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Märchenbasar

Die Spinnerinnen

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Es war einmal eine Mutter, die hatte eine Tochter, und sie dachte nur daran, sie gut zu verheiraten. Sie ging zu einem Flachshändler, und bat ihn, ihr ein Bund Flachs zu verkaufen, damit ihre Tochter alles an einem Tage spönne. Sie trug den Flachs nach Hause und sagte ihrer Tochter: »Du mußt mir dieses Bündel Flachs noch heute spinnen, denn morgen hole ich mehr. Wenn ich nach Hause zurückkomme, will ich den ganzen Flachs gesponnen vorfinden.« Die Kleine setzte sich an die Tür und weinte, ohne zu wissen wie sie der Mutter gehorchen sollte. Da kam eine alte Frau vorbei: »Mein Fräulein, was habt ihr, daß ihr so weint?« »Was soll ich wohl haben! Meine Mutter will mit Gewalt, daß ich ihr an einem Tag ein Bund Flachs spinne, und ich kann nicht spinnen.« »Laßt gut sein, denn ich spinne Euch alles, wenn Ihr mir versprecht, mich am Tage Euer Hochzeit dreimal Tante zu nennen.«
Das Mädchen blickte in das Haus hinein und sah, daß der Flachs durchwühlt und ganz gesponnen war.
Am nächsten Tag ging die Mutter in das Geschäft, pries die Geschicklichkeit ihrer Tochter sehr und verlangte ein neues Bündel Flachs, damit sie es spönne. Die Kleine setzte sich an die Tür, weinte und hoffte, daß die Alte des Vortages vorüberkäme. Da kam eine andere: »Mein Fräulein, was habt Ihr, daß Ihr so weint?« Die Kleine erzählte ihr von den Aufträgen, die ihre Mutter ihr erteilt hatte. »Nun, wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr mich am Tage Eurer Hochzeit dreimal Eure Tante nennen werdet, so soll der Flachs gesponnen sein.« Die Kleine versprach dies, und als sie in das Haus hineinschaute, sah sie den Flachs geordnet und fertig gesponnen. Die Mutter ging ein neues Bündel Flachs holen, und es wiederholte sich derselbe Vorfall, bis eine dritte Alte vorüberkam, die ihr mit dem gleichen versprechen alles erledigte.
Der Kaufmann, der von jener Geschicklichkeit wußte, wollte das Mädchen sehen, fand, daß sie hübsch und klug war, und wollte sie heiraten. Die Mutter war darüber sehr froh, denn der Bräutigam war sehr reich. Der Kaufmann schickte ihr ein großes Geschenk mit vielen Spinnrocken und Spindeln, damit wenn sie heirateten, alle ihre Mägde spönnen. Am Tage der Hochzeit hielt man ein üppiges Mahl, an dem alle seine Freunde teilnahmen. Als sie bei Tisch saßen, klopfte eine alte Frau an die Tür: »Ach, wohnt hier wohl die Braut?« »Kommt herein, meine Tante, setzt Euch hierher, meine Tante, eßt etwas, meine Tante.« Alle waren verdutzt eine so bucklige Alte mit einer so großen Nase zu sehen. Aber sie schwiegen. Einige Augenblicke später klopfte es an die Tür, es war eine andere Alte. »Wohnt hier wohl die Braut, die heute geheiratet hat?« »Ja, meine Tante, kommt herein, meine Tante, eßt mit uns, meine Tante.« Die Alte setzte sich, und alle waren erstaunt über die gewaltige Verkrüppelung, die ihr Kinn aufwies. Aber man setzte das Mahl fort. Abermals klopfte es an die Tür. Es war wieder eine Alte, die dieselbe Frage stellte. »Tretet ein, meine Tante, wir haben hier auf Euch gewartet, meine Tante, Ihr müßt mit uns essen, meine Tante.« Auch diese Alte, die ganz bucklig und deren Rippen nach außen gekehrt waren, verursach- /warte kein geringeres Erstaunen. Aber diesmal fragten die Neugierigen und besonders der Bräutigam, warum jene Tanten so große Verkrüppelungen hätten. Da sagte die erste: »Ich habe eine solche Nase, weil ich sehr, sehr viel gesponnen habe, und die Grannen des Flachses haben mich so gemacht.« »Und ich, mein Neffe, habe ein solches Kinn, weil ich viel gesponnen habe, und durch das viele Kräuseln der bin ich so geworden.« »Nun, Neffe, ich habe diesen Buckel behalten, weil ich immer in einem Winkel saß mit dem Spinnrocken am Gürtel.« Sobald der Ehemann dies hörte, erhob er sich und packte die Rocken, Spindeln, Haspeln und Hecheln und warf alles auf die Straße hinaus, wobei er erklärte, daß in seinem Haus nie wieder gesponnen werden sollte, weil er nicht wollte, daß seiner Frau ähnliches Unglück zustieße.

[Portugal: T. Braga: Contos tradicionaes do povo portuguez]

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