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Drei Unwahrheiten

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Ob es nun so war oder nicht, ob man satt oder hungrig war, aber der Wolf war Offizier, der Fuchs Kosakenhauptmann, der Gänserich Trompeter, der Enterich Flötenbläser, der Rabe Quacksalber, und der Spatz verbreitete Klatschereien. In fernen Zeiten lebte ein Padischah, der eine heiratsfähige Tochter hatte. Aus vielen Ländern kamen Söhne von Schahs und Khanen und freiten um sie, aber die Prinzessin wollte keinen. Schließlich rief der Padischah seine Tochter und sprach: „O Licht meiner Augen! Alle Schahs habe ich wissen lassen, dass ich einen Mann für dich suche, und so viele kühne Dshigiten kommen her, du aber weist sie alle ab. Was ist der Grund?“ – „Mein Vater“, antwortete die Tochter. „Ich werde nur dem mein Jawort geben, der sich drei Unwahrheiten mit je vierzig Fabeln ausdenkt und sie artig zu erzählen weiß.“ Da sandte der Padischah seine Herolde aus und ließ verkünden: „Wer in drei Unwahrheiten je vierzig Fabeln zu erdenken weiß, bekommt meine Tochter zur Frau!“ Von überall meldeten sich Freier und begannen Unwahrheiten auszudenken. Der Padischah rief alle Weisen des Landes zusammen und gab bekannt: „Wenn irgendwer in drei Unwahrheiten je vierzig Fabeln erzählt und das wirklich Lügen sind, dann sagt, dass es Lügen sind, wenn es aber wahr ist, dann sagt, es ist wahr. Wenn ihr hingegen die Wahrheit eine Lüge nennt, dann lasse ich euch die Köpfe abschlagen und eure Habe plündern.“ Jeder Freier erzählte seine erdachten Fabeln, und sooft der Padischah seine Weisen befragte: „Ist es Lüge oder Wahrheit?“, gaben sie zur Antwort: „So etwas kommt vor.“ Viele Schahs und Prinzen kamen und mussten unverrichteterdinge davon reiten.
In dieser Stadt lebte aber ein armer junger Mann. Eines Tages sammelte er in den Bergen Fallholz, da hörte er die Herolde ausrufen: „Wer in drei Unwahrheiten je vierzig Fabeln erdenkt, bekommt die Tochter des Padischahs zur Frau!“ – „Oho!“ rief der Jüngling. „Darüber ließe sich reden!“ Und er begab sich zum Palast. „He, du stinkender Bettler, du Haderlump, was willst du hier?“ herrschten ihn die Wächter an und ließen ihn nicht über die Schwelle. „Ich komme mit einer Bitte zum Padischah“, versetzte der Jüngling. „Was für eine Bitte kann denn ein Bettler haben? Mach, dass du wegkommst, und steh hier nicht herum!“ – „Ich wollte doch mitteilen, dass mein Herr zweihundert Schafe hat, die er dem Padischah als Steuer abgeben soll“, antwortete der Jüngling, wobei er ehrerbietig die Arme kreuzte. Sofort lief einer der Wächter zum Padischah und meldete: „Erhabener Schah, draußen steht ein Bettler und sagt, sein Herr habe zweihundert Schafe für Euch.“ Da freute sich der Schah: „Ruf mir den Mann her!“ Sie ließen den Jüngling ein, und der Padischah fragte, wobei er sich die Hände rieb: „He, Sklave, wo sind deine Schafe?“
Da begann der Jüngling zu erzählen: „Oh, mächtigster aller Gebieter, erlaubt mir, ein Wort zu sagen. Ich bin eine arme Waise und habe nichts. Ich war der einzige Sohn meines Vaters. Meine Brüder sind gestorben, aber wir drei blieben am Leben. Wir drei Brüder haben uns nie gesehen und nicht gekannt. Plötzlich haben wir einander gefunden und begrüßt. Da sehe ich, dass der eine von uns am Chalat keinen Kragen hat, der andere keine Ärmel und der dritte keine Vorderteile. Wie der Blinde den Blinden im Dunkeln findet, so haben wir drei uns gefunden, sind Freunde geworden, haben uns auf den Weg gemacht, ohne den Weg zu betreten oder über den Wegrand zu schreiten. Auf der Erde sahen wir drei Geldscheine liegen: zwei ganz abgegriffene und einen ohne Aufdruck. Wir nahmen den Geldschein ohne Aufdruck und zogen weiter. So schritten wir lange, lange Zeit. Dann kamen wir in eine Schlucht und sahen in einem Bach drei Gründlinge liegen. Zwei waren erstickt, und einer war tot. Wir nahmen den toten Gründling und legten ihn in das Vorderteil von meines Bruders Chalat, der ohne Vorderteil war. So schritten wir weiter und sahen vor uns drei Häuser, zwei ungedeckte und eines ganz ohne Dach. Wir betraten das Haus ohne Dach und sahen dort drei Kessel, zwei voller Löcher und einen ohne Boden. Wir nahmen den toten Gründling, taten ihn in den Kessel ohne Boden und gossen Wasser hinein, um ihn zu kochen. Wir suchten Reisig, konnten aber kein Zweiglein finden, darum kochten wir den Gründling ohne Feuer. Wir sparten nicht mit Glut: die Gräten verkochten ganz und gar, aber das Fleisch blieb roh. Wir drei aßen uns so voll, bis nichts mehr in unsere Bäuche ging. Wir wollten hinausgehen, passten aber nicht mehr durch die Tür. Da fanden wir in der Wand eine Ritze, verließen das Haus durch sie und machten uns auf den Weg.
Lange sind wir dahin gezogen, bis wir in die Steppe kamen. Dort sahen wir im Grase das Junge eines ungeborenen Hasen. Wir nahmen den ungebrochenen Zweig einer nicht gepflanzten Pappel, schnitten daraus einen Knüppel und schlugen mit ihm nach dem Häschen. Es machte drei Purzelbäume und fiel hin. Wir fingen es ein und schlachteten es. Von dem Häschen erhielten wir sechs Pud Fleisch. Das Fleisch kochten wir nicht und dörrten es auch nicht, sondern aßen alles sofort auf, wurden aber nicht satt. Meine beiden älteren Brüder ärgerten sich, zankten sich mit mir und gingen davon. ‚Nun gehört das Fett mir!‘ dachte ich zufrieden. Ich zog meine Stiefel aus und begann sie mit dem Fett einzuschmieren. Alle sechs Pud Fett habe ich für einen Stiefel verbraucht, für den anderen reichte es nicht. Ich war sehr müde geworden und schlief ein. Plötzlich hörte ich Lärm und Getöse. Ich fuhr hoch und sah, dass sich mein eingefetteter Stiefel mit dem ungeschmierten raufte. Ich schlug mit der Faust nach beiden Stiefeln, legte mich wieder hin und schlief ein. Mitten in der Nacht wachte ich durchfroren auf, denn mein geschmierter Stiefel hatte mir den Chalat, der mich zudeckte, heruntergerissen, ihn ausgebreitet, sich damit zugedeckt und schlief. Der ungeschmierte Stiefel war böse geworden und davongelaufen. Da weckte ich den eingefetteten Stiefel und zog ihn an. Ich steckte das Vorderteil des Chalats, der kein Vorderteil hatte, hinter den Gürtel und ging nach Hause. Als ich mich auf den Weg gemacht hatte, war meine alte Mutter mit dem Hahn daheim zurückgeblieben. Jetzt, als ich zurückkam, waren weder meine Mutter noch der Hahn mehr da. Auch den zweiten Stiefel sah ich nicht. ‚Was ist das für ein Unglück? Wo werde ich sie finden?‘ dachte ich betroffen. Darum bin ich zu Euren Gemächern gekommen. Ich wollte meine Klage vorbringen, aber am Tor standen Eure Diener und wollten mich nicht einlassen.“ Der Jüngling senkte den Kopf und verstummte.
Der Padischah wunderte sich über diese Worte und sah seine Weisen an. Diese erhoben sich und verneigten sich tief vor ihrem Gebieter. „O mächtiger Padischah! Alles, was dieser Hundesohn erzählte, ist gelogen. So wird er auch von den Schafen seines Herrn sagen, dass er sie verloren hat.“ Da brüllte der Padischah: „Wo sind die Schafe? Gib Antwort!“ – „Erlaubt mir noch ein Wort zu sagen, großmächtiger Schah! Als Eure Türhüter mich nicht zu Euch ließen, verlor ich allen Mut und machte mich auf die Suche nach meiner alten Mutter, unserem Hahn und meinem zweiten Stiefel. So irrte ich lange umher, bis ich in ein Kischlak kam. Ich fragte die Leute aus und fand meinen Hahn. Er pflügte das Feld eines Beis. Wir umarmten und begrüßten uns. In den sechs Monaten hatte der Hahn nicht mehr als eine Sacknadel verdient, und auch die behielt sein Brotherr. Ich schalt den Bei aus, stritt mit ihm und zwang ihn, die Nadel herauszugeben. ‚Komm doch mit mir!‘ sagte ich zu meinem Hahn. Er aber erwiderte: ‚Nein, ich habe mich für sechs Monate verdungen, von denen drei bereits verstrichen sind. Wenn ich meine Frist abgedient habe, bekomme ich meinen Lohn und kehre zu dir zurück.‘ Ich nahm die Nadel, verabschiedete mich vom Hahn und wanderte nach Hause. Unser Haus war aber verschwunden, als sei es in die Erde versunken. Da wurde mir ganz traurig zumute. Ich ging auf die Suche nach meiner alten Mutter und meinem zweiten Stiefel. Ich bestieg ein Hügelchen und hielt Umschau – nichts zu sehen. Dann erstieg ich einen hohen Hügel und hielt Umschau – wieder nichts zu sehen. Ich stieg wieder hinab, bohrte die Nadel in den Boden, stieg auf sie und sah mich nach allen Seiten um.
Plötzlich erblickte ich meine alte Mutter, die am Ufer des Syrdarja Wäsche wusch. Ich nahm die Nadel und ging zu ihr. Wie viele Berge und Hügel musste ich übersteigen, bis ich bei ihr anlangte! Ich erfuhr, dass sie, nachdem sie mich verloren hatte, als Dienerin in ein fremdes Haus gegangen war. ‚Komm mit mir!‘ sagte ich zu ihr. Sie aber antwortete: ‚Ich gehe nicht weg, bevor ich mein verdientes Geld erhalten habe. Was ich in den drei Jahren Arbeit verdient habe, reicht mir für drei Monate zum Leben. Du geh, ich habe nur noch drei Monate abzuarbeiten, dann komme ich nach.‘ Ich krempelte das Vorderteil meines Chalats, der kein Vorderteil hatte, hoch, schlug mich an die Stirn, machte kehrt und ging davon. Ich legte ein kurzes Stück meines Wegs zurück, aber der Fluss war über seine Ufer getreten und hatte die Brücke weggerissen. Es waren heiße Tage, und der Durst quälte mich. Ich wollte Wasser trinken, aber der Fluss war zugefroren. Da wollte ich das Eis aufhacken, konnte auf dem steinigen Boden aber keinen einzigen Stein finden, darum schlug ich mit meinem Kopf ein Loch in das Eis. Ich steckte den Kopf hinein, trank mich satt und ging weiter. Unterwegs fiel mir die Nadel ein. Ich kehrte zum Ufer zurück, aber meine Nadel war nicht mehr da. ‚Sogar die habe ich eingebüßt!‘ dachte ich betrübt und wanderte zu meiner Mutter. Die drei Monate ihrer verbliebenen Frist waren schon zu Ende. Als sie aber um ihren Lohn bat, schrie ihr Brotherr sie an: ‚Was? Lohn willst du auch noch?‘ Und er stieß sie so heftig, dass sie tot umfiel. ‚Was ist das für ein trostloses Leben?‘ dachte ich verzweifelt. Gleich begab ich mich zu Euren Gemächern, erhabener Schah, um meine Beschwerde vorzutragen, doch ich wurde nicht eingelassen.“ Der arme Jüngling verstummte und senkte sein Haupt.
Der Padischah wunderte sich noch mehr und sah seine Ratgeber an. Da erhob sich der Weiseste der Weisen und verneigte sich tief vor dem Padischah: „Erhabener Padischah, glaubt diesem Sohn einer Hündin kein Wort, sondern verlangt die Schafe! Dieser Haderlump lügt. Er wird noch sagen, man habe ihm die Schafe gestohlen.“ Da begann der Arme ein drittes Mal: „Oh, großer Schah, erlaubt mir, ein Wort zu sagen! Als ich nicht in den Palast gelassen wurde, entschloss ich mich, mir selbst mein Recht zu verschaffen, und ging zu dem Herrn, der meine alte Mutter totgeschlagen hat. ‚Gib den Lohn der alten Frau heraus und zahle für das Blut der Erschlagenen!‘ schrie ich ihn an, packte ihn am Kragen und schleppte ihn auf die Straße hinaus. Das Volk lief zusammen und entschied den Streit zu meinen Gunsten. Darum gab der Herr mir einen Esel. Ich setzte mich auf ihn und ritt nach Hause. Wie ich so dahin ritt, sah ich auf der Straße vierzig Karawanen einher ziehen. Ein Karawanenführer rief mir zu: ‚He, dein Esel hat sich den Rücken wund gerieben! Steig ab und rück die Schweißdecke zurecht!‘ Ich stieg ab und sah, dass der Esel auf dem Rücken eine Wunde hatte. ‚Welch ein Kraut hilft dagegen? fragte ich den Karawanenführer, und er sagte: ‚Verbrenne diese Nuss und streue die Asche auf die Wunde, dann wird sie verheilen.‘ Ich tat, wie mir geheißen. Eben wollte ich ihm die Schweißdecke auflegen, da sah ich aus der Wunde einen grünen Nußbaumtrieb hervor wachsen. Im Nu war er groß geworden und blühte. Eh ich mich’s versah, waren die Nüsse reif. ‚Was mache ich nun?‘ dachte ich. ‚Wenn ich auf den Baum klettere und ihn schüttele, breche ich dem Esel das Rückgrat. Besser, ich schlage die Nüsse mit Steinen herab.‘
Ich führte den Esel auf ein Feld, wo es keine Steine gab, krempelte die Ärmel hoch und warf Steine nach den Nüssen. Kein einziger Stein kam zurück, und keine einzige Nuss fiel herab. Unermüdlich warf ich Stein um Stein, bis ich keine mehr finden konnte. ‚Da ist nichts zu machen, ich muss selbst hinaufklettern!‘ entschied ich. Ich erkletterte den Nussbaum und sah dort ein ganzes Melonenfeld, an dessen Rande Wasser in einem Aryk dahin floß. ‚Ja, da muss man Melonen säen!‘ dachte ich und steckte Melonenkerne in den Boden. Es wuchsen so riesige Melonen, dass man sie nicht umfassen konnte. Ich setzte mich ans Ufer des Aryks. Kaum hatte ich eine Melone mit der Messerspitze berührt, platzte sie auf, und das Messer fiel in die Melone hinein. Ich bückte mich, um es herauszuholen, und fiel selbst hinein. Während ich dort mein Messer suchte, begegnete ich einem Mann und fragte ihn: ‚Habt ihr unterwegs kein Messer gesehen, Ehrenwerter?‘ – ‚Ihr sucht nur ein Messer?‘ fragte der Alte. ‚Wir waren vierzig Karawanen, und jede hatte vierzig Kamele. Alle sind verloren gegangen, und ich kann niemanden finden.‘ Darum, erhabener Padischah, kam ich zu Euren Gemächern, um von diesem Unglück zu erzählen.“ Der Arme verstummte und senkte bescheiden sein Haupt.
Der Padischah versank in Nachdenken. Da erhob sich einer der Weisen und machte eine tiefe Verbeugung. „Oh, großer Schah!“ begann er. „Lasst diesem Sohn einer Hündin ein paar Münzen geben und ihn hinausbefördern!“ Doch die Tochter des Padischahs hatte hinter der Tür gestanden und alles gehört. Sie kam herein gelaufen und wandte sich an ihren Vater: „Er hat meine drei Bedingungen erfüllt. Es macht nichts, dass er arm ist. Ich bin bereit, seine Frau zu werden.“ Da verneigte sich der Arme vor dem Padischah. „O erhabener Schach! In den Bergen habe ich schon viele Jahre die Herde meines Brotherrn gehütet. Mein Herr schuldet mir schon zweihundert Schafe. Er hat mir diese Schafe nicht gegeben und mich davongejagt. Verlangt diese Schafe von meinem Herrn! Sie werden mein Geschenk zur Hochzeit sein!“ Der Padischah veranstaltete ein herrliches Festmahl und gab dem Armen seine Tochter zur Frau. Wir selbst waren dort, haben uns mit Pilaw voll gegessen, dass sogar unser Bart von Fett glänzte.

Quelle:
(Usbekistan)

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