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Märchenbasar

Finist, der edle Falke

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Es war einmal ein alter Mann, der hatte drei Töchter. Die Älteste und die Mittlere waren putzsüchtige Dinger, die Jüngste aber besorgte die Wirtschaft, und alles ging ihr flink von der Hand. Zudem war sie so schön, daß es kein Märchen zu sagen, keine Feder zu beschreiben vermag: Brauen, schwarz und dicht, Augen, hell und licht, und der blonde Zopf, Mägdeleins Stolz, hing gar bis in die Kniekehlen ihr.
Eines Tages rüstete sich der Vater in die Stadt zur Messe und fragte seine Töchter, was er einer jeden mitbringen solle.
Bat die Älteste: „Lieber Vater, kaufe mir rote Seide zu einem neuen Sarafan!“
Die mittlere Tochter wünschte sich himmelblaue Seide für einen neuen Sarafan.
„Und was möchtest du, mein Lieblingskind?“ fragte der Alte die Jüngste.
„Lieber Vater, bring mir eine Feder von Finist dem edlen Falken.“
Diese Bitte verwunderte den alten Mann, er nahm Abschied von seinen Töchtern, stieg in seine Kutsche und fuhr in die Stadt. Für die beiden älteren Töchter kaufte er, was sie sich gewünscht; doch so lange er auch suchte, eine Feder von Finist dem edlen Falken vermochte er nirgendwo zu finden.
So kehrte der Alte mit seinen Geschenken heim und erfreute die älteste und die mittlere Tochter.
„Nehmt denn, worum ihr mich gebeten, ihr meine lieben Töchter. Für dich aber“, er wandte sich an die Jüngste, „konnt‘ ich die Feder von Finist dem edlen Falken nicht finden.“
„Das tut nichts“, entgegnete sie. „Vielleicht glückt’s dir ein andermal.“
Die älteren Schwestern schnitten sich flugs ihre neuen Gewänder zu und begannen zu nähen. Die Jüngste lachten sie aus. Doch das brave Mägdelein ließ es sich nicht verdrießen.
Als der Vater wiederum in die Stadt fahren wollte, fragte er seine Kinder:
„Ihr meine lieben Töchterlein, was soll ich euch diesmal mitbringen?“
Die Älteste und die Mittlere baten um bunte Tücher, die Jüngste aber entgegnete:
„Lieber Vater, bring mir eine Feder von Finist dem edlen Falken.“
Der Vater stieg in seine Kutsche und fuhr in die Stadt. Er kaufte zwei bunte Tücher, doch eine Feder von Finist dem edlen Falken fand er nirgendwo. So kehrte er heim und sprach:
„Liebste Tochter mein, ich habe wiederum keine Feder von Finist dem edlen Falken gesehen.“
„Betrüb dich nicht, mein Vater! Vielleicht glückt’s dir ein andermal.“
Es begab sich aber, daß der Vater zum dritten Mal in die Stadt fahren mußte. Da fragte er seine Kinder:
„Sagt, liebe Töchter mein, was ich euch kaufen soll.“
Baten die beiden Älteren:
Lieber Vater, kauf uns Ohrgehänge.“
Doch die Jüngste sagte nur:
„Kaufe mir eine Feder von Finist dem edlen Falken!“
Der alte Mann kam zur Messe. Er kaufte die goldenen Ohrgehänge und begab sich sodann auf die Suche nach einer Feder von Finist dem edlen Falken für seine Jüngste. Doch wen er auch fragen mochte, keiner wußte ihm Rat. Das betrübte den alten Mann zutiefst, und er verließ bekümmert die Stadt. Hinter dem Stadttor begegnete ihm ein graubärtiger Greis mit einem kleinen Schächtelchen.
„Was trägst du in deinem Schächtelchen, alter Mann?“
„Eine Feder von Finist dem edlen Falken.“
„Was verlangst du für sie?“
„Wenn du mir tausend Rubel gibst, will ich’s zufrieden sein.“
Der Vater zahlte den Preis und fuhr mit dem Schächtelchen heim.
Liebevoll empfingen ihn seine Töchter. Nach der Begrüßung reichte er den Älteren die goldenen Ohrgehänge.
Drauf wandte er sich der Jüngsten zu:
„So höre denn, mein Lieblingskind. Endlich hab ich auch für dich das rechte Geschenk gefunden. Nimm es und freu dich daran.“
Die jüngste Tochter sprang freudig auf, nahm das Schächtelchen, begann es zu herzen und zu küssen und fest an den Busen zu drücken.
Nach dem Nachtmahl begaben sich alle in ihre Gemächer, um der Ruhe zupflegen. Als die Jüngste in ihre Schlafstube trat, öffnete sie jedoch das Schächtelchen, warf die Feder auf den Boden und sprach:
„Tritt vor mich, Finist, du edler Falke. Zeige dich mir, mein ersehnter Bräutigam!“
Da stand wie aus der Erde gewachsen ein herrlicher Jüngling vor ihr. Das Mägdelein erschrak gar sehr, doch als er mit ihr zu sprechen anhub, wurde ihr froh und leicht zumut. Sie führten lange Reden miteinander. Am Ende vernahmen die Schwestern das traute Geflüster und fragten:
„Mit wem wisperst du in deinem Kämmerlein, liebe Schwester?“
„Ich red so für mich hin“, entgegnete das holde Mägdelein.
„Laß uns rasch ein zu dir!“
Da warf sich der Zarensohn auf den Boden und verwandelte sich in eine Feder zurück. Das Mägdelein verwahrte die Feder im Schächtelchen und öffnete die Tür. Neugierig blickten die Schwestern hierhin und guckten dorthin, konnten jedoch nichts entdecken. Kaum daß sie gegangen waren, wurde die Feder wieder zum schönen Zarensohn. als der Morgen graute, öffnete das Mägdelein ein Fenster. Finist der edle Falke küste die Herzallerliebste zum Abschied und sprach:
„Will jede Nacht, so du rufst nach mir, geschwind herbeifliegen zu dir! Steht nach prunkvollen Gewändern und funkelnden Kleinodien dein Sinn, so tritt auf die Treppe vors Haus, winke mit meiner Feder nach rechts, und du wirst alles vor dir sehen, was dein Herz begehrt. Winkst du nach links, so verschwindet es allsogleich.“
Er küßte sie noch einmal, verwandelte sich in einen edlen Falken und flog in den finsteren Wald. Das Mädchen blickte dem Herzallerliebsten nach, schloß das Fenster und legte sich zur Ruhe.
Von nun an kam jede Nacht der schöne Jüngling, Finist der edle Falke, zu ihr zu Gast.
Der Sonntag brach an. Die älteren Schwestern machten sich für den Kirchgang bereit. Sie schlüpften in ihre neuen Sarafane, legten die bunten Tücher um, schmückten sich mit den goldenen Ohrgehängen und kicherten über die Jüngste:
„Womit willst du dich heute nur putzen? Hast kein neues Gewand und keinerlei Tand! Bleib lieber gleich daheim mit deinem Federlein.“
Friedfertig entgegnete das Mägdelein:
„Ich finde es auch daheim sehr schön!“
So begaben sich die älteren Schwestern in ihrem Staat zum Morgengebet. Die Jüngste aber setzte sich in ihrem alten Sarafan ans Fenster und blickte hinaus zu den Menschen.
Nach einer guten Weile trat sie hinaus auf die Vortreppe, schaute sich um, und da sie keine Menschenseele gewahrte, winkte sie mit der bunten Feder nach rechts. Da stand miteins eine kristallene Kutsche vor ihr, mit edlen Pferden vorgespannt, einer Dienerin, ganz in Gold gehüllt, und ein prachtvolles Gewand mit erlesenen Kleinodien aus funkelnden Edelsteinen lag für sie bereit.
Flugs kleidete sich das schöne Mägdelein um, setzte sich in die Kutsche und fuhr zur Kirche. Beim Anblick von so viel Schönheit wußte sich die Menge vor Erstaunen nicht zu fassen. „Vielleicht ist das die Königstochter aus dem dreimal zehnten Zarenreich!“ flüsterten die Leute einander zu. Noch war die Messe nicht beendet, da verließ das schöne Mägdelein die Kirche, stieg in die Kutsche und fuhr vondannen. Die Menschen drängten hinterdrein, um zu sehen, wohin sie fuhr, doch da war sie bereits verschwunden.
Das schöne Mägdelein fuhr zu seinem Elternhaus, winkte mit der bunten Feder nach links, die Dienerin nahm ihr die Gewänder ab, und die kristallene Kutsche verschwand.
So saß sie denn, als sei nichts geschehen, und sah aus dem Fenster, wie die Leute aus der Kirche strömten und heimwärts wandelten. Bald kamen auch ihre Schwestern zurück.
Aufgeregt erzählten sie:
„Ach, liebe Schwester, was heute für ein schönes Mägdelein zur Messe kam! Wir konnten uns gar nicht satt sehen an ihr. Kein Märchen vermag es zu sagen, keine Feder es zu beschreiben! Es war wohl eine Königstochter aus fremden Landen. So reich gekleidet, so prunkvoll geschmückt! Du aber bist daheim geblieben und hast nichts von alldem geschaut!“
„Das tut doch nichts, gute Schwestern, ihr habt mir alles so herrlich beschrieben, als hätt‘ ich’s mit eigenen Augen gesehn.“
Dann kam der zweite und schließlich der dritte Sonntag; das schöne Mägdelein nasführte das ehrliche Volk, den Vater und auch die Schwestern. Nur vergaß sie beim letzten Mal, als sie sich entkleidete, eine diamantenbesetzte Nadel aus dem Haar zu ziehen.
Die älteren Schwestern kehrten aus der Kirche heim, erzählten wiederum von dem schönen Königskind und bemerkten miteins den funkelnden Brillanten in ihrer Schwester Haar.
„Holde Schwester, was steckt dort in deinem Haar?! riefen die Mädchen verwirrt. „Genau so eine Nadel wie du trug heute die Königstochter in ihrer Frisur. Woher hast du sie?“
Das wunderschöne Mägdelein stöhnte auf vor Schreck und eilte in ihr Gemach. Die Fragen, das Raten und Flüstern, sie wollten kein Ende nehmen, doch die jüngste Schwester lächelte nur still vor sich hin.
So huben die älteren Schwestern an, auf die Jüngste Obacht zu geben, sie horchten des nachts an ihrem Kämmerlein und erlauschten am Ende ihr Geplauder mit Finist dem edlen Falken. Geschwind eilten sie zu ihrem Vater hin.
„Hör, lieber Vater, nur! Heimlich weilt jemand des nachts bei unserer Schwester und unterhält sie mit trautem Gewisper!“
Der Vater erhob sich von seiner Ruhestatt und ging zur jüngsten Tochter. Als er in ihre Schlafstube trat, hatte der Zarensohn sich in die Feder zurückverwandelt und lag längst im kleinen Schächtelchen.
Da schalt der Alte die Töchter aus:
„Ach, ihr ungebührlichen Dinger. Was redet ihr Schlechtes von eurer Schwester! Habt lieber auf euch selber acht!“
Die Schwestern hatten dennoch auf die Jüngste ein Auge und bemerkten eines Tages, wie ein Falke zu ihr ins Fenster flog. Da griffen sie zu einer List. Als es dunkelte, stellten sie eine Leiter ans Haus und steckten in den Fensterrahmen vor dem Zimmer des schönen Mägdeleins scharfe Messer und spitze Nadeln.
Nachts flog Finist der edle Falke herbei, doch wie er sich auch mühte und plagte, er konnte nicht in die Stube gelangen, er riß sich die Brust nur wund und zerschnitt sich die Schwingen. Das Mägdelein aber schlief und hörte nichts.
„Lebwohl, trautes Mägdelein mein!“ rief er leise. „Wenn du mich finden willst, so suche mich im dreimal neunten Zarenreich, im dreimal zehnten Staat zugleich. Wirst mich finden, wenn du drei Paar eiserne Schuhe durchläufst, wenn du drei Paar eiserne Wanderstäbe zerbrichst und drei steinerne Weihbrote verzehrst!“
Das Mägdelein vernahm die traurigen Worte im Schlaf, doch aufwachen und aufstehen konnte sie nicht.
Als das Mägdelein am Morgen die Augen aufschlug, merkte sie – es tagte bereits, bald müßte die Sonne aufgehen, doch der schöne Jüngling, der edle Falke Finist, war nirgendwo zu sehen. Sie blickte aus dem Fenster, da steckte kreuzweise scharfe Messer und spitze Nadeln im Rahmen, und rotes Blut tropfte zur Erde. Verzweifelt rang das Mägdelein die Hände so zart und fein!
„Die Schwestern haben mein Herzallerliebsten ins Verderben gestürzt!“
Lange vergoß das holde Mägdelein bittere Zähren, viele schlaflose Nächte verbrachte sie am Fenster des Kämmerleins, winkte mit dem bunten Federlein, doch Finist der edle Falke blieb aus, und auch seine Diener erschienen nicht mehr.
Das Mägdelein war schier untröstlich, trat schließlich mit Tränen in den Augen zum Vater und flehte ihn an:
„Lieber Vater, laß mich in die fernen Lande ziehen. Bleib ich am Leben, so wollen wir uns wiedersehen. Muß ich denn sterben, so ist mir’s nicht anders beschieden.“
Diese Worte betrübten den Vater zutiefst, doch er ließ sein Töchterlein ziehen und gab ihr den Segen. Da ließ sie sich drei Paar eiserne Schuhe anpassen, drei eiserne Wanderstäbe schmieden und drei steinerne Weihbrote backen. Sie zog das erste Paar eiseren Schuhe an, nahm den ersten eisernen Wanderstab in die Hand und zog dorthin, woher Finist der edle Falke geflogen kam.
Sie wanderte durch düstere Wälder und heiße Wüsten, über hohe Berge und durchquerte ungestüme Flüsse.
Ob sie nun lange Zeit ging oder kurze Zeit, wer weiß es zu sagen. Der Wald wurde finsterer und dichter nur, und die Wipfel der Bäume ragten in den Himmel empor. Ein paar eiserne Schuhe hatte sie schon durchlaufen, einen eisernen Wanderstab zerbrochen, ein steinernes Weihbrot verzehrt. Da gelangte sie auf eine Waldwiese. Miteins stand vor ihr ein Hüttlein auf zwei Hühnerbeinen und drehte sich hin und her.
Sprach das Mägdelein:
„Hüttlein, Hüttlein! Sollst mit der Rückwand zum Walde stehn, sollst die Türe zu mir drehn, will eintreten flink, am frischen Brot mich laben geschwind.“
Da drehte sich die Hütte ihr mit der Türe zu. Sie trat ein und erblickte die Hexe Baba Jaga ausgestreckt, die spitze Nase zur Decke gereckt.
„Pfui, pfui, pfui!“ rief die Hexe aus. „Früher war Menschenfleisch hier nicht zu sehen, nicht zu spüren, jetzt läuft’s durch die Welt und wagt sich mir gar unter die Augen, kommt mir mit seinem Geruch unter die Nase! Wohin willst du, schönes Mägdelein? Hast einen Auftrag du auszuführen oder schweifst nur aus Kurzweil umher?“
„Ach, Großmutter, ich hatte einen Bräutigam, Finist den edlen Falken, im bunten Federgewand. Doch meine Schwestern taten ihm Böses an. Nun suche ich Finist den edlen Falken.“
„Da hast du noch einen weiten Weg vor dir, holdes Mägdelein. Finist der edle Falke im bunten Federgewand lebt am blauen Meer im dreimal neunten Zarenreich, im dreimal zehnten Staat zugleich und ist der Königstochter versprochen. Doch ich will dir helfen!“
Und die Baba Jaga labte das schöne Mägdelein mit Speis und Trank und führt‘ sie zur Ruhestatt. Doch als die Sonne aufstand, weckte sie sie, gab ihr ein reiches Geschenk: ein silbernes Spinnrad und eine goldene Spindel und sprach:
„Zieh jetzt weiter zu meiner mittleren Schwester. Sie wird Gutes dich lehren; und dies hier sei mein Geschenk: ein silbernes Spinnrad und eine goldene Spindel; wenn du Flachs spinnen willst kommt ein goldener Faden heraus. Wenn du ans blaue Meer gelangst, ins dreimal neunte Zarenreich, in den dreimal zehnten Staat zugleich, wird die Braut von Finist dem edlen Falken am Strand sich ergehen, du aber setze dich nieder geschwind und beginne den Faden zu spinnen; sie wird dir mein Geschenk abkaufen wollen, du aber nimm nichts dafür. Bitte sie nur, Finist den edlen Falken zu schaun.“
Baba Jaga nahm ein Garnknäuel, warf es auf den Weg und befahl dem Mägdelein, ihm zu folgen.
„Wohin es rollt, dorthin folge ihm.“
Das Mägdelein dankte der alten Frau und lief dem Knäuel hinterdrein. Wieder kam sie in einen Wald, der wurde finsterer und dichter nur, und die Wipfel der Bäume ragten in den Himmel empor. Da hatte sie das zweite Paar eiserne Schuhe durchlaufen, den zweiten eisernen Wanderstab zerbrochen und das zweite steinerne Weihbrot verzehrt. Das Garnknäuel aber rollte auf eine Waldwiese wieder. Auf der Wiese stand ein Hüttlein auf zwei Hühnerbeinen und drehte sich hin und her.
Sprach das schöne Mägdelein:
„Hüttlein, Hüttlein! Sollst mit der Rückwand zum Walde stehn, sollst die Türe zu mir drehn, will eintreten flink, am frischen Brot mich laben geschwind.“
Da drehte sich das Hüttlein mit der Türe ihr zu. Sie trat in die Hütte ein, erblickte die Baba Jaga ausgestreckt, die spitze Nase zur Decke gereckt.
„Pfui, pfui, pfui!“ rief Baba Jaga. „Früher war Menschenfleisch hier nicht zu sehen, nicht zu spüren, jetzt läuft’s durch die Welt und wagt sich mir gar unter die Augen, kommt mir mit seinem Geruch unter die Nase! Wohin willst du, schönes Mägdelein? Hast einen Auftrag du auszuführen oder schweifst nur aus Kurzweil umher?“
Entgegnete das schöne Mägdelein:
„Ach, Großmutter, ich hatte einen Bräutigam, Finist den edlen Falken, im bunten Federgewand! Doch meine Schwestern taten ihm Böses an. Nun suche ich Finist den edlen Falken.“
„Ach, schönes Mägdelein, dein Finist rüstet zur Hochzeit sein! Heut ist schon der Polterabend“, erwiderte die Baba Jaga. „Doch ich will dir helfen.“
Sie labte das schöne Mägdelein mit Speis und Trank und führt‘ sie zur Ruhestatt. Am Morgen jedoch, eh‘ die Sonne aufstand, weckte sie sie und reichte ihr ein reiches Geschenk: ein silbernes Tellerchen und ein goldenes Ei und sprach:
„Zieh jetzt weiter zu meiner ältesten Schwester. sie wird Gutes dich lehren; und dies hier sei mein Geschenk: ein silbernes Tellerchen und ein goldenes Ei. Wenn du ans blaue Meer gelangst, ins dreimal neunte Zarenreich, in den dreimal zehnten Staat zugleich, wird die Braut von Finist dem edlen Falken am Ufer sich ergehn. Dann laß das Ei auf dem Tellerchen rollen. Sie wird dir mein Geschenk abkaufen wollen, du aber nimm nichts dafür. Bitte sie nur, Finist den edlen Falken zu schaun.“
So nahm das schöne Mägdelein Abschied von Baba Jaga und folgte dem Garnknäuel.
Sie ging durch einen dunklen Wald, immer weiter fort, der Wald wurde finsterer und dichter nur, und die Wipfel der Bäume ragten in den Himmel empor. Nun hatte sie das dritte Paar eiserne Schuhe durchlaufen, den dritten eisernen Wanderstab zerbrochen, das letzte steinerne Weihbrot verzehrt, da rollte das Garnknäuel auf eine Hütte zu. Das schöne Mägdelein stand vor einem Hüttlein auf zwei Hühnerbeinen, das sich hin und her drehte.
Sprach das schöne Mägdelein:
„Hüttlein, Hüttlein! Sollst mit der Rückwand zum Walde stehn, sollst die Türe zu mir drehn, will eintreten flink, am frischen Brot mich laben geschwind.“
Die Hütte gehorchte und drehte sich mit der Rückwand zum Wald und mit der Türe dem schönen Mädchen zu.
Wieder lag Baba Jaga ausgestreckt, die lange Nase zur Decke gereckt. Von allen dreien war sie die Älteste.
„PFui, pfui, pfui! Früher war Menschenfleisch hier nicht zu sehen, nicht zu spüren, jetzt läuft’s durch die Welt und wagt sich mir gar unter die Augen, kommt mir mit seinem Geruch unter die Nase! Wohin willst du, schönes Mägdelein? Hast einen Auftrag du auszuführen oder schweifst nur aus Kurzweil umher?“
Entgegnete das schöne Mägdelein:
„Ach, Großmutter, ich hatt‘ einen Bräutigam, Finist den edlen Falken, im bunten Federgewand. Doch meine Schwestern taten ihm böses an, so flog er davon, über weite Meere, über hohe Berge, ins dreimal neunte Zarenreich, in einen dreimal zehnten Staat zugleich. Ich aber suche Finist den edlen Falken.“
„Ach, schönes Mägdelein, ach, armes Kindlein mein, er hat schon die Zarentochter gefreit! Doch ich will dir helfen.“
Sie labte das schöne Mägdelein mit Speis und mit Trank und führt‘ sie zur Ruhestatt, doch kaum waren am Himmel die Sterne verblaßt, da weckte sie das Mägdelein fein und gab ihr ein reiches Geschenk – einen goldenen Stickrahmen mit einer Nadel fein und sprach:
„Geh jetzt, holdes Mägdelein, und dies sei mein Geschenk: ein goldener Stickrahmen und dieses Nädlein fein. Wenn du ins dreimal neunte Zarenreich, in den dreimal zehnten Staat zugleich gelangst, setz dich am blauen Meere nieder, dann wird die Königstochter, die Finist der edle Falke gefreit, zu dir treten und dir den goldenen Stickrahmen mit der Nadel abkaufen wollen, du aber nimm nichts dafür. Bitte nur darum, Finist den edlen Falken zu schaun.“
Da vergoß das Mägdelein bittere Tränen, dankte der alten Frau und folgte dem Knäuel.
Miteins lichtete sich der Wald, und vor ihr breitete sich, so weit das Auge reichte, das blaue Meer aus. In der Ferne funkelten auf majestätischen weißen Palästen golden die Kuppeln.
Das ist wohl das Reich von Finist dem edlen Falken, dachte das Mädchen bei sich, setzte sich an den Strand, holte das silberne Spinnrad hervor, die goldene Spindel dazu und ließ das Spinnrad surren. Ein goldener Faden ringelte hervor. Rasch fand sich eine neugierige Menge ein und wußte sich nicht zu lassen vor Staunen.
Da kam auch die Königstochter mit ihren Dienerinnen und Hoffräulein einher. Als sie das schöne Mägdelein sah, blieb sie stehen vor ihr und begann um das silberne Spinnrad und die goldene Spindel zu feilschen.
„Laß mich nur einmal Finist den edlen Falken schaun, so will ich dir’s schenken“, entgegnete das Mädchen.
Diese Worte mißfielen der Königstochter zwar, doch da ihr das versprochene Geschenk in die Augen stach, willigte sie ein.
„Sei’s ‚drum. Gib mir also dein silbernes Spinnrad und deine goldene Spindel. In der Nacht, wenn Finist der edle Falke schläft, will ich dich zu ihm führen.“
Die Königstochter nahm Spinnrad und Spindel an sich, reichte jedoch Finist dem edlen Falken am Abend einen Schlaftrunk, auf daß er in tiefen Schlaf falle und spät erst erwache. Dann befahl sie, den treuen Dienerinnen und Hoffräulein, das schöne Mägdelein ins Schloß zu führen, zu ihrem Ehegemahl, Finist dem edlen Falken.
Lange wehklagte das Mägdelein über den schlafenden Bräutigam gebeugt, lange weinte am Ruhebett des Geliebten sie:
„Wach auf, schlag die Augen auf, Finist, du edler Falke mein! Ich bin’s dein schönes Mägdelein. Bin zu dir gekommen, hab drei Paar eiserne Schuhe durchlaufen, hab drei eiserne Wanderstäbe zerbrochen, hab‘ drei steinerne Weihbrote verzehrt und habe allein nur dich, meinen Herzliebsten, gesucht.“
Doch Finist der edle Falke schlief und erwachte nicht. So verging diese Nacht.
Am Morgen entließ die Königstochter das Mägdelein. Finist der edle Falke aber erwachte und sprach:
„Wie lange habe ich heut‘ nur geschlafen! Es muß jemand in der Kammer gewesen sein, hat bitterlich geweint und geklagt, doch ich konnte die Augen nicht öffnen, zu schwer waren die Lider mir!“
„Das hast du geträumt“, entgegnete die Königstochter. „Keine Menschenseele war hier bei dir.“
Tags drauf saß das schöne Mägdelein wieder am blauen Meer und ließ das goldene Ei auf dem silbernen Tellerchen rollen.
Als die Königstochter sich am Strand erging, erblickte sie das goldenen Ei und das silberne Tellerchen und begann zu bitten:
„Verkauf es mir, verkauf es mir doch.“
„Laß mich nur Finist den edlen Falken schaun, so will ich dir’s schenken!“
Die Königstochter war’s zufrieden und reichte Finist dem edlen Falken am Abend wiederum einen Schlaftrunk.
Wieder weinte das schöne Mägdelein bitterlich am Ruhelager des Liebsten, doch sie vermochte ihn nicht zu wecken aus tiefem Schlaf:
„Wach auf, schlag die Augen auf, Finist, du edler Falke mein! Ich bin’s, dein schönes Mägdelein. Bin zu dir gekommen, hab drei Paar eiserne Schuhe durchlaufen, hab drei eiserne Wanderstäbe zerbrochen, hab drei steinerne Weihbrote verzehrt und habe allein nur dich, meinen Herzliebsten, gesucht!“
Doch Finist der edle Falke schlief und erwachte nicht. So verging auch diese Nacht.
Morgens entließ die Königstochter das Mägdelein aus dem Gemach. Finist der edle Falke erwachte und sprach:
„Wie lange habe ich heut‘ nur geschlafen! Es muß jemand in der Kammer gewesen sein, hat bitterlich geweint und geklagt, doch ich konnte die Augen nicht öffnen, zu schwer waren die Lider mir!“
„Das hast du geträumt“, entgegnete die Königstochter. „Keine Menschenseele war hier bei dir.“
Am dritten Tag saß das schöne Mägdelein tieftraurig am blauen Meer und weinte. In den Händen hielt sie den goldenen Stickrahmen, und die Nadel stickte allein Faden für Faden fein. Alle, die es sahen, wußten sich nicht zu lassen vor Staunen. Auch die Zarentochter kam einher und begann allsogleich zu feilschen.
„Laß mich nur Finist den edlen Falken schaun“, erwiderte das Mägdelein, „so will ich dir’s schenken!“
Die Königstochter war’s zufrieden und begab sich aufs Schloß. Abends reichte sie ihrem Mann wieder den Schlaftrunk. Als er eingeschlummert war, schickte sie ihre Dienerinnen nach dem schönen Mägdelein.
DAs Mädchen trat ein, versuchte den Liebsten zu wecken, umarmte ihn, küßte ihn zärtlich und weinte bitterlich: Doch er erwachte nicht, ihr Herzallerliebster.
„Wach auf, schlag die Augen auf, Finist, du edler Falke mein. Ich bin’s, dein schönes Mägdelein. Bin zu dir gekommen, hab drei Paar eiserne Schuhe durchgelaufen, hab drei eiserne Wanderstäbe zerbrochen, hab drei steinerne Weihbrote verzehrt und habe allein nur dich, meinen Herzliebsten, gesucht.“
Ob sie nun lange Zeit weinte oder kurze Zeit, ich weiß es nicht zu sagen. Da fiel unbemerkt eine heiße Zähre aus ihren Augen auf seine Wange. Sie brannte ihn so, daß er erwachte. Als er das schöne Mägdelein vor sich sah, war seine Freude so groß, daß kein Märchen es zu sagen, keine Feder es zu beschreiben vermag.
Sie erzählte ihm alles, was sie erlebt, wie die bösen Schwestern vor Neid ihr Schlimmes angetan, wie sie durch die halbe Welt gewandert war und mit der Königstochter einen Handel geschlossen hatte.
Da liebte er sie noch inniger als zuvor, küßte ihre Honiglippen und befahl Bojaren, Fürsten und andere Würdenträger zu sich zur Stund.
Drauf fragte er sie:
„Was ratet Ihr mir, mit welcher Frau soll mein Leben ich teilen? Mit der, die um mich gefeilscht, oder mit der, die mich errettet hat aus aller Not? Mit der, die durch dunkle Wälder, durch heiße Wüsten, über hohe Berge gewandert ist, tiefe Flüsse durchquert hat, um mich zu finden, oder mit der, die für eine Kurzweil mich hergab?“
Da versanken Bojaren, Fürsten und hohe Würdenträger in tiefes Sinnen, bis schließlich einmütig sie beschlossen: Die solle sein Eheweib sein, die ihn errettet hat aus aller Not.
So tat denn auch Finist der edle Falke, mit dem bunten Gewand, was sie ihm geraten.
Es ertönte Trompetenschall und Böllergeknall, da wurde zum Hochzeitsfest gerüstet, die Liebenden wurden vermählt und ihren Lebtag hoch geehrt.

(Volksmärchen aus Russland)

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