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Märchenbasar

Hundert Leben auf einen Schlag getötet

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Es war einmal ein Zigeuner, der ging zum Fleischer um ein Stück Leber, und als er damit heimkam, legte er sie auf den Tisch. Seine Zigeunerin fing mit ihm an zu zanken, da sah er, daß die Leber voll Fliegen war. Er schlug mit der Hand darauf und zählte dann die Toten, es waren hundert Stück. Da verwunderte er sich über sich selbst, wie etwas Großes er doch sei, daß er hundert Leben auf einen Schlag getötet. »Ich muß zum König gehen und es ihm sagen, vielleicht hält er mich, wenn er hört, wie tapfer ich bin.« Als er zum König kam und ihm erzählte, er habe hundert Leben auf einen Schlag getötet, sagte der König, er freue sich, daß ein so tapferer Mann zu ihm gekommen. In seinem Lande lebe ein Menschenfresser und richte ihm solchen Schaden an, schrecklich. Wenn er den töten könne, würde er ihm einen Wagen voll Geld geben. Gut.
Der Zigeuner nahm sich das Gewehr und ging bis zu einer Mühle, neben dieser stand der Menschenfresser groß und stark. Der war aber nicht gewöhnt, daß jemand so sorglos in seine Nähe kam, und versteckte sich hinter ein Mühlenrad. Als der Zigeuner merkte, daß der sich fürchtete, bekam er Mut und ging näher. Der wollte fliehen durch das Rad, und als er den Kopf hineinsteckte, schoß ihn der Zigeuner, daß er gleich tot blieb. Nun ging er zum König und sagte es ihm. Der ging hin und sah es und gab dem Zigeuner einen Wagen voll Geld.
Da wollte dieser noch nicht nach Hause gehen und wollte es lieber noch mit einem andern König versuchen und ging in das Nachbarland zu dem König und erzählte auch diesem, er habe hundert Leben auf einen Schlag getötet und nachher das Land vom Menschenfresser befreit. »Wenn du ein so tapferer Mann bist, so bleib bei mir, ich habe im Walde einen Hirsch, der frißt mir die Leute. Wenn du mir den umbringen kannst, gebe ich dir einen Wagen voll Dukaten.« Dieser nahm das Gewehr und ging in den Wald. Nur einmal sah er den Hirsch unter einer Eiche. Als er den Zigeuner sah, lief er immer schneller um die Eiche herum, dieser hinter ihm, nur einmal blieb er mit dem Horn in einem Loch an der Eiche stecken und konnte nicht weiter, da traf ihn der Schuß des Zigeuners. Er ging und rief den König. Als der kam und sah, daß es wahr sei, gab er ihm den versprochenen Lohn, einen Wagen voll Dukaten.
Jetzt ging er auch in das dritte Land zum König und lobte sich auch bei dem, welch ein tapferer Mensch er sei. Zuerst habe er hundert Leben auf einen Schlag getötet, dann habe er einen Menschenfresser umgebracht und im Nachbarland einen menschenfressenden Hirsch. Wenn jetzt auch er in seinem Lande ein Elend habe, wolle er auch ihm helfen. Der König dachte: »Ach welch ein tapferer Mensch das ist, dieser wird brauchbar sein, ich soll ihn bei mir halten.« Er sagte zu ihm: »Auch ich habe in meinem Land ein großes Elend. Dort auf dem Berg steht einer, der mir die Leute frißt, ich habe schon so viele verloren, daß ich einen großen Schaden habe. Wenn du ihn umbringen kannst, gebe ich dir meine Tochter zur Frau.« Der Zigeuner ging dem Berge zu und sah bald einen großen, starken Menschen, so groß, daß er neben ihm aussah wie ein kleines Kind. Er winkte mit der Hand, als ob er ihn zu sich riefe. Der Menschenfresser konnte sich nicht denken, was für eine Art Mensch der kleine sei, daß er sich nicht vor ihm fürchte und ihn sogar riefe. Der müsse eine große Kraft haben. Sie näherten sich beide immer mehr, bis sie beieinander waren, dann sprach der Unmensch: »Wer bist du?« Der Zigeuner antwortete: »Ich bin ein großer Mensch, ich habe hundert Leben auf einen Schlag getötet und habe von dir gehört, du wärst auch so groß, darum habe ich dich gesucht, wir sollten Brüder des Kreuzes werden, wenn du willst.« – »Wie sollt‘ ich nicht wollen, ich bin nur allein, zwei Personen machen mehr aus.«
Jetzt gingen sie immer miteinander, solange sie gegangen sein werden, und waren sehr gut miteinander, nur einmal sagte eines Tages der Zigeuner: »Mein Bruder, du mußt sterben.« – »Wieso?« – »Gut, du mußt halt sterben.« – »Wenn du denn so denkst, komm hilf mir meinen Sarg machen.« Dies wollte der Zigeuner. Sie beide fingen an der Arbeit an und machten einen Sarg mit Reifen. Als sie nun fertig waren, legte er sich hinein und sagte seinem Kreuzbruder, er solle einen Reif anlegen, damit er sehe, ob der Deckel passe. Als er einen angeschlagen, rief der drinnen, er sehe noch Licht, er solle auch den zweiten anlegen. Dieser legte auch den zweiten an und schlug ihn fest, da rief der Menschenfresser, es sei jetzt gut. Nun nahm der Zigeuner den Säbel und steckte ihn zwischen Sarg und Deckel hinein und erstach ihn. Dann rief er den König. Dieser freute sich, daß das Land von diesem Unmenschen befreit sei, und gab dem Zigeuner seine Tochter zur Frau und hielt ihn bei sich. Dieser lebte gut und gefiel sich als Schwiegersohn des Königs.
Nach einiger Zeit ereignete es sich, daß Krieg wurde. Da sagte der König zu seinem Schwiegersohn, er solle in den Krieg, er solle der Größte von den Soldaten sein und vorangehen. Der Zigeuner fürchtete sich vor dem Krieg wie der Zigeuner, und als er an der Straße einen Schafhirten bei seinen Schafen sah, ging er zu ihm und sagte ihm alles und wollte mit ihm wechseln, er wolle bei den Schafen bleiben, der Rumäne solle an seiner Statt in den Krieg. Gut. Der Schafhirt zog den Pelz aus und gab ihn dem Zigeuner, und er wurde Offizier und ging den Soldaten voran. Dem Zigeuner kam es gut, daß er keine andere Sorge mehr hatte, als hinter den Schafen zu gehen. Als nun die Zeit kam, daß der Krieg beendigt war und der Rumäne nach Hause kam, dachten alle, er wäre der Schwiegersohn vom König, und auch er stellte sich so, da er ja mit dem Zigeuner gewechselt hatte. Die junge Frau verwunderte sich, wie weiß ihr Mann im Kriege geworden war, und sagte: »Wie ist das wohl, daß mein Mann im Kriege so weiß geworden, er war vorher so schwarz.« Sie freute sich darüber sehr. Aber dem Zigeuner gefiel der Tausch nicht mehr, er kam zum Rumänen und zankte sich mit ihm und wollte wieder wechseln, der wollte aber nicht mehr. Dann ging er zum König und sagte es ihm, der kannte ihn aber nicht mehr und hielt ihn für einen Betrüger und jagte ihn hinaus. Da konnte er nichts anders tun und ging zu seiner Zigeunerin zurück. Und alle seine Bemühungen von früher waren umsonst gewesen. Der Rumäne aber blieb der Mann der Königstochter, und als der König starb, wurde er König, und wenn er nicht gestorben ist, lebt er noch heute.

[Rumänien: Pauline Schullerus: Rumänische Volksmärchen aus dem mittleren Harbachtal]

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