Der Sohn des Königs wollte heiraten, worüber sich alle Welt freute. Er hatte ein ganzes Jahr auf seine Braut gewartet, doch jetzt war sie endlich gekommen. Sie war eine russische Prinzessin. Von Finnland aus ist sie mit einem Schlitten gereist, der von sechs Rentieren gezogen wurde. Der Schlitten sah aus wie ein großer goldener Schwan. Zwischen seinen goldenen Schwingen war der Platz der kleinen Prinzessin. Sie trug einen langen Hermelinmantel, der ihr bis zu den Füßen reichte und auf dem Kopf hatte sie eine ganz kleine silberne Kappe. Sie war so blass wie der Schneepalast, in dem sie immer gewohnt hatte. Als sie durch die Straßen fuhr, waren alle Leute über ihren hellen Teint sehr verwundert. „Sie sieht aus wie eine weiße Rose.“
Der Prinz stand schon am Tor seines Palastes, um sie zu empfangen. Er hatte verträumte, veilchenblaue Augen und seine Haare leuchteten wie eitel Gold. Als seine Angebetete vor ihm stand, kniete er nieder und küsste ihre Hand.
„Euer Bild war schon wunderschön“, sagte er leise, „aber Ihr selbst seid noch um Vieles schöner als Euer Bild.“ Die kleine Prinzessin errötete. „Vorher glich sie einer weißen Rose“, sagte ein junger Page zu seinem Nachbarn“, jetzt schaut sie wie eine rote Rose aus.“ Der ganze Hofstaat war entzückt.
Während der nächsten Tage sagten alle: „Weiße Rose – rote Rose – weiße Rose – rote Rose!“, und der König ließ den Lohn des Pagen für diesen Spruch verdoppeln. Das nützte ihm zwar wenig, da er schon vorher keinen Lohn bekommen hatte, es wurde aber als eine große Ehre angesehen.
Nach drei Tagen wurde die Hochzeit gefeiert. Es war eine prächtige Zeremonie und Braut und Bräutigam schritten Hand in Hand unter einem purpurroten Baldachin dahin, der mit kleinem Perlen bestickt war. Dann gab es ein Staatsbankett, das über fünf Stunden dauerte. Prinz und Prinzessin saßen oben an der Tafel und tranken aus einem Pokal von reinstem Kristall. Aus diesem Pokal konnten nur wirklich Liebende trinken. Würden ihn falsche Lippen berühren, wäre er sofort trübe und verschleiert.
„Es ist doch so klar wie der Kristall, dass die beiden sich lieben!“, sagte der kleine Page und der König verdoppelte seinen Lohn ein zweites Mal.
„Welche Ehre!“, riefen alle Hofleute.
Nach der Tafel war der Ball. Braut und Bräutigam tanzten den Rosentanz und der König versprach, selbst die Flöte zu blasen. Er spielte zwar sehr schlecht, aber niemand hatte es bisher gewagt, ihm das zu sagen. Er war ja schließlich der König. Außerdem kannte er nur zwei Melodien und es war nie sicher, welche er gerade spielte. Aber das hatte nichts zu sagen, denn was immer er tat, jedermann rief: „Großartig, herrlich!“
Der letzte Programmpunkt war ein großes Feuerwerk. Das sollte genau um Mitternacht abgebrannt werden.
Die kleine Prinzessin hatte in ihrem Leben noch nie ein Feuerwerk gesehen, deshalb hatte der König angeordnet, dass der königliche Feuerwerker an diesem Hochzeitstage anwesend sein sollte.
„Was ist das denn, ein Feuerwerk?“, fragte die Braut erstaunt ihren Gatten.
„Das ist wie das Nordlicht“, antwortete der König, der immer alle Fragen beantwortete, auch wenn sie an andere Leute gestellt waren. „Dabei ist es viel natürlicher. Ich ziehe es sogar den Sternen vor. Denn dabei weiß man immer, wann es beginnt. Außerdem ist es so schön wie mein Flötenspiel. Das musst du unbedingt sehen.“
Ganz am Ende des königlichen Gartens war ein Gestell aufgebaut und nachdem der königliche Feuerwerker alles an seinen Platz gebracht hatte, begann das Feuerwerk sich zu unterhalten.
„Oh, wie ist doch die Welt schön“, rief ein kleiner Schwärmer, „seht euch nur die gelben Tulpen an. Großartig! Wenn sie richtige Kracher wären, könnten sie nicht schöner sein. Ich bin sehr froh darüber, dass ich so weit gereist bin, Reisen fördert den Geist und vertreibt alle Vorurteile.“
„Des Königs Garten ist nicht die ganze Welt, du verrückter Schwärmer“, sagte eine große römische Kerze, die Welt ist ein riesiger Platz und du bräuchtest drei Tage, um sie ganz zu sehen.“
„Jeder Platz, den du gerne hast, ist die ganze Welt für dich“, erklärte nachdenklich ein Feuerrad, das früher mit einer kleinen Spanschachtel eng verbunden war und sich mit seinem gebrochenen Herzen brüstete. „Aber innige Liebe ist nicht mehr modern, die Dichter haben sie getötet. Sie schrieben so viel darüber, dass ihnen niemand mehr glaubt, das wundert mich gar nicht. Wahre Liebe leidet und schweigt. Ich erinnere mich selbst – aber das tut jetzt nichts zur Sache. Romantik gehört der Vergangenheit an.“
„Unsinn“, sagte die römische Kerze, „Romantik stirbst niemals. Genau wie der Mond, der auch ewig lebt. Zum Beispiel lieben Braut und Bräutigam sich einander sehr inniglich. Heute Morgen hörte ich alles über sie von einer braunen Papierschachtel, die zusammen mit mir in einer Schublade lag. Sie weiß immer den neusten Hofklatsch.“
Aber das Feuerrad schüttelte den Kopf. „Nein, Romantik ist tot, ist tot, ist tot!“, murmelte es. Es gehörte zu denen, die meinen, wenn du etwas immer wiederholst, wird es schließlich wahr.
Plötzlich war ein scharfes trockenes Husten zu hören und alle schauten sich um.
Der Husten kam von einer großen blasiert um sich schauenden Rakete, die an einem langen Stab befestigt war.
Sie hustete immer, bevor sie etwas sagen wollte, um Aufmerksamkeit zu erregen.
„Ahem! Ahem!“, sagte sie und alle horchten – bis auf das arme Feuerrad, das immer noch seinen Kopf schüttelte und leise sagte: „Romantik ist tot, ist tot, ist tot!“
„Ruhe! Ruhe!“, schrie laut ein Schwärmer. Er benahm sich wie ein Politiker und hatte bei den Wahlen immer eine große Rolle gespielt. Deshalb kannte er die Ausdrücke des Parlaments.
„Ganz tot! Ganz tot!“, flüsterte das Feuerrad und schlief dann ein.
Als alle absolut ruhig waren, hustete die Rakete ein drittes Mal und begann zu reden. Sie sprach mit einer sehr langsamen distinguierten Stimme, so als würde sie ihre Memoiren diktieren. Sie schaute die Leute, zu denen sie sprach, immer über die Schulter an. Wirklich, sie hatte sehr vornehme Manieren.
„Der Königssohn hat Glück, dass er gerade an dem Tag heiratet, an dem ich starten werde. In der Tat, wenn das vorher so arrangiert worden wäre, er hätte es nicht besser treffen können. Aber schließlich Prinzen haben ja immer Glück.“
„Meine Güte“, sagte der kleine Schwärmer, „ich denke doch, es ist gerade umgekehrt und wir fliegen zur Ehre des Prinzen heute los.“
„Es mag ja mit Ihnen so sein“, antwortete die Rakete, „aber ich zweifle nicht daran, dass es mit mir anders ist. Ich bin eine sehr vornehme Rakete und ich stamme von sehr vornehmen Eltern ab. Meine Mutter war das am meisten gefeierte Feuerrad ihrer Zeit und war berühmt für ihren graziösen Tanz. Bei ihrem spektakulären öffentlichen Auftritt drehte sie sich neunzehn Mal, bevor sie ausging und bei jeder Drehung warf sie sieben rosafarbene Sterne in den Himmel. Sie hatte einen Durchmesser von dreieinhalb Fuß und war aus bestem Schießpulver gefertigt. Mein Vater war eine Rakete wie ich und von französischer Abkunft. Er flog so hoch, dass die Zuschauer glaubten, er würde niemals wieder herunterkommen.
Aber natürlich kam er wieder, denn er war eine liebenswürdige Person und er flog in einem großen Goldregen wieder herab. Die Zeitungen berichteten über seine Darbietung in schmeichelhaftesten Worten. Die Hofgazette nannte ihn einen Höhepunkt pylotechnischer Kunst.“
„Pyrotechnik, du meinst doch Pyrotechnik“, sagte ein bengalisches Licht, „ich weiß, es heißt Pyrotechnik, so stand es auf meiner Büchse geschrieben.“
„Also, ich sagte Pylotechnik“, antwortete die Rakete mit einem strengen Ton in ihrer Stimme, und das bengalische Licht fühlte sich so am Boden zerstört, dass es gleich begann, einige kleine Schwärmer einzuschüchtern, um zu beweisen, dass es trotzdem eine bedeutsame Person sei.
„Also, ich sagte“, fuhr die Rakete fort, „also, ich sagte – was sagte ich doch?“
„Du sprachst von dir“, half ihr die römische Kerze.
„Natürlich, ich weiß, ich sprach von einer sehr bedeutsamen Person, als ich so brutal unterbrochen wurde. Ich hasse Rohheit und schlechte Manieren aller Art, denn ich bin ein sehr sensibles Geschöpf. Niemand auf der ganzen Welt ist so ein sensibles Geschöpf wie ich. Ganz bestimmt!“
„Was ist denn ein sensibles Geschöpf?“, fragte der Schwärmer die Römische Kerze.
„Das ist eine Person, die allen andern auf die Füße tritt, weil sie selbst Hühneraugen hat“, antwortete die römische Kerze ganz leise und der Schwärmer platzte fast vor Lachen.
„Bitte, worüber lachen Sie denn?“, insistierte die Rakete. „Ich lache doch auch nicht!“
„Ich lache, weil ich glücklich bin!“, antwortete der Schwärmer.
„Das ist aber ein sehr eigennütziger Grund“, sagte die Rakete ärgerlich. „Welches Recht haben Sie, glücklich zu sein? Sie sollten auch an andere denken, wirklich, Sie sollten auch an mich denken. Ich denke immer an mich und ich erwarte von jedem das gleiche. Das ist dann Sympathie! Das ist eine schöne Tugend und ich besitze sie in hohem Maße. Nehmen wir einmal an, irgendetwas stößt mir heute Nacht zu, das wäre ein Unglück für jedermann. Der Prinz und die Prinzessin wären nie mehr glücklich und ihr ganzes Eheleben wäre belastet. Und erst der König, er würde nie darüber hinwegkommen. In der Tat, wenn ich über die Bedeutung meiner Wichtigkeit nachzudenken beginne, bin ich zu Tränen gerührt.“
„Wenn du andern eine Freude machen willst“, rief die römische Kerze, „dann solltest du dich besser trocken halten!“
„Ganz klar“, sagte das bengalische Licht dazu, „das sagt doch der gesunde Menschenverstand.“
„Der gewöhnliche Verstand“, antwortete die Rakete sehr entrüstet, „aber Sie vergessen, dass ich sehr ungewöhnlich bin und etwas ganz besonderes. Nun, gewöhnlichen Menschenverstand kann jeder haben, wenn ich voraussetze, dass er keine Phantasie hat. Aber ich besitze Visionen, ich sehe die Dinge nie nur so, wie sie eben sind. Ich sehe sie immer ganz anders. Was den Rat, sich trocken zu halten, betrifft, da gibt es augenscheinlich niemand hier, der auch nur im Entferntesten eine empfindsame Natur schätzen kann. Aber auf so etwas achte ich gar nicht. Einzig das Bewusstsein von der absoluten Inferiorität alles anderen hilft einem durch dieses Leben. Diese Einschätzung habe ich immer gepflegt. Aber von Ihnen hat keiner ein Herz, Sie lachen und machen Ihre Späße gerade so, als ob der Prinz und die Prinzessin nicht gerade ihre Hochzeit machen würden.“
„Ja, wirklich, aber warum auch nicht“, meldete sich eine kleine Feuerkugel zu Wort, „es ist doch wirklich eine lustige Gelegenheit. Wenn ich später in die Luft hinaufsteige, habe ich mir vorgenommen, den Sternen alles zu berichten. Ihr werdet sie zwinkern sehen, wenn ich ihnen von der ach so hübschen Braut erzähle!“
„Pah, was ist das für eine triviale Lebensauffassung“, sagte die Rakete, „aber mehr habe ich ja auch nicht erwartet. In Ihnen steckt ja gar nichts, sie sind hohl und leer. Aber was ist, wenn Prinz und Prinzessin vielleicht einmal in einem Land leben, wo ein tiefer Fluss fließt und vielleicht haben sie einen einzigen Sohn, einen kleinen Jungen mit hellen blonden Haaren und Veilchenaugen wie der Prinz. Vielleicht geht er eines Tages mit seiner Amme spazieren und die Amme schläft unter einem großen Fliederbusch ein und der kleine Junge fällt vielleicht in den tiefen Fluss und ertrinkt? Welch ein Unglück für die armen Eltern, ihren einzigen Sohn zu verlieren. Das ist wirklich schrecklich und ich werde nie darüber hinwegkommen.“
„Was soll das, die beiden haben nie ihren einzigen Sohn verloren“, sagte die römische Kerze, „es hat sich überhaupt kein Unglück ereignet!“
„Das habe ich ja auch gar nicht behauptet“, erwiderte die Rakete, „ich sage, dass es möglich wäre. Und wenn sie wirklich ihren einzigen Sohn verloren hätten, dann gäbe es ja auch gar keinen Grund, etwas darüber zu sagen. Ich hasse Leute, die über vergossene Milch jammern. Aber wenn ich mir vorstelle, dass sie wirklich ihren einzigen Sohn verlören, dann wäre ich davon außerordentlich stark berührt.“
„Du sicherlich“, kreischte das bengalische Licht, „aber du bist in der Tat die überspannteste Person, die mir je begegnet ist.“
„Und Sie sind das primitivste Geschöpf, das ich je getroffen habe“, sagte die Rakete, „und Sie können gar nicht ermessen, welche Freundschaft ich für den Prinzen hege.“
„He, kennst du ihn etwa?“, grummelte die römische Kerze.
„Ich behaupte, dass ich ihn kenne, sonst könnte ich gar nicht sein Freund sein. Außerdem ist es eine sehr gefährliche Sache, seine Freunde richtig zu kennen.“
„Du solltest wirklich nur darauf achten, dich trocken zu halten“, meinte die Leuchtkugel, „das ist die Hauptsache!“
„Das ist vielleicht für Sie wichtig, da habe ich keinen Zweifel“, antwortete die Rakete, „aber ich kann weinen wenn ich will.“ Und wirklich brach sie in richtige Tränen aus, die wie Regentropfen an ihrem Stab entlang flossen und dabei fast zwei kleine Käfer ertränkt hätten, die gerade daran dachten, ihren eigenen Hausstand zu gründen und sich dabei nach einem ordentlichen trockenen Platz dafür umsahen.
„Die hat nun wahrhaftig eine romantische Ader“, sagte das Feuerrad, „denn die heult, auch wenn es wirklich keinen Grund dafür gibt.“ Und dabei dachte es mit einem Seufzer an seine Spanschachtel.
Aber die römische Kerze und das bengalische Licht blieben praktisch und äußerten laut: „Unsinn, Unsinn!“ Sie waren ausschließlich praktisch veranlagt und wenn ihnen etwas widerstrebte, dann nannten sie es einfach Unsinn.
Jetzt ging der Mond als wundervolle silberne Scheibe auf; die Sterne begannen zu glitzern und Musik tönte aus dem Palast.
Prinz und Prinzessin führten den Tanz an. Sie tanzten so schön, dass die weißen Lilien nach ihnen in die Fenster schauten und der wunderschöne rote Klatschmohn den Kopf im Takt wiegte.
Die Uhr schlug zehn, dann elf und schließlich zwölf und mit dem letzten Schlag zur Mitternachtsstunde kamen alle auf die Terrasse. Der König rief nach seinem Hofpyrotechniker.
„Zünde das Feuerwerk!“, befahl der König. Der Hoffeuerwerker machte einen tiefen Diener und marschierte zum Ende des Gartens. Er hatte sechs Gehilfen dabei und jeder trug eine brennende Fackel an einer langen Stange.
Jetzt begann ein großartiges Schauspiel.
„Whizz! Whizz!“ Das Feuerrad drehte sich um und um. „Bumm! Bumm!“, dröhnte die römische Kerze. Dann tanzten die Schwärmer über den Platz, und das bengalische Licht ließ alles scharlachrot erscheinen. „Good-bye!“, schrie die Feuerkugel, als sie lossauste und dabei kleine blaue Funken hinter sich ließ. „Bang! Bang!“, antworteten die Kracher, die sich selbst herrlich amüsierten. Alle hatten einen großen Erfolg mit Ausnahme der ganz besonderen Rakete. Sie war vom Weinen so nass geworden, dass sie nicht starten konnte. Das Beste, was sie hatte, ihr Schießpulver, war von ihren Tränen ganz feucht, total verdorben und versagte. Alle ihre armseligen Kollegen, zu denen sie nur höhnisch gesprochen hatte, schossen in den Himmel wie wundervolle goldene Blumen mit feurigen Blüten.
„Hurra! Hurra!“, schrien alle Hofleute und die kleine Prinzessin lachte vor Freude.
„Ohne Zweifel werde ich bei einer ganz besonderen Gelegenheit starten“, sagte die Rakete und schaute hochmütiger denn je in die Runde.
Am nächsten Tag kamen Arbeiter, um alles wieder sauber zu machen. „Oh, da kommt eine Gesandtschaft, ich will sie würdig empfangen“, sagte die Rakete. Sie trug ihre Nase hoch in der Luft und machte eine Mine, als ob sie über sehr wichtige Dinge nachzudenken hätte. Aber die Arbeiter nahmen gar keine Notiz von ihr. Schon im Weggehen sah einer von ihnen die Rakete. „Da schaut! Da ist noch ein Blindgänger übrig geblieben!“ Er nahm sie und warf sie über die Mauer in den Schlossgraben.
„Blindgänger – blind?“, sagte die Rakete, während sie durch die Luft wirbelte. „Unmöglich, blendend wollte er sagen. Blind und blendend klingt ja sehr ähnlich. Blendende Rakete meinte er!“ Ja, und dann fiel sie in den Schlamm des Grabens.
„Behaglich ist es ja hier nicht gerade“, bemerkte die Raket, aber es wird wohl ein besonderes Moorbad sein, wo sie mich hingeschickt haben, um meine angegriffene Gesundheit wieder herzustellen. Meine Nerven sind ja auch wirklich sehr durcheinander und ich brauche dringend Ruhe!“
Jetzt schwamm ein kleiner Frosch mit glänzenden gelben Augen und einem grün gepunkteten Anzug auf sie zu.
„Oh, ein neuer Gast ist angekommen“, sagte der Frosch, „es gibt ja auch nichts besseres als der Schlamm hier. Ein schönes Regenwetter und diesen Graben hier, damit bin ich vollkommen glücklich. Glauben Sie, es wird heute ein schöner nasser Nachmittag mit Regen? Ich hoffe es so, aber der Himmel ist ganz blau und ohne die kleinste Wolke. Schade!“
„Ahem – ahem!“, sagte die Rakete und sie begann zu husten.
„Was haben Sie für eine herrliche Stimme!“, rief der Frosch aus, es klingt wirklich wie bei einer Krähe und dieses Krähen ist für mich die schönste Musik auf der Welt. Sie können heute Abend unseren Gesangverein hören. Wir gastieren in dem alten Entenpfuhl ganz in der Nähe des Bauernhauses und sobald der Mond aufgeht wird unser Konzert beginnen. Denken Sie, erst gestern hörte ich, wie die Bäuerin ihrer Mutter sagte, wegen unseres Konzerts habe sie keine Minute geschlafen. Es ist doch eine große Freude so populär zu sein.“
„Ahem – ahem!“, sagte die Rakete verärgert und ihr Ärger war so groß, dass sie keine Worte finden konnte.
„Wirklich, eine herrliche Stimme“, fuhr der Frosch fort. „Ich hoffe, Sie werden in den Entenpfuhl herüberkommen. Aber jetzt muss ich nach meinen Töchtern schauen, ich habe sechs schöne Töchter und ich fürchte, dass sie dem Hecht begegnen könnten. Der ist ein perfektes Monster, und er würde keinen Augenblick zögern, sie als sein Frühstück zu verspeisen. Doch jetzt auf Wiedersehen, seien Sie versichert, ich habe die Unterhaltung mit Ihnen sehr genossen.“
„Unterhaltung nennen sie das?“, sagte die Rakete. „Sie haben die ganze Zeit alleine geredet, das ist doch keine Unterhaltung!“
„Nun, bei einer Unterhaltung muss einer zuhören“, antwortete der Frosch, „und ich übernehme gerne das Sprechen. Das spart Zeit und lässt auch keine Diskussionen, keine Streitgespräche aufkommen.“
„Aber ich liebe Streitgespräche!“, entgegnete die Rakete.
„Das hoffe ich nicht“, sagte der Frosch höflich, „Streitgespräche sind sehr ordinär, denn in einer vornehmen Gesellschaft hat jeder die gleiche Meinung. Aber noch einmal: Auf Wiedersehen! Ich sehe jetzt nach meinen Töchtern!“ Der kleine Frosch schwamm davon.
„Sie sind eine sehr impertinente Person ohne jede Bildung“, sagte die Rakete. „Ich hasse Leute, die wie Sie nur über sich selbst erzählen, wenn jemand wie ich über mich erzählen will. So etwas nenne ich selbstsüchtig. Und Selbstsüchtigkeit ist sehr ungehörig, besonders gegenüber einem Menschen von meinem Naturell. Ich bin sehr für meinen sympathischen Charakter bekannt. Sie sollten sich an mir ein Beispiel nehmen, sie fänden wirklich kein besseres Vorbild. Sie sollten wirklich diese Chance nutzen, denn ich gehe bald wieder zurück an den Hof. Dort bin ich sehr beliebt. Mir zu Ehren wurden gestern der Prinz und die Prinzessin getraut. Natürlich wissen Sie davon nichts, denn Sie sind ja wirklich ganz provinziell.“
„Das hat doch keinen Zweck, mit dem etwas zu reden“, sagte eine Libelle, die an der Spitze eines großen braunen Schilfrohres saß, „überhaupt keinen Zweck, denn er ist schon fort.“
„Nun, das ist sein Schaden, nicht meiner“, antwortete die Rakete, „jedenfalls habe ich nicht vor aufzuhören mit ihm zu sprechen, nur weil er nicht zuhört. Ich höre mich selbst gerne sprechen, das ist mein größtes Vergnügen. Ich führe oft lange Gespräche mit mir selbst und die sind so intelligent, dass ich manchmal selbst kein Wort davon verstehe, wovon ich rede.“
„Dann sollten Sie philosophische Vorlesungen halten“, sagte die Libelle und breitete ihre entzückenden durchsichtigen Flügel aus und schwirrte weg in den Himmel.
„Wie dumm von ihr, dass sie nicht hier geblieben ist“, sagte die Rakete, „ich bin sicher, dass sie nicht oft eine so gute Gelegenheit hat, etwas für ihre Bildung zu tun. Aber das ist nicht meine Sorge. Ein Genie wie ich wird ganz sicher eines Tages doch noch erkannt.“ Und damit sank sie noch ein wenig tiefer ins Wasser.
Nach einiger Zeit schwamm eine große weiße Ente zu ihr hin. Sie hatte gelbe Beine und Schwimmfüße und wurde wegen ihres Watschelganges für eine große Schönheit gehalten.
„Quak, quak, quak“, sagte die Ente, „was bist du für ein komisches Gestell. Bist du so geboren oder hat dich ein Unfall so verunstaltet?“
„Es ist ganz klar, dass Sie immer auf dem Lande gelebt haben“, antwortete die Rakete, „andererseits wüssten Sie genau wer ich bin. Aber ich entschuldige Ihre Unwissenheit. Es wäre unfair, von anderen Leuten zu erwarten, dass sie ebenso bedeutsam sind wie man selbst. Sie werden ohne Zweifel überrascht sein, wenn Sie hören. dass ich in den Himmel hinauffliegen kann und in einen goldenen Regen wieder heruntersinke.“
„Davon halte ich nicht viel“, sagte die Ente, „ich kann nicht erkennen, wozu das nützlich wäre. Ja, wenn du Felder pflügen könntest wie der Ochse oder einen Wagen ziehen wie das Pferd, oder Schafe hüten wie der Colli, das wäre schon etwas anderes!“
„Du meine Güte!“, schrie die Rakete sehr von oben herab. „Ich sehe, dass Sie zu einem der geringsten Stände gehören. Eine Person von meinem Rang ist niemals brauchbar. Wir haben einen bedeutenden Bildungsstand und das ist mehr als genug. Ich habe für mich keinerlei Neigung zu einer wie auch immer gearteten Tätigkeit, am wenigsten zu solchen, die Sie mir zu empfehlen schienen. Wirklich, ich bin immer der Meinung gewesen, dass harte Arbeit nur für solche Leute gedacht ist, die sonst nicht zu tun haben.“
„Gut, gut“, sagte die Ente, die eine sehr friedfertige Person war und niemals mit irgendjemand streiten mochte. Jeder hat seine eigene Ansicht. „Kann ich hoffen, dass Sie sich hier niederlassen werden?“
„Oh, auf keinen Fall“, rief die Rakete, „ich bin ausschließlich zu Besuch hier, ich bin ein sehr vornehmer Besucher. Außerdem finde ich diesen Platz hier außerordentlich langweilig. Hier gibt es weder eine gute Gesellschaft, noch Einsamkeit. Wirklich, es ist hier ausgesprochen vorstädtisch. Wahrscheinlich gehe ich an den Hof zurück, denn ich weiß, dass ich für eine Sensation in der Welt ausersehen bin.“
„Ich hatte auch schon gedacht, in die Politik zu gehen“, antwortete die Ente, „es gibt so vieles, was unbedingt reformiert werden müsste. Vor einiger Zeit hatte ich schon einmal den Vorsitz in einer Versammlung und wir brachten eine Resolution auf den Weg, die alles verurteilen sollte, was wir nicht mögen. Aber allem Anschein nach hat sich nicht viel verändert. Jetzt lebe ich ganz häuslich und kümmere mich um meine Familie.“
„Ich bin für das öffentliche Leben geschaffen“, sagte die Rakete, „genau so alle meine Verwandten bis zu dem einfachsten hinunter. Wo immer wir erscheinen, ist uns eine große Aufmerksamkeit garantiert. Bis jetzt hatte ich noch keinen öffentlichen Auftritt, aber wenn es soweit kommt, wird es ein herrlicher Anblick sein. Und was Häuslichkeit angeht, die macht nur schneller alt und hält einen von höheren Dingen ab.“
„Oh, die höheren Dinge des Lebens, ja die sind sehr schön!“, sagte die Ente. „Das erinnert mich daran, dass ich hungrig bin!“ Und sie schwamm den Strom hinunter und sagte: „Quack, Quack, Quack!“
„Kommen Sie doch zurück! Kommen Sie doch zurück!“, schrie die Rakete. „Ich habe ihnen noch eine Menge zu erzählen!“ Aber die Ente kümmerte sich überhaupt nicht mehr um sie.
„Ach, ich bin froh, dass sie verschwunden ist“, sagte die Rakete zu sich selbst, „sie hat so eine typische Kleinbürgermentalität!“ Und sie sank noch ein wenig tiefer in den Schlamm.
Plötzlich kamen zwei kleine Jungen in weißen Jacken den Graben entlang gelaufen. Sie trugen einen Kessel mit sich und ein Bündel Reisig.
„Das muss die Delegation vom Hof sein!“, dachte die Rakete und sie versuchte, sehr vornehm auszuschauen.
„He!“, schrie einer der Jungen. „Schau mal den alten Stecken, wie ist der wohl hier hergekommen?“, und er fischte die Rakete aus dem Schlamm.
„Was soll das heißen, AN OLD Stick?“, sagte die Rakete nun ganz fremdländisch. „Gold Stick, das wäre richtig und das wäre auch ein Kompliment. Sicher hält er mich für einen Würdenträger des Hofes.“
„Komm, wir legen ihn mit ins Feuer“, sagte der andere Junge, „dann kocht es in unserem Topf schneller!“
Damit schichteten sie das Reisig aufeinander und legten die Rakete oben auf den Stoß und zündeten das Feuer an.
„Das ist ja großartig“, rief die Rakete begeistert, „sie lassen mich bei vollem Tageslicht starten, sodass jedermann mich sehen kann!“
„Jetzt können wir noch ein wenig schlafen“, sagten die Jungen, „und wenn wir wieder wach sind, dann wird auch unser Kessel kochen.“ Sie legten sich ins Gras und schlossen die Augen.
Die Rakete war sehr feucht, und so dauerte es eine ganze Weile, bis sie Feuer fing. Aber endlich fing sie doch an zu brennen.
„Jetzt steige ich auf!“, schrie sie und machte sich ganz steif und gerade. „Ich weiß, ich werde jetzt höher steigen als die Sterne, noch viel höher als der Mond und dann noch über die Sonne hinaus. Ja wirklich, ich werde so hoch steigen dass …..“
Ffffff…..Ffffff…..Ffffff…. und sie stieg wirklich kerzengerade in die Luft hinauf.
„Herrlich“, schrie sie, „so werde ich ewig weiter steigen, welch ein Erfolg!“
Aber niemand sah sie.
Dann fühlte sie ein eigentümliches Kribbeln überall in ihrem Körper.
„Jetzt werde ich explodieren!“, schrie sie. „Ich werde die ganze Welt in Flammen setzen und ich werde solch einen Lärm machen, dass niemand über etwas anderes als über mich und meinen Erfolg reden wird!“
Und wirklich, sie explodierte. Krach-Krach-krach -Fffff….machte das Schießpulver. Darüber konnte man nicht zweifeln.
Aber niemand hörte es, nicht einmal die beiden Jungen, denn sie schliefen ganz fest.
Alles was von ihr übrig blieb, das war der Stock, und der fiel einer Gans auf den Rücken.
„Himmel hilf!“, schrie die Gans. „Jetzt regnet es auch noch Stöcke und sie eilte in das Wasser.
„Ich wusste es doch, ich würde ein großes Aufsehen erregen… „, hauchte die Rakete noch einmal ganz leise und ging aus.
Quelle: „Eine ganz besondere Rakete“ ist ein Märchen von Oscar Wilde. Hier wurde es nach dem englischen Original „The Remarkable Rocket“ von Henning Vieser neu erzählt.