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Die verspätete Frühlingsfee

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Die Frühlingsfee rieb sich gähnend die Augen. Sie hatte verschlafen. Schon vor Tagen sollte sie den Frühling einläuten. Doch was tat der Nordwind hier noch zu dieser Zeit? Er trieb dicke, graue Wolken über das Land und ließ Frau Holle eimerweise Schnee ausschütten.
Wütend stellte sie sich ihm entgegen und rief: „Was fällt dir denn ein? Bald ist Ostern. Sollen die Menschenkinder etwa im Schnee ihre Eier suchen? Alles hat seine Zeit! Deine ist vorbei! Jetzt bin ich dran!“ Sie blies ihm so viel warme Luft entgegen, dass er schnell das Weite suchte. Schließlich war er ja wirklich schon lange überfällig und machte deshalb auch keine Sperenzchen. Augenblicklich hörte es auf zu schneien und der Schnee begann zu schmelzen.
Nun begann die Frühlingsfee mit ihrer Arbeit. Zunächst rauschte sie mit ihrem warmen Lüftchen durch die Wipfel der Bäume, kletterte an den Zweigen herab bis hinunter in die untersten Laubschichten. Dort berührte sie mit ihren warmen Händen die kleinsten Äste. Als sie damit fertig war, rauschte sie in die Sträucher und schüttelte sie, so dass die Vöglein in den Nestern verwundert erwachten, bald schon ihre Schnäbelchen öffneten und fröhlich ihre Lieder anstimmten. Danach flog die Fee über die Felder. Die vom Winter erstarrten Erdschollen sahen verschlafen auf die Frühlingsfee und blinzelten in die Sonne am Himmel. Einige lagen ganz still, andere dehnten sich träge, gähnten und nickten wieder ein.
„Wacht auf!“, rief die Frühlingsfee. „Der Bauer kommt bald mit dem Pflug. Er wühlt euch von unten nach oben!“ Sie stimmte lauthals das Lied von den Bauern an, der im Märzen die Rösslein einspannt. Als sie auch noch alle Tiere und besonders die Langschläfer geweckt hatte, dachte sie an Meister Lampe, den Osterhasen. Sie beschloss, ihm einen Besuch abzustatten.
Auf dem Weg zu ihm sah sie ein Häslein, das sich in einer Baumhöhle versteckt hielt. „So klein und allein, ganz schön mutig!“, dachte die Frühlingsfee und flog unbekümmert weiter. Sie wollte Meister Lampe überraschen, deshalb schlich sie ohne ein Geräusch zu machen bis vor seinen Bau.
Da hörte sie ihn traurig murmeln:
„Oh, wir armen, viel geplagten,
ständig hin und her gejagten
Osterhasen aus dem Wald.
Malen uns die Pfoten bunt,
rennen uns die Haxen wund.
Und es ist noch bitterkalt.
Gibt es dies Jahr keinen Frühling,
werde ich …

Die Frühlingsfee schlüpfte, umgeben von milder Luft, in seine Behausung.
„Guten Tag, Meister Lampe. Dein Selbstgespräch klingt aber sehr traurig“, unterbrach sie sein das Gejammer. „Hast du Kummer?“
Der alte Hase saß dick vermummt in seiner Werkstatt und versuchte mit klammen Pfoten ein Ei zu bemalen. Seine drei Hasenkinder lagen in ihren Betten, die Zudecken bis über die Ohren gezogen.
Bei der unerwarteten Begrüßung fiel Meister Lampe vor Schreck der Pinsel aus der Hand und platschte in den roten Farbtopf, was einen lustigen Farbtupfer auf seiner Nase verursachte.
„Ach, du bist es, Frühlingsfee!Schön dich zu sehen! Du kommst wie gerufen! Ich habe große Sorgen. Die Eiermalerei geht mir in diesem Jahr nicht von der Pfote. Meine Frau ist bei ihrer kranken Mutter und Minchen, das kleinste meiner Kinder, hielt es vor Sehnsucht nicht länger aus, wollte zu ihr und ist nicht wiedergekommen. Sicher ist es schon erfroren oder der Fuchs hat es geholt!“ Zwei dicke Tränen kullerten aus seinen traurigen Augen.
„Bald ist Ostern und die Eierfarbe will auch nicht trocknen bei dieser Kälte hier drinnen. Puste mal bitte warme Luft, damit ich die Eierbemalung für die Kinder noch schaffe“, bat er die Fee.
„Mach ich doch gerne“, antwortete sie und pustete warme Frühlingsluft in den Raum, bis alle Eier schön trocken waren. Dann öffnete sie die Tür und ließ die Frühlingsluft herein. Meister Lampe freute sich, dass es doch endlich warm geworden war, zog seine warme Jacke aus und die Hasenkinder hüpften aus ihren Betten und tobten ausgelassen umher.
Bei dem fröhlichen Anblick fiel der Fee der kleine Hase in der Baumhöhle wieder ein. „Sollte das Minchen gewesen sein?“, überlegte die Fee und hatte es plötzlich sehr eilig. „Jetzt muss ich aber weiter! Eswird schon dunkel.“ Unterwegs plagte sie ein böser Gedanke. „Hoffentlich komme ich nicht zu spät. So ein zartes Häslein ist ein Leckerbissen für den hungrigen Fuchs.“
Von weitem schon hörte sie ängstliches Fiepen. Sie sah, wie der Fuchs sich Stück für Stück dem Häschen näherte. Gezielt landete sie auf seinem Rücken, zog ihn heftig an den Ohren, sprang herab und versetzte ihm einen derben Schlag mit ihrem spitzen Aufweckstab auf den Kopf. Dem so überraschten Fuchs stand das Fell zu Berge und er stob davon, als ob der Jäger selbst hinter ihm her wäre.
„Bist du Minchen? Eine von Meister Lampes Kindern?“, fragte die Fee das verängstigte Häufchen Fell in der Baumhöhle.
Das Häschen nickte und ließ seine Löffelchen hängen.
„Komm mit mir! Dein Papa sorgt sich um dich. Und deine Mama kommt bestimmt bald zurück“, sagte die Fee und führte das Hasenkind zurück in die Arme von Meister Lampe. Dort wurden ihm zuerst die Ohren langgezogen und danach wurde es ans Herz gedrückt.
Auf dem Weg zu ihrem Feenhäuschen kam sie noch in eine abgelegene Ecke. Dort lag ein Bienchen auf dem Rücken und zappelte hilflos mit den Beinchen. Schnell hauchte sie einen Grashalm zur Erde, die Biene packte zu, und flog kurz darauf vergnügt davon. Die Frühlingsfee hatte alles geweckt, was es zu wecken gab, dem Osterhasen geholfen die Eierbemalung zu trocknen und nebenbei auch noch zwei Leben gerettet. Sie fiel müde, glücklich und zufrieden in ihr Frühlingsfeenbett und träumte vom bevorstehenden sonnigen Osterfest.

 
Marianne Schaefer

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