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Märchenbasar

Die Wassernixe

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Es waren einmal vier Brüder, von denen die drei älteren vom Ackerbau lebten, der jüngste hütete die Schafe. Die vier Brüder vertrugen sich gut miteinander und hatten nur den einen Wunsch, in Ruhe und Frieden leben zu können.
Die drei älteren Brüder heirateten schnell nacheinander, der jüngste jedoch wollte keine Frau nehmen. Eines Tages weidete er seine Schafe in einem Tal, wo ihm das Gras bis an die Knie reichte. In der Mitte des Tales lag ein großer Weiher, in dem eine Wassernixe wohnte. Sie war die schönste Frau, die je ein Mensch erblickt hatte. Der Jüngste nun versteckte sich unbemerkt nahe dem Weiher hinter Büschen und betrachtete die Nixe, wie sie badete, sich in die Sonne legte und ihr langes Haar kämmte. Der Jüngling dachte bei sich: „Die und keine andere will ich zur Frau.“ Als das für ihn feststand, grübelte er Tag und Nacht darüber nach, wie er sie gewinnen könne.
Als seine Brüder ihn so traurig sahen, baten sie, er möge ihnen sagen, was er habe. Schließlich willigte er ein und erzählte ihnen, wie er die Nixe beobachtet hatte. Am Ende seiner Erzählung sagte er: „Liebe Brüder, niemand kann sich jener Schönen nähern, die ich zur Frau nehmen will. Denn sofort taucht sie im Wasser unter, und ist verschwunden. Aber
ich bin fest entschlossen, entweder ich bekomme sie, oder ich sterbe unvermählt.“ – „Sage nicht so etwas!“ ermahnte ihn der älteste Bruder. „Diese Frau ist eine Nixe, und nicht für vierhundert Säcke voller Geld kannst du sie berühren, geschweige denn heimführen.“ – „Und doch habe ich einen Plan“, entgegnete der Jüngste, „aber ihr müßt mir dabei helfen!“ – „Natürlich, Bruder!“ fielen die drei einstimmig ein, „wir helfen dir, so gut wir können. Nur fürchten wir, es wird übel ausgehen. Aber erzähle zuerst von deinem Plan.“ Der Jüngste erklärte den Brüdern nun folgendes. „Ich will am Ufer des Weihers ein schönes Hemd, das am Kragen und an den Ärmeln zugenäht ist, einen Spiegel, ein Stück Seife und einen Kamm niederlegen. In der Nähe des Weihers müssen vier Gruben ausgehoben werden, in denen wir uns verstecken können. Wenn dann die Nixe ans Land kommt, wird sie die Geschenke sehen und darüber nachdenken, wozu sie da sind. Wenn sie dann das Hemd mit den zugenähten Ärmeln anzieht, werden wir hinzuspringen und sie fangen.“ – „Das hast du dir gut ausgedacht“, lobten ihn die Brüder, „laßt uns den Plan so ausführen!“
Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, nahmen sie Spaten und Schaufeln und gingen zu dem Weiher. Das Hemd, den Spiegel, die Seife und den Kamm legten sie an jenen Platz, wo die Nixe immer in der Sonne ihr Haar kämmte. Dann hoben sie die vier Gruben aus und versteckten sich darin. Bei Tagesanbruch fielen die Sonnenstrahlen auf den Weiher und erwärmten das Wasser. Gegen Mittag erschien die Nixe an der Wasseroberfläche und schaute sich um, ob jemand in der Nähe wäre, dann kam sie ans Ufer, um sich zu kämmen. Sie hatte feine Kleider an, der Rock fiel in Falten an ihrer Gestalt herab. Kaum hatte sie sich hingesetzt, da fiel ihr Blick auf das Hemd und den Spiegel, auf die Seife und den Kamm. Sofort griff sie danach; dann badete sie, wusch sich mit der Seife und legte sich darauf in die Sonne. Als sie das Hemd anziehen wollte, mühte sie sich, den Kopf durch die Halsöffnung zu zwängen. Auch ihre Arme kamen nicht durch die Ärmel. Da stürzten sich die vier Brüder auf sie, fesselten sie und trugen die Überlistete mitsamt ihren Kleidern nach Hause.
Wohl oder übel mußte sich die Wassernixe fügen. Sie zog ihre eigenen Kleider aus und trug nun Kleider wie alle anderen Frauen, und nach einigen Tagen heiratete sie der jüngste Bruder. Sie verrichtete alle Arbeiten, ohne zu klagen, aber sie sprach nie ein Wort, worüber alle staunten. Nach einem Jahr schenkte sie ihrem Mann einen gesunden und schönen Sohn, der das Herz aller erfreute. Aber auch jetzt sprach die junge Mutter kein einziges Wort. Vergebens bemühte sich ihr Mann, sie zum Reden zu bringen. Da nahm er eines Tages sein Schwert, ging auf die Frau zu und rief: „Wenn du jetzt nicht sprichst, schlage ich den Sohn den Kopf ab!“ Da schließlich bat ihn die Wassernixe voller Entsetzen: „Schlag ihm nicht den Kopf ab, bitte!` Als er sie endlich sprechen hörte, freute er sich darüber, und auch die anderen freuten sich mit ihm. Aber die Nixe sagte: „Nur noch vier Tage sollte ich stumm bleiben, dann hätte ich aus dem Weiher all meine Schätze bekommen, die ich besaß, als ich noch im Wasser wohnte. Doch nun hast du mich gezwungen, vor der Zeit zu sprechen, darum ist alles verloren; die Schätze werden niemals euer Eigentum werden.“ – „Das tut mir leid“, erwiderte der Mann, „aber da wir gesund sind, werden wir von dem leben, was wir haben.“
Die vier Brüder hatten die Nixe immer gut bewacht, damit sie nicht entfliehen konnte. Als sie den Sohn geboren hatte, bewachten, sie sie nicht mehr so, streng, da sie glaubten, sie würde nun nicht mehr weggehen wollen. Das bemerkte die Nixe, und eines Tages fragte sie ihren Mann: „Lieber Mann, wo hebst du denn meine Kleider auf, die ich immer trug, als ich noch im Weiher lebte?“ – „Warum fragst du danach?“ forschte ihr Mann, „wozu brauchst du sie denn?“ – „Zu nichts“, log die junge Frau, „ich habe nur gerade daran gedacht.“ Arglos zeigte ihr der Mann die Truhe, in der er die Kleider verschlossen hielt. Als er an seine Arbeit gegangen war und die Nixe allein und unbeobachtet war, nahm sie ihre alten Kleider aus der Truhe, zog sie an, lief zum Weiher, sprang hinein und war für immer verschwunden.

Quelle:
(Die Schöne der Erde – Albanische Märchen und Sagen)

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