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Märchenbasar

Hoppel, Hinkebein und die Kohlköpfe

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Der Winter hatte im Zwergenland Einzug gehalten.
Mit seinem frostigen Atem zog er durch das kleine Land und alles, was er anhauchte, verlor das Leben. Er spaltete die Bäume im Wald, auf den Feldern ließ er das Winterkorn erfrieren und die Krähen fielen tot von den Bäumen. Die Bächlein erstarrten unter einer dicken Eisschicht und wenn die Tiere ihren Durst stillen wollten, blieb ihnen keine Wahl, als am Eis zu lecken.
Karlyn, der Zwerg, fuhr täglich mit seinem Schlitten umher und brachte den Rehen und den Hirschen Heu, das er im Herbst getrocknet hatte. Den Vöglein streute er Sonnenblumenkerne.
Eines Tages, als er wieder einmal unterwegs war, begegnete ihm Hoppel, der Osterhase. Der starrte traurig vor sich hin und ließ seine langen Löffel hängen.
„Guten Tag, Hoppel! Was machst du für ein trauriges Gesicht?“, fragte Karlyn. Hoppel wackelte mit seinen langen Ohren und sagte: „Ach, lieber Karlyn, ich mag es fast nicht sagen. Ich habe nichts zu fressen! Die Felder sind leer und alle Gräser sind erfroren! Heu und Sonnenblumenkerne schmecken mir nicht! Ich habe großen Hunger! Auch meine Frau und die vielen kleinen Osterhäschen, die daheim auf mich warten, hungern. Ich könnte auf der Stelle einen großen, festen Kohlkopf verspeisen.“
Karlyn schüttelte seinen Kopf. „Kohl habe ich leider nicht! Aber du kennst doch das Häuschen von der Hexe Hinkebein, die hat noch genug Kohlköpfe im Keller liegen!“
„Stimmt das auch?“, wollte Hoppel wissen.
„Habe ich dich jemals belogen?“, erwiderte Karlyn und zog mit seinem Schlitten davon.

Hoppel freute sich über diese Nachricht und machte sich sofort auf den Weg zum Haus der Hexe Hinkebein.

„Aber warum sollte sie mir helfen?“, dachte er niedergeschlagen. „Sie ist doch im ganzen Zwergenland als Geizkragen verschrien.“
Nein, er musste einen anderen Weg suchen, um seine Familie und sich vor dem Verhungern zu bewahren. Und weil Hunger weh tat, dachte Hoppel an etwas, was er noch nie in seinem Leben getan hatte. Er wollte sich bei der Hexe einen Kohlkopf stehlen.

Aber, oh weh! Alle Kellerfenster waren mit Stroh verstopft und Hoppel wusste nicht, wie er hinein kommen sollte!

Plötzlich nahte der eisige Wintersmann. Er hauchte die Fenster des Hexenhauses an und augenblicklich bildeten sich dicke Eisblumen. Auch die Regentonne bekam eine dicke Eischicht. Er entdeckte Hoppel, der sich aus Angst vor dem grimmigen Gesellen unter einem Strauch versteckt hatte.
„Lieber Winter“, flehte der Hase ängstlich, „hauch mich bitte nicht an, sonst muss ich sterben und kann den Kindern keine Ostereier mehr bringen!“
„Hab keine Angst“, klirrte der Winter. „Warum bist du nicht daheim in deinem Bau bei Frau und Kindern geblieben? Was treibst du dich hier draußen herum?“
„Wir haben nichts mehr zu fressen! Karlyn, der Zwerg, hat mir aber verraten, dass Hinkebein, die alte Hexe, noch genug Kohlköpfe in ihrem Keller hat. Und Hoppel bettelte: „Kannst du mir nicht einen herausholen? Du hast doch so lange Arme.“
Der Winter schüttelte den Kopf und aus seinen Haaren flogen dicke Schneeflocken.
„Geht nicht“, sagte er, „ich habe Angst vor der Hexe. Man hört nichts Gutes von ihr. Wenn ich jetzt das Stroh aus den Fenstern blase und die Scheiben berste, hört sie mich. Ich warte lieber, bis sie fest eingeschlafen ist. Dann suche ich den schönsten und größten Kohlkopf aus und bringe ihn dir. Nun lauf zurück in deinen Bau und warte dort auf mich.“

Hoppel atmete erleichtert auf. Er eilte schnell in seinen Bau zurück und wartete sehnsüchtig auf den versprochenen Kohlkopf. Sobald es dunkel geworden war, kam der Winter herbei und warf ihm einen wunderschönen Kohlkopf in den Bau. Der Osterhase und seine Familie freuten sich anfangs sehr darüber. Groß aber war ihre Enttäuschung, als sie sich darüber hermachten. Der Kohl war steinhart gefroren, weil der eisige Geselle ihn in seinen Händen getragen hatte. Mit knurrigen Mägen legten sie sich zur Ruhe. Als es hell wurde, machte Hoppel sich erneut auf den Weg, um Nahrung zu suchen. Wieder schlich er zum Haus der Hexe Hinkebein. Er fror erbärmlich und sein Magen knurrte so laut, dass er Angst bekam, die Hexe würde es hören.

Während er noch hin und her überlegte, wie er an die Kohlköpfe käme, fuhr der Zwerg Karlyn mit seinem Schlitten vorbei. Erstaunt betrachtete er Hoppel, der sich in eine Bodenkuhle geduckt hatte, um das Haus im Auge zu behalten.
„Bist du noch immer hier oder etwa schon wieder?“, fragte er den Osterhasen.
Da klagte er dem Zwerg sein Leid über den vom Winter gestohlenen, gefrorenen Kohlkopf, den nun niemand essen konnte.
„Was bist du doch für ein dummer Osterhase!“, rief Karlyn. „Warum willst du denn überhaupt stehlen? Sag doch der Hexe ehrlich, dass du nichts zu fressen hast und bitte sie um einen Kohlkopf!“
Hoppel nahm allen Mut zusammen und klopfte an die Haustür der Alten.
Als die Hexe Hinkebein Hoppel erkannte, fragte sie freundlich: „Was führt dich zu mir? Willst du mir sagen, dass bald Ostern ist? Zieht der Winter nun endlich von dannen?“
„Ach, nein“, bibberte Hoppel. „Ostern ist noch weit! Wir haben nichts zu beißen und schrecklichen Hunger. Gib mir doch bitte einen Kohl, sonst müssen wir sterben und können den Kindern Ostern keine Ostereier bemalen und schenken!“

Das musste er nicht zweimal sagen. Die Hexe humpelte sofort in den Keller und schleppte alle Kohlköpfe nach oben. Hoppel fraß sich satt und schämte sich sehr dafür, den Winter zum Stehlen angestiftet zu haben.
Offensichtlich war die Hexe doch nicht so geizig, wie alle dachten. Drei dicke Kohlköpfe schleppte Hinkebein dem Hasen eigenhändig in dessen Bau, damit sich auch seine Familie sattfressen konnte. Das war eine Freude!

Als das Osterfest heranrückte, brachten die Hasen der Hexe Hinkebein aus Dankbarkeit ihre allerschönsten Ostereier. Bei dieser Gelegenheit entschuldigte sich Hoppel bei ihr, den Winter in seiner Not zum Stehlen gebracht zu haben. Hinkebein verzieh ihm großherzig.
Auch die vielen Kinder im Zwergenland wurden reichlich mit Eiern beschenkt. Seitdem hat Hoppel nie wieder einen Kohlkopf gestohlen, außer, er stand auf freiem Feld.

 
Quelle: Marianne Schaefer

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