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(1)
Billy Mac Daniel, ein gutmüthiger, aber leichtsinniger Geselle, gieng in einer klaren, frostigen Winternacht, nicht lange nach Weihnachten, heim.
Der Vollmond schien hell, und es war die herrlichste Nacht, die man sich nur wünschen konnte, aber es war bitter kalt.
»Meiner Treu,« sagte Billy zähneklappernd, »ein guter Tropfen wäre jetzt nicht ohne. Es friert zum Erbarmen. Ich wollt‘, ich hätt‘ ein volles Glas vom Besten.«
»Du brauchst den Wunsch nicht zweimal auszusprechen,« sagte plötzlich ein Männlein. Das hatte einen goldverschnürten Dreispitz auf dem Kopfe und solche große silberne Schnallen auf den Schuhen, dass es ein Wunder war, wie es sie ertragen konnte. Es hielt ein Glas in der Hand, das war so groß wie das Männlein selbst und bis zum Rande mit einem Tranke gefüllt, wie ihn besser noch kein Auge gesehen, kein Gaumen gekostet hatte.
Billy Mac Daniel erkannte sehr wohl, dass das Männlein ein Kobold war, trotzdem sagte er furchtlos: »Auf deine Gesundheit, Kleiner! Danke schön. Ich frage nicht, wer die Zeche bezahlt.«
Und er ergriff das Glas und leerte es auf einen Zug.
»Wohl bekomm’s!« sagte das Männlein, »gern geschehen, Billy. Glaub‘ aber nicht, dass du mich betrügen wirst, wie du Andere betrogen hast – heraus mit dem Beutel und zahle, wie es einem Ehrenmanne ziemt!«
»Ich dir bezahlen?« sagte Billy, »ich kann dich ja in meine Tasche stecken wie eine Brombeere!«
Aber da wurde das Männlein sehr böse.
»Billy Mac Daniel,« sagte es, »sieben Jahre und einen Tag wirst du mein Knecht sein, auf diese Art werde ich mich bezahlt machen. Folge mir.«
Als Billy dies hörte, da bedauerte er sehr, so keck gegen das Männlein gewesen zu sein. Er wusste selbst nicht, wie es zugieng, musste aber dem Kobold auf seiner Wanderung folgen, bergauf, bergab, über Hecke und Graben, über Stock und Stein, ohne Ruh‘ und Rast.
Als der Morgen graute, wandte sich das Männlein zu ihm um und sagte: »Jetzt kannst du nach Hause gehen, Billy, aber heute nachts kommst du zum Festungsgraben, sonst geht’s dir an den Kragen. Wenn du dich aber als guter Knecht bewährst, dann wirst du an mir einen nachsichtigen Herrn haben.«
Billy Mac Daniel ging heim, aber trotzdem er sehr müde war, schlief er doch keinen Augenblick, so sehr musste er an das Männlein denken. Er fürchtete sich, ihm ungehorsam zu sein, und so stand er denn am Abend auf und gieng zum Festungsgraben.
Er war noch nicht lange dort, als der Kobold auf ihn zukam und zu ihm sprach: »Billy ich will heute eine große Reise unternehmen, sattle ein Pferd für mich und eines für dich, denn du sollst mich begleiten und dürftest von deiner gestrigen Wanderung her noch müde sein.«
Billy gestand sich, dass sein Herr sehr rücksichtsvoll sei, und dankte ihm.
»Gestattet mir, Herr,« fügte er hinzu, »Euch zu fragen, wo der Stall ist. Ich sehe nämlich nichts als die Festung und den Dornbusch dort drüben, den Bach am Fuße des Hügels und das Stück Sumpfland uns gegenüber.«
»Frag‘ nicht viel, Billy,« sagte das Männlein, »sondern geh‘ zu dem Sumpfe hinüber und bringe mir zwei von den stärksten Binsen.«
Billy that, wie ihm geheißen ward, und wunderte sich, was der Kobold wohl vorhabe.
Er schnitt zwei der stärksten Binsen ab, die er nur finden konnte und brachte sie seinem Herrn.
»Steig‘ auf,« sagte das Männlein; es nahm eine der Binsen und setzte sich rittlings darauf.
»Wo soll ich aufsteigen, Euer Gnaden?« fragte Billy.
»Wo? Nun, auf das Pferd doch natürlicherweise, so wie ich«, antwortete das Männlein.
»Wollt‘ Ihr mich zum Narren halten? Die Binse soll ich besteigen?« fragte Billy, »wollt‘ Ihr mir vielleicht gar einreden, dass die Binse, die ich vor einem Weilchen aus dem Sumpfe gezogen habe, ein Pferd ist?«
»Steig‘ auf und red‘ nicht so viel,« sagte das Männlein und sah dabei sehr böse aus; »das beste Pferd, das du je geritten hast, ist nichts im Vergleiche damit.«
Billy glaubte, er scherze, wollte ihn aber nicht erzürnen und nahm die Binse zwischen die Beine.
»Borram! Borram! Borram!« – das bedeutet so viel wie: »wachse!« – rief das Männlein, und Billy folgte seinem Beispiel. Sofort verwandelten sich die Binsen in schöne Rosse und galoppierten davon. Billy aber, welcher, ohne weiter darauf zu achten, die Binse zwischen die Beine genommen hatte, saß mit dem Gesichte dem Schweife zugekehrt auf dem Pferde. So unangenehm das auch war, er war nicht im Stande, sich umzudrehen, denn das Pferd galoppierte zu schnell. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich am Schweife festzuhalten.
Endlich erreichten sie das Ziel ihrer Reise. Vor dem Thore eines schönen Hauses machten sie Halt.
»Jetzt, Billy,« sagte das Männlein, »folge mir und thue genau, was ich thue. Da du aber nicht einmal im Stande bist, den Kopf eines Pferdes von seinem Schweife zu unterscheiden, so nimm‘ dich inacht, sonst wirst du am Ende gar bald nicht mehr wissen, ob du auf deinem Kopfe oder auf deinen Beinen stehst. Bedenke, dass alter Wein zwar eine Katze zum Reden bringen, aber auch einen Menschen stumm machen kann.«
Das Männlein machte noch einige solcher seltsamer Bemerkungen, die Billy nicht verstehen konnte. Dann giengen sie durch das Schlüsselloch ins Haus und immer weiter durch andere Schlüssellöcher, bis sie in den Weinkeller gelangten; in dem waren alle Arten von Wein zu finden. Das Männlein begann nun zu trinken und trank, so viel es vermochte, und Billy, dem es durchaus nicht unangenehm war, das Gleiche zu thun, folgte seinem Beispiele.
»Ihr seid wirklich der beste Herr,« sagte Billy, »den es gibt, wer immer auch mein nächster Herr sein mag. Wenn Ihr fortfahrt, mir so reichlich zu trinken zu geben, dann wird mich mein Dienst bei Euch sehr freuen.«
»Ich lass mich nicht auf Bedingungen ein,« erwiderte das Männlein, »komm‘ jetzt.«
Wieder giengen sie durch viele Schlüssellöcher, bestiegen die Binsen, die sie vor dem Hausthor zurückgelassen hatten, und fort gieng’s, nachdem sie »Borram, Borram, Borram« gerufen hatten, dass die Wolken vor ihnen wie Schneeflocken herflogen.
Als sie zu dem Festungsgraben zurückkehrten, entließ das Männlein Billy und befahl ihm, sich am folgenden Abend um dieselbe Zeit wieder an demselben Orte einzufinden. So lebten sie Nacht um Nacht, nahmen einmal ihren Weg dahin, dann dorthin, bald nördlich, bald östlich, manchmal südlich, bis es in ganz Irland keinen Weinkeller mehr gab, den sie nicht besucht hatten. Sie kannten jede einzelne Sorte ebensogut, ja sogar besser als der Kellermeister selbst.
Eines Nachts, als Billy Mac Daniel seinen Herrn wie gewöhnlich beim Festungsgraben traf und zum Sumpf hinübergieng, um die Pferde zu ihrer Reise zu holen, sagte das Männlein zu ihm: »Billy, heute werde ich noch ein drittes Pferd brauchen, denn wir kommen vielleicht zu Dreien zurück.«
Billy, der schon wusste, dass es nicht gut sei, seinen Herrn viel zu fragen, brachte also eine dritte Binse und sann darüber nach, wer wohl mit ihnen zurückkommen würde, vielleicht ein zweiter Knecht.
»Wenn das der Fall ist,« dachte er, »dann muss er jeden Abend die Pferde aus dem Sumpfe holen. Denn ich bin gerade so vornehm wie mein Herr.«
Sie ritten fort, und Billy führte das dritte Pferd. Sie hielten erst, als sie das schmucke Häuschen eines Pächters in der Grafschaft Limerick erreicht hatten. Das stand in der Nähe des alten Schlosses von Carrigogunniel, welches der große Brian Boru erbaut haben soll. Drinnen gieng es hoch her, und das Männlein blieb einige Zeit draußen stehen und lauschte.
Plötzlich wendete es sich zu Billy um und sagte: »Billy, morgen bin ich tausend Jahre alt!«
»Gott behüte und bewahre uns, Herr,« sagte Billy, »wirklich?«
»Sag‘ das Wort nicht wieder, Billy,« sagte das alte Männlein, »sonst ist’s um mich geschehen. Da ich nun morgen tausend Jahre alt werde, so denk‘ ich, Billy, es ist hohe Zeit für mich, zu heiraten.«
»Das denk‘ ich auch,« erwiderte Billy, »wenn Ihr überhaupt heiraten wollt.«
»Und zu dem Zwecke,« sagte der Kobold, »bin ich den weiten Weg nach Carrigogunniel hergekommen, denn hier in diesem Hause sollen noch heute abends Darby Riley und Bridget Rooney getraut werden. Und da sie ein hübsches, schlankes Mädchen und aus anständiger Familie ist, so gedenke ich sie selbst zu heiraten und sie gleich mitzunehmen.«
»Was wird aber Darby Riley dazu sagen?« fragte Billy.
»Schweig‘!« rief das Männlein mit strengem Blick, »ich hab‘ dich nicht mitgebracht, damit du müßige Fragen stellst.«
Ohne sich in weitere Erörterungen einzulassen, begann er die seltsamen Worte zu sprechen, welche ihm die Macht verliehen, durch Schlüssellöcher zu gelangen. Billy, der sich für ungeheuer klug hielt, weil er diese Worte nachsprechen konnte, folgte ihm.
Sie gingen Beide hinein. Das Männlein setzte sich, um die Gesellschaft besser überblicken zu können, wie ein Spatz auf einen der großen Balken, welche die Decke entlang liefen, und Billy setzte sich auf einen anderen Balken, ihm gegenüber. Aber er war an eine solche Sitzart nicht gewöhnt, und ihm schlenkerten die Beine herunter; hätte er sich seinen Herrn zum Muster genommen, so wäre es besser gegangen, der saß so gemüthlich mit gekreuzten Beinen da, als wäre er sein Leben lang ein Schneider gewesen.
Herr und Knecht betrachteten nun von oben das lustige Treiben. Unter ihnen saßen der Pfarrer und der Pfeifer und Darby Riley’s Vater, seine beiden Brüder und sein Vetter, die Eltern Bridget Rooney’s, die heute abends ganz besonders stolz waren auf ihre Tochter und mit gutem Rechte, dann ihre vier Schwestern mit nagelneuen Bändern auf ihren Häubchen und ihre drei Brüder, die so sauber und klug dreinblickten, und dann waren Onkel und Tanten, Vettern und Basen genug da. Die Speisen und Getränke auf dem Tische hätten für doppelt so viel Leute gereicht.
Mrs. Rooney hatte gerade Seiner Ehrwürden das erste Stück von dem mit Wälschkohl schön aufgeputzten Schweinskopfe vorgelegt, als die Braut plötzlich nieste. Alle Gäste fuhren zusammen, aber kein einziger sagte: »Helf‘ Gott!«
Alle glaubten nämlich, dass der Pfarrer dies thun würde, und niemand wollte ihm das Wort aus dem Munde nehmen, der war aber leider mit dem Schweinskopf und dem Gemüse beschäftigt. Nach einer kleinen Pause gieng die Lustbarkeit weiter, und niemand dachte daran, den frommen Wunsch zu sprechen. Herr und Knecht hatten von ihrer Höhe den Umstand wohl bemerkt.
»Ha!« rief das Männlein aus und streckte in seiner Freude ein Bein vor sich hin; seine Augen leuchteten, und er zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ha!« wiederholte er, und dabei grinste er nach der Braut hin und dann zu Billy hinüber. »Nun ist sie zur Hälfte mein! Wenn sie noch zweimal niest, dann gehört sie mir, trotz Priester, Messbuch und Darby Riley!«
Wieder nieste die holde Bridget, aber so leise, und sie erröthete dabei so sehr, dass niemand außer dem Kobold es bemerkte oder zu bemerken schien, und niemand dachte daran, »Helf‘ Gott!« zu sagen.
Billy betrachtete das arme Mädchen die ganze Zeit über mit schmerzlichen Blicken. Er musste immerfort daran denken, wie schrecklich es sei, daß ein schönes Mädchen von neunzehn Jahren mit großen, blauen Augen, Grübchenwangen und blendender Hautfarbe, strahlend von Gesundheit und Glück, die Frau eines hässlichen, kleinen Kerlchens werden sollte, dem zu tausend Jahren nur ein Tag fehlte.
Als der entscheidende Augenblick kam und Bridget zum drittenmal nieste, da brüllte Billy aus Leibeskräften: »Helf‘ Gott!«
Aber kaum waren diese Worte heraus, da sprang das Männlein von dem Balken, auf dem es gehockt hatte, sein Gesicht glühte vor Wuth und Enttäuschung, und mit schriller, kreischender Stimme, die wie ein geborstener Dudelsack klang, rief er: »Du bist aus meinen Diensten entlassen, Billy Mac Daniel – hier, das ist dein Lohn!«
Mit diesen Worten versetzte er Billy einen wüthenden Stoß in den Rücken, und der unglückliche Knecht fiel mitten auf den festlichen Tisch.
Wenn Billy erstaunt war, wie viel mehr waren es erst die Gäste, in deren Mitte er so mir nichts dir nichts hineingerathen war!
Aber als sie seine Geschichte hörten, da legte Pater Rooney Gabel und Messer hin und traute das junge Paar auf der Stelle. Billy Mac Daniel tanzte die Rika und trank fleißig; ein guter Tropfen war ihm doch noch lieber als der schönste Tanz.
Der Vollmond schien hell, und es war die herrlichste Nacht, die man sich nur wünschen konnte, aber es war bitter kalt.
»Meiner Treu,« sagte Billy zähneklappernd, »ein guter Tropfen wäre jetzt nicht ohne. Es friert zum Erbarmen. Ich wollt‘, ich hätt‘ ein volles Glas vom Besten.«
»Du brauchst den Wunsch nicht zweimal auszusprechen,« sagte plötzlich ein Männlein. Das hatte einen goldverschnürten Dreispitz auf dem Kopfe und solche große silberne Schnallen auf den Schuhen, dass es ein Wunder war, wie es sie ertragen konnte. Es hielt ein Glas in der Hand, das war so groß wie das Männlein selbst und bis zum Rande mit einem Tranke gefüllt, wie ihn besser noch kein Auge gesehen, kein Gaumen gekostet hatte.
Billy Mac Daniel erkannte sehr wohl, dass das Männlein ein Kobold war, trotzdem sagte er furchtlos: »Auf deine Gesundheit, Kleiner! Danke schön. Ich frage nicht, wer die Zeche bezahlt.«
Und er ergriff das Glas und leerte es auf einen Zug.
»Wohl bekomm’s!« sagte das Männlein, »gern geschehen, Billy. Glaub‘ aber nicht, dass du mich betrügen wirst, wie du Andere betrogen hast – heraus mit dem Beutel und zahle, wie es einem Ehrenmanne ziemt!«
»Ich dir bezahlen?« sagte Billy, »ich kann dich ja in meine Tasche stecken wie eine Brombeere!«
Aber da wurde das Männlein sehr böse.
»Billy Mac Daniel,« sagte es, »sieben Jahre und einen Tag wirst du mein Knecht sein, auf diese Art werde ich mich bezahlt machen. Folge mir.«
Als Billy dies hörte, da bedauerte er sehr, so keck gegen das Männlein gewesen zu sein. Er wusste selbst nicht, wie es zugieng, musste aber dem Kobold auf seiner Wanderung folgen, bergauf, bergab, über Hecke und Graben, über Stock und Stein, ohne Ruh‘ und Rast.
Als der Morgen graute, wandte sich das Männlein zu ihm um und sagte: »Jetzt kannst du nach Hause gehen, Billy, aber heute nachts kommst du zum Festungsgraben, sonst geht’s dir an den Kragen. Wenn du dich aber als guter Knecht bewährst, dann wirst du an mir einen nachsichtigen Herrn haben.«
Billy Mac Daniel ging heim, aber trotzdem er sehr müde war, schlief er doch keinen Augenblick, so sehr musste er an das Männlein denken. Er fürchtete sich, ihm ungehorsam zu sein, und so stand er denn am Abend auf und gieng zum Festungsgraben.
Er war noch nicht lange dort, als der Kobold auf ihn zukam und zu ihm sprach: »Billy ich will heute eine große Reise unternehmen, sattle ein Pferd für mich und eines für dich, denn du sollst mich begleiten und dürftest von deiner gestrigen Wanderung her noch müde sein.«
Billy gestand sich, dass sein Herr sehr rücksichtsvoll sei, und dankte ihm.
»Gestattet mir, Herr,« fügte er hinzu, »Euch zu fragen, wo der Stall ist. Ich sehe nämlich nichts als die Festung und den Dornbusch dort drüben, den Bach am Fuße des Hügels und das Stück Sumpfland uns gegenüber.«
»Frag‘ nicht viel, Billy,« sagte das Männlein, »sondern geh‘ zu dem Sumpfe hinüber und bringe mir zwei von den stärksten Binsen.«
Billy that, wie ihm geheißen ward, und wunderte sich, was der Kobold wohl vorhabe.
Er schnitt zwei der stärksten Binsen ab, die er nur finden konnte und brachte sie seinem Herrn.
»Steig‘ auf,« sagte das Männlein; es nahm eine der Binsen und setzte sich rittlings darauf.
»Wo soll ich aufsteigen, Euer Gnaden?« fragte Billy.
»Wo? Nun, auf das Pferd doch natürlicherweise, so wie ich«, antwortete das Männlein.
»Wollt‘ Ihr mich zum Narren halten? Die Binse soll ich besteigen?« fragte Billy, »wollt‘ Ihr mir vielleicht gar einreden, dass die Binse, die ich vor einem Weilchen aus dem Sumpfe gezogen habe, ein Pferd ist?«
»Steig‘ auf und red‘ nicht so viel,« sagte das Männlein und sah dabei sehr böse aus; »das beste Pferd, das du je geritten hast, ist nichts im Vergleiche damit.«
Billy glaubte, er scherze, wollte ihn aber nicht erzürnen und nahm die Binse zwischen die Beine.
»Borram! Borram! Borram!« – das bedeutet so viel wie: »wachse!« – rief das Männlein, und Billy folgte seinem Beispiel. Sofort verwandelten sich die Binsen in schöne Rosse und galoppierten davon. Billy aber, welcher, ohne weiter darauf zu achten, die Binse zwischen die Beine genommen hatte, saß mit dem Gesichte dem Schweife zugekehrt auf dem Pferde. So unangenehm das auch war, er war nicht im Stande, sich umzudrehen, denn das Pferd galoppierte zu schnell. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich am Schweife festzuhalten.
Endlich erreichten sie das Ziel ihrer Reise. Vor dem Thore eines schönen Hauses machten sie Halt.
»Jetzt, Billy,« sagte das Männlein, »folge mir und thue genau, was ich thue. Da du aber nicht einmal im Stande bist, den Kopf eines Pferdes von seinem Schweife zu unterscheiden, so nimm‘ dich inacht, sonst wirst du am Ende gar bald nicht mehr wissen, ob du auf deinem Kopfe oder auf deinen Beinen stehst. Bedenke, dass alter Wein zwar eine Katze zum Reden bringen, aber auch einen Menschen stumm machen kann.«
Das Männlein machte noch einige solcher seltsamer Bemerkungen, die Billy nicht verstehen konnte. Dann giengen sie durch das Schlüsselloch ins Haus und immer weiter durch andere Schlüssellöcher, bis sie in den Weinkeller gelangten; in dem waren alle Arten von Wein zu finden. Das Männlein begann nun zu trinken und trank, so viel es vermochte, und Billy, dem es durchaus nicht unangenehm war, das Gleiche zu thun, folgte seinem Beispiele.
»Ihr seid wirklich der beste Herr,« sagte Billy, »den es gibt, wer immer auch mein nächster Herr sein mag. Wenn Ihr fortfahrt, mir so reichlich zu trinken zu geben, dann wird mich mein Dienst bei Euch sehr freuen.«
»Ich lass mich nicht auf Bedingungen ein,« erwiderte das Männlein, »komm‘ jetzt.«
Wieder giengen sie durch viele Schlüssellöcher, bestiegen die Binsen, die sie vor dem Hausthor zurückgelassen hatten, und fort gieng’s, nachdem sie »Borram, Borram, Borram« gerufen hatten, dass die Wolken vor ihnen wie Schneeflocken herflogen.
Als sie zu dem Festungsgraben zurückkehrten, entließ das Männlein Billy und befahl ihm, sich am folgenden Abend um dieselbe Zeit wieder an demselben Orte einzufinden. So lebten sie Nacht um Nacht, nahmen einmal ihren Weg dahin, dann dorthin, bald nördlich, bald östlich, manchmal südlich, bis es in ganz Irland keinen Weinkeller mehr gab, den sie nicht besucht hatten. Sie kannten jede einzelne Sorte ebensogut, ja sogar besser als der Kellermeister selbst.
Eines Nachts, als Billy Mac Daniel seinen Herrn wie gewöhnlich beim Festungsgraben traf und zum Sumpf hinübergieng, um die Pferde zu ihrer Reise zu holen, sagte das Männlein zu ihm: »Billy, heute werde ich noch ein drittes Pferd brauchen, denn wir kommen vielleicht zu Dreien zurück.«
Billy, der schon wusste, dass es nicht gut sei, seinen Herrn viel zu fragen, brachte also eine dritte Binse und sann darüber nach, wer wohl mit ihnen zurückkommen würde, vielleicht ein zweiter Knecht.
»Wenn das der Fall ist,« dachte er, »dann muss er jeden Abend die Pferde aus dem Sumpfe holen. Denn ich bin gerade so vornehm wie mein Herr.«
Sie ritten fort, und Billy führte das dritte Pferd. Sie hielten erst, als sie das schmucke Häuschen eines Pächters in der Grafschaft Limerick erreicht hatten. Das stand in der Nähe des alten Schlosses von Carrigogunniel, welches der große Brian Boru erbaut haben soll. Drinnen gieng es hoch her, und das Männlein blieb einige Zeit draußen stehen und lauschte.
Plötzlich wendete es sich zu Billy um und sagte: »Billy, morgen bin ich tausend Jahre alt!«
»Gott behüte und bewahre uns, Herr,« sagte Billy, »wirklich?«
»Sag‘ das Wort nicht wieder, Billy,« sagte das alte Männlein, »sonst ist’s um mich geschehen. Da ich nun morgen tausend Jahre alt werde, so denk‘ ich, Billy, es ist hohe Zeit für mich, zu heiraten.«
»Das denk‘ ich auch,« erwiderte Billy, »wenn Ihr überhaupt heiraten wollt.«
»Und zu dem Zwecke,« sagte der Kobold, »bin ich den weiten Weg nach Carrigogunniel hergekommen, denn hier in diesem Hause sollen noch heute abends Darby Riley und Bridget Rooney getraut werden. Und da sie ein hübsches, schlankes Mädchen und aus anständiger Familie ist, so gedenke ich sie selbst zu heiraten und sie gleich mitzunehmen.«
»Was wird aber Darby Riley dazu sagen?« fragte Billy.
»Schweig‘!« rief das Männlein mit strengem Blick, »ich hab‘ dich nicht mitgebracht, damit du müßige Fragen stellst.«
Ohne sich in weitere Erörterungen einzulassen, begann er die seltsamen Worte zu sprechen, welche ihm die Macht verliehen, durch Schlüssellöcher zu gelangen. Billy, der sich für ungeheuer klug hielt, weil er diese Worte nachsprechen konnte, folgte ihm.
Sie gingen Beide hinein. Das Männlein setzte sich, um die Gesellschaft besser überblicken zu können, wie ein Spatz auf einen der großen Balken, welche die Decke entlang liefen, und Billy setzte sich auf einen anderen Balken, ihm gegenüber. Aber er war an eine solche Sitzart nicht gewöhnt, und ihm schlenkerten die Beine herunter; hätte er sich seinen Herrn zum Muster genommen, so wäre es besser gegangen, der saß so gemüthlich mit gekreuzten Beinen da, als wäre er sein Leben lang ein Schneider gewesen.
Herr und Knecht betrachteten nun von oben das lustige Treiben. Unter ihnen saßen der Pfarrer und der Pfeifer und Darby Riley’s Vater, seine beiden Brüder und sein Vetter, die Eltern Bridget Rooney’s, die heute abends ganz besonders stolz waren auf ihre Tochter und mit gutem Rechte, dann ihre vier Schwestern mit nagelneuen Bändern auf ihren Häubchen und ihre drei Brüder, die so sauber und klug dreinblickten, und dann waren Onkel und Tanten, Vettern und Basen genug da. Die Speisen und Getränke auf dem Tische hätten für doppelt so viel Leute gereicht.
Mrs. Rooney hatte gerade Seiner Ehrwürden das erste Stück von dem mit Wälschkohl schön aufgeputzten Schweinskopfe vorgelegt, als die Braut plötzlich nieste. Alle Gäste fuhren zusammen, aber kein einziger sagte: »Helf‘ Gott!«
Alle glaubten nämlich, dass der Pfarrer dies thun würde, und niemand wollte ihm das Wort aus dem Munde nehmen, der war aber leider mit dem Schweinskopf und dem Gemüse beschäftigt. Nach einer kleinen Pause gieng die Lustbarkeit weiter, und niemand dachte daran, den frommen Wunsch zu sprechen. Herr und Knecht hatten von ihrer Höhe den Umstand wohl bemerkt.
»Ha!« rief das Männlein aus und streckte in seiner Freude ein Bein vor sich hin; seine Augen leuchteten, und er zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ha!« wiederholte er, und dabei grinste er nach der Braut hin und dann zu Billy hinüber. »Nun ist sie zur Hälfte mein! Wenn sie noch zweimal niest, dann gehört sie mir, trotz Priester, Messbuch und Darby Riley!«
Wieder nieste die holde Bridget, aber so leise, und sie erröthete dabei so sehr, dass niemand außer dem Kobold es bemerkte oder zu bemerken schien, und niemand dachte daran, »Helf‘ Gott!« zu sagen.
Billy betrachtete das arme Mädchen die ganze Zeit über mit schmerzlichen Blicken. Er musste immerfort daran denken, wie schrecklich es sei, daß ein schönes Mädchen von neunzehn Jahren mit großen, blauen Augen, Grübchenwangen und blendender Hautfarbe, strahlend von Gesundheit und Glück, die Frau eines hässlichen, kleinen Kerlchens werden sollte, dem zu tausend Jahren nur ein Tag fehlte.
Als der entscheidende Augenblick kam und Bridget zum drittenmal nieste, da brüllte Billy aus Leibeskräften: »Helf‘ Gott!«
Aber kaum waren diese Worte heraus, da sprang das Männlein von dem Balken, auf dem es gehockt hatte, sein Gesicht glühte vor Wuth und Enttäuschung, und mit schriller, kreischender Stimme, die wie ein geborstener Dudelsack klang, rief er: »Du bist aus meinen Diensten entlassen, Billy Mac Daniel – hier, das ist dein Lohn!«
Mit diesen Worten versetzte er Billy einen wüthenden Stoß in den Rücken, und der unglückliche Knecht fiel mitten auf den festlichen Tisch.
Wenn Billy erstaunt war, wie viel mehr waren es erst die Gäste, in deren Mitte er so mir nichts dir nichts hineingerathen war!
Aber als sie seine Geschichte hörten, da legte Pater Rooney Gabel und Messer hin und traute das junge Paar auf der Stelle. Billy Mac Daniel tanzte die Rika und trank fleißig; ein guter Tropfen war ihm doch noch lieber als der schönste Tanz.
[Anna Kellner: Englische Märchen]