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Hahn und Pfau

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Vor langer Zeit wohnten ein Hahn und ein Pfau in naher Nachbarschaft. Wie schön und prächtig war der Hahn! Er hatte goldene Federn, die in der Sonne glänzten und schillerten. Alle Vögel beneideten ihn. Sie saßen im Geäst und zwitscherten betrübt: Warum haben wir nicht solch ein prächtiges Gefieder wie der Hahn? Der Hahn aber blähte sich stolz auf. Er sprach mit keinem, nur mit dem Pfau. Er stolzierte ebenso hoffärtig herum und pickte würdig Körner von der Erde auf.
Hahn und Pfau waren befreundet.
Vielleicht, weil das Gefieder des Pfaus damals bescheidener aussah als das des Hahns, vielleicht aber, weil sie Nachbarn waren, wer weiß. Jedenfalls verstanden sie sich gut.
Einmal wollte der Pfau eine Reise machen und bedauerte, daß sein Kleid so ärmlich war. Neidisch sah er auf den Hahn und dachte bei sich: Wie glücklich wäre ich doch, wenn ich ein so schönes Gefieder hätte wie der Hahn! Was habe ich schon? Nichts außer meinen jämmerlichen Federn. Kann ich mich in der Ferne in einem solchen schäbigen Aufzug sehen lassen? Das ist doch eine Schmach und Schande! Warum soll ich den Hahn nicht um sein Gefieder bitten? Er wird die Bitte gewiß nicht abschlagen.
Der Pfau trug dem Hahn seine Bitte vor und versprach, am nächsten Morgen zurückzukehren. Der Hahn überlegte und sagte: „Aber was soll ich machen, wenn du bis Sonnenaufgang nicht zurück bist?“ Der Pfau antwortete: „Wenn ich bis Sonnenaufgang nicht zurück bin, mußt du nach mir rufen, deinem Ruf leiste ich unbedingt Folge. Und wenn ich morgens nicht komme, dann mußt du mittags rufen, und wenn ich mich auch mittags nicht einfinde, dann rufe noch mal abends. Bis morgen abend bin ich bestimmt wieder da.“
Der Hahn vertraute dem Pfau, nahm sein schönes Federkleid ab, gab es ihm und legte die Pfauenfedern an. Im bunten Hahnengewand war der Pfau der schönste Vogel auf Erden. Er freute sich sehr, blähte sich vor Stolz und reiste ab.
Der Tag verging. Dann verging die Nacht. Der Hahn wartete auf den Pfau, aber der ließ sich nicht blicken. Nun begann der Hahn aufgeregt zu rufen: „Ki-ke-ri-ki!“ Er schrie immer wieder, aber der Pfau kam nicht. Da wurde der Hahn ganz traurig. Er wartete bis zum Mittag, und als es Mittag wurde, rief der Hahn wieder. Aber der Pfau kam nicht. Nun wartete der Hahn bis zum Abend, und als es Abend wurde, rief er erneut nach dem Pfau, der aber blieb weg.
So verschwand der Pfau mit dem schönen Federkleid des Hahns. Seither rufen die Hähne jeden Tag dreimal, morgens, mittags und abends, nach dem Pfau, der ihr schönes Gewand gestohlen hat.

Quelle:
(kalmückisches Märchen)

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