos macht und aufhebt.

Quelle:
(asiatische Märchen)

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