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Märchenbasar

Heinrich von Kempten

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Zu allen Zeiten sind die Schwaben helle Köpfe gewesen und tapfer, was schon der Satz beweist: „Der wack’re Schwabe forcht sich nicht!“
Eine hübsche Sage erzählt uns, daß es schon zur Zeit Otto des Großen, 936-973, schwäbische Helden gab, allen voran den Ritter Heinrich von Kempten.

Dieser Ritter war Lehr- und Zuchtmeister eines Sohnes des Schwabenherzogs und mit dem Edelknaben anwesend bei Hof zu Babenberg, wo der gefürchtete Otto der Große residierte. Der König nämlich war sehr streng, er trug einen schönen, roten Bart, bei dem er zu schwören und das Beschworene sicher auszuführen pflegte. Ostern war es. Der König mit allen Fürsten und Edlen wohnte der Messe bei. Unterdessen stellte das Gesinde die Hoftafel bereit, ein großes Linnen, kostbare Geräte, Trinkgefäße und für jeden Gast ein Brötchen. Wie nun Edelknaben überall sind, wohin sie just nicht gehörten, der Sausewind fand den Weg in den großen Speisesaal, hinterdrein, aber verspätet, fahndete Ritter Heinrich nach seinem adligen Tunichtgut. Eben griff dieser gerade nach einem Brötchen und biß herzhaft in das Gebäck, als der kaiserliche Truchseß in den Saal kam, um die Tafel zu besichtigen. Auf den ersten Blick erkannte der jähzornige Höfling die Freveltat des Edelknaben, und der Truchseßstab sauste strafend auf des Knaben Haupt so hart, daß Haar und Kleidung blutig wurden. Das war so schnell geschehen, daß Ritter Heinrich es nicht verhindern konnte. Aber auf gut Kemptnerisch sagte er dem Truchseß wenigstens seine Meinung. Der Truchseß wurde patzig und warf sich erstaunlich in die Brust. Ritter Heinrich, nicht faul, klopfte dem Manne auf den Kopf, daß der wie ein Ei zerbrach und der Truchseß tot zu Boden sank. Kaum hatte die erschrockene Dienerschaft den Leichnam weggeschafft, da kam der König mit den Fürsten in den Saal, und augenblicklich nahmen Ottos scharfe Augen die Blutspuren auf dem Estrich wahr. Zornig fragte er, was geschehen sei während der heiligen Handlung in der Kirche. Ritter Heinrich trat vor und erzählte dem vor Zorn bereits glühenden König den ganzen Hergang des Streites, er leugnete auch nicht, dem Truchseß auf den Kopf geklopft zu haben.
Da tobt der König grimmig und schwor: „Daß Ihr mir den Truchseß erschlagen, werd‘ ich an Euch rächen, bei meinem Barte sei’s geschworen!“ Für den Augenblick erblaßte der Ritter Heinrich; sein Leben ist verwirkt bei solch königlichem Schwur. Doch faßte sich der Kemptener rasch, und in plötzlicher Ausführung eines Gedankens sprang Heinrich hin zum König und faßte ihn blitzschnell am roten Bart, so fest und überraschend, daß Ottos Krone vom Haupt fiel und am Eßtisch davonkollerte. Mit gewaltigem Ruck warf der schwäbische Ritter den König auf die Tafel und schickte sich an, Otto mit dem Messer den Hals zu durchschneiden. Das Schrecklichste wollten die Fürsten und Edlen nun doch verhindern, sie drangen daher auf dem rabiaten Schwaben ein. Doch Heinrich rief dröhnend durch den weiten Saal: „Keiner rühre mich an, oder der König ist ein toter Mann!“ Die Drohung schreckte die Edlen zurück. Zum Gebieter aber sagte der unverzagte Ritter: „Wollt Ihr das Leben haben, so tut mir Sicherheit, auf daß ich genese.“ Wenn einem das Messer den Hals kitzelt, wird meist jede Forderung bewilligt. Otto hob die rechte Hand zum Schwur und gelobte, dem Ritter das Leben zu schenken. Jetzt erst ließ Heinrich den Rotbart los und gab den König frei, daß dieser wieder auf die eigenen Füßen zu stehen kam. Otto strich den Bart zurecht und sprach: „Ritter! Leib und Leben habe ich Euch zugesagt, damit fahret Eure Wege. Hütet Euch aber vor meinen Augen, daß die Euch nimmer wiedersehen. Nun räumt mir Hof und Land. Ihr seid mir zu schwer zum Hofgesind‘, und mein Bart müßte immerdar Euer Schermesser fürchten!“ Das ließ sich Ritter Heinrich natürlich nicht zweimal sagen und ritt, schleunigst südwärts in die Allgäuer Heimat, fest entschlossen, dem König nicht mehr vor die Augen zu kommen.

So vergingen wohl an zehn Jahre. Otto der Große war in Rom zum Kaiser gewählt worden, kam aber aus den Kriegshändeln nicht heraus. Diesmal galt es, jenseits der Alpen Ordnung zu schaffen und Ruhe zu stiften. Hierzu sind Truppen nötig, je mehr desto besser, und Otto hatte so wenig Soldaten, daß die Gefahr bestand, von den Italienern aus dem Land gejagt zu werden. Da bat denn der Kaiser um Hilfe: wer ein Lehen des Reichs trage, sollte Krieger schicken und selbst erscheinen bei Verlust des Lehens und es Dienstes. Ein solches Aufgebot erhielt auch der Abt von Kempten, der sofort an den tapferen Ritter Heinrich dachte als den passenden Haudegen für den bedrängten Kaiser. Er ließ den Ritter aus seinem gewöhnlichen, beim Salzstadel zu Kempten gelegenen Haus, dem sogenannten Ritznerhaus, holen und meldete ihm das kaiserliche Aufgebot. Ritter Heinrich fand die Lage peinlich genug. Gerne möchte er dem Kaiser Hilfe bringen und ihm den Arm leihen, aber nach des Kaisers Schwur darf der Ritter sich nicht mehr vor seinen Augen blicken lassen, ohne das Leben zu verlieren. Kommt Heinrich also nicht, so ist’s genauso, als wenn er sich stellt und hingerichtet wird. Dem Kaiser ist auf keinen Fall geholfen, und im ersteren Fall, wenn der Ritter hübsch zu Hause bleibt, behält er sicher sein Leben. Dies setzte Ritter Heinrich dem Prälaten auseinander, und er fügte hinzu: „Lieber gebe ich meine zwei Söhne und lasse sie mit zum Kaiser reiten.“ Der Abt ließ nicht locker: „Ihr seid mir nötiger als beide Söhne zusammen! Ich darf Euch nicht der Pflicht der Heeresfolge entbinden. Geht Ihr nicht, so leihe ich Euer Land anderen, die es besser verdienen wissen.“ Diesen Wink verstand der Schwabe und erklärte sich zum Zug bereit. Wenige Tage darauf war er auf seinem Schlachtroß unterwegs und bald darauf vor der Stadt in Welschland, wo der Kaiser mit den wenigen deutschen Kriegern lag. Ritter Heinrich kalkulierte mit Pfiffigkeit die Lage, sofort sich dem Kaiser zu stellen, wäre eine das Leben kostende Dummheit. Vernünftiger ist ein stilles, ruhiges Abwarten und Ausweichen. So ließ der wackerer Ritter seine Zelte abseits vom großen Zeltlager der Deutschen aufschlagen, und er verlegte sich aufs Beobachten, was bekanntlich manchmal klüger ist als blindes Draufgehen und Dreinschlagen. Wenn man schier zwei Wochen Tag und Nacht mit wenig Ruhepausen für Roß und Reiter über die Alpen geritten ist und einem die Sonne des Welschlandes auf den Rücken brennt, ist ein Bad hochwillkommen. Zudem hatte Ritter Heinrich mehr als genügend Zeit und einen großen Zuber dazu, den er gefunden hatte und sogleich als Kriegsbeute in sein Zelt bringen ließ. Der Knappe mußte Wasser holen und den Zuber füllen. Dann stieg Heinrich behaglich in das Bad und blickte durch die Zeltritze in die Gegend der belagerten Stadt. Seltsame Dinge sah da der Ritter. Bürger kamen aus der Stadt, mehrere verloren ihre Waffen, die sie gleich wieder unterm Warm verbargen, und ein großer Haufen Lanzenträger war hinter dem Stadttor versteckt aufgestellt, jeden Augenblick zum Hervorbrechen bereit. Da ist etwas im Werk, sagte sich der im Wasser sitzende Ritter. Und richtig, bald darauf kam der Kaiser angeritten, leichtsinnig genug ohne jedes Gefolge und unbewaffnet. Arglos ritt Otto den verschlagenen Bürgern zu einer Aussprache entgegen und stieg vom Gaul, um die Besprechung zu eröffnen. Da umringten die falschen Welschen den wehrlosen Kaiser und schlugen auf ihn ein. Messer blitzten auf. Das sehen, Schild und Schwert ergreifen und splitternackt hinausstürmen, den Kaiser zu retten, das war das Werk eines Augenblicks. Wütend hieb der schwäbische Held auf die falsche Bande ein, mit jedem Schwerthieb einen Welschen tötend, sodaß die Bürger alsbald Fersengeld gaben und in die Stadt flüchteten. Der Kaiser war befreit, und wie er sich, wieder im Sattel sitzend, nach dem wie es schien nackten Ritter umblickte, war der verschwunden, heimgesprungen. Heinrich saß wieder im Bad und tat, als sei nicht das geringste vorgefallen.

Im Kaiserzelt angekommen, ließ Otto nachforschen, wer nackt dem Kaiser zu Hilfe gekommen sei. Es solle der Lebensretter vor dem Gebieter erscheinen und den kaiserlichen Dank entgegegen nehmen. Nun wußten einige Edle vom Hof, daß gehorsam dem Aufgebot, Ritter Heinrich erschienen sei, häufig bade abseits vom großen Lager, also wahrscheinlich der Helfer gewesen sei. Man trug Bedenken, seinen Namen dem Kaiser zu nennen, da Otto dem Ritter im Wiedersehensfalle doch den Tod geschworen hatte, und man sagte daher dem Kaiser, daß es mit dem Ritter eine eigene Sache sei, weil auf ihm eine schwere Ungnade laste. Da gelobte Otto bei seinem Bart: Verziehen solle ihm sein und wenn der Ritter gleich seinen Vater erschlagen hätte. Jetzt nannten die Höflinge des Ritters Namen: Heinrich von Kempten. Wie der Ritter gerade stand, mußte er vor den Kaiser kommen; es war ein Glück, daß der Schwabe nicht wieder im Wasser gewesen war. Und Otto beschloß ein Spiel mit dem Ritter. Scheinbar zornig schrie der Kaiser den treuherzig blickenden Kemptner an, wie er sich getraute, dem Kaiser unter die Augen zu treten! Das Leben sei verwirkt und dergleichen mehr. Ritter Heinrich stand demütiglich vor dem Gebieter und sagte: „Gnade, Herr und Kaiser. Ich kam nur gezwungen durch Euer Aufgebot und des Abtes Drohung. Den Zug hab‘ ich geleitet, gehorsam und gewiß nicht gern; aber der Diensteid mußte eingelöst werden. Wer mir das verübelt, dem schlag‘ ich die Knochen entzwei!“ In Erinnerung an die Szene zu Babenberg wollte Otto es nicht zu einer Bestätigung dieses gefährlichen Gelöbnisses kommen lassen, denn der Kaiser zog es vor, das Spiel zu beenden. Lachend reichte er dem Ritter die Hände und hieß ihn willkommen als Lebensretter. Jetzt war nun auch der Schwabe froh. Der Kaiser überschüttete den Retter mit Reichtum und ehrte ihn bis ans Ende.

Deutsche Sage

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