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(1)
Es war einmal ein König, der hatte vier Kinder: drei Mädchen und einen Knaben, und das war sein Thronfolger. Eines Tages sagte der König zu seinem Sohne: »Mein lieber Sohn, ich will, daß deine Schwestern heirathen, und zwar sollen sie den ersten besten Mann nehmen, der um Mittag an unserm Schlosse vorübergehen wird.« Zu jener Stunde aber gingen vorüber: zuerst ein Schweinehirt, dann ein Jäger, zuletzt ein Todtengräber. Alle drei ließ der König hereinrufen und sagte dem Schweinehirten, daß er die älteste, dem Jäger, daß er die zweite, und dem dritten, dem Todtengräber, daß er die jüngste Tochter heirathen müsse. Die guten Leute glaubten zu träumen; als sie aber merkten, wie es dem Könige wol Ernst war, verbeugten sie sich und riefen, ganz betäubt von ihrem Glück: »Herr König, Euer Wille geschehe!« Der Prinz wurde ganz traurig, denn er liebte die jüngste Schwester vor allen, und so jammerte es ihn, daß sie die Frau eines Todtengräbers werden sollte. Er flehte den König an, sein Schwesterlein zu verschonen, dieser jedoch wollte von nichts wissen.
Aber die Hochzeit vermochte er nicht mit anzusehen, er stieg in den Garten hinab, um mit seiner Trauer allein zu sein, und siehe, in dem Augenblicke wo der Priester in der königlichen Kapelle die drei Paare segnete, fing der ganze Garten in den allerschönsten Blumen zu blühen an, und aus einer leichten Wolke kamen die Worte: »Beglückt, wer einen Kuß vom Munde der schönen Fiorita bekommt.« Der Königssohn bebte am ganzen Leibe, sodaß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Dann kam ihm aufs neue der Schmerz über die verlorenen Schwestern, er lehnte sein Haupt an einen Olivenbaum, weinte bitterlich und blieb lange Zeit in tiefe Gedanken versunken. Erst spät erwachte er aus seinem Traum und sprach: »Ich kann nicht länger bei meinem Vater bleiben. Ich will in die Welt hinaus und nicht eher Frieden haben, als bis ich den Kuß von den Lippen der schönen Fiorita bekommen habe.«
So wandert er dahin, wandert über Meer und Land, über Berge und Ebenen, doch fand er niemand, der ihm Kunde gäbe von der schönen Fiorita. So verflossen drei Jahre. Eines Tages, da er aus einem Walde trat, that sich vor ihm eine schöne Aue auf. Auf der Aue steht ein Palast, vor dem Palast ein Brunnen, und er geht darauf los, seinen Durst zu löschen. Ein Kind von zwei Jahren, das in der Nähe des Brunnens spielt, sieht ihn, fängt zu weinen an und ruft die Mutter. Die Mutter kommt, und kaum sieht sie den Jüngling, läuft sie ihm entgegen, umarmt und küßt ihn und schreit freudevoll: »Willkommen, mein Bruder! Willkommen! Kennst du deine Schwester nicht?« Er hatte sie anfangs nicht erkannt, wie er ihr aber näher ins Gesicht schaute, erkannte er sie wohl und rief: »Sei gegrüßt, o Schwester mein!« Das war ein rechtes Fest. Sie führte ihn zu ihrem Manne, und auch der war erfreut, ihn zu sehen. Alle drei küßten voll Liebe das Kind, welches bewirkt hatte, daß der Jüngling nicht fremd an dem Hause vorübergegangen war.
Hierauf verlangte den Prinzen, zu wissen, was aus den andern beiden Schwestern geworden, und er erfuhr, daß es ihnen wohl gehe und sie mit ihren Gatten ein prächtiges Leben führten. Der Prinz wunderte sich, der Schwager aber erzählte, daß das Glück bei ihnen eingekehrt sei, nachdem sie die Bezauberung eines Magiers erfahren. »Ist es möglich, meine beiden andern Schwestern zu sehen?« fragte der Prinz. Der andere antwortete: »Am zweiten Tage, so du immer gegen Sonnenaufgang wanderst, findest du die zweite, am dritten dann die dritte.« – »Aber ich muß den Weg finden, der mich zur schönen Fiorita führt, und wer sagt mir, ob der gegen Sonnenaufgang oder gegen Sonnenuntergang geht?« Der Schwager sagte: »Auch der geht gegen Sonnenaufgang, und doppelt glücklich wirst du sein, erst die Schwestern zu sehen und dann Kunde zu bekommen von der jüngsten über die schöne Fiorita. Ehe du jedoch abreisest, möchte ich dir ein Andenken geben. Nimm diese Schweinsborsten, sobald du in Gefahr bist und meinst, dich allein nicht retten zu können, wirf die Borsten auf den Boden und du rettest dich.« Der Prinz nahm die Borsten, dankte dem Schwager und machte sich auf den Weggen Sonnenaufgang.
So kam er andern Tages an den Palast der zweiten Schwester, auch hier war die Freude groß, und auch dieser Schwager gab ihm ein Angedenken. Wie er denn ein Jäger war, schenkte er ihm ein Büschel Vogelfedern, ihn anweisend, wie er sie zu brauchen habe. Er dankte und ging weiter. Am dritten Tage erreichte er die dritte Schwester. Sie empfing den Bruder, der sie immer mehr als die andern geliebt hatte, noch freundlicher als jene, herzte und küßte ihn, und so auch ihr Mann. Der schenkte ihm am Ende ein Todtenknöchlein, das er brauchen solle wie die andern Gaben, und das Schwesterchen vertraute ihm, daß die schöne Fiorita nur eine Tagereise entfernt wohne und er die sicherste Kunde über sie von einer Alten haben könne, der sie, die Schwester, manche Wohlthat erwiesen. Zu dieser Alten schickte sie ihn zunächst.
Als der Prinz den Ort erreichte, wo die schöne Fiorita, die auch eine Königstochter war, lebte, ging er stracks zu der Alten. Kaum wußte diese, daß er der Bruder jener war, die ihr so viel Gutes gethan, empfing sie ihn wie ihren eigenen Sohn. Zum Glück stand das Haus der Alten dem königlichen Schlosse gegenüber und sah gerade auf das Fenster, an dem sich die Schöne jeden Tag bei Sonnenaufgang zeigte. Wirklich erschien sie andern Tages in der Frühe am Fenster, kaum bedeckt von einem weißen Schleier. Als der Prinz diese Blume von Schönheit sah, wurde er so bewegt, daß er beinahe umgefallen wäre, wenn ihn die Alte nicht gehalten hätte. Doch beredete ihn diese, den Gedanken, die schöne Fiorita heirathen zu wollen, aufzugeben, indem sie sagte, der König wolle seine Tochter nur dem geben, der einen gewissen versteckten Ort errathe, und den, der dies nicht könne, tödte. Sie erzählte auch, wie viele Prinzen auf diese Weise schon das Leben verloren hätten. Es war aber alles vergebens, er antwortete, er werde sterben, wenn die schöne Fiorita nicht sein würde.
Da erfuhr er von der Alten, der König kaufe für seine Tochter die seltensten Musikinstrumente, und hierauf baute er seinen Plan. Er ging zu einem Cimbalfabrikanten und sagte: »Meister, ich möchte ein Cimbal, das drei Stücke spielt, jedes Stück einen Tag lang, und macht mir’s auf die Weise, daß sich ein Mensch drinnen verbergen kann. Ich bezahle dir tausend Dukaten dafür. Ist es fertig, so verberge ich mich darin, du gehst und läßt es vor dem Fenster des Königs spielen, kauft der es dann, so verkaufe es ihm unter dem Beding, daß du es jeden dritten Tag zum Stimmen abholen darfst.«
Dem Manne gefiel das Geschäft, er machte alles genau so, wie es der Prinz angeordnet hatte, ging mit dem Instrument vor den König, der kaufte es und nahm auch die Bedingung des Verkäufers an. Darauf ließ er es in das Schlafzimmer seiner Tochter tragen und sagte: »Sieh, mein Kind, dir soll es an keinem Vergnügen fehlen, nicht einmal, wenn du auf dem Bett liegst, ohne schlafen zu können.«
Neben der Schlafkammer der schönen Fiorita schliefen ihre Kammerfrauen. Als alle schliefen, kommt der Prinz aus dem Cimbal hervor, denn er hatte sich wirklich darin verborgen, und ruft leise: »Fiorita, schöne Fiorita.« Voll Schrecken erwacht sie, ruft ihre Frauen: »Kommt schnell herbei, es hat mich hier jemand gerufen.« Die Frauen laufen eilend herbei, finden aber niemand, denn schon war der Prinz in sein Versteck zurückgekehrt. Noch zweimal wiederholte sich dasselbe, die Frauen kommen, finden niemand, und endlich sagt die Prinzessin: »Es mag wol ein Traum sein. Sollte ich wieder rufen, so bleibt, wo ihr seid, ich befehle es euch.« Diese Worte hörte auch der Prinz, und kaum waren die Zofen fort und wieder eingeschlafen, näherte er sich dem Lager der Schönen und rief: »Schöne Fiorita, gib mir einen Kuß von deinem Munde, sonst sterb‘ ich.« Erschrocken und zitternd am ganzen Leibe rief sie nach den Zofen, die aber dachten an ihren Befehl und kamen nicht. Und sie sagte zum Prinzen: »Du bist der Glückliche und hast gesiegt. Komm her!« Und sie gab ihm den Kuß, und auf den Lippen des Prinzen blieb eine wunderschöne Rose zurück.
»Nimm diese Rose«, sagte sie, »trage sie auf dem Herzen, sie wird dir Glück bringen.« Das that der Prinz und erzählte seiner Schönen seine Geschichte von dem Tage an, da er das väterliche Haus verlassen, bis auf die List, die ihn in ihre Kammer gebracht hatte. Die schöne Fiorita freute sich seiner Kühnheit und sagte ihm, daß sie ihn wol zu ihrem Gemahl wolle, er aber, ehe dies sein könne, viele Schwierigkeiten zu überwinden habe, die ihm der König, ihr Vater, in den Weg legen werde. Da sei zuerst der Ort aufzufinden, wohin der König sie zusammen mit hundert andern Jungfräulein verstecke, alle in gleicher Weise gekleidet und verschleiert. »Ob dieser Aufgabe«, sagte sie, »mache dir jedoch keinen Kummer: die Rose, die du mir von den Lippen genommen und die du deshalb immer auf dem Herzen tragen mußt, wird dich mit Kraft des Magnets erst nach dem Versteck und dann in meine Arme führen. Der schwierigere Theil ist dir aufbehalten, doch da mußt du selbst zusehen, wie du dich herausziehst. Da walte unser gutes Glück!«
Sogleich ging nun der Prinz zum Könige und bat ihn um die Hand seiner Tochter. Er sagte sie ihm zu, wenn er seine Aufgaben vollbringe. Die Rose half ihm gar leicht über die erste hinweg: er fand die schöne Fiorita unter hundert Jungfräulein heraus. Damit war aber dem Könige nicht Genüge gethan. Er ließ den Jüngling in ein großes weites Gewölbe einschließen, das war voll Früchte, diese Früchte solle er in einem einzigen Tage essen, oder er werde den Kopf verlieren. Da fiel dem Jünglinge der Muth, zum Glück erinnerte er sich an die Schweinsborsten und an den Rath, den ihm der Schwager gegeben hatte. Er warf die Borsten auf die Erde, und siehe, da kamen eine Menge Schweine herbei, immer mehr und immer mehr, die fraßen die Früchte bis auf den letzten Stiel auf und verschwanden. So war auch das gethan.
Schon aber kam der König mit einer neuen Aufgabe hervor. Er verlangte, daß der Prinz die Prinzessin durch den allersüßesten Gesang der allerschönsten Vögel der Welt in Schlummer singen ließe. Da gedachte der Prinz der Federn, die ihm der Schwager Jäger gegeben, und wirft sie auf den Boden. Siehe, da flattern herbei die allerschönsten Vögel und fangen einen Gesang an so lieblich, daß auch der König in Schlaf fällt. Ein Diener jedoch, dem er vorher Befehl gegeben, mußte ihn sogleich wieder wecken, und nun sagte er zu dem Brautpaar: »Jetzt gehört ihr euch ganz in euerer Liebe; morgen früh aber will ich ein Kind von zwei Jahren bei euch finden, welches sprechen und euch bei Namen nennen kann, sonst müßt ihr doch noch sterben.«
Der Prinz und die Prinzessin gingen voll Trauer hinweg, doch tröstete sie der Prinz und sprach: »Laß uns zur Ruhe gehen, wer weiß, ob bis morgen nicht eine Hülfe erscheint!« In der Frühe erinnert er sich des Todtenknöchleins, das ihm der Todtengräber geschenkt. Er warf es vom Bett aus auf den Boden, und siehe, ein wunderschöner Knabe erschien, der hatte einen Goldapfel in der rechten Hand und rief sie: »Vater und Mutter!« Der König tritt in die Kammer, der Knabe geht ihm entgegen und legt ihm den Goldapfel in die Krone, die der König auf dem Kopfe hatte. Da küßte der König das Kind, segnete die Brautleute, und indem er die Krone abnahm, um sie dem Schwiegersohne aufzusetzen, sagte er: »Die ist jetzt dein!«
Nun bereitete man große Feste am Hofe für die Hochzeit, dazu wurden die drei Schwestern mit ihren Männern auch geladen. Und auch der Vater des Prinzen, der seinen Sohn schon längst verloren glaubte, eilte, als er diese frohe Kunde erhielt, herbei, um ihn zu umarmen und ihm seine Krone zu schenken. So wurden der Prinz und die schöne Fiorita König und Königin über zwei mächtige Reiche und lebten von da an glücklich und zufrieden.
Aber die Hochzeit vermochte er nicht mit anzusehen, er stieg in den Garten hinab, um mit seiner Trauer allein zu sein, und siehe, in dem Augenblicke wo der Priester in der königlichen Kapelle die drei Paare segnete, fing der ganze Garten in den allerschönsten Blumen zu blühen an, und aus einer leichten Wolke kamen die Worte: »Beglückt, wer einen Kuß vom Munde der schönen Fiorita bekommt.« Der Königssohn bebte am ganzen Leibe, sodaß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Dann kam ihm aufs neue der Schmerz über die verlorenen Schwestern, er lehnte sein Haupt an einen Olivenbaum, weinte bitterlich und blieb lange Zeit in tiefe Gedanken versunken. Erst spät erwachte er aus seinem Traum und sprach: »Ich kann nicht länger bei meinem Vater bleiben. Ich will in die Welt hinaus und nicht eher Frieden haben, als bis ich den Kuß von den Lippen der schönen Fiorita bekommen habe.«
So wandert er dahin, wandert über Meer und Land, über Berge und Ebenen, doch fand er niemand, der ihm Kunde gäbe von der schönen Fiorita. So verflossen drei Jahre. Eines Tages, da er aus einem Walde trat, that sich vor ihm eine schöne Aue auf. Auf der Aue steht ein Palast, vor dem Palast ein Brunnen, und er geht darauf los, seinen Durst zu löschen. Ein Kind von zwei Jahren, das in der Nähe des Brunnens spielt, sieht ihn, fängt zu weinen an und ruft die Mutter. Die Mutter kommt, und kaum sieht sie den Jüngling, läuft sie ihm entgegen, umarmt und küßt ihn und schreit freudevoll: »Willkommen, mein Bruder! Willkommen! Kennst du deine Schwester nicht?« Er hatte sie anfangs nicht erkannt, wie er ihr aber näher ins Gesicht schaute, erkannte er sie wohl und rief: »Sei gegrüßt, o Schwester mein!« Das war ein rechtes Fest. Sie führte ihn zu ihrem Manne, und auch der war erfreut, ihn zu sehen. Alle drei küßten voll Liebe das Kind, welches bewirkt hatte, daß der Jüngling nicht fremd an dem Hause vorübergegangen war.
Hierauf verlangte den Prinzen, zu wissen, was aus den andern beiden Schwestern geworden, und er erfuhr, daß es ihnen wohl gehe und sie mit ihren Gatten ein prächtiges Leben führten. Der Prinz wunderte sich, der Schwager aber erzählte, daß das Glück bei ihnen eingekehrt sei, nachdem sie die Bezauberung eines Magiers erfahren. »Ist es möglich, meine beiden andern Schwestern zu sehen?« fragte der Prinz. Der andere antwortete: »Am zweiten Tage, so du immer gegen Sonnenaufgang wanderst, findest du die zweite, am dritten dann die dritte.« – »Aber ich muß den Weg finden, der mich zur schönen Fiorita führt, und wer sagt mir, ob der gegen Sonnenaufgang oder gegen Sonnenuntergang geht?« Der Schwager sagte: »Auch der geht gegen Sonnenaufgang, und doppelt glücklich wirst du sein, erst die Schwestern zu sehen und dann Kunde zu bekommen von der jüngsten über die schöne Fiorita. Ehe du jedoch abreisest, möchte ich dir ein Andenken geben. Nimm diese Schweinsborsten, sobald du in Gefahr bist und meinst, dich allein nicht retten zu können, wirf die Borsten auf den Boden und du rettest dich.« Der Prinz nahm die Borsten, dankte dem Schwager und machte sich auf den Weggen Sonnenaufgang.
So kam er andern Tages an den Palast der zweiten Schwester, auch hier war die Freude groß, und auch dieser Schwager gab ihm ein Angedenken. Wie er denn ein Jäger war, schenkte er ihm ein Büschel Vogelfedern, ihn anweisend, wie er sie zu brauchen habe. Er dankte und ging weiter. Am dritten Tage erreichte er die dritte Schwester. Sie empfing den Bruder, der sie immer mehr als die andern geliebt hatte, noch freundlicher als jene, herzte und küßte ihn, und so auch ihr Mann. Der schenkte ihm am Ende ein Todtenknöchlein, das er brauchen solle wie die andern Gaben, und das Schwesterchen vertraute ihm, daß die schöne Fiorita nur eine Tagereise entfernt wohne und er die sicherste Kunde über sie von einer Alten haben könne, der sie, die Schwester, manche Wohlthat erwiesen. Zu dieser Alten schickte sie ihn zunächst.
Als der Prinz den Ort erreichte, wo die schöne Fiorita, die auch eine Königstochter war, lebte, ging er stracks zu der Alten. Kaum wußte diese, daß er der Bruder jener war, die ihr so viel Gutes gethan, empfing sie ihn wie ihren eigenen Sohn. Zum Glück stand das Haus der Alten dem königlichen Schlosse gegenüber und sah gerade auf das Fenster, an dem sich die Schöne jeden Tag bei Sonnenaufgang zeigte. Wirklich erschien sie andern Tages in der Frühe am Fenster, kaum bedeckt von einem weißen Schleier. Als der Prinz diese Blume von Schönheit sah, wurde er so bewegt, daß er beinahe umgefallen wäre, wenn ihn die Alte nicht gehalten hätte. Doch beredete ihn diese, den Gedanken, die schöne Fiorita heirathen zu wollen, aufzugeben, indem sie sagte, der König wolle seine Tochter nur dem geben, der einen gewissen versteckten Ort errathe, und den, der dies nicht könne, tödte. Sie erzählte auch, wie viele Prinzen auf diese Weise schon das Leben verloren hätten. Es war aber alles vergebens, er antwortete, er werde sterben, wenn die schöne Fiorita nicht sein würde.
Da erfuhr er von der Alten, der König kaufe für seine Tochter die seltensten Musikinstrumente, und hierauf baute er seinen Plan. Er ging zu einem Cimbalfabrikanten und sagte: »Meister, ich möchte ein Cimbal, das drei Stücke spielt, jedes Stück einen Tag lang, und macht mir’s auf die Weise, daß sich ein Mensch drinnen verbergen kann. Ich bezahle dir tausend Dukaten dafür. Ist es fertig, so verberge ich mich darin, du gehst und läßt es vor dem Fenster des Königs spielen, kauft der es dann, so verkaufe es ihm unter dem Beding, daß du es jeden dritten Tag zum Stimmen abholen darfst.«
Dem Manne gefiel das Geschäft, er machte alles genau so, wie es der Prinz angeordnet hatte, ging mit dem Instrument vor den König, der kaufte es und nahm auch die Bedingung des Verkäufers an. Darauf ließ er es in das Schlafzimmer seiner Tochter tragen und sagte: »Sieh, mein Kind, dir soll es an keinem Vergnügen fehlen, nicht einmal, wenn du auf dem Bett liegst, ohne schlafen zu können.«
Neben der Schlafkammer der schönen Fiorita schliefen ihre Kammerfrauen. Als alle schliefen, kommt der Prinz aus dem Cimbal hervor, denn er hatte sich wirklich darin verborgen, und ruft leise: »Fiorita, schöne Fiorita.« Voll Schrecken erwacht sie, ruft ihre Frauen: »Kommt schnell herbei, es hat mich hier jemand gerufen.« Die Frauen laufen eilend herbei, finden aber niemand, denn schon war der Prinz in sein Versteck zurückgekehrt. Noch zweimal wiederholte sich dasselbe, die Frauen kommen, finden niemand, und endlich sagt die Prinzessin: »Es mag wol ein Traum sein. Sollte ich wieder rufen, so bleibt, wo ihr seid, ich befehle es euch.« Diese Worte hörte auch der Prinz, und kaum waren die Zofen fort und wieder eingeschlafen, näherte er sich dem Lager der Schönen und rief: »Schöne Fiorita, gib mir einen Kuß von deinem Munde, sonst sterb‘ ich.« Erschrocken und zitternd am ganzen Leibe rief sie nach den Zofen, die aber dachten an ihren Befehl und kamen nicht. Und sie sagte zum Prinzen: »Du bist der Glückliche und hast gesiegt. Komm her!« Und sie gab ihm den Kuß, und auf den Lippen des Prinzen blieb eine wunderschöne Rose zurück.
»Nimm diese Rose«, sagte sie, »trage sie auf dem Herzen, sie wird dir Glück bringen.« Das that der Prinz und erzählte seiner Schönen seine Geschichte von dem Tage an, da er das väterliche Haus verlassen, bis auf die List, die ihn in ihre Kammer gebracht hatte. Die schöne Fiorita freute sich seiner Kühnheit und sagte ihm, daß sie ihn wol zu ihrem Gemahl wolle, er aber, ehe dies sein könne, viele Schwierigkeiten zu überwinden habe, die ihm der König, ihr Vater, in den Weg legen werde. Da sei zuerst der Ort aufzufinden, wohin der König sie zusammen mit hundert andern Jungfräulein verstecke, alle in gleicher Weise gekleidet und verschleiert. »Ob dieser Aufgabe«, sagte sie, »mache dir jedoch keinen Kummer: die Rose, die du mir von den Lippen genommen und die du deshalb immer auf dem Herzen tragen mußt, wird dich mit Kraft des Magnets erst nach dem Versteck und dann in meine Arme führen. Der schwierigere Theil ist dir aufbehalten, doch da mußt du selbst zusehen, wie du dich herausziehst. Da walte unser gutes Glück!«
Sogleich ging nun der Prinz zum Könige und bat ihn um die Hand seiner Tochter. Er sagte sie ihm zu, wenn er seine Aufgaben vollbringe. Die Rose half ihm gar leicht über die erste hinweg: er fand die schöne Fiorita unter hundert Jungfräulein heraus. Damit war aber dem Könige nicht Genüge gethan. Er ließ den Jüngling in ein großes weites Gewölbe einschließen, das war voll Früchte, diese Früchte solle er in einem einzigen Tage essen, oder er werde den Kopf verlieren. Da fiel dem Jünglinge der Muth, zum Glück erinnerte er sich an die Schweinsborsten und an den Rath, den ihm der Schwager gegeben hatte. Er warf die Borsten auf die Erde, und siehe, da kamen eine Menge Schweine herbei, immer mehr und immer mehr, die fraßen die Früchte bis auf den letzten Stiel auf und verschwanden. So war auch das gethan.
Schon aber kam der König mit einer neuen Aufgabe hervor. Er verlangte, daß der Prinz die Prinzessin durch den allersüßesten Gesang der allerschönsten Vögel der Welt in Schlummer singen ließe. Da gedachte der Prinz der Federn, die ihm der Schwager Jäger gegeben, und wirft sie auf den Boden. Siehe, da flattern herbei die allerschönsten Vögel und fangen einen Gesang an so lieblich, daß auch der König in Schlaf fällt. Ein Diener jedoch, dem er vorher Befehl gegeben, mußte ihn sogleich wieder wecken, und nun sagte er zu dem Brautpaar: »Jetzt gehört ihr euch ganz in euerer Liebe; morgen früh aber will ich ein Kind von zwei Jahren bei euch finden, welches sprechen und euch bei Namen nennen kann, sonst müßt ihr doch noch sterben.«
Der Prinz und die Prinzessin gingen voll Trauer hinweg, doch tröstete sie der Prinz und sprach: »Laß uns zur Ruhe gehen, wer weiß, ob bis morgen nicht eine Hülfe erscheint!« In der Frühe erinnert er sich des Todtenknöchleins, das ihm der Todtengräber geschenkt. Er warf es vom Bett aus auf den Boden, und siehe, ein wunderschöner Knabe erschien, der hatte einen Goldapfel in der rechten Hand und rief sie: »Vater und Mutter!« Der König tritt in die Kammer, der Knabe geht ihm entgegen und legt ihm den Goldapfel in die Krone, die der König auf dem Kopfe hatte. Da küßte der König das Kind, segnete die Brautleute, und indem er die Krone abnahm, um sie dem Schwiegersohne aufzusetzen, sagte er: »Die ist jetzt dein!«
Nun bereitete man große Feste am Hofe für die Hochzeit, dazu wurden die drei Schwestern mit ihren Männern auch geladen. Und auch der Vater des Prinzen, der seinen Sohn schon längst verloren glaubte, eilte, als er diese frohe Kunde erhielt, herbei, um ihn zu umarmen und ihm seine Krone zu schenken. So wurden der Prinz und die schöne Fiorita König und Königin über zwei mächtige Reiche und lebten von da an glücklich und zufrieden.
[Italien: Waldemar Kaden: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen]