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Märchenbasar

Harfenmädchen oder Der Spiegel des Vergessens

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Es wart einst ein Mädchen so lieblich, nett und fleißig und ein jeder mochte es gerne. Sein Name wart Ellaris, doch die meisten nannten es stets „Harfenmädchen“, denn des Abends, wenn sich die Sonne rot gen Westen neigte so saß sie am Rande eines kleinen Teiches, spielte die Weidenharfe und sang dazu, so klar und rein, dass alles andere verstummte. Ihr Lied tönte durch die Nacht, wunderschöne, bittersüße Töne, so herrlich, dass jeder, der in dieser Stunde vor der Nacht des Weges kam, stehen blieb und ehrfürchtig lauschte. So wart es auch an jenem schicksalhaften Abend. Die Luft war lau und einige Sterne blinkten schon am Himmel. Harfenmädchen saß an ihrem Teich und war so vertieft in ihr Spiel, dass sie die dunkle Gestalt, in einen schwarzen Umhang gehüllt, nicht bemerkte, die aus dem Schatten der Bäume auf sie zu trat. „Welch zauberhafte Melodie!“ Ellaris schreckte aus ihren Träumen und blickte auf. Die Gestalt hatte ihre Kapuze zurückgeworfen und enthüllte die ebenmäßigen Züge einer Frau, weder jung noch alt. Ihre Augen hatten, soweit es bei dem schwachen Licht zu erkennen war, die Farbe von jungen Blättern im Frühling und ihr langes, nachtschwarzes Haar wallte ihr um die Schultern. „Du verstehst viel vom Harfenspiel!“, sagte die Fremde nun, mit honigsüßer Stimme. „Oh, das ehrt mich zu hören …“, flüsterte Harfenmädchen verlegen, denn sie konnte nicht ahnen, dass keine sterbliche Frau vor ihr stand, sondern eine Zauberin. Doch nicht die weiße, reine Magie beherrschte sie, sondern die dunkle, schwarze. Aber wie es oft ist im Leben, sind nicht immer jene, die auf den ersten Blick schön und freundlich scheinen mögen auch wirklich so. Die Zauberin, die vor Ellaris stand, war im Lande gefürchtet und gehasst, doch nur wenige hatten sie je gesehen. Oder zumindest glaubten diese sie nicht gesehen zu haben, denn oft wandelte sie in der Gestalt einer schönen Frau, wie sie nun auch vor Harfenmädchen stand, umher. Wie ihr wirklicher Name lautete hat nie jemand gewusst und wenn ihn einer je gehört hatte, so blieb er sein Geheimnis, doch im Lande war sie als „Schlangenauge“ bekannt. Ihr Zorn und ihre Zaubersprüche waren gefürchtet, aber am meisten wart es ihr Spiegel. Er war von dem reinsten Silber, das ein Sterblicher je erblickte, so sagte man, und mit unvorstellbar kostbaren Juwelen besetzt, doch blickte ein Mensch hinein, so vergaß er alles was ihm je viel Wert gewesen war. Schlangenauge nützte diese Eigenschaft für sich und sie zog umher, verlockte ahnungslose Männer, Frauen und Kinder in den Spiegel zu blicken und machte sie so zu ihren willenlosen Sklaven. Auch an diesem Tag war sie unterwegs gewesen und das liebliche Harfenspiel hatte sie angelockt und gleichzeitig ihr Herz mit Neid und Hass erfüllt. „Mein liebes Kind“, schmeichelte sie Harfenmädchen nun, „dein Harfenspiel hat mir gefallen deshalb …“, sie legte ein freundliches Lächeln auf, „…würde ich dir gestatten in meinen Spiegel zu schauen, du musst wissen er zeigt dir die Zukunft. Möchtest du nicht einen Blick wagen?“ „Oh, vielen Dank …“, antwortete Ellaris und die Zauberin lächelte innerlich schon schadenfroh, „… doch ich denke, dass die Zukunft so und so vor mir liegt und wenn ich jetzt schon erfahre, was alles Schreckliches noch vor mir liegt, dann werde ich immer zu daran denken müssen. Ich möchte mein Leben jetzt genießen.“ Schlangenauge viel es nun sehr schwer ihren Zorn zu verbergen und weiterhin freundlich zu bleiben. „Aber mein liebes Kind“, rief sie, „ich sehe nur das Beste für deine Zukunft.“ Harfenmädchen lächelte verlegen. „Es tut mir sehr Leid Euch abermals abweisen zu müssen und denkt nicht ich wüsste Euer großes Vertrauen, das ihr mir entgegen bringt in dem ihr mich einen Blick in Euren Zauberspiegel werfen lasst, nicht zu schätzen, doch sähe ich jetzt was für herrliche Tage noch vor mir liegen, so würde ich jede Minute hassen, die ich warten muss, bis es eintrifft. Ich würde warten und warten, ohne die Schönheit der Tage bis dorthin zu sehen.“ Nun geriet die Zauberin völlig außer sich. Sie schien zu wachsen und die vorhin noch so schöne Farbe ihrer Augen verwandelte sich in ein giftiges Grün. „Unselige! Weiger dich nur, es wird nichts nützen! Deine Zukunft kann ich dir sagen: Sie wird schwarz!“ Harfenmädchen wollte aufspringen und fliehen, doch es war ihr, als sei sie plötzlich gelähmt. „Nein!“, rief sie. Die Zauberin warf ihr einen scharfen Blick zu und sie vermochte plötzlich kein Wort mehr über die Lippen zu bringen. Schlangenauge zog nun einen Spiegel aus ihrem Umhang. Er war von Silber, doch kaum erblickte ihn Ellaris, da lief er dunkel an. Schwarz wie die Nacht wurde er. Das Mädchen konnte Blick nicht anwenden. Es war als zöge er Harfenmädchen in sich hinein. Ihr wurde schwindlig und mit einem erstickten Schrei, fiel sie vornüber.

Ein eisiger Lufthauch. Das Mädchen lag auf einem kalten Steinboden. Sein Kopf schmerzte. Seine Glieder waren steif vor Kälte. Langsam richtete sich die junge Frau auf. Tiefe Dunkelheit umfing sie. Doch da ein Licht. Ein kaltes, weißes Licht durchdrang die Nacht. Vor ihr stand eine Frau. Das lange, pechschwarze Haar umrahmte ihre ebenmäßigen, doch steinernen Züge. Ihre grünen Augen lagen ungerührt auf ihr. Doch sie sah es nicht. Sie war der Frau dankbar für das Licht. Die Kälte wich, doch es wurde nicht wärmer. Sie wurde kälter.

Sie saß an einem kleinen Teich. Dämmerlicht umfing sie. Mit gleichgültigem Blick starrte sie ins Wasser. Wieso war sie hergekommen? Was wollte sie hier? Sie musste zurück zur Herrin. Zur Herrin. Langsam erhob sie sich, als hielte sie eine geheime Kraft fest. „Ich muss zur Herrin.“, murmelte sie gequält, „Ich muss zur Herrin.“ Langsam ging sie einen Schritt weiter. „Wo willst du hin, Harfenmädchen?“ Das Wort Harfenmädchen traf sie wie ein Pfeil ins Herzen. „Ich muss zur Herrin.“, stöhnte sie. „Harfenmädchen!“ Sie stürzte zu Boden wie schwerverletzt. „… zur Herrin.“, nur noch ein schwaches Wimmern entrang sich ihrer Kehle. Es tat weh.
Auf der anderen Seite des Teiches saß ein Mann. Er war es, der gesprochen hatte. „Harfenmädchen!“ Heiße Tränen rannen ihr die Wangen herunter. „Warum?“, stieß sie hervor, „Warum quälst du mich so? Lass mich zur Herrin!“ „Nicht ich bin es, der dich quält, sondern du selbst. Ich habe etwas, das dir helfen kann.“ Er zog ein seltsames Ding hervor. Langsam trat sie näher. Sie nahm das Etwas entgegen. Zart strichen ihre Finger über die Saiten. Ein leiser Klang. Sie zuckte zurück als hätte sie eine Schlange gebissen. „Hier!“, lächelnd hob er das Ding auf, das sie fallen gelassen hatte und reichte es ihr. Erst zögernd, dann immer fester zupfte sie. Eine leise Melodie erklang. Eine Melodie die ihr die Tränen abermals hervorrief. „Ich bin … Harfenmädchen!“, schluchzte sie und Erinnerungen stürzten wie Wildbäche auf sie ein. In diesem Moment erschütterte ein gewaltiger Donner die Erde und ein markerschütternder Schrei erklang. Zitternd warf sich Harfenmädchen auf den Boden und blieb dort liegen, bis auch noch das letzte Echo verklungen war. „Was … was war das?“, wagte sie schließlich zu fragen. „Der Spiegel ist zerbrochen.“ „Der Spiegel des Vergessens …“ Langsam richtete sich auf. Im Teich war das Spiegelbild einer alten Frau zu sehen. „Wer ist das?“ „Du.“, antwortete der Mann sacht. „Ich …? Wie viel Zeit ist vergangen?“, hauchte sie erschrocken. „Genug.“, antwortete er. „Doch nun bist du frei. Geh.“

 
Quelle: Ineya 2006 – 12 Jahre

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