2.5
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Die Begebenheiten, von welchen diese Geschichte spricht, sind besonders merkwürdig, weil ich dafür stehen kann, daß sie wahr sind. Das Dorf Tschukitsch ist ja bekannt genug, und da lebt noch der Sohn dessen, der diese Abenteuer alle bestanden hat, den ich selbst auch noch unter dem Namen Petru Savoianzu recht gut kannte. Nicht nur einmal erzählte er uns als Kinder seine Geschichte, welche ich, so wie ich sie gehört, hier wiedererzähle.
Petru Savoianzu war Soldat in Diensten des deutschen Kaisers und wurde einst in einer Schlacht mit neun von seinen Kameraden von den Engländern gefangen. Von denen wurde er bald darauf samt seinen Gefährten weit, weit über das Meer auf eine Insel verkauft, welche nur von Menschenfressern bewohnt war. Diese waren abscheuliche Menschen, da sie nicht nur Menschenfleisch fraßen, sondern auch eins ihrer Augen vorne und eins hinten am Kopfe hatten, vielleicht auch noch haben, das weiß ich nicht. Von diesen Unmenschen nun sollten die zehn gefangenen Kaiserlichen in kurzer Zeit aufgefressen werden, weshalb sie alle zusammen einige Tage vorher in eine enge Hütte eingesperrt worden waren, vor welcher die Weiber dieser Unmenschen Wache hielten. Sowohl der Hunger – denn die Unglücklichen bekamen auch nichts zu essen – als auch die Todesangst vor dem Abgeschlachtetwerden gab den hilflos Gefangenen Kraft und Mut, und sie fingen an, die Hütte von innen heraus zu zerstören und zusammenzureißen, sich der tollen Weiber zu erwehren und dem Meeresstrande zuzulaufen, ehe die Menschenfresser sie einholen konnten. Am Strande lag eben ein altes Schiff vor Anker, welches sie sogleich bestiegen und damit aufs Geratewohl ins Meer hinaussteuerten.
Mundvorrat, Essen und Trinken, hatten sie zwar genug auf demselben gefunden, da hatten sie weiter keine Sorge; allein nur zu bald waren sie, der Schiffahrt gänzlich unkundig, ein Spielzeug des Windes und der Wellen, auf denen sie steuerlos umhertrieben. So waren sie wohl um nichts besser daran als zuvor in der Hütte, da sie den Tod vom Schlächtermesser zu erwarten hatten. Täglich wuchs ihre Angst und Not, denn wer wußte, wie dies enden sollte. Da schoß eines Tages ein großmächtiger Vogel von der Gestalt eines Adlers hoch aus den Lüften herab, riß den Petru Savoianzu auf und flog, ihn zwischen den Klauen haltend, mit riesenhafter Schnelligkeit viele Tagereisen weit übers Meer hin, so daß dem Armen die Sinne schwanden.
Wie lang er besinnungslos gewesen, wußte er nicht, aber als er wieder zu sich kam, da ließ sich der Vogel eben auf den Wipfel eines Baumes herunter, wo er ihn in ein großes Nest fallen ließ, in welchem sich zwei Junge befanden. Diese wollten sich sogleich an ihn machen, er aber wehrte sich gegen sie, was um so leichter war, als der Alte, sobald er ihn abgesetzt hatte, wieder fortgeflogen war. Indem nun Petru nach vorne vollauf zu tun hatte, die gefräßige Brut von sich abzuhalten, befestigte er seine viele Ellen lange Binde, wie sie die Angehörigen unseres Volkes zu tragen pflegen, an dem Neste und ließ sich, indem er fortfuhr, sich mit Arm und Beinen gegen die jungen Ungeheuer zu wehren, daran hinunter.
Als er wohlbehalten auf dem Boden unten angekommen war, ging er weiter und kam bald darauf in ein kleines Dorf. In diesem fand er aber zu seiner großen Verwunderung nur Männer und konnte trotz allen Umherschauens weder eines Weibes noch eines Mädchens ansichtig werden. Einen Greis, welchem er begegnete, grüßte er freundlich und fragte ihn, wo und in welchem Lande er sich befinde und warum denn hier durchaus keine Weiber zu sehen seien. Als der Alte sah, daß der Fragende ein kaiserlicher Soldat war, dankte er ihm freundlich für seinen Gruß und sagte ihm, daß er sich in Deutschland befinde, daß aber leider die Pest hier herrsche, welche bereits alle Weiber hingerafft habe. Da der alte Soldat hörte, daß er sich im deutschen Lande befinde, war er froh und sprach den Greis um etwas zu essen an und bat ihn auch, ihm für heute nacht in seinem Hause ein Plätzchen zu gönnen, wo er schlafen könne. Der Alte hieß ihn hierauf mitkommen, führte ihn in sein Haus, wo sie zusammen aßen, während Petru seine merkwürdige Geschichte erzählte.
Nachdem sie fertig waren, stand der Alte auf und hieß seinen Gast, sich beim Feuer niederlegen, der es, da er sehr müde war, auch nicht zu tun versäumte; er hatte ja schon lange nicht mehr auf sicherem, festem Boden geschlafen.
Indessen mochte er die Augen noch nicht gar lange zugehabt haben, da erwachte er und sah zu seinem Schrecken ein altes Weib von greulichem Ansehen mit ihrer Tochter, die nicht minder schrecklich war, ebenfalls beim Feuer stehen, gerade sich gegenüber. Er hörte auch, wie sie sich gegenseitig zuflüsterten. Das grauenhafte Aussehen der beiden Weiber bewog ihn, sich zu stellen, als ob er schlafe, was ihm aber um so schwerer wurde, da er, sooft er hinblinzelte, bemerkte, wie die beiden während des Gesprächs Blut ins Feuer spien. Endlich hörte er die Alte zu der Jüngeren sagen: »Nimm dein Buch, meine Tochter, und sieh nach, ob der, welcher hier beim Feuer liegt, sterben muß oder nicht.« Da zog diese ein Buch hervor und sagte, nachdem sie lange hin und herblätternd drin gesucht hatte: »Nein, seine Zeit ist noch nicht!« Da grinste die Alte wieder und sagte: »Wenn er wüßte, daß er jeden, den wir krank gemacht oder getötet haben, wieder frisch und gesund machen könnte, wenn er ihm von dem Blut, das wir vorhin ins Feuer spien, nur einen halben Tropfen eingeben würde, ich sage, wenn er dies wüßte, möchte er nicht wie ein Stück Holz hier liegenbleiben.«
Der geängstigte Kriegsmann stellte sich nun noch tiefer schlafend, um sich ja nicht zu verraten, bis er hörte, daß sich die beiden schrecklichen Weiber entfernt hatten. Da stand er auf, sammelte das Blut, welches sie ausgespuckt hatten, und bewahrte es wohl bei sich auf. Als nun der Greis, dessen Gast er diese Nacht war, zurückkehrte, erzählte er ihm alles, wie er es gesehen und gehört hatte, und der sagte ihm: »Der Beschreibung nach, welche du mir da von den gesehenen Weibern machst, waren diese niemand anders als die Pest und ihre Tochter.« Da schauerte es den alten Soldaten. Er nahm schnell Abschied von dem freundlichen Greis, der ihn bewirtet hatte, und zog weiter.
Bald hierauf gelangte er in eine große Stadt, darin war eben ein sehr vornehmer und reicher Mann an der Pest gestorben. Petru ließ sich sogleich in das Totenhaus hinführen, wo er die Leidtragenden zu trösten anfing und versprach, den Verstorbenen sogleich ins Leben zurückzubringen. Hierauf mischte er einen halben Tropfen von dem Blute, welches die Mutter Pest und ihre Tochter in jener Nacht ins Feuer gespien und welches er gesammelt hatte, in ein Glas Wasser, goß der Leiche dieses zwischen die starren Lippen hinein, – und siehe da, der Tote schlug bald darauf die Augen auf und wurde frisch und gesund. Alle Anwesenden erstaunten über die Maßen, der Wiedererstandene aber konnte ihm nicht genug danken, ließ den armen Wandersmann sogleich kleiden, speisen und tränken, schenkte ihm überdies noch viele der schönsten und reichsten Kleider und entließ ihn dann mit einem Geschenk von sechstausend baren Gulden. Nun war Petru Savoianzu ein gemachter Mann. Er ging überallhin, wo er hörte, daß Pestkranke oder Tote waren, welche er alle gesund machte und ins Leben zurückrief. So schuf er eine Menge Freude und Glück in der Welt und wurde selbst ein so reicher Mann, daß er sein Geld am Ende nicht mehr allein tragen konnte. Er mußte sich deshalb ein Pferd kaufen, welches er damit vollpackte und dann nach seiner Heimat zog.
So erschien er eines Tages in seinem Geburtsort, wo allgemeine Verwunderung darüber herrschte. Besonders große Freude hatten aber sein alter Vater und sein jüngerer Bruder, welche beide noch lebten. Wie oft mußte er ihnen seine wunderbare Geschichte erzählen, die hier schließt, aus der man aber sehen kann, daß dem allmächtigen Gott kein Ding unmöglich ist. Der Himmel erhalte dich! –
Petru Savoianzu war Soldat in Diensten des deutschen Kaisers und wurde einst in einer Schlacht mit neun von seinen Kameraden von den Engländern gefangen. Von denen wurde er bald darauf samt seinen Gefährten weit, weit über das Meer auf eine Insel verkauft, welche nur von Menschenfressern bewohnt war. Diese waren abscheuliche Menschen, da sie nicht nur Menschenfleisch fraßen, sondern auch eins ihrer Augen vorne und eins hinten am Kopfe hatten, vielleicht auch noch haben, das weiß ich nicht. Von diesen Unmenschen nun sollten die zehn gefangenen Kaiserlichen in kurzer Zeit aufgefressen werden, weshalb sie alle zusammen einige Tage vorher in eine enge Hütte eingesperrt worden waren, vor welcher die Weiber dieser Unmenschen Wache hielten. Sowohl der Hunger – denn die Unglücklichen bekamen auch nichts zu essen – als auch die Todesangst vor dem Abgeschlachtetwerden gab den hilflos Gefangenen Kraft und Mut, und sie fingen an, die Hütte von innen heraus zu zerstören und zusammenzureißen, sich der tollen Weiber zu erwehren und dem Meeresstrande zuzulaufen, ehe die Menschenfresser sie einholen konnten. Am Strande lag eben ein altes Schiff vor Anker, welches sie sogleich bestiegen und damit aufs Geratewohl ins Meer hinaussteuerten.
Mundvorrat, Essen und Trinken, hatten sie zwar genug auf demselben gefunden, da hatten sie weiter keine Sorge; allein nur zu bald waren sie, der Schiffahrt gänzlich unkundig, ein Spielzeug des Windes und der Wellen, auf denen sie steuerlos umhertrieben. So waren sie wohl um nichts besser daran als zuvor in der Hütte, da sie den Tod vom Schlächtermesser zu erwarten hatten. Täglich wuchs ihre Angst und Not, denn wer wußte, wie dies enden sollte. Da schoß eines Tages ein großmächtiger Vogel von der Gestalt eines Adlers hoch aus den Lüften herab, riß den Petru Savoianzu auf und flog, ihn zwischen den Klauen haltend, mit riesenhafter Schnelligkeit viele Tagereisen weit übers Meer hin, so daß dem Armen die Sinne schwanden.
Wie lang er besinnungslos gewesen, wußte er nicht, aber als er wieder zu sich kam, da ließ sich der Vogel eben auf den Wipfel eines Baumes herunter, wo er ihn in ein großes Nest fallen ließ, in welchem sich zwei Junge befanden. Diese wollten sich sogleich an ihn machen, er aber wehrte sich gegen sie, was um so leichter war, als der Alte, sobald er ihn abgesetzt hatte, wieder fortgeflogen war. Indem nun Petru nach vorne vollauf zu tun hatte, die gefräßige Brut von sich abzuhalten, befestigte er seine viele Ellen lange Binde, wie sie die Angehörigen unseres Volkes zu tragen pflegen, an dem Neste und ließ sich, indem er fortfuhr, sich mit Arm und Beinen gegen die jungen Ungeheuer zu wehren, daran hinunter.
Als er wohlbehalten auf dem Boden unten angekommen war, ging er weiter und kam bald darauf in ein kleines Dorf. In diesem fand er aber zu seiner großen Verwunderung nur Männer und konnte trotz allen Umherschauens weder eines Weibes noch eines Mädchens ansichtig werden. Einen Greis, welchem er begegnete, grüßte er freundlich und fragte ihn, wo und in welchem Lande er sich befinde und warum denn hier durchaus keine Weiber zu sehen seien. Als der Alte sah, daß der Fragende ein kaiserlicher Soldat war, dankte er ihm freundlich für seinen Gruß und sagte ihm, daß er sich in Deutschland befinde, daß aber leider die Pest hier herrsche, welche bereits alle Weiber hingerafft habe. Da der alte Soldat hörte, daß er sich im deutschen Lande befinde, war er froh und sprach den Greis um etwas zu essen an und bat ihn auch, ihm für heute nacht in seinem Hause ein Plätzchen zu gönnen, wo er schlafen könne. Der Alte hieß ihn hierauf mitkommen, führte ihn in sein Haus, wo sie zusammen aßen, während Petru seine merkwürdige Geschichte erzählte.
Nachdem sie fertig waren, stand der Alte auf und hieß seinen Gast, sich beim Feuer niederlegen, der es, da er sehr müde war, auch nicht zu tun versäumte; er hatte ja schon lange nicht mehr auf sicherem, festem Boden geschlafen.
Indessen mochte er die Augen noch nicht gar lange zugehabt haben, da erwachte er und sah zu seinem Schrecken ein altes Weib von greulichem Ansehen mit ihrer Tochter, die nicht minder schrecklich war, ebenfalls beim Feuer stehen, gerade sich gegenüber. Er hörte auch, wie sie sich gegenseitig zuflüsterten. Das grauenhafte Aussehen der beiden Weiber bewog ihn, sich zu stellen, als ob er schlafe, was ihm aber um so schwerer wurde, da er, sooft er hinblinzelte, bemerkte, wie die beiden während des Gesprächs Blut ins Feuer spien. Endlich hörte er die Alte zu der Jüngeren sagen: »Nimm dein Buch, meine Tochter, und sieh nach, ob der, welcher hier beim Feuer liegt, sterben muß oder nicht.« Da zog diese ein Buch hervor und sagte, nachdem sie lange hin und herblätternd drin gesucht hatte: »Nein, seine Zeit ist noch nicht!« Da grinste die Alte wieder und sagte: »Wenn er wüßte, daß er jeden, den wir krank gemacht oder getötet haben, wieder frisch und gesund machen könnte, wenn er ihm von dem Blut, das wir vorhin ins Feuer spien, nur einen halben Tropfen eingeben würde, ich sage, wenn er dies wüßte, möchte er nicht wie ein Stück Holz hier liegenbleiben.«
Der geängstigte Kriegsmann stellte sich nun noch tiefer schlafend, um sich ja nicht zu verraten, bis er hörte, daß sich die beiden schrecklichen Weiber entfernt hatten. Da stand er auf, sammelte das Blut, welches sie ausgespuckt hatten, und bewahrte es wohl bei sich auf. Als nun der Greis, dessen Gast er diese Nacht war, zurückkehrte, erzählte er ihm alles, wie er es gesehen und gehört hatte, und der sagte ihm: »Der Beschreibung nach, welche du mir da von den gesehenen Weibern machst, waren diese niemand anders als die Pest und ihre Tochter.« Da schauerte es den alten Soldaten. Er nahm schnell Abschied von dem freundlichen Greis, der ihn bewirtet hatte, und zog weiter.
Bald hierauf gelangte er in eine große Stadt, darin war eben ein sehr vornehmer und reicher Mann an der Pest gestorben. Petru ließ sich sogleich in das Totenhaus hinführen, wo er die Leidtragenden zu trösten anfing und versprach, den Verstorbenen sogleich ins Leben zurückzubringen. Hierauf mischte er einen halben Tropfen von dem Blute, welches die Mutter Pest und ihre Tochter in jener Nacht ins Feuer gespien und welches er gesammelt hatte, in ein Glas Wasser, goß der Leiche dieses zwischen die starren Lippen hinein, – und siehe da, der Tote schlug bald darauf die Augen auf und wurde frisch und gesund. Alle Anwesenden erstaunten über die Maßen, der Wiedererstandene aber konnte ihm nicht genug danken, ließ den armen Wandersmann sogleich kleiden, speisen und tränken, schenkte ihm überdies noch viele der schönsten und reichsten Kleider und entließ ihn dann mit einem Geschenk von sechstausend baren Gulden. Nun war Petru Savoianzu ein gemachter Mann. Er ging überallhin, wo er hörte, daß Pestkranke oder Tote waren, welche er alle gesund machte und ins Leben zurückrief. So schuf er eine Menge Freude und Glück in der Welt und wurde selbst ein so reicher Mann, daß er sein Geld am Ende nicht mehr allein tragen konnte. Er mußte sich deshalb ein Pferd kaufen, welches er damit vollpackte und dann nach seiner Heimat zog.
So erschien er eines Tages in seinem Geburtsort, wo allgemeine Verwunderung darüber herrschte. Besonders große Freude hatten aber sein alter Vater und sein jüngerer Bruder, welche beide noch lebten. Wie oft mußte er ihnen seine wunderbare Geschichte erzählen, die hier schließt, aus der man aber sehen kann, daß dem allmächtigen Gott kein Ding unmöglich ist. Der Himmel erhalte dich! –
[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]