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Es lebte einmal ein armer Käthner, den Gott mit Kindern reichlicher gesegnet hatte, als mit Brot. Töchter und Söhne wuchsen den Eltern zur Freude auf, und verdienten sich meist schon ihr Stück Brot bei Fremden – nur aus einem Sohne wollte nichts Rechtes werden. Ob der Bursche von Natur einfältig war, oder ob sonst ein Gebreste ihn drückte, oder ob er träges Blut unter den Nägeln hatte, das konnte Niemand mit Sicherheit sagen. Aber daß er faul und lotterig war und zu keinerlei Geschäft taugte, das mußten seine Eltern sowohl wie das ganze Dorf eingestehen. Es halfen auch weder gute Worte noch Ruthenstreiche, vielmehr wuchs die Faulheit des Burschen, je älter er wurde. Im Winter hinter dem Ofen liegen und im Sommer unter einem Busche schlafen, war sein Haupt-Tagewerk, dazwischen pfiff er oder blies die Weidenflöte, daß es eine Lust war anzuhören. So saß er eines Tages wieder hinter einem Busche und blies mit den Vögeln um die Wette, als ein fremder alter Mann des Weges daher kam. Er fragte mit freundlicher Stimme: »Sage mir, Söhnchen! was für ein Gewerbe möchtest du denn einst treiben?« Der Bursche erwiederte: »Das Gewerbe wäre meine geringste Sorge, könnte ich nur ein reicher Mann werden, daß ich nicht nöthig hätte zu arbeiten, und unter anderer Leute Zuchtruthe zu stehen.« Der alte Mann lachte und sagte: »Der Plan wäre gar nicht übel, aber ich sehe nicht ein, woher dir Reichthum kommen soll, wenn du gar nicht arbeiten willst? Läuft doch die Maus einer schlafenden Katze nicht in den Rachen. Wer Geld und Gut erwerben will, der muß seine Glieder rühren, arbeiteten und sich Mühe geben, sonst« – Der Bursche fiel ihm in die Rede und bat: »Lassen wir diese Reden! das habe ich schon viele hundert Mal gehört, und es kommt mir vor, wie wenn man Wasser auf die Gans gießen wollte, denn aus mir kann doch nimmer ein Arbeiter werden.« Der alte Mann erwiederte milde: »Der Schöpfer hat dir eine Gabe verliehen, mit welcher du leicht das tägliche Brot und noch ein Stück Geld dazu verdienen könntest, wenn du dich auf’s Dudelsackpfeifen legen würdest. Verschaffe dir einen guten Dudelsack, blase ihn eben so geschickt wie jetzt die Weidenflöte, und du findest Brot und Geld überall, wo fröhliche Menschen wohnen.« »Aber woher soll ich den Dudelsack nehmen?« fragte der junge Bursche. Der Alte erwiederte: »Verdiene dir Geld und kaufe dir dann einen Dudelsack. Für den Anfang kannst du die Weidenflöte blasen und auf dem Blatte pfeifen, auf beiden bist du schon ein kleiner Meister! Ich hoffe auch künftig noch mit dir zusammen zu treffen, dann wollen wir sehen, ob du meinen Rath benutzt hast, und welcher Gewinn dir aus meiner Belehrung erwachsen ist.« Damit trennte er sich von dem Burschen und ging seines Weges. Tiidu – so hieß der Bursche – begann über des alten Mannes Rede nachzudenken, und je länger er sann, desto mehr mußte er dem Alten Recht geben. Er entschloß sich, den von dem Alten angegebenen Weg zum Glücke einzuschlagen; allein er verrieth Niemanden ein Wort von seinem Vorhaben, sondern ging eines Morgens vom Hause und – kam nicht wieder. Den Eltern machte sein Scheiden keinen Kummer, der Vater dankte noch seinem Geschicke, daß er den faulen Sohn los geworden war, und hoffte, daß die Welt mit der Zeit dem Tiidu die faule Haut abstreifen und die Noth ihn zum ordentlichen Menschen erziehen würde.
Tiidu strich einige Wochen von Dorf zu Dorf und von Gut zu Gut umher; überall nahmen die Leute ihn freundlich auf, und hörten gern zu, wenn er seine Weidenflöte blies, gaben ihm zu essen, und schenkten ihm auch manchmal einige Kopeken. Diese Kopeken sammelte der Bursche sorgfältig, bis er endlich soviel beisammen hatte, um sich einen guten Dudelsack kaufen zu können. Jetzt fing sein Glück an zu blühen, denn weit und breit war kein Dudelsackpfeifer zu finden, der so kunstgerecht und so taktmäßig zu blasen verstand. Tiidu’s Dudelsack setzte alle Beine in Bewegung. Wo nur eine Hochzeit, ein Ernteschmaus, oder eine andere Lustbarkeit begangen wurde, da durfte der Dudelsack-Tiidu nicht mehr fehlen. Nach einigen Jahren war er ein so berühmter Dudelsackpfeifer geworden, daß man ihn wie einen Zauberkundigen von einem Orte zum andern, oft viele Meilen weit, kommen ließ. So blies er einst auf einem Gute beim Ernteschmaus, wozu auch viele Gutsherren aus der Umgegend gekommen waren, um die Belustigung des Volkes mit anzusehen. Alle mußten einmüthig bekennen, daß ihnen in ihrem Leben noch kein geschickterer Dudelsackpfeifer vorgekommen war. Ein Gutsherr nach dem andern lud den Dudelsack-Tiidu zu sich, dann mußte er die Herrschaft durch sein Spiel ergötzen und erhielt dafür gute Kost und gutes Getränk, dazu noch Geld und mancherlei Geschenke. Einer der reichen Herren ließ ihn von Kopf zu Fuß neu kleiden, ein anderer schenkte ihm einen schönen Dudelsack mit messingener Röhre. Die Fräulein banden ihm seidene Bänder an den Hut, und die Frauen strickten ihm bunte Handschuhe. Jeder Andere wäre an Tiidu’s Stelle mit diesem Glücke sehr zufrieden gewesen, aber seine Sehnsucht nach Reichthum ließ ihm keine Ruhe, sondern trieb ihn wie mit einer Feuergeißel immer weiter. Je mehr er einsah, daß der Dudelsack allein ihn nicht zum reichen Manne machen könne, desto stärker wurde seine Geldgier. Erzählungen, die im Munde des Volkes lebten, wußten viel zu berichten von dem Reichthume des Landes Kungla,1 und Tiidu konnte das Tag und Nacht nicht aus dem Kopfe bringen. Wenn ich nur hinkommen könnte, dachte er, so wurde ich schon den Weg zum Reichthum finden. Er wanderte nun am Strande hin, um vielleicht durch einen glücklichen Zufall ein Schiff oder ein Segelboot zu finden, das ihn über die See brächte. Endlich kam er in die Stadt Narwa, wo gerade viele fremde Kauffahrer im Hafen lagen. Einer derselben sollte nach einigen Tagen nach Land Kungla absegeln, und Tiidu suchte den Schiffer auf. Dieser wollte ihn mitnehmen, aber der geforderte Preis war dem kargen Dudelsackpfeifer zu hoch. Er suchte sich nun durch seinen Dudelsack bei dem Schiffsvolke einzuschmeicheln, und hoffte dadurch die Kosten der Fahrt zu verringern. Das Glück wollte, daß er einen jungen Matrosen fand, der ihm versprach, ihn heimlich hinter dem Rücken des Schiffers auf’s Schiff zu bringen. In der letzten Nacht vor dem Abgange des Schiffes brachte der Matrose wirklich den Tiidu auf’s Schiff und versteckte ihn in einem dunkeln Winkel zwischen Fässern, brachte ihm auch, ohne daß die Andern es merkten, Speise und Trank dahin, damit er in seinem Schlupfwinkel nicht Hunger leide. In der folgenden Nacht, als das Schiff schon auf hoher See war, und Tiidu’s Freund auf dem Verdeck allein Wache hielt, holte er ihn aus seinem Schlupfwinkel hervor, band ihm ein Tau um den Leib, befestigte das andere Ende des Taues am Schiffe und sagte: »Ich werde dich jetzt an dem Taue in’s Meer lassen, und wenn man dir zu Hülfe eilt, so mußt du das Tau von deinem Leibe losschneiden und ihnen weiß machen, du seiest vom Hafen her dem Schiffe nachgeschwommen.« Obwohl dem Tiidu ein wenig bange wurde, hoffte er doch mit Hülfe des Taues sich eine Zeit lang über Wasser zu halten, da er ein guter Schwimmer war. Sobald er in’s Wasser gelassen worden, weckte sein Freund die anderen Matrosen und zeigte ihnen die menschliche Gestalt, die schwimmend dem Schiffe folgte. Die Leute sperrten Mund und Augen auf, als sie das seltsame Abenteuer erblickten, und weckten auch den Schiffer, damit er sich die Sache ansehe. Dieser schlug dreimal das Kreuz und fragte dann den Schwimmer: »Bekenne wahrhaft, wer du bist, ein Geist oder ein sterblicher Mensch?« Der Schwimmer antwortete: »Ein armer sterblicher Mensch, dessen Kraft bald erschöpft sein wird, wenn ihr euch seiner nicht erbarmt.« Der Schiffer ließ nun ein Tau in’s Meer werfen, um den Schwimmenden daran heraufzuziehen. Als Tiidu das Ende des Taues gefaßt hatte, schnitt er erst mit einem Messer das um seinen Leib geschlungene Tau entzwei und bat sodann, man möge ihn heraufziehen. Als es geschehen war, fragte ihn der Schiffer: »Sage, woher du kommst und wie du bis hierher gelangtest.« Dudelsack-Tiidu erwiederte: »Ich schwamm eurem Schiffe nach, als ihr aus dem Hafen abfuhrt, und hielt mich von Zeit zu Zeit, wenn die Kraft mir auszugehen drohte, am Steuer fest. So hoffte ich nach Land Kungla zu kommen, weil ich nicht so viel Geld hatte, als ihr für die Ueberfahrt verlangtet.« Des Jünglings wunderbare Kühnheit rührte des Schiffer’s Herz, und freundlich sagte er: »Danke dem himmlischen Vater, der dein Leben so wunderbar beschützt hat! Ich will dich unentgeltlich nach Kungla bringen.« Dann befahl er, dem Tiidu trockene Kleider anzuziehen, und ihn in der Schiffskajüte zu betten, damit er sich von der Anstrengung der langen Schwimmfahrt erhole. Tiidu aber und sein Freund waren froh, daß ihre List so glücklich abgelaufen war.
Am andern Morgen sah das Schiffsvolk auf den Tiidu wie auf ein Wunder, da er eine Strecke geschwommen war, wie es Keiner für möglich gehalten. Weiterhin machte ihnen sein schönes Dudelsackspiel große Freude, und der Schiffer gestand mehr als einmal, daß er noch nie einen so herrlichen Dudelsack gehört habe. Als das Schiff nach einigen Tagen in Land Kungla vor Anker gegangen war, verbreitete sich durch der Schiffsleute Mund mit Windesschnelle die Kunde von dem melodischen Fisch, den sie im Meere gefangen, und der Nacht und Tag dem Schiffe nachgeschwommen wäre. Natürlich durften Tiidu und sein Freund dieser Erzählung nicht widersprechen, da sie sich sonst selber in Gefahr gebracht hätten. Die wunderbare Mär verschaffte dem Tiidu an der fremden Küste viele Freunde, weil Jeder die wunderbare Schwimmfahrt aus seinem eigenen Munde hören wollte. Da mußte denn der Bursche aus der Noth eine Tugend machen, und den Leuten vorlügen, daß es puffte. Es wurde ihm mehr als ein Dienst angeboten, allein er lehnte alle ab, weil er fürchtete, als Lügner dazustehen, sobald sein Herr eine Probe seiner Schwimmkunst zu sehen wünschte. Lieber wollte er gerades Wegs in die Königsstadt gehen, wo weder er noch seine Schwimmkraft bekannt war, dort hoffte er am leichtesten einen Dienst zu finden, der ihn zum reichen Manne machte. Als er nach einigen Tagen ankam, schwindelte ihm der Kopf bei dem Anblicke der Pracht und Herrlichkeit, die überall verbreitet waren. Für zwei Augen war es schlechterdings unmöglich, das Alles ordentlich zu betrachten, dazu hätte er einiger Dutzend Augen bedurft. Je mehr er sich in die Anschauung dieses Glanzes und Reichthums vertiefte, desto kläglicher kam ihm seine eigene Armuth vor. Noch unerträglicher war es ihm, daß keiner von den stolzen Leuten seiner achtete, sondern daß man ihn wie einen Lump aus dem Wege stieß, als hätte er gar nicht das Recht, sich in den Strahlen von Gottes Sonne zu wärmen. – Seinen Dudelsack wagte er gar nicht sehen zu lassen, denn er dachte mit Zagen: wer von diesen stolzen Leuten wird auf meinen armen Dudelsack hören! – So irrte er viele Tage in den Straßen der Stadt umher und trachtete nach einem Dienste, fand aber keinen, bei dem er hoffen konnte, in kurzer Zeit reich zu werden. Endlich, als er schon die Flügel hängen ließ, fand er einen Dienst im Hause eines reichen Kaufmannes, dessen Koch gerade einen Küchenjungen brauchte. Hier konnte nun Tiidu den Reichthum von Land Kungla gründlich kennen lernen, der in der That größer war, als man sich vorstellen konnte. Alle Geräthe für’s tägliche Leben, die bei uns zu Lande aus Eisen, Kupfer, Zinn, Holz oder Lehm verfertigt werden, waren hier von reinem Silber oder Gold; in silbernen Grapen wurden die Speisen gekocht, in silbernen Pfannen wurden die Kuchen gebacken, und in goldenen Schalen und goldenen Schüsseln wurde aufgetragen. Selbst die Schweine fraßen nicht aus Trögen, sondern aus silbernen Kübeln. Man kann sich hiernach leicht denken, daß es dem Tiidu an nichts gebrach, er führte als Küchenjunge ein Herrenleben; aber sein habsüchtiges Gemüth hatte doch keine Ruhe. Unaufhörlich quälte ihn der eine Gedanke: was hilft mir all‘ der Reichthum, den ich vor Augen habe, wenn die Schätze nicht mein sind; mein Dienst als Küchenjunge kann mich doch niemals zum reichen Manne machen. Und doch betrug sein Monatslohn mehr als bei uns ein Jahreslohn, so daß er durch Ansammlung desselben nach Jahren, wenn nicht reich, doch wohlhabend geworden wäre.
Er hatte schon ein Paar Jahre als Küchenjunge im Dienst gestanden, und ein gut Stück Geld zurückgelegt, aber das hatte seine Geldgier nur noch erhöht. Er war zugleich ein solcher Filz geworden, daß er sich keinen neuen Anzug besorgen mochte, doch mußte er es thun auf Geheiß des Herrn, der schlechte Kleider in seinem Hause nicht duldete. Als der Kaufherr dann einen großen Kindtaufschmaus gab, ließ er allen seinen Dienern auf seine Kosten schöne Anzüge machen. Den ersten Sonntag nach dieser Kindtaufe legte Tiidu seinen neuen stattlichen Anzug an, und ging zur Stadt hinaus in einen Lustgarten, in welchem sich an Sonntagen die Einwohner der Stadt zu ergehen pflegten. Als er eine Zeit lang unter den fremden Leuten gewandelt war, von denen er Niemand kannte, und Niemand ihn, traf sein Blick zufällig auf eine Gestalt, die ihm wie bekannt vorkam, obwohl er sich nicht darauf besinnen konnte, wo er den Mann früher gesehen habe. Während er sein Gedächtniß noch anstrengte, verlor sich der vermeintliche Bekannte in dem Gewühl. Tiidu strich hin und her, und spähte nach ihm aus, aber alles Suchen war umsonst. Erst gegen Abend sah er seinen Mann unter einer mächtigen Linde allein auf einer Rasebank sitzen. Tiidu war im Zweifel, ob er hinzu treten oder warten sollte, bis der fremde Mann ihn erblicken und sich merken lassen würde, ob er ihn, den Tiidu, kenne oder nicht? Ein paar Mal hustete Tiidu, aber der fremde Mann beachtete es nicht, sondern heftete wie in tiefen Gedanken die Augen auf den Boden. Ich trete näher – dachte Tiidu – und wecke ihn aus seinen Gedanken, dann wird es sich schon zeigen, ob wir einander kennen oder nicht. Sachte vorwärts gehend, hielt er den Blick scharf auf den fremden Mann gerichtet. Jetzt schlug dieser die Augen auf und es war klar, daß er ihn sogleich erkannte, denn er stand auf, ging auf Tiidu zu und reichte ihm zum Gruße die Hand, dann fragte er: »Wo hast du deinen Dudelsack gelassen?« Da erst überzeugte sich Tiidu, daß der Fragende derselbe alte Mann war, der ihm früher empfohlen hatte, Dudelsackpfeifer zu werden. Er ging nun mit dem Alten aus der Volksmenge heraus an einen abgelegenen Ort, und erzählte ihm seine bisherigen Erlebnisse. Der Alte runzelte die Stirn, schüttelte wiederholt den Kopf und sagte, als Tiidu seinen Bericht beendigt hatte: »Ein Thor bist du und ein Thor bleibst du! Was war das für ein verrückter Einfall, daß du den Dudelsack aufgabst und Küchenjunge wurdest? Mit dem Dudelsack hättest du hier in einem Tage mehr verdienen können, als durch deinen Dienst in einem halben Jahre. Eile nach Hause, hole deinen Dudelsack her und blase, so wirst du mit eigenen Augen sehen, daß ich die Wahrheit gesagt habe.« Tiidu sträubte sich freilich, weil er das Gespötte der stolzen Leute fürchtete, auch meinte er, er habe in der langen Zeit das Spielen verlernt. Aber der Alte ließ nicht ab, sondern setzte dem Tiidu so lange zu, bis er nach Hause ging und seinen Dudelsack herbrachte. Der Alte hatte so lange unter der Linde gesessen und gewartet; als Tiidu mit dem Dudelsack wieder kam, sagte er: »Setze dich neben mich auf die Rasenbank und fang‘ an zu blasen, dann wirst du schon sehen, wie sich die Leute um uns her versammeln werden.« Tiidu that es, wenn auch mit Widerstreben – aber als er anfing zu spielen, kam es ihm vor, als wäre heute ein neuer Geist in den Dudelsack gefahren, denn noch niemals hatte er dem Instrumente einen so schönen Ton entlocken können. Bald sammelte sich eine dichte Menge um die Linde, angezogen von dem schönen Spiele. Je zahlreicher die Menge wurde, desto lieblicher ertönten die Weisen des Dudelsacks. Als die Leute eine Zeitlang zugehört hatten, nahm der Alte seinen Hut ab und trat unter sie, um die Gaben für den Spieler einzusammeln. Da wurden von allen Seiten Thaler, halbe Thaler und kleine Silbermünzen hineingeworfen, dann und wann fiel auch ein blinkendes Goldstück in den Hut. Tiidu spielte dann noch zum Danke manche schöne Weise auf, ehe er sich anschickte, nach Hause zu gehen. Als er durch den dichten Haufen schrit, hörte er vielfach sagen: »Kunstreicher Meister! komm nächsten Sonntag wieder, uns zu erfreuen!« – Als sie an’s Thor gekommen waren, sagte der Alte: »Nun, was meinst du, ist die heutige Arbeit von ein paar Stunden nicht angenehmer, als die Handthierung eines Küchenjungen? – Zum zweitenmale habe ich dir den Weg gezeigt, packe nun, wie ein vernünftiger Mann, den Ochsen bei beiden Hörnern, damit das Glück dir nicht wieder entschlüpfe! Meine Zeit erlaubt mir nicht, hier länger dein Führer zu sein, drum merke dir, was ich sage, und handle darnach. Jeden Sonntag Nachmittag setze dich mit deinem Dudelsack unter die Linde und blase, daß die Leute sich ergötzen. Kaufe dir aber einen Filzhut mit tiefem Boden, und stelle ihn zu deinen Füßen hin, damit die Hörer ihre Spenden hineinlegen können. Ruft man dich zu einem Feste, um den Dudelsack zu spielen, so bedinge niemals einen Preis, sondern versprich mit dem zufrieden zu sein, was man dir freiwillig geben werde. Du wirst so von den reichen Bürgern mehr erhalten, als du selbst gewagt hättest zu verlangen, und kommt es auch zuweilen vor, daß irgend ein Filz dir zu wenig giebt, so wird es dir durch die reichere Gabe der Uebrigen zehnfach ersetzt, und du hast noch den Vortheil, daß Niemand dich geldgierig nennen darf. Vor allen Dingen hüte dich vor dem Geiz! – Vielleicht treffen wir künftig noch einmal wieder zusammen, dann werde ich ja hören, wie du meiner Weisung nachgekommen bist. Für dies Mal Gott befohlen!« So schieden sie von einander.
Dudelsack-Tiidu war sehr erfreut, als er zu Hause sein Geld zählte und fand, daß ihm das Spiel von einigen Stunden mehr eingebracht hatte, als sein Dienst in einem halben Jahre. Da dauerte ihn die falsch angewandte Zeit; doch konnte er seinen Dienst nicht sogleich verlassen, weil er erst einen Stellvertreter schaffen mußte. Nach einigen Tagen fand er einen solchen und wurde entlassen. Dann ließ er sich schöne farbige Kleider machen, band einen Gürtel mit silberner Schnalle um die Hüften, und ging den nächsten Sonntag Nachmittag unter die Linde, um den Dudelsack zu blasen. Es hatten sich noch viel mehr Leute eingefunden, als das erste Mal, denn das Gerücht von dem geschickten Dudelsackpfeifer hatte sich in der Stadt verbreitet, und Jedermann wünschte ihn zu hören. Als er am Abend sein Geld zählte, fand er fast doppelt so viel als am ersten Sonntage. Ebenso günstig war ihm das Glück fast jeden Sonntag, so daß er sich im Herbst eine Wohnung in einem stattlichen Gasthof miethen konnte. An den Abenden, wo die Bürger den Gasthof besuchten, wurde der geschickte Meister oft gebeten, die Gäste durch seinen Dudelsack zu ergötzen, wofür er dann doppelte Bezahlung erhielt, einmal vom Wirth, und sodann noch von den Gästen. Als der Wirth später sah, wie der Künstler jeden Abend immer mehr Gäste in’s Haus zog, gab er ihm Kost und Wohnung frei. Gegen den Frühling ließ Tiidu an seinen Dudelsack silberne Röhren machen, die von innen und von außen vergoldet waren, so daß sie in der Sonne und am Feuer funkelten. Als es wieder Sommer wurde, kamen auch die Städter wieder zu ihrer Erholung in’s Freie, und Sonntag für Sonntag spielte Tiidu und sah seinen Reichthum anwachsen. Da kam einstmals auch der König, um die Lustbarkeit des Volkes mit anzusehen, und hörte schon von fern das schöne Dudelsackspiel. Der König ließ den Spielenden zu sich rufen, und schenkte ihm einen Beutel voll Gold. Als die andern Großen das sahen, ließen sie einer nach dem andern den Dudelsackpfeifer in ihre Häuser kommen, wo er ihnen vorspielen mußte. Tiidu beobachtete pünktlich die Vorschrift des Alten, indem er sich nie einen Lohn ausbedang, sondern Jedem überließ, nach Gutbefinden zu geben, und es fand sich, daß er fast immer viel mehr erhielt, als er selber zu fordern gewagt hätte.
Nach einigen Jahren war Dudelsack-Tiidu im Lande Kungla zum reichen Manne geworden, und beschloß nun, in seine Heimath zurückzukehren, um sich dort ein Gut zu kaufen, und das Blasen aufzugeben. Die Geschenke des Königs und der anderen hohen Herren hatten sein Vermögen beträchtlich vergrößert, und des alten Mannes Prophezeiung wahr gemacht. Er brauchte jetzt nicht mehr heimlich in einen Schiffswinkel zu kriechen, sondern war reich genug, um für sich allein ein Schiff zu miethen, das ihn mit allen seinen Schätzen in’s Vaterland führen sollte. Er hatte sich, wie das im Lande Kungla üblich war, viele goldene und silberne Geräthe gekauft, welche jetzt in Kisten gepackt und an Bord gebracht wurden; wieder andere Kisten waren mit baarem Gelde angefüllt. Zuletzt bestieg der Herr dieser Schätze selbst das Schiff, und dieses segelte ab. Ein günstiger frischer Wind trieb sie bald auf die hohe See, wo nur Himmel und Wasser zu sehen waren. Zur Nacht aber drehte sich der Wind und trieb das Schiff gegen Süden. Von Stunde zu Stunde wuchs die Gewalt des Sturms, und der Schiffer konnte keinen festen Curs mehr halten, weil Wind und Wellen jetzt die einzigen Herren des Schiffes waren, nach deren Willen es sich bewegen mußte. Als das Schiff einen Tag und zwei Nächte auf diese Weise hin und hergeschleudert worden, krachte der Kiel gegen einen Felsen, und das Schiff begann zu sinken. Die Böte wurden in’s Meer gelassen, damit die Menschen dem Tode entrinnen möchten – allein was konnte gegen die tobenden Wellen Stand halten? Bald warf eine hohe Welle das kleine Boot um, in welchem Tiidu mit drei Matrosen saß, und das feuchte Bett umschloß die Männer. Zum Glück schwamm nicht weit von Tiidu eine Ruderbank; es gelang ihm, sie zu ergreifen und sich mit Hülfe derselben auf der Oberfläche zu halten. Als darauf der Wind sich legte und das Wetter sich aufklärte, sah er das Ufer, das gar nicht weit zu sein schien. Er nahm seine letzte Kraft zusammen und suchte das Ufer zu erreichen, fand aber, daß es viel weiter entfernt war, als es den Anschein gehabt hatte. Auch hätte ihn die eigene Kraft nicht mehr an’s Ziel gebracht, nur mit Hülfe der Brandung, die ihn vorwärts schleuderte, erreichte er endlich die Küste. Ganz erschöpft, mehr todt als lebendig, sank er auf das felsige Ufer und schlief ein. Wie lange sein Schlaf gedauert hatte, darüber konnte er sich keine Rechenschaft geben, er hatte aber die traumhafte Erinnerung, als habe jener alte Mann ihn besucht und ihm aus seinem Schlauche zu trinken gegeben, was ihn wunderbar gestärkt und ihm gleichsam neue Lebensgeister eingeflößt habe. Als er nach dem langen Schlafe vollends munter wurde, fand er sich allein auf dem bemoosten Felsen, und sah nun wohl, daß die Ankunft des Alten nur ein Traum gewesen war. Doch hatte der Schlaf ihn wieder so weit gestärkt, daß er sich ohne Mühe erheben und eine Wanderung antreten konnte, auf welcher er Menschen zu finden hoffte. Er ging eine Weile am Ufer entlang, und spähte nach einem Fußsteige oder sonst einer Spur, die zu Menschen leiten könnte. Aber soweit sein Auge reichte, war von Fußstapfen nichts zu entdecken. Moos, Sand und Rasen hatten ein so friedliches Ansehen, als ob noch niemals die Füße von Menschen oder Thieren darüber hin geschritten wären. Was jetzt beginnen? Er mochte überlegen, soviel er wollte, er wußte nichts Besseres, als der Nase nach weiter zu gehen, in der Hoffnung, daß ein glücklicher Zufall ihn einen Weg finden lasse, der zu Menschen führe. Eine halbe Meile weiter fand er schöne üppige Laubwälder, aber die Bäume hatten alle ein fremdartiges Ansehen, und nicht ein einziger war ihm bekannt. Im Walde fand er weder Fußtritte von Herden noch von Menschen, sondern je weiter er vordrang, desto dichter wurde der Wald, und das Weiterkommen wurde immer schwieriger. Er setzte sich nieder, um seinen müden Beinen Ruhe zu gönnen. Da wurde ihm plötzlich das Herz schwer, Wehmuth überfiel ihn und bittre Reue; zum ersten Male kam ihm der Gedanke, er habe Unrecht gethan ohne Wissen und Willen der Eltern von Hause fortzulaufen, die Seinigen zu verlassen, und wie ein Landstreicher umher zu schweifen. »Wenn ich hier unter wilden Thieren umkomme,« – schluchzte er – »so wird mir der gebührende Lohn für meinen Leichtsinn. Meinen Schatz, der in’s Meer sank, würde ich nicht bedauern – wie gewonnen, so zerronnen! wenn mir nur der Dudelsack geblieben wäre, womit ich mein trauerndes Herz beschwichtigen und meine Sorgenlast erleichtern könnte!« Als er weiter schritt, erblickte er einen Apfelbaum mit seinem wohlbekannten Laube, und durch das Laub schimmerten große rothe Aepfel, welche seine Eßlust reizten. Er eilte hin und – welch‘ ein Glück! noch nie hatte er schmackhafteres Obst gekostet. Er aß sich satt und legte sich dann unter den Apfelbaum zur Ruhe, indem er dachte: wenn es hier viele solche Aepfelbäume giebt, so ist mir vor Hunger nicht bange. Als er erwachte, verzehrte er noch einige Aepfel, stopfte sich dann Taschen und Rockbusen voll und wanderte weiter. Das dunkle Waldesdickicht zwang ihn langsam zu gehen, und machte an vielen Stellen das Durchkommen schwierig, so daß die Nacht hereinbrach, ohne daß freies Feld oder Menschenspuren sichtbar wurden. Tiidu streckte sich auf das weiche Moos und schlief, als ob er auf den schönsten Kissen läge. Am andern Morgen frühstückte er einige Aepfel, und suchte dann mit frischer Kraft weiter vorzudringen, bis er nach einiger Zeit an eine Lichtung kam, die wie eine kleine Insel mitten im Walde lag. Ein kleiner Bach, der aus einer nahen Quelle entsprang, ergoß sein klares frisches Wasser über die Lichtung. Als Tiidu an den Rand des Baches kam, erblickte er zufällig im Wasser sein Bild, was ihn dermaßen erschreckte, daß er einige Schritte zurücksprang und an allen Gliedern zitterte wie Espenlaub. Aber auch Beherztere als er wären hier wohl erschrocken. Sein Bild im Wasserspiegel zeigte ihm nämlich, daß seine Nasenspitze wie der Fleischzapfen eines Puters aussah und bis zum Nabel reichte. Die tastende Hand bestätigte, was das Auge gesehen. Was jetzt beginnen? So konnte er schlechterdings nicht unter die Leute gehen, die ihn wohl gar wie ein wildes Thier todt geschlagen hätten. War es nun das Gefühl der Angst, was die Nase zusehends wachsen ließ, oder reckte sie sich wirklich immer weiter aus – genug es war dem Eigenthümer der Nase so gräulich zu Muthe, als ob sie immer länger und länger würde, so daß er keinen Schritt thun konnte, ohne zu fürchten, seine Nase würde an die Beine stoßen. Er setzte sich nieder und beklagte sein Unglück bitterlich: »O wenn nur jetzt Niemand käme, und mich so fände! Lieber will ich im Walde verhungern, als mich mit einer so abscheulichen Nase zeigen.« Hätte er jetzt schon gewußt, was er später erfuhr, daß diese Waldinsel unbewohnt war, so hätte er sich darüber trösten können. Je mehr ihn aber jetzt sein Unglück verdroß, desto dicker schwoll seine Nase an, und desto bläulicher wurde sie, wie bei einem zornigen Puterhahn. Da sieht er nahebei an einem Strauche sehr schöne Nüsse, und es gelüstet ihn, sich damit zu laben; er pflückt eine Handvoll, beißt eine Nuß auf und findet einen süßen Kern in der Schale. Er verschluckt noch einige Kerne und bemerkt zu seinem Erstaunen, daß die scheußliche Länge seiner Nase sichtlich abnimmt. Nach kurzer Zeit erblickt er im Wasser seine Nasenspitze wieder an ihrer natürlichen Stelle, ja noch etwas höher über dem Munde, als sie vorher stand. Jetzt löste sich sein Kummer in Frohlocken auf, und er verfiel darauf, den wunderbaren Vorfall näher zu ergründen, um zu erfahren, was denn eigentlich seine Nase erst lang und dann wieder kurz gemacht habe. Sollten es die schönen Aepfel gewesen sein – fragte er sich in Gedanken, nahm einen Apfel aus der Tasche, und begann davon zu essen. Sowie er ein Stück gekaut und verschluckt hat, nimmt er im Wasser deutlich wahr, wie die Nasenspitze sich zusehends in die Länge dehnt. Spaßes halber ißt er den Apfel ganz auf, und findet jetzt die Nase spannenlang; dann nimmt er einige Nußkerne, zerkaut und verschluckt sie, und sieh‘, o Wunder! die lange Nase schrumpft zusammen, bis sie auf ihr natürliches Maaß zurückgegangen ist. Jetzt wußte der Mann, woran er war. Er denkt: was ich für ein großes Unglück hielt, kann mir vielleicht noch Glück bringen, wenn ich wieder unter Menschen kommen sollte; pflückt eine Tasche voll Nüsse und eilt, in seine eigenen Fußstapfen tretend, zurück, um den Baum mit den nasenvergrößernden Aepfeln aufzusuchen. Da hier nun keine anderen Spuren liefen, als die, welche er selbst zurückgelassen hatte, fand er den Apfelbaum ohne Mühe wieder. Er schälte nun erst einige junge Bäume ab und machte sich aus der Rinde einen Korb, den er dann mit Aepfeln füllte. Da aber die Nacht schon hereinbrach, wollte er heute nicht weiter gehen, sondern hier sein Nachtlager halten. Wiederum hatte er das seltsame Traumgesicht, daß der wohlbekannte Alte ihm aus seinem Fäßchen zu trinken gab und ihm den Rath ertheilte, auf demselben Wege, den er gekommen, an den Strand zurückzugehen, wo er gewiß Hülfe finden würde. Zuletzt hatte der Alte gesagt: »Weil du deinen in’s Meer gesunkenen Schatz nicht bedauert hast, sondern nur deinen Dudelsack, so will ich dir einen neuen zum Andenken verehren.« Am Morgen erinnerte er sich seines Traumes; aber wer vermöchte seine Freude und sein Glück zu beschreiben, als er den im Traum ihm verheißenen Dudelsack neben dem Korbe am Boden liegen sah. Tiidu nahm den Dudelsack und begann nach Herzenslust zu blasen, daß der Wald davon wiederhallte. Nachdem er sich satt gespielt hatte, nahm er den Weg unter die Füße und schlug die Richtung nach der See ein.
Es war schon etwas über Mittag, als er die Küste erreichte, in deren Nähe er ein Schiff liegen sah, an welchem das Schiffsvolk eben Ausbesserungen vornahm. Die Leute wunderten sich, auf dieser Insel, die sie für unbewohnt gehalten, einen Menschen zu erblicken. Der Schiffer ließ ein Boot herunter, und schickte mit demselben zwei Männer an’s Ufer. Tiidu erzählte ihnen sein Unglück, wie das Schiff untergegangen sei, und Gottes Gnade ihn wunderbarer Weise aus Todesgefahr errettet habe. Der Schiffer versprach ihn unentgeltlich mitzunehmen und nach Land Kungla zurückzubringen, wohin das Schiff bestimmt war. Unterwegs erfreute Tiidu den Schiffer und das Schiffsvolk durch sein schönes Spiel; nach einigen Tagen hatten sie die Küste von Land Kungla erreicht. Mit nassen Augen dankte Tiidu dem Schiffer, der ihn erlöst hatte, und versprach, das Ueberfahrtsgeld redlich nachzuzahlen, sobald es ihm wieder gut gehe. Als er nach einigen Tagen wieder in des Königs Stadt angekommen war, spielte er gleich den ersten Abend öffentlich, und nahm dafür so viel Geld ein, daß er sich neue Kleider nach ausländischem Schnitt machen lassen konnte. Darauf that er einige rothe Aepfel in ein Körbchen und ging mit seiner Waare an das Thor des Königshauses, wo er sie am leichtesten los zu werden hoffte. Es dauerte auch nicht gar lange, so kam ein königlicher Diener, kaufte die schönen Aepfel, bezahlte mehr als gefordert war, und hieß den Verkäufer am nächsten Tage wiederkommen. Tiidu aber machte sich eilig davon, als ob er Feuer in der Tasche hätte, und dachte nicht daran, mit seiner Waare wiederzukommen, denn er wußte ja recht gut, daß der Genuß der Aepfel ein Wachsen der Nasen hervorbringen würde. Er ließ sich dann noch an demselben Tage einen andern Anzug machen, und kaufte sich einen langen schwarzen Bart, den er sich an’s Kinn klebte; dadurch veränderte er sein Aussehen dermaßen, daß selbst seine nächsten Bekannten ihn nicht wieder erkannt hätten. Darauf nahm er in einem Wirthshause in einer entlegenen Vorstadt seine Wohnung und nannte sich einen ausländischen Zauberkünstler, der alle Gebrechen zu heilen wisse.
Am andern Tage war die ganze Stadt voll Bestürzung über das Unglück, welches sich im Hause des Königs zugetragen hatte. Der König, seine Gemahlin und seine Kinder hatten gestern Aepfel genossen, die man von einem Fremden gekauft hatte, und waren darnach Alle erkrankt. Worin ihre Krankheit bestand, das wurde nicht verrathen. Alle Doctoren, Aerzte und Zauberkünstler der Stadt wurden zusammen gerufen, aber keiner konnte helfen, weil sie eine solche Krankheit noch niemals bei Menschen gesehen hatten. Später verlautete über die Krankheit, es sei ein Nasenübel. Als eines Tages alle Aerzte und Zauberkünstler zur Berathung versammelt waren, hielten einige es für nothwendig, die überflüssige Verlängerung der Nasen wegzuschneiden; aber der König und seine Familie wollten sich einer so schmerzhaften Cur nicht unterziehen. Da wurde gemeldet, daß bei einem Gastwirth in der Vorstadt ein ausländischer Zauberkünstler sich aufhalte, der alle Gebrechen heilen könne. Der König schickte sogleich seine mit vier Pferden bespannte Kutsche hin, und ließ den Zauberkünstler zu sich bescheiden. Tiidu hatte über die halbe Nacht daran gearbeitet, sich ganz unkenntlich zu machen, und es war ihm so gut gelungen, daß weder von dem Dudelsackpfeifer noch von dem Aepfelverkäufer eine Spur nachgeblieben war. Auch seine Ausdrucksweise war so gebrochen, daß er Manches erst mit den Fingern andeuten mußte, ehe die Andern daraus klug wurden. Als er zum Könige kam, besah er das seltsame Gebrechen, nannte es die Puterseuche, und versprach, es ohne Schneiden zu curiren. Dem Könige und seiner Gemahlin waren die Nasen schon über eine Elle lang gewachsen, und dehnten sich noch immer weiter. Dudelsack-Tiidu hatte feines Pulver von seinen Nüssen in eine kleine Dose gethan, gab jedem Kranken eine Messerspitze voll ein, und ordnete an, daß die Kranken sich in ein finsteres Gemach verfügten, wo sie sich zu Bette legen und in Kissen hüllen mußten, damit starker Schweiß erfolge, und den Krankheitsstoff zum Körper heraustreibe. Als sie nach einigen Stunden wieder an’s Licht traten, hatten alle ihre vorigen Nasen wieder.
Der König hätte in seiner Freude gern die Hälfte seines Königreiches für diese Cur hingegeben, die ihn und die Seinigen von der greulichen Nasenkrankheit befreit hatte. Allein durch die Noth, welche Dudelsack-Tiidu beim Schiffbruch erlebt hatte, war seine Geldgier schwächer geworden, und er verlangte nicht mehr, als hinreichte um sich ein Gut zu kaufen, auf welchem er seine Lebenstage friedlich zu beendigen wünschte. Der König ließ ihm jedoch eine dreimal größere Summe auszahlen, mit welcher Tiidu zum Hafen eilte und ein Schiff bestieg, das ihn in seine Heimath zurückbringen sollte. Vor seiner Abfahrt hatte er seinen falschen Bart abgenommen, und die fremdartigen Kleider mit anderen vertauscht. Dem Schiffer, der ihn von der wüsten Insel gerettet hatte, erstattete er das Geld, welches er ihm für die Ueberfahrt schuldete. Nachdem er an seiner heimischen Küste gelandet war, begab er sich nach seinem Geburtsorte, und fand seinen Vater, zwei Brüder und drei Schwestern noch am Leben; die Mutter und drei Brüder waren gestorben. Tiidu gab sich den Seinigen nicht eher zu erkennen, als bis er das Gut gekauft hatte. Dann ließ er ein prächtiges Gastmahl anrichten, und seine ganze Familie dazu einladen. Bei Tische gab er sich zu erkennen und sagte: »Ich bin Tiidu, euer fauler Sohn und Bruder, der zu Nichts zu gebrauchen war, seinen Eltern Kummer machte, und endlich heimlich davon lief. Mein Glück war mir holder als ich selbst, und darum komme ich jetzt als reicher Mann zurück. Jetzt müsset ihr Alle kommen und auf meiner Besitzung wohnen, und der Vater muß bis an seinen Tod in meinem Hause bleiben.« – Später freite er ein tugendsames Mädchen, das nichts weiter besaß, als ein hübsches Gesicht und ein gutes Herz. Als er am Abend des Hochzeitstages mit seiner jungen Frau das Schlafgemach betrat, fand er große Kisten und Kasten vor demselben, welche alle seine in’s Meer gesunkenen Schätze enthielten. In einem der Kasten lag ein Blatt, worauf die Worte geschrieben waren: »Einem guten Sohne, der für Eltern und Verwandte sorgt, giebt auch die Meerestiefe den geraubten Schatz heraus.« Wer aber der zauberkräftige Alte gewesen, der ihn auf den Weg des Glückes geführt, ihn aus der Seegefahr gerettet und Gier und Geiz aus seinem Herzen getilgt hatte: das hat er niemals erfahren.
Ob gegenwärtig noch von Dudelsack-Tiidu’s Nachkommen Jemand lebt, ist mir nicht bekannt, sollte man aber einige von ihnen ausfindig machen, dann sind es gewiß so feine Herrschaften, daß bei ihnen weder bäuerlicher Rauchgeruch noch Riegenstaub mehr anzutreffen ist.
Tiidu strich einige Wochen von Dorf zu Dorf und von Gut zu Gut umher; überall nahmen die Leute ihn freundlich auf, und hörten gern zu, wenn er seine Weidenflöte blies, gaben ihm zu essen, und schenkten ihm auch manchmal einige Kopeken. Diese Kopeken sammelte der Bursche sorgfältig, bis er endlich soviel beisammen hatte, um sich einen guten Dudelsack kaufen zu können. Jetzt fing sein Glück an zu blühen, denn weit und breit war kein Dudelsackpfeifer zu finden, der so kunstgerecht und so taktmäßig zu blasen verstand. Tiidu’s Dudelsack setzte alle Beine in Bewegung. Wo nur eine Hochzeit, ein Ernteschmaus, oder eine andere Lustbarkeit begangen wurde, da durfte der Dudelsack-Tiidu nicht mehr fehlen. Nach einigen Jahren war er ein so berühmter Dudelsackpfeifer geworden, daß man ihn wie einen Zauberkundigen von einem Orte zum andern, oft viele Meilen weit, kommen ließ. So blies er einst auf einem Gute beim Ernteschmaus, wozu auch viele Gutsherren aus der Umgegend gekommen waren, um die Belustigung des Volkes mit anzusehen. Alle mußten einmüthig bekennen, daß ihnen in ihrem Leben noch kein geschickterer Dudelsackpfeifer vorgekommen war. Ein Gutsherr nach dem andern lud den Dudelsack-Tiidu zu sich, dann mußte er die Herrschaft durch sein Spiel ergötzen und erhielt dafür gute Kost und gutes Getränk, dazu noch Geld und mancherlei Geschenke. Einer der reichen Herren ließ ihn von Kopf zu Fuß neu kleiden, ein anderer schenkte ihm einen schönen Dudelsack mit messingener Röhre. Die Fräulein banden ihm seidene Bänder an den Hut, und die Frauen strickten ihm bunte Handschuhe. Jeder Andere wäre an Tiidu’s Stelle mit diesem Glücke sehr zufrieden gewesen, aber seine Sehnsucht nach Reichthum ließ ihm keine Ruhe, sondern trieb ihn wie mit einer Feuergeißel immer weiter. Je mehr er einsah, daß der Dudelsack allein ihn nicht zum reichen Manne machen könne, desto stärker wurde seine Geldgier. Erzählungen, die im Munde des Volkes lebten, wußten viel zu berichten von dem Reichthume des Landes Kungla,1 und Tiidu konnte das Tag und Nacht nicht aus dem Kopfe bringen. Wenn ich nur hinkommen könnte, dachte er, so wurde ich schon den Weg zum Reichthum finden. Er wanderte nun am Strande hin, um vielleicht durch einen glücklichen Zufall ein Schiff oder ein Segelboot zu finden, das ihn über die See brächte. Endlich kam er in die Stadt Narwa, wo gerade viele fremde Kauffahrer im Hafen lagen. Einer derselben sollte nach einigen Tagen nach Land Kungla absegeln, und Tiidu suchte den Schiffer auf. Dieser wollte ihn mitnehmen, aber der geforderte Preis war dem kargen Dudelsackpfeifer zu hoch. Er suchte sich nun durch seinen Dudelsack bei dem Schiffsvolke einzuschmeicheln, und hoffte dadurch die Kosten der Fahrt zu verringern. Das Glück wollte, daß er einen jungen Matrosen fand, der ihm versprach, ihn heimlich hinter dem Rücken des Schiffers auf’s Schiff zu bringen. In der letzten Nacht vor dem Abgange des Schiffes brachte der Matrose wirklich den Tiidu auf’s Schiff und versteckte ihn in einem dunkeln Winkel zwischen Fässern, brachte ihm auch, ohne daß die Andern es merkten, Speise und Trank dahin, damit er in seinem Schlupfwinkel nicht Hunger leide. In der folgenden Nacht, als das Schiff schon auf hoher See war, und Tiidu’s Freund auf dem Verdeck allein Wache hielt, holte er ihn aus seinem Schlupfwinkel hervor, band ihm ein Tau um den Leib, befestigte das andere Ende des Taues am Schiffe und sagte: »Ich werde dich jetzt an dem Taue in’s Meer lassen, und wenn man dir zu Hülfe eilt, so mußt du das Tau von deinem Leibe losschneiden und ihnen weiß machen, du seiest vom Hafen her dem Schiffe nachgeschwommen.« Obwohl dem Tiidu ein wenig bange wurde, hoffte er doch mit Hülfe des Taues sich eine Zeit lang über Wasser zu halten, da er ein guter Schwimmer war. Sobald er in’s Wasser gelassen worden, weckte sein Freund die anderen Matrosen und zeigte ihnen die menschliche Gestalt, die schwimmend dem Schiffe folgte. Die Leute sperrten Mund und Augen auf, als sie das seltsame Abenteuer erblickten, und weckten auch den Schiffer, damit er sich die Sache ansehe. Dieser schlug dreimal das Kreuz und fragte dann den Schwimmer: »Bekenne wahrhaft, wer du bist, ein Geist oder ein sterblicher Mensch?« Der Schwimmer antwortete: »Ein armer sterblicher Mensch, dessen Kraft bald erschöpft sein wird, wenn ihr euch seiner nicht erbarmt.« Der Schiffer ließ nun ein Tau in’s Meer werfen, um den Schwimmenden daran heraufzuziehen. Als Tiidu das Ende des Taues gefaßt hatte, schnitt er erst mit einem Messer das um seinen Leib geschlungene Tau entzwei und bat sodann, man möge ihn heraufziehen. Als es geschehen war, fragte ihn der Schiffer: »Sage, woher du kommst und wie du bis hierher gelangtest.« Dudelsack-Tiidu erwiederte: »Ich schwamm eurem Schiffe nach, als ihr aus dem Hafen abfuhrt, und hielt mich von Zeit zu Zeit, wenn die Kraft mir auszugehen drohte, am Steuer fest. So hoffte ich nach Land Kungla zu kommen, weil ich nicht so viel Geld hatte, als ihr für die Ueberfahrt verlangtet.« Des Jünglings wunderbare Kühnheit rührte des Schiffer’s Herz, und freundlich sagte er: »Danke dem himmlischen Vater, der dein Leben so wunderbar beschützt hat! Ich will dich unentgeltlich nach Kungla bringen.« Dann befahl er, dem Tiidu trockene Kleider anzuziehen, und ihn in der Schiffskajüte zu betten, damit er sich von der Anstrengung der langen Schwimmfahrt erhole. Tiidu aber und sein Freund waren froh, daß ihre List so glücklich abgelaufen war.
Am andern Morgen sah das Schiffsvolk auf den Tiidu wie auf ein Wunder, da er eine Strecke geschwommen war, wie es Keiner für möglich gehalten. Weiterhin machte ihnen sein schönes Dudelsackspiel große Freude, und der Schiffer gestand mehr als einmal, daß er noch nie einen so herrlichen Dudelsack gehört habe. Als das Schiff nach einigen Tagen in Land Kungla vor Anker gegangen war, verbreitete sich durch der Schiffsleute Mund mit Windesschnelle die Kunde von dem melodischen Fisch, den sie im Meere gefangen, und der Nacht und Tag dem Schiffe nachgeschwommen wäre. Natürlich durften Tiidu und sein Freund dieser Erzählung nicht widersprechen, da sie sich sonst selber in Gefahr gebracht hätten. Die wunderbare Mär verschaffte dem Tiidu an der fremden Küste viele Freunde, weil Jeder die wunderbare Schwimmfahrt aus seinem eigenen Munde hören wollte. Da mußte denn der Bursche aus der Noth eine Tugend machen, und den Leuten vorlügen, daß es puffte. Es wurde ihm mehr als ein Dienst angeboten, allein er lehnte alle ab, weil er fürchtete, als Lügner dazustehen, sobald sein Herr eine Probe seiner Schwimmkunst zu sehen wünschte. Lieber wollte er gerades Wegs in die Königsstadt gehen, wo weder er noch seine Schwimmkraft bekannt war, dort hoffte er am leichtesten einen Dienst zu finden, der ihn zum reichen Manne machte. Als er nach einigen Tagen ankam, schwindelte ihm der Kopf bei dem Anblicke der Pracht und Herrlichkeit, die überall verbreitet waren. Für zwei Augen war es schlechterdings unmöglich, das Alles ordentlich zu betrachten, dazu hätte er einiger Dutzend Augen bedurft. Je mehr er sich in die Anschauung dieses Glanzes und Reichthums vertiefte, desto kläglicher kam ihm seine eigene Armuth vor. Noch unerträglicher war es ihm, daß keiner von den stolzen Leuten seiner achtete, sondern daß man ihn wie einen Lump aus dem Wege stieß, als hätte er gar nicht das Recht, sich in den Strahlen von Gottes Sonne zu wärmen. – Seinen Dudelsack wagte er gar nicht sehen zu lassen, denn er dachte mit Zagen: wer von diesen stolzen Leuten wird auf meinen armen Dudelsack hören! – So irrte er viele Tage in den Straßen der Stadt umher und trachtete nach einem Dienste, fand aber keinen, bei dem er hoffen konnte, in kurzer Zeit reich zu werden. Endlich, als er schon die Flügel hängen ließ, fand er einen Dienst im Hause eines reichen Kaufmannes, dessen Koch gerade einen Küchenjungen brauchte. Hier konnte nun Tiidu den Reichthum von Land Kungla gründlich kennen lernen, der in der That größer war, als man sich vorstellen konnte. Alle Geräthe für’s tägliche Leben, die bei uns zu Lande aus Eisen, Kupfer, Zinn, Holz oder Lehm verfertigt werden, waren hier von reinem Silber oder Gold; in silbernen Grapen wurden die Speisen gekocht, in silbernen Pfannen wurden die Kuchen gebacken, und in goldenen Schalen und goldenen Schüsseln wurde aufgetragen. Selbst die Schweine fraßen nicht aus Trögen, sondern aus silbernen Kübeln. Man kann sich hiernach leicht denken, daß es dem Tiidu an nichts gebrach, er führte als Küchenjunge ein Herrenleben; aber sein habsüchtiges Gemüth hatte doch keine Ruhe. Unaufhörlich quälte ihn der eine Gedanke: was hilft mir all‘ der Reichthum, den ich vor Augen habe, wenn die Schätze nicht mein sind; mein Dienst als Küchenjunge kann mich doch niemals zum reichen Manne machen. Und doch betrug sein Monatslohn mehr als bei uns ein Jahreslohn, so daß er durch Ansammlung desselben nach Jahren, wenn nicht reich, doch wohlhabend geworden wäre.
Er hatte schon ein Paar Jahre als Küchenjunge im Dienst gestanden, und ein gut Stück Geld zurückgelegt, aber das hatte seine Geldgier nur noch erhöht. Er war zugleich ein solcher Filz geworden, daß er sich keinen neuen Anzug besorgen mochte, doch mußte er es thun auf Geheiß des Herrn, der schlechte Kleider in seinem Hause nicht duldete. Als der Kaufherr dann einen großen Kindtaufschmaus gab, ließ er allen seinen Dienern auf seine Kosten schöne Anzüge machen. Den ersten Sonntag nach dieser Kindtaufe legte Tiidu seinen neuen stattlichen Anzug an, und ging zur Stadt hinaus in einen Lustgarten, in welchem sich an Sonntagen die Einwohner der Stadt zu ergehen pflegten. Als er eine Zeit lang unter den fremden Leuten gewandelt war, von denen er Niemand kannte, und Niemand ihn, traf sein Blick zufällig auf eine Gestalt, die ihm wie bekannt vorkam, obwohl er sich nicht darauf besinnen konnte, wo er den Mann früher gesehen habe. Während er sein Gedächtniß noch anstrengte, verlor sich der vermeintliche Bekannte in dem Gewühl. Tiidu strich hin und her, und spähte nach ihm aus, aber alles Suchen war umsonst. Erst gegen Abend sah er seinen Mann unter einer mächtigen Linde allein auf einer Rasebank sitzen. Tiidu war im Zweifel, ob er hinzu treten oder warten sollte, bis der fremde Mann ihn erblicken und sich merken lassen würde, ob er ihn, den Tiidu, kenne oder nicht? Ein paar Mal hustete Tiidu, aber der fremde Mann beachtete es nicht, sondern heftete wie in tiefen Gedanken die Augen auf den Boden. Ich trete näher – dachte Tiidu – und wecke ihn aus seinen Gedanken, dann wird es sich schon zeigen, ob wir einander kennen oder nicht. Sachte vorwärts gehend, hielt er den Blick scharf auf den fremden Mann gerichtet. Jetzt schlug dieser die Augen auf und es war klar, daß er ihn sogleich erkannte, denn er stand auf, ging auf Tiidu zu und reichte ihm zum Gruße die Hand, dann fragte er: »Wo hast du deinen Dudelsack gelassen?« Da erst überzeugte sich Tiidu, daß der Fragende derselbe alte Mann war, der ihm früher empfohlen hatte, Dudelsackpfeifer zu werden. Er ging nun mit dem Alten aus der Volksmenge heraus an einen abgelegenen Ort, und erzählte ihm seine bisherigen Erlebnisse. Der Alte runzelte die Stirn, schüttelte wiederholt den Kopf und sagte, als Tiidu seinen Bericht beendigt hatte: »Ein Thor bist du und ein Thor bleibst du! Was war das für ein verrückter Einfall, daß du den Dudelsack aufgabst und Küchenjunge wurdest? Mit dem Dudelsack hättest du hier in einem Tage mehr verdienen können, als durch deinen Dienst in einem halben Jahre. Eile nach Hause, hole deinen Dudelsack her und blase, so wirst du mit eigenen Augen sehen, daß ich die Wahrheit gesagt habe.« Tiidu sträubte sich freilich, weil er das Gespötte der stolzen Leute fürchtete, auch meinte er, er habe in der langen Zeit das Spielen verlernt. Aber der Alte ließ nicht ab, sondern setzte dem Tiidu so lange zu, bis er nach Hause ging und seinen Dudelsack herbrachte. Der Alte hatte so lange unter der Linde gesessen und gewartet; als Tiidu mit dem Dudelsack wieder kam, sagte er: »Setze dich neben mich auf die Rasenbank und fang‘ an zu blasen, dann wirst du schon sehen, wie sich die Leute um uns her versammeln werden.« Tiidu that es, wenn auch mit Widerstreben – aber als er anfing zu spielen, kam es ihm vor, als wäre heute ein neuer Geist in den Dudelsack gefahren, denn noch niemals hatte er dem Instrumente einen so schönen Ton entlocken können. Bald sammelte sich eine dichte Menge um die Linde, angezogen von dem schönen Spiele. Je zahlreicher die Menge wurde, desto lieblicher ertönten die Weisen des Dudelsacks. Als die Leute eine Zeitlang zugehört hatten, nahm der Alte seinen Hut ab und trat unter sie, um die Gaben für den Spieler einzusammeln. Da wurden von allen Seiten Thaler, halbe Thaler und kleine Silbermünzen hineingeworfen, dann und wann fiel auch ein blinkendes Goldstück in den Hut. Tiidu spielte dann noch zum Danke manche schöne Weise auf, ehe er sich anschickte, nach Hause zu gehen. Als er durch den dichten Haufen schrit, hörte er vielfach sagen: »Kunstreicher Meister! komm nächsten Sonntag wieder, uns zu erfreuen!« – Als sie an’s Thor gekommen waren, sagte der Alte: »Nun, was meinst du, ist die heutige Arbeit von ein paar Stunden nicht angenehmer, als die Handthierung eines Küchenjungen? – Zum zweitenmale habe ich dir den Weg gezeigt, packe nun, wie ein vernünftiger Mann, den Ochsen bei beiden Hörnern, damit das Glück dir nicht wieder entschlüpfe! Meine Zeit erlaubt mir nicht, hier länger dein Führer zu sein, drum merke dir, was ich sage, und handle darnach. Jeden Sonntag Nachmittag setze dich mit deinem Dudelsack unter die Linde und blase, daß die Leute sich ergötzen. Kaufe dir aber einen Filzhut mit tiefem Boden, und stelle ihn zu deinen Füßen hin, damit die Hörer ihre Spenden hineinlegen können. Ruft man dich zu einem Feste, um den Dudelsack zu spielen, so bedinge niemals einen Preis, sondern versprich mit dem zufrieden zu sein, was man dir freiwillig geben werde. Du wirst so von den reichen Bürgern mehr erhalten, als du selbst gewagt hättest zu verlangen, und kommt es auch zuweilen vor, daß irgend ein Filz dir zu wenig giebt, so wird es dir durch die reichere Gabe der Uebrigen zehnfach ersetzt, und du hast noch den Vortheil, daß Niemand dich geldgierig nennen darf. Vor allen Dingen hüte dich vor dem Geiz! – Vielleicht treffen wir künftig noch einmal wieder zusammen, dann werde ich ja hören, wie du meiner Weisung nachgekommen bist. Für dies Mal Gott befohlen!« So schieden sie von einander.
Dudelsack-Tiidu war sehr erfreut, als er zu Hause sein Geld zählte und fand, daß ihm das Spiel von einigen Stunden mehr eingebracht hatte, als sein Dienst in einem halben Jahre. Da dauerte ihn die falsch angewandte Zeit; doch konnte er seinen Dienst nicht sogleich verlassen, weil er erst einen Stellvertreter schaffen mußte. Nach einigen Tagen fand er einen solchen und wurde entlassen. Dann ließ er sich schöne farbige Kleider machen, band einen Gürtel mit silberner Schnalle um die Hüften, und ging den nächsten Sonntag Nachmittag unter die Linde, um den Dudelsack zu blasen. Es hatten sich noch viel mehr Leute eingefunden, als das erste Mal, denn das Gerücht von dem geschickten Dudelsackpfeifer hatte sich in der Stadt verbreitet, und Jedermann wünschte ihn zu hören. Als er am Abend sein Geld zählte, fand er fast doppelt so viel als am ersten Sonntage. Ebenso günstig war ihm das Glück fast jeden Sonntag, so daß er sich im Herbst eine Wohnung in einem stattlichen Gasthof miethen konnte. An den Abenden, wo die Bürger den Gasthof besuchten, wurde der geschickte Meister oft gebeten, die Gäste durch seinen Dudelsack zu ergötzen, wofür er dann doppelte Bezahlung erhielt, einmal vom Wirth, und sodann noch von den Gästen. Als der Wirth später sah, wie der Künstler jeden Abend immer mehr Gäste in’s Haus zog, gab er ihm Kost und Wohnung frei. Gegen den Frühling ließ Tiidu an seinen Dudelsack silberne Röhren machen, die von innen und von außen vergoldet waren, so daß sie in der Sonne und am Feuer funkelten. Als es wieder Sommer wurde, kamen auch die Städter wieder zu ihrer Erholung in’s Freie, und Sonntag für Sonntag spielte Tiidu und sah seinen Reichthum anwachsen. Da kam einstmals auch der König, um die Lustbarkeit des Volkes mit anzusehen, und hörte schon von fern das schöne Dudelsackspiel. Der König ließ den Spielenden zu sich rufen, und schenkte ihm einen Beutel voll Gold. Als die andern Großen das sahen, ließen sie einer nach dem andern den Dudelsackpfeifer in ihre Häuser kommen, wo er ihnen vorspielen mußte. Tiidu beobachtete pünktlich die Vorschrift des Alten, indem er sich nie einen Lohn ausbedang, sondern Jedem überließ, nach Gutbefinden zu geben, und es fand sich, daß er fast immer viel mehr erhielt, als er selber zu fordern gewagt hätte.
Nach einigen Jahren war Dudelsack-Tiidu im Lande Kungla zum reichen Manne geworden, und beschloß nun, in seine Heimath zurückzukehren, um sich dort ein Gut zu kaufen, und das Blasen aufzugeben. Die Geschenke des Königs und der anderen hohen Herren hatten sein Vermögen beträchtlich vergrößert, und des alten Mannes Prophezeiung wahr gemacht. Er brauchte jetzt nicht mehr heimlich in einen Schiffswinkel zu kriechen, sondern war reich genug, um für sich allein ein Schiff zu miethen, das ihn mit allen seinen Schätzen in’s Vaterland führen sollte. Er hatte sich, wie das im Lande Kungla üblich war, viele goldene und silberne Geräthe gekauft, welche jetzt in Kisten gepackt und an Bord gebracht wurden; wieder andere Kisten waren mit baarem Gelde angefüllt. Zuletzt bestieg der Herr dieser Schätze selbst das Schiff, und dieses segelte ab. Ein günstiger frischer Wind trieb sie bald auf die hohe See, wo nur Himmel und Wasser zu sehen waren. Zur Nacht aber drehte sich der Wind und trieb das Schiff gegen Süden. Von Stunde zu Stunde wuchs die Gewalt des Sturms, und der Schiffer konnte keinen festen Curs mehr halten, weil Wind und Wellen jetzt die einzigen Herren des Schiffes waren, nach deren Willen es sich bewegen mußte. Als das Schiff einen Tag und zwei Nächte auf diese Weise hin und hergeschleudert worden, krachte der Kiel gegen einen Felsen, und das Schiff begann zu sinken. Die Böte wurden in’s Meer gelassen, damit die Menschen dem Tode entrinnen möchten – allein was konnte gegen die tobenden Wellen Stand halten? Bald warf eine hohe Welle das kleine Boot um, in welchem Tiidu mit drei Matrosen saß, und das feuchte Bett umschloß die Männer. Zum Glück schwamm nicht weit von Tiidu eine Ruderbank; es gelang ihm, sie zu ergreifen und sich mit Hülfe derselben auf der Oberfläche zu halten. Als darauf der Wind sich legte und das Wetter sich aufklärte, sah er das Ufer, das gar nicht weit zu sein schien. Er nahm seine letzte Kraft zusammen und suchte das Ufer zu erreichen, fand aber, daß es viel weiter entfernt war, als es den Anschein gehabt hatte. Auch hätte ihn die eigene Kraft nicht mehr an’s Ziel gebracht, nur mit Hülfe der Brandung, die ihn vorwärts schleuderte, erreichte er endlich die Küste. Ganz erschöpft, mehr todt als lebendig, sank er auf das felsige Ufer und schlief ein. Wie lange sein Schlaf gedauert hatte, darüber konnte er sich keine Rechenschaft geben, er hatte aber die traumhafte Erinnerung, als habe jener alte Mann ihn besucht und ihm aus seinem Schlauche zu trinken gegeben, was ihn wunderbar gestärkt und ihm gleichsam neue Lebensgeister eingeflößt habe. Als er nach dem langen Schlafe vollends munter wurde, fand er sich allein auf dem bemoosten Felsen, und sah nun wohl, daß die Ankunft des Alten nur ein Traum gewesen war. Doch hatte der Schlaf ihn wieder so weit gestärkt, daß er sich ohne Mühe erheben und eine Wanderung antreten konnte, auf welcher er Menschen zu finden hoffte. Er ging eine Weile am Ufer entlang, und spähte nach einem Fußsteige oder sonst einer Spur, die zu Menschen leiten könnte. Aber soweit sein Auge reichte, war von Fußstapfen nichts zu entdecken. Moos, Sand und Rasen hatten ein so friedliches Ansehen, als ob noch niemals die Füße von Menschen oder Thieren darüber hin geschritten wären. Was jetzt beginnen? Er mochte überlegen, soviel er wollte, er wußte nichts Besseres, als der Nase nach weiter zu gehen, in der Hoffnung, daß ein glücklicher Zufall ihn einen Weg finden lasse, der zu Menschen führe. Eine halbe Meile weiter fand er schöne üppige Laubwälder, aber die Bäume hatten alle ein fremdartiges Ansehen, und nicht ein einziger war ihm bekannt. Im Walde fand er weder Fußtritte von Herden noch von Menschen, sondern je weiter er vordrang, desto dichter wurde der Wald, und das Weiterkommen wurde immer schwieriger. Er setzte sich nieder, um seinen müden Beinen Ruhe zu gönnen. Da wurde ihm plötzlich das Herz schwer, Wehmuth überfiel ihn und bittre Reue; zum ersten Male kam ihm der Gedanke, er habe Unrecht gethan ohne Wissen und Willen der Eltern von Hause fortzulaufen, die Seinigen zu verlassen, und wie ein Landstreicher umher zu schweifen. »Wenn ich hier unter wilden Thieren umkomme,« – schluchzte er – »so wird mir der gebührende Lohn für meinen Leichtsinn. Meinen Schatz, der in’s Meer sank, würde ich nicht bedauern – wie gewonnen, so zerronnen! wenn mir nur der Dudelsack geblieben wäre, womit ich mein trauerndes Herz beschwichtigen und meine Sorgenlast erleichtern könnte!« Als er weiter schritt, erblickte er einen Apfelbaum mit seinem wohlbekannten Laube, und durch das Laub schimmerten große rothe Aepfel, welche seine Eßlust reizten. Er eilte hin und – welch‘ ein Glück! noch nie hatte er schmackhafteres Obst gekostet. Er aß sich satt und legte sich dann unter den Apfelbaum zur Ruhe, indem er dachte: wenn es hier viele solche Aepfelbäume giebt, so ist mir vor Hunger nicht bange. Als er erwachte, verzehrte er noch einige Aepfel, stopfte sich dann Taschen und Rockbusen voll und wanderte weiter. Das dunkle Waldesdickicht zwang ihn langsam zu gehen, und machte an vielen Stellen das Durchkommen schwierig, so daß die Nacht hereinbrach, ohne daß freies Feld oder Menschenspuren sichtbar wurden. Tiidu streckte sich auf das weiche Moos und schlief, als ob er auf den schönsten Kissen läge. Am andern Morgen frühstückte er einige Aepfel, und suchte dann mit frischer Kraft weiter vorzudringen, bis er nach einiger Zeit an eine Lichtung kam, die wie eine kleine Insel mitten im Walde lag. Ein kleiner Bach, der aus einer nahen Quelle entsprang, ergoß sein klares frisches Wasser über die Lichtung. Als Tiidu an den Rand des Baches kam, erblickte er zufällig im Wasser sein Bild, was ihn dermaßen erschreckte, daß er einige Schritte zurücksprang und an allen Gliedern zitterte wie Espenlaub. Aber auch Beherztere als er wären hier wohl erschrocken. Sein Bild im Wasserspiegel zeigte ihm nämlich, daß seine Nasenspitze wie der Fleischzapfen eines Puters aussah und bis zum Nabel reichte. Die tastende Hand bestätigte, was das Auge gesehen. Was jetzt beginnen? So konnte er schlechterdings nicht unter die Leute gehen, die ihn wohl gar wie ein wildes Thier todt geschlagen hätten. War es nun das Gefühl der Angst, was die Nase zusehends wachsen ließ, oder reckte sie sich wirklich immer weiter aus – genug es war dem Eigenthümer der Nase so gräulich zu Muthe, als ob sie immer länger und länger würde, so daß er keinen Schritt thun konnte, ohne zu fürchten, seine Nase würde an die Beine stoßen. Er setzte sich nieder und beklagte sein Unglück bitterlich: »O wenn nur jetzt Niemand käme, und mich so fände! Lieber will ich im Walde verhungern, als mich mit einer so abscheulichen Nase zeigen.« Hätte er jetzt schon gewußt, was er später erfuhr, daß diese Waldinsel unbewohnt war, so hätte er sich darüber trösten können. Je mehr ihn aber jetzt sein Unglück verdroß, desto dicker schwoll seine Nase an, und desto bläulicher wurde sie, wie bei einem zornigen Puterhahn. Da sieht er nahebei an einem Strauche sehr schöne Nüsse, und es gelüstet ihn, sich damit zu laben; er pflückt eine Handvoll, beißt eine Nuß auf und findet einen süßen Kern in der Schale. Er verschluckt noch einige Kerne und bemerkt zu seinem Erstaunen, daß die scheußliche Länge seiner Nase sichtlich abnimmt. Nach kurzer Zeit erblickt er im Wasser seine Nasenspitze wieder an ihrer natürlichen Stelle, ja noch etwas höher über dem Munde, als sie vorher stand. Jetzt löste sich sein Kummer in Frohlocken auf, und er verfiel darauf, den wunderbaren Vorfall näher zu ergründen, um zu erfahren, was denn eigentlich seine Nase erst lang und dann wieder kurz gemacht habe. Sollten es die schönen Aepfel gewesen sein – fragte er sich in Gedanken, nahm einen Apfel aus der Tasche, und begann davon zu essen. Sowie er ein Stück gekaut und verschluckt hat, nimmt er im Wasser deutlich wahr, wie die Nasenspitze sich zusehends in die Länge dehnt. Spaßes halber ißt er den Apfel ganz auf, und findet jetzt die Nase spannenlang; dann nimmt er einige Nußkerne, zerkaut und verschluckt sie, und sieh‘, o Wunder! die lange Nase schrumpft zusammen, bis sie auf ihr natürliches Maaß zurückgegangen ist. Jetzt wußte der Mann, woran er war. Er denkt: was ich für ein großes Unglück hielt, kann mir vielleicht noch Glück bringen, wenn ich wieder unter Menschen kommen sollte; pflückt eine Tasche voll Nüsse und eilt, in seine eigenen Fußstapfen tretend, zurück, um den Baum mit den nasenvergrößernden Aepfeln aufzusuchen. Da hier nun keine anderen Spuren liefen, als die, welche er selbst zurückgelassen hatte, fand er den Apfelbaum ohne Mühe wieder. Er schälte nun erst einige junge Bäume ab und machte sich aus der Rinde einen Korb, den er dann mit Aepfeln füllte. Da aber die Nacht schon hereinbrach, wollte er heute nicht weiter gehen, sondern hier sein Nachtlager halten. Wiederum hatte er das seltsame Traumgesicht, daß der wohlbekannte Alte ihm aus seinem Fäßchen zu trinken gab und ihm den Rath ertheilte, auf demselben Wege, den er gekommen, an den Strand zurückzugehen, wo er gewiß Hülfe finden würde. Zuletzt hatte der Alte gesagt: »Weil du deinen in’s Meer gesunkenen Schatz nicht bedauert hast, sondern nur deinen Dudelsack, so will ich dir einen neuen zum Andenken verehren.« Am Morgen erinnerte er sich seines Traumes; aber wer vermöchte seine Freude und sein Glück zu beschreiben, als er den im Traum ihm verheißenen Dudelsack neben dem Korbe am Boden liegen sah. Tiidu nahm den Dudelsack und begann nach Herzenslust zu blasen, daß der Wald davon wiederhallte. Nachdem er sich satt gespielt hatte, nahm er den Weg unter die Füße und schlug die Richtung nach der See ein.
Es war schon etwas über Mittag, als er die Küste erreichte, in deren Nähe er ein Schiff liegen sah, an welchem das Schiffsvolk eben Ausbesserungen vornahm. Die Leute wunderten sich, auf dieser Insel, die sie für unbewohnt gehalten, einen Menschen zu erblicken. Der Schiffer ließ ein Boot herunter, und schickte mit demselben zwei Männer an’s Ufer. Tiidu erzählte ihnen sein Unglück, wie das Schiff untergegangen sei, und Gottes Gnade ihn wunderbarer Weise aus Todesgefahr errettet habe. Der Schiffer versprach ihn unentgeltlich mitzunehmen und nach Land Kungla zurückzubringen, wohin das Schiff bestimmt war. Unterwegs erfreute Tiidu den Schiffer und das Schiffsvolk durch sein schönes Spiel; nach einigen Tagen hatten sie die Küste von Land Kungla erreicht. Mit nassen Augen dankte Tiidu dem Schiffer, der ihn erlöst hatte, und versprach, das Ueberfahrtsgeld redlich nachzuzahlen, sobald es ihm wieder gut gehe. Als er nach einigen Tagen wieder in des Königs Stadt angekommen war, spielte er gleich den ersten Abend öffentlich, und nahm dafür so viel Geld ein, daß er sich neue Kleider nach ausländischem Schnitt machen lassen konnte. Darauf that er einige rothe Aepfel in ein Körbchen und ging mit seiner Waare an das Thor des Königshauses, wo er sie am leichtesten los zu werden hoffte. Es dauerte auch nicht gar lange, so kam ein königlicher Diener, kaufte die schönen Aepfel, bezahlte mehr als gefordert war, und hieß den Verkäufer am nächsten Tage wiederkommen. Tiidu aber machte sich eilig davon, als ob er Feuer in der Tasche hätte, und dachte nicht daran, mit seiner Waare wiederzukommen, denn er wußte ja recht gut, daß der Genuß der Aepfel ein Wachsen der Nasen hervorbringen würde. Er ließ sich dann noch an demselben Tage einen andern Anzug machen, und kaufte sich einen langen schwarzen Bart, den er sich an’s Kinn klebte; dadurch veränderte er sein Aussehen dermaßen, daß selbst seine nächsten Bekannten ihn nicht wieder erkannt hätten. Darauf nahm er in einem Wirthshause in einer entlegenen Vorstadt seine Wohnung und nannte sich einen ausländischen Zauberkünstler, der alle Gebrechen zu heilen wisse.
Am andern Tage war die ganze Stadt voll Bestürzung über das Unglück, welches sich im Hause des Königs zugetragen hatte. Der König, seine Gemahlin und seine Kinder hatten gestern Aepfel genossen, die man von einem Fremden gekauft hatte, und waren darnach Alle erkrankt. Worin ihre Krankheit bestand, das wurde nicht verrathen. Alle Doctoren, Aerzte und Zauberkünstler der Stadt wurden zusammen gerufen, aber keiner konnte helfen, weil sie eine solche Krankheit noch niemals bei Menschen gesehen hatten. Später verlautete über die Krankheit, es sei ein Nasenübel. Als eines Tages alle Aerzte und Zauberkünstler zur Berathung versammelt waren, hielten einige es für nothwendig, die überflüssige Verlängerung der Nasen wegzuschneiden; aber der König und seine Familie wollten sich einer so schmerzhaften Cur nicht unterziehen. Da wurde gemeldet, daß bei einem Gastwirth in der Vorstadt ein ausländischer Zauberkünstler sich aufhalte, der alle Gebrechen heilen könne. Der König schickte sogleich seine mit vier Pferden bespannte Kutsche hin, und ließ den Zauberkünstler zu sich bescheiden. Tiidu hatte über die halbe Nacht daran gearbeitet, sich ganz unkenntlich zu machen, und es war ihm so gut gelungen, daß weder von dem Dudelsackpfeifer noch von dem Aepfelverkäufer eine Spur nachgeblieben war. Auch seine Ausdrucksweise war so gebrochen, daß er Manches erst mit den Fingern andeuten mußte, ehe die Andern daraus klug wurden. Als er zum Könige kam, besah er das seltsame Gebrechen, nannte es die Puterseuche, und versprach, es ohne Schneiden zu curiren. Dem Könige und seiner Gemahlin waren die Nasen schon über eine Elle lang gewachsen, und dehnten sich noch immer weiter. Dudelsack-Tiidu hatte feines Pulver von seinen Nüssen in eine kleine Dose gethan, gab jedem Kranken eine Messerspitze voll ein, und ordnete an, daß die Kranken sich in ein finsteres Gemach verfügten, wo sie sich zu Bette legen und in Kissen hüllen mußten, damit starker Schweiß erfolge, und den Krankheitsstoff zum Körper heraustreibe. Als sie nach einigen Stunden wieder an’s Licht traten, hatten alle ihre vorigen Nasen wieder.
Der König hätte in seiner Freude gern die Hälfte seines Königreiches für diese Cur hingegeben, die ihn und die Seinigen von der greulichen Nasenkrankheit befreit hatte. Allein durch die Noth, welche Dudelsack-Tiidu beim Schiffbruch erlebt hatte, war seine Geldgier schwächer geworden, und er verlangte nicht mehr, als hinreichte um sich ein Gut zu kaufen, auf welchem er seine Lebenstage friedlich zu beendigen wünschte. Der König ließ ihm jedoch eine dreimal größere Summe auszahlen, mit welcher Tiidu zum Hafen eilte und ein Schiff bestieg, das ihn in seine Heimath zurückbringen sollte. Vor seiner Abfahrt hatte er seinen falschen Bart abgenommen, und die fremdartigen Kleider mit anderen vertauscht. Dem Schiffer, der ihn von der wüsten Insel gerettet hatte, erstattete er das Geld, welches er ihm für die Ueberfahrt schuldete. Nachdem er an seiner heimischen Küste gelandet war, begab er sich nach seinem Geburtsorte, und fand seinen Vater, zwei Brüder und drei Schwestern noch am Leben; die Mutter und drei Brüder waren gestorben. Tiidu gab sich den Seinigen nicht eher zu erkennen, als bis er das Gut gekauft hatte. Dann ließ er ein prächtiges Gastmahl anrichten, und seine ganze Familie dazu einladen. Bei Tische gab er sich zu erkennen und sagte: »Ich bin Tiidu, euer fauler Sohn und Bruder, der zu Nichts zu gebrauchen war, seinen Eltern Kummer machte, und endlich heimlich davon lief. Mein Glück war mir holder als ich selbst, und darum komme ich jetzt als reicher Mann zurück. Jetzt müsset ihr Alle kommen und auf meiner Besitzung wohnen, und der Vater muß bis an seinen Tod in meinem Hause bleiben.« – Später freite er ein tugendsames Mädchen, das nichts weiter besaß, als ein hübsches Gesicht und ein gutes Herz. Als er am Abend des Hochzeitstages mit seiner jungen Frau das Schlafgemach betrat, fand er große Kisten und Kasten vor demselben, welche alle seine in’s Meer gesunkenen Schätze enthielten. In einem der Kasten lag ein Blatt, worauf die Worte geschrieben waren: »Einem guten Sohne, der für Eltern und Verwandte sorgt, giebt auch die Meerestiefe den geraubten Schatz heraus.« Wer aber der zauberkräftige Alte gewesen, der ihn auf den Weg des Glückes geführt, ihn aus der Seegefahr gerettet und Gier und Geiz aus seinem Herzen getilgt hatte: das hat er niemals erfahren.
Ob gegenwärtig noch von Dudelsack-Tiidu’s Nachkommen Jemand lebt, ist mir nicht bekannt, sollte man aber einige von ihnen ausfindig machen, dann sind es gewiß so feine Herrschaften, daß bei ihnen weder bäuerlicher Rauchgeruch noch Riegenstaub mehr anzutreffen ist.
[Estland: Friedrich Reinhold Kreutzwald: Ehstnische Märchen]