Es war einmal eine Prinzessin.
Ihre Eltern, der König Hagibert und seine Gemahlin, Königin Mathilde, liebten ihr einziges Kind über alles. Mit den Ministern des Reiches hatte der alte König sogar vereinbart, dass die kleine Sophia nach ihm Königin sein sollte.
Es gab aber in Trifelsien den Brauch, dass nur Prinzen die Krone erben konnten. So waren viele Leute unzufrieden mit dem Entschluss Hagiberts.
Einer von ihnen: der alte Hexer Boromir. Zu seinem grauen Raben sagte er: „Das alles darf nicht geschehen! Ich fürchte, diese Prinzessin wird uns Zauberern das Leben schwer machen. Das werde ich mir nicht gefallen lassen!“
Er sann und grübelte, dann kam ihm eine Idee.
Eines Tages, als der König mit seiner Gemahlin zu einem großen Fest geritten war, hüllte Boromir sich in seinen ärmlichsten Mantel und humpelte zum Schloss. Dort setzte er sich an den Weg. Als die Prinzessin mit ihrer Dienerin in der Ponykutsche ausfuhr, fing er mit gar jämmerlicher Stimme an zu schreien: „Oh, helft mir, gütiges Kind! Ich hungere und bin alt. So gebt mir doch einen Taler!“
Sophia war von der zerlumpten Gestalt am Wegrand gerührt und kramte ihre seidene Geldbörse hervor. Ehe die Dienerin sich versah, war die Kleine aus der Kutsche gesprungen, beugte sich über den Bettler und drückte ihm ein Geldstück in die Krallenhand.
„Habt Dank, Edle. Zum Lohn will ich Euch Eure Zukunft vorhersagen!“
Der Alte packte die Prinzessin und hielt sie fest.
„Ich sehe“, prophezeite er, „dass Ihr eine sehr braune Zukunft haben werdet!“
Bevor Sophia noch darüber nachdenken konnte, was dies hieß, murmelte der Hexer ein paar unverständliche Worte. Plötzlich saß eine dicke, warzige Kröte mitten auf dem Weg.
Boromir lachte hämisch. Die Dienerin schrie. Der Alte humpelte fort, so schnell ihn seine Beine trugen.
„Das war es dann wohl mit der Zukunft als Herrscherin!“, murmelte er zufrieden in seinen Bart. „Wer will schon von einer Erdkröte regiert werden? Da eignet sich doch ein Mann wie ich viel besser!“
Die Prinzessin wusste nicht, wie ihr geschah. Wo sie eben noch auf ihren zwei seidenbestrumpften Beinen stand, hockte sie nun auf vier braunen Füßen mit gespreizten Zehen.
„Prinzessin“, schluchzte die Dienerin und beugte sich über die fette, schleimige Kröte. Ekel überfiel sie. Sie drückte ihr Spitzentaschentuch vor den Mund.
„Was hat er gemacht?“, quakte Sophia.
Als wenn die alte Hanna sie verstehen könnte, flüsterte sie: „Er hat dich in eine Kröte verwandelt. Boromirs Werk. Dieser böse Zauberer wollte euch schon lange los werden. Seine Sprüche sind mächtig. Doch wir werden schon eine Lösung finden!“
Sie bückte sich und hielt die Schürze auf. Sophia hüpfte hinein und sie setzten den Morgenausflug fort, als wenn nichts geschehen wäre.
„Wir brauchen erst mal Ruhe zum Denken!“, meinte die treue Hanna.
Sophia saß zitternd auf dem Schoß der Alten. Es geschah schließlich nicht jeden Tag, dass man in eine Kröte verzaubert wurde! Dicke Tränen liefen ihr über das warzige Gesicht. „Was sollen wir nur tun?“, quakte die Verzauberte verzweifelt.
Die alte Dienerin dachte nach, während das Pony seine Runden zog.
Plötzlich wurden Hannas Augen hell. „Mir fällt etwas ein, Prinzesschen“, sagte sie freudig. „Urahne Kleopra versteht sich ein wenig auf Zauberkunst. Zwar wird sie deshalb nicht gerne von den Menschen gesehen, aber sie tut nur Gutes. Man behauptet, sie habe Feenblut. Lass uns zu ihr fahren und um Rat bitten!“
Der Frosch schöpfte Hoffnung und sang ein paar melodische Töne. Bald hielt die treue Begleiterin die Kutsche vor einer einfachen Hütte im dichten Wald an.
Eine verhutzelte Greisin trat vor das Häuschen und begrüßte die Ankommenden freundlich. Sophia wurde ruhig, denn sie spürte, dass diese Alte nichts Böses wollte. Schnell erklärte Hanna das Problem. Kleopra schwieg so lange, dass das Krötenmädchen schon dachte, sie sei eingeschlafen. Dann hob die Ahne die Augen.
Sie sprach: „Ich kann den Spruch Boromirs nicht ungeschehen machen, aber ich kann ihn mildern. Aus der Kröte einen Schmetterling zaubern, der drei Jahre durch das Land fliegen muss, bevor er seine menschliche Gestalt zurück erhält.“
Sophia quakte aufgeregt. Ein Schmetterling gefiel ihr doch gleich besser als die dicke Erdkröte, die sie nun war.
Die Fee murmelte viele Sprüche, rührte ein scheußliches Gebräu in ihrem Kessel zusammen und tauchte die Verwandelte hinein.
Sofort spürte die Prinzessin, dass sich etwas an ihr veränderte. Ihre Schultern schmerzten ein wenig, als seidige Flügel sich einen Weg durch die zarte Haut bahnten.
„Oh!“, staunte Hanna und besah den prächtigen Schwalbenschwanz, der nun auf ihrer Hand saß. Sophia flatterte ein wenig, dann erhob sie sich in die Lüfte.
„Hüte dich vor großen Vögeln – sie fressen deinesgleichen gern“, mahnte die Alte.
Mit tausend Dank fuhren Hanna und ihr Schützling mit der Kutsche davon.
Der Dienerin war das Herz schwer – wie sollte sie ihrer Herrschaft nur das furchtbare Ereignis erzählen?
Doch das blieb ihr erspart – der böse Boromir tötete durch eine schreckliche List König und Königin auf dem Rückweg nach Hause und bemächtigte sich des Throns. Die treue Hanna floh zu Kleopra in den Wald.
Sophia aber, der kleine Schmetterling, flatterte kreuz und quer durch das Land. Sie sah und hörte vieles, das sie als Prinzessin nicht geahnt hatte.
Die Menschen klagten bitter über die harte Regentschaft des bösen Zauberers, der einen nach dem anderen versklavte und beraubte. Manch einer wünschte sich sehnlich die kleine Prinzessin zurück.
Als sich das dritte Jahr neigte, hatte Sophia das ganze Reich durchquert und all seine Schönheit kennengelernt. Sie würde für ihr Land kämpfen. Damit wartete sie nicht, bis sie eines Tages ihre menschliche Gestalt zurück erhielt . Schon jetzt konnte sie zumindest eines tun: Die traurigen, müden Menschen, die so sehr unter dem tyrannischen Zauberer litten, durch ihren Anblick ein wenig froh machen.
„Ein Falter“, riefen die Leute, wenn sie vorbei gaukelte. „Seht, wie frei er fliegt! Solange es das noch gibt, dürfen wir hoffen. Wie hübsch unser kleines Prinzesschen war! Sah sie mit ihren seidigen Gewändern nicht auch aus wie ein Schmetterling, wenn sie hüpfte und tanzte? Wie dumm waren wir, als wir zuließen, dass Boromir den Thron bestieg!“
An einem schönen Sommermorgen ruhte sich Sophia nach einem langen Flug an einer Quelle aus. Sie war instinktiv ganz in die Nähe des Schlosses geflogen. Müde schlief der bunte Schmetterling ein
Ein Schmerz durchzuckte Sophia. Als sie erwachte, hing sie im dicken Schnabel eines grauen Raben.
„Hilfe“, schrie sie. „Friss mich nicht! Ich bin doch die Prinzessin. Boromir hat mich verzaubert.“
Verwundert funkelten zwei scharfe Augen sie an. Sophia bebte. Gleich wäre es vorbei mit ihr.
Da öffnete der Jäger den Schnabel und ließ sie fallen.
„Sei gegrüßt, edle Prinzessin! Auch ich bin ein Gefangener des Hexers. So teilen wir unser Schicksal. Ich fresse dich nicht, hab keine Angst. Ich heiße Konstantin.“
Sophia war überglücklich, dass jemand ihre Sprache verstand. Aufgeregt erzählte sie, wie sehr sie darauf brannte, den Thron zurück zu erobern und ihrem Land eine gute Herrscherin zu sein. „Boromir muss weg“, sagte sie fest. „Aber wie soll so ein kleiner Schmetterling wie ich ihn besiegen?“
„Warte doch, bis du wieder ein Mensch bist!“ krächzte der Vogel. „Ich habe eine Idee!“
Er wisperte in Sophias winzigen Fühler. Die Prinzessin nickte eifrig und froh. Ja, daraus ließe sich wohl etwas machen!
Konstantin musste nun rasch wieder zu seinem Herrn fliegen. Der Schwalbenschwanz gaukelte weiter über das Land.
Eines Nachts konnte der kleine Schmetterling keinen Schlaf finden. Alles tat ihm weh.
„Ob ich die Grippe bekomme?“, sann Sophia und döste erst gegen Morgen kurz ein. Als sie wieder erwachte, sah sie, dass sie ihren Mädchenkörper zurück hatte. Begeistert spiegelte sie sich in der Quelle. Wie groß und hübsch sie geworden war!
Die Prinzessin pflückte schnell ein paar Beeren, um ihren ärgsten Hunger zu stillen, und schritt dann auf das Königsschloss zu. Am Ziehbrunnen im Hof pumpte sie einen Eimer Wasser. Damit schlich sie in Boromirs Gemächer. Wächter gab es schon lange keine mehr – der Alte vergraulte alle.
Sophia hielt den Atem an, als sie die quietschende Tür öffnete. Wie es hier stank! Was ja nicht verwunderlich war, wenn das stimmte, was Konstantin ihr anvertraut hatte.
Da saß der Rabe ja. Er schlief mit dem Kopf unter einem Flügel und weinte leise in seinen Träumen.
Bei dem Anblick ihres traurigen Freundes wurde die Prinzessin so wütend, dass sie mit einem großen Schwung die ganze Eimerladung auf den bösen Hexer kippte.
Boromir schrie auf. Er war von der Sorte Zauberer, die niemals Wasser berühren durften.
Momente später lag nur noch ein Häufchen Staub dort, wo gerade eben der Tyrann geschlafen hatte. Auch der Vogel war verschwunden. An seiner Stelle blinzelte ein junger Mann verwirrt in den Morgen.
„Guten Tag“, grüßte Sophia. „Du musst Konstantin sein!“
„Sophia?“, fragte der Prinz mit heiser krächzender Stimme. Die junge Frau nickte und sie fielen sich froh in die Arme. Der böse Hexer war besiegt, seine Macht endgültig gebrochen.
„Wir haben lange das Land im Flug bereist“, sagte Sophia. „Wie ich hast auch du sicher vieles von den Menschen gehört, das uns zu guten Herrschern machen kann. Willst du meinen Thron mit mir teilen, Prinz Konstantin?“
Der junge Mann wurde rot und blaß. Er konnte kaum glauben, was die wunderhübsche Prinzessin ihn da eben gefragt hatte. „Ja“, flüsterte er dann und gab Sophia einen Kuss.
Das Paar herrschte lange und weise über sein Volk. Hanna und die uralte Kleopra aber wurden zu Hoffeen befördert und halfen mit ihrem Rat, das Land glücklich zu machen.
Noch heute findet man Schmetterlinge und Raben auf dem königlichen Wappen derer von Trifelsien.
Quelle:
Maria Sassin