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Märchenbasar

Ein kleines Sommermärchen

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Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Leo. Weil er keine Geschwister hatte, mußte er immer allein spielen. An einem verregneten Augusttag – die Weltmeisterschaft schien schon Ewigkeiten zurückzuliegen – kickte er seinen Plastikball lustlos gegen die Garagenwand. Blopp! Hüpfte der Ball hüpfte der Ball müde auf den Asphaltvorplatz zurück.
„Mensch, ist das blöd!“, schimpfte Leo, weil der Ball so wenig zurückgetitscht war, dass er näher zur Wand laufen musste.
Wütend trat er in die Plastikkugel. Wusch! schoss das Ding weg.
„Aua!“, rief jemand.
Erstaunt schaute sich Leo um: „Ist da wer?“
Er horchte in den Nachmittagshimmel. Autos fuhren vorbei. Ein Hund bellte. Sonst war aber nichts zu hören.
„Da war doch jemand“, meinte Leo zu sich.
„Ja ich“, hörte er jetzt ganz leise neben sich eine Antwort.
„Wer ist denn da?“ Er drehte sich um seine eigene Achse, sah aber niemanden.
„Ich, dein Ball.“
Leo schaute nach unten.
„Kannst du sprechen?“
Die lustigen WM-Gesichter auf dem Plastikball grinsten ihn an: „Na klar. Du hast mich nur nie gefragt.“
„Und warum hast du ‚Aua’ gesagt?“
„Du sollst deinen Ärger nicht an mir auslassen, sondern lieber auf den Bolzplatz gehen. Da findest du bestimmt jemanden, mit dem du spielen kannst.“
„Die wollen nicht mit mir spielen.“
„Papperlapapp, alles nur Ausreden.“
„Aber…“
„Also los!“

Obwohl es noch Sommerferien waren, lag der Bolzplatz menschenleer und schweigsam wie nach einer Fußballniederlage vor ihnen.
Leo schob die Plastikkugel über die schlammige Wiese.
„Ich weiß nicht …“, grummelte Leo.
„Man darf nie ein Spiel von vornherein verloren geben!“, wusste der Ball.
„Soso.“
Nieselregen setzte ein.
Da fuhr ein älterer Junge vorbei. Es war Jörg. Er kam nach den Ferien in die vierte Klasse und war Mittelstürmer in der E-Jugend des Fußballvereins.
Leo kam erst in die zweite Klasse und hatte keinen Mut, den großen Jungen anzusprechen.
„Na los, mach schon“, schubste ihn sein Fußball an.
„Hallo, Jörg, willst du mit mir spielen?“, rief er dem Fahrrad zu.
Der Junge bremste und setzte einen Fuß auf die Erde.
„Mit dir und deinem platten Plastik-Ei?“, lachte er höhnisch.
„Äh, mein Ball ist OK.“
„Quatsch, da ist doch die Luft raus“, meinte Jörg und war schon wieder aufgestiegen.
Jörg zog ab, und Leo war traurig.
„Tut mir leid, ich bin wirklich etwas platt“, sagte sein Ball und kuschelte sich an seinen Fuß. „Aber ich hab eine Idee. Weißt du, wie die Nationalspieler machen?“
„Äh, nein, ich weiß nicht, was du meinst.“
„Na, wenn alle sie beobachten, was machen sie da?“ Der Fußball wartete gar nicht Leos Antwort ab. „Sie lassen ihren Ball auf ihrem Kopf tanzen! Lässt du mich auch tanzen?“
„Ich kann das nicht“, meinte Leo.

Die lustigen Gesichter auf dem Fußball lachten ihn an: „Na klar kannst du das!“
Leo legte den Ball auf seine Stirn und ließ ihn los. Und da begann der Ball zu hüpfen, er nahm alle Kraft zusammen, stieß sich von Leos Stirn ab und erhob sich in die Lüfte. Als der Ball wieder herunterfiel, grinsten die Gesichter, berührten Leos Kopf und flogen in die Höhe.
Leo hatte den Matsch, den Nieselregen und Jörg ganz vergessen.
Sein platter Plastikball hüpfte ausgelassen auf seinem Kopf herum, und der kleine Junge musste kichern: „Aber du machst ja alles allein!“
„Ein guter Ball macht alles allein!“, rief der Ball übermütig. Es war wirklich zu komisch. Der Ball sprang alleine auf und ab.
Leo begann laut zu lachen. Und sein Ball sprang immer ausgelassener höher und höher.
In diesem Moment ging ein grosser Junge, der schon auf die Realschule ging, am Bolzplatz vorbei.
„Kann ich mitspielen? Ich heiße Frank.“
Der Ball kicherte und stieg wieder in die Luft.
„Mmh… ja“, antwortete Leo verlegen.
Der Ball flog freudig zum Realschüler, der ihn mit dem Fuß tänzelnd in der Luft hielt.
„Toll machst du das“, erklärte Leo.
„Dein Ball ist auch super!“, räumte der große Junge ein.
Dann kamen Gregor und seine Mutter vom Einkauf vorbei.
„Kann ich bolzen gehen?“, fragte Gregor.
„Aber es regnet, und der Platz ist ganz matschig, und du hast deine guten Sachen an!“, wandte seine Mutter und stellte die Einkauftaschen ab.
„Bis später“, rief Gregor, der seiner Mutter gar nicht zugehört hatte.
„Aber Gregor!“ Doch ihr Sohn war schon bei Leo auf dem Bolzplatz.

Sie begannen ein Spiel. Zuerst spielten sie Elfmeter und Volleyschüsse vor dem Tor. Sie köpften und schossen den Ball aus der Luft. Dann kamen noch mehr Jungs, und sie teilten sich in zwei Mannschaften auf.
Und der Ball begann zu fliegen. Er segelte als Flanke vors Tor, um geköpft zu werden. Und der Torhüter machte sich lang und länger und spitzelte in letzter Anstrengung den Ball über die Latte. Der Gegenangriff ging mit einem Doppelpass zwischen Leo und Frank los. Dann ein Steilpass, ein Dribbling von Gregor, wieder eine Bilderbuch-Flanke, Leo setzte zum Fallrückzieher an und der Ball landete unhaltbar im Winkel.
„Tor! Tor! Tor! Tor!“, jubelten die Kinder.
Und es schien, als ob die ganze Stadt nur auf das Spiel auf dem Bolzplatz gewartet hätte und jetzt aufwachte. Eltern blieben stehen. Eine Gruppe von Jugendlichen stand mit ihren Motorrädern am Spielfeldrand.
„Toor!“, jubelten auch die Zuschauer.

„Kann ich auch mitspielen?“, fragte Jörg. Er war zurückgekommen. Alle Kinder durften mitspielen. Aber Jörg wusste, dass Leo traurig gewesen war, als Jörg nicht mit ihm spielen wollte. Deshalb traute er sich nicht so richtig. „Ihr wisst, ich bin Mittelstürmer im Verein!“, beharrte Jörg.
„Na klar, komm!“, sagte Frank. Und Jörg durfte mitspielen.
Und das Spiel ging weiter.
Leos toller Ball tanzte auf der Fußspitze eines kleinen Junge, wurde von der Brust des Realschülers gestoppt, flog steil in die Luft, landete wieder auf Leos Kopf und landete vor den Füssen von Jörg.
Jörg hatte das Gefühl zu zeigen, dass er der beste Angreifer war, und begann zu dribbeln. Am Anfang schaltete er mit viel Elan zwei Verteidiger aus, schob die Kugelan allen Gegnern vorbei …
„Zu mir“, rief der Realschüler.
„Ich steh auch frei“, rief ein braunhaariges Mädchen.
Aber Jörg dribbelte Richtung Tor. Er machte einen tollen Alleingang, leider nur ganz alleine.
Die anderen Spieler blieben stehen.
Schließlich stand Jörg vor dem Tor der gegnerischen Mannschaft und drückte die Kugel am Torwart vorbei.
„Tor!“, rief er. Aber keiner jubelte mit ihm. Er hatte alleine gespielt.
Die Kinder spielten weiter. Jörg wurde immer ganz unruhig, wenn er nicht sofort den Ball bekam: „Seht ihr nicht, das sich frei stehe? Wollt ihr gewinnen, oder was?“
Leos Plastikball rollte zu ihm, und Jörg begann wieder damit zu tänzeln. Doch der Ball begann sich zu wehren und blieb platt und schlaff auf der Erde liegen. Jörg versuchte ihn zu bewegen, setzte seinen Fuß auf den Ball, machte eine falsche Bewegung, verlor das Gleichgewicht, rutschte ab und fiel in den Matsch.
Alle lachten. (Auch der Ball.)
„Ihr seid gemein“, schrie Jörg.
„Nein, das gehört dazu“, meinte Frank.
Beleidigt ging Jörg zu seinem Fahrrad und fuhr nach Hause.
Das Spiel ging weiter.
Der Ball hüpfte, sprang vom Fuß, tanzte durch den Regenhimmel, flog, blies die Backen auf, stieß sich vom Knie ab, glitt zwischen den Beinen durch, prallte vom Pfosten zurück…
Irgendwann war es so dunkel, dass man nicht mehr die Hand vor den Augen sah.
„Das war sehr schön, heute Nachmittag“, sagte Frank und legte seinem neuen Freund, dem kleinen Leo, die Hand auf die Schulter, „aber was hast du denn mit deiner Kleidung gemacht?“
Leos Sporthose sah schlimm aus; sie war so dreckig, als ob man sie stundenlang mit Dreck beworfen hätte.
„Das macht nichts“, flüsterte Leos Plastikball und zwinkerte ihm zu, „eine richtige Fußball-Mama wird das schon verstehen…“
Leo nahm seinen Ball fest in den Arm, verabschiedete sich von seinen Fussball-Freunden und ging glücklich nach Hause.

Und wenn ihr jetzt gleich auf euren Bolzplatz geht, werdet ihr sicher Leo oder einen seiner Freunde begegnen, die nur auf euch warten, endlich loszulegen.

 
Quelle: Wolfgang Urach

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