In jenen Tagen lebte auf einer Insel, Berg von Cornwall genannt, ein ungeheurer Riese von wildem, grimmigem Aussehen, achtzehn Fuß hoch und drei Ellen im Umfang, der war der Schrecken aller umliegenden Städte und Dörfer. Er wohnte in einer Höhle inmitten des Berges, und niemand durfte sich in seine Nähe wagen. Seine Nahrung bestand in anderer Leute Vieh, das ihm oft zur Beute fiel, denn so oft er hungrig war, watete er zum Festland hinüber und eignete sich an, was ihm in den Weg kam. Sobald die guten Leute ihn von ferne erblickten, verließen sie ihre Wohnungen, er aber plünderte ihre Ställe. Es war ihm gar nichts, ein halbes Dutzend Ochsen auf einmal auf dem Rücken zu tragen, und Schafe und Schweine band er sich wie ein Schwertgehänge um den Leib. Diese Lebensweise führte er viele Jahre hindurch, so dass ganz Cornwall infolge dieser Plünderungen verarmte.
Eines Tages war Jack zufällig bei der Sitzung anwesend, welche die Stadträthe nach einem neuen Raubzuge des Riesen auf dem Rathhause abhielten, und fragte, welche Belohnung derjenige erhalten würde, der den Riesen tödtete. »Den Schatz des Riesen,« lautete die Antwort.
»Dann wag‘ ich’s,« sagte Jack.
Er rüstete sich mit einem Horn, einer Schaufel und einer Axt aus und fuhr bei Anbruch einer dunklen Winternacht zu der Berginsel hinüber. Dort machte er sich an die Arbeit, und bevor der Morgen graute, hatte er eine Grube gegraben, die war zweiundzwanzig Fuß tief und fast ebenso breit. Er deckte sie mit langen Stecken und Stroh zu und streute dann ein wenig Erde darüber, so dass der Boden aussah wie zuvor. Als er damit fertig war, stellte er sich an die Seite der Grube, die am weitesten von der Höhle des Riesen entfernt war, und gerade bei Tagesanbruch setzte er das Horn an den Mund und blies: »Trara! Trara!«
Das unerwartete Geräusch weckte den Riesen auf. Er stürzte aus seiner Höhle hervor und schrie: »Du elender Kerl, bist du hieher gekommen, um meine Ruhe zu stören? Das wird dir theuer zu stehen kommen. Ich muss Genugthuung haben, und zwar werde ich dich, wie du stehst und gehst, zum Frühstück braten.«
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als er auch schon in die Grube stürzte und mit seinem Falle den Berg in seinen Grundfesten erschütterte.
»Nun, Herr Riese,« fragte Jack, »wo sind Sie denn? Wahrhaftig jetzt sitzen Sie in der Klemme, und ich werd‘ Ihnen Ihre Drohung tüchtig heimzahlen. Wie denken Sie nun darüber, mich zum Frühstück zu braten? Muss es denn gerade der arme Jack sein?«
Nachdem er den Riesen so eine Zeitlang gequält hatte, versetzte er ihm mit der Axt einen tüchtigen Hieb mitten auf den Kopf, so dass er auf der Stelle todt war.
Darauf füllte Jack die Grube mit Erde aus und gieng in die Höhle, in welcher er viele Schätze fand.
Als der Stadtrath die frohe Kunde vernahm, beschloss er, dass Jack fortab den Beinamen Riesentödter führen solle, und beschenkte ihn mit einem Schwert und einem Gurt, auf welchem folgende Worte in Gold gestickt waren:
»Das ist aus Cornwall der tapfere Mann,
Der erschlug den Riesen Cormelian.«
Die Nachricht von Jacks Heldenthat verbreitete sich bald über den ganzen Westen von England, und als ein anderer Riese, Blunderbore mit Namen, davon hörte, schwur er, an dem kleinen Helden Rache zu nehmen, wenn er je das Glück haben sollte, auf ihn zu stoßen. Dieser Riese war der Besitzer eines verwunschenen Schlosses, das mitten in einem einsamen Walde stand. Ungefähr vier Monate später kam Jack, der auf der Reise nach Wales begriffen war, durch diesen Wald. Er war müde und setzte sich bei einer frischen Quelle hin, um auszuruhen; bald war er fest eingeschlafen. Da entdeckte ihn der Riese, der gerade daher kam, um sich Wasser zu holen; an der Inschrift auf seinem Gurt erkannte er sofort, dass dies der weit und breit berühmte Jack war. Ohne viele Umstände lud er ihn auf seine Schultern und trug ihn in sein verwunschenes Schloss. Als sie durch ein Dickicht kamen, erwachte Jack von dem Knacken der Zweige, und er war sehr überrascht, sich in den Klauen des Riesen zu finden. Aber wie erschrack er erst, als er beim Eintritt in das Schloss den Boden mit menschlichen Gebeinen bedeckt sah, welche bald, sagte ihm der Riese, um die seinigen vermehrt werden würden. Darauf schloss er den armen Jack in ein ungeheures Zimmer ein und gieng fort, um einen anderen Riesen zu holen, der in demselben Walde lebte; der sollte ihm helfen, Jack ums Leben zu bringen. In seiner Abwesenheit wurde Jack durch fürchterliches Kreischen und Wehgeheul in Schrecken versetzt. Er trat ans Fenster und sah von Weitem die beiden Riesen kommen. »Jetzt,« sagte Jack zu sich, »steht mir der Tod oder meine Erlösung bevor.«
In einer Ecke des Zimmers lagen dicke Seile. Er nahm zwei davon und machte am Ende eine starke Schlinge, und während die Riesen das eiserne Thor des Schlosses aufsperrten, warf er ihnen die Schlingen über den Kopf. Die anderen Enden legte er um einen Balken, dann zog er mit aller Macht und erdrosselte sie auf diese Weise. Als sie schon ganz schwarz im Gesicht waren, ließ er sich an dem Seil zu ihnen herab, bis er auf ihren Köpfen stand. Da zog er sein Schwert und erschlug sie beide. Nun nahm er dem Riesen die Schlüssel ab und öffnete die anderen Zimmer, da fand er drei schöne Jungfrauen, die der Riese an ihrem Haar festgebunden hatte. Sie waren fast verhungert.
»Holde Jungfrauen,« sagte Jack, »ich habe das Ungeheuer und seinen scheußlichen Bruder getödtet und so Eure Freiheit erwirkt.«
Mit diesen Worten überreichte er ihnen die Schlüssel und setzte seine Reise so schnell als möglich fort. Aber er verirrte sich, die Nacht überfiel ihn, und er konnte kein Obdach finden, bis er endlich in ein enges Thal kam, wo ein großes Haus stand. In seiner Noth klopfte er an das Thor, aber wie groß war sein Schrecken, als ein ungeheurer Riese mit zwei Köpfen erschien! Doch hatte er kein so wildes Aussehen wie die früheren Riesen, denn er war ein Wälscher, und er verübte seine Greuelthaten auf geheime und listige Weise. Jack schilderte dem Riesen seine Lage und dieser wies ihm ein Schlafzimmer an. In der Stille der Nacht hörte nun Jack seinen Wirt im anstoßenden Gemach folgende Worte murmeln:
»Er schlafe ruhig diese Nacht,
Doch morgen früh er nicht erwacht;
Denn dann ist längst er umgebracht.«
»Steht die Geschichte so,« sagte Jack, »du hast einen deiner wälschen Streiche im Sinn; aber da bist du an den Rechten gerathen.«
Er stieg aus dem Bett, legte ein Scheit Holz hinein und versteckte sich in einer Ecke des Zimmers. Mitten in der Nacht kam der wälsche Riese herein und hob mit seiner Keule auf das Bett los; natürlich glaubte er, dass er Jack jeden Knochen im Leibe gebrochen hätte. Am nächsten Morgen dankte Jack, der sich heimlich ins Fäustchen lachte, dem Riesen herzlich für das Nachtlager.
»Wie hast du geruht?« fragte ihn der Riese, »hast du in der Nacht nichts gespürt?«
»Nichts,« erwiderte Jack, »nur hat mir eine Ratte einen und den anderen Klaps mit ihrem Schwanze versetzt.«
Höchlich erstaunt führte der Riese Jack zum Frühstück und brachte ihm eine Schüssel, die vier Maß dicke Mehlsuppe enthielt. Da Jack den Riesen nicht merken lassen wollte, dass dies zu viel für ihn sei, so that er einen großen Lederbeutel unter seinen weiten Rock und schüttete, ohne dass der Riese es sah, den größten Theil der Suppe hinein. Dann sagte er seinem Wirt, er wolle ihm ein Kunststück zeigen. Er nahm ein Messer und schlitzte damit den Lederbeutel auf, so dass die ganze Mehlsuppe herauslief.
Darauf versetzte das Ungeheuer: »Potz tausend, das Kunststück kann ich auch,« ergriff das Messer, schlitzte sich den Bauch auf und fiel todt zu Boden.
Um diese Zeit geschah es, dass der einzige Sohn König Arthurs seinen Vater um eine große Summe Geldes bat. Er wollte sein Glück im Fürstenthum Wales versuchen; dort lebte eine schöne Jungfrau, die von sieben bösen Geistern besessen war. Vergebens suchte der König seinen Sohn von seinem Vorhaben abzubringen, endlich kam er seinem Wunsche nach, und der Prinz machte sich mit zwei Pferden auf den Weg. Das eine war mit Gold beladen, das andere ritt er. Nach einigen Tagreisen kam er in einen Marktflecken in Wales, wo er eine große Menschenmenge versammelt sah. Als der Prinz nach der Ursache dieser Ansammlung fragte, erhielt er die Antwort, dass die Leute einen Leichnam mit Beschlag belegt hatten, weil ihnen der Verstorbene zu seinen Lebzeiten eine große Geldsumme schuldete. Der Prinz sprach sein Bedauern darüber aus, dass Gläubiger so grausam sein konnten, und sagte: »Geht, begrabt den Todten und schickt seine Gläubiger in meine Wohnung, ich werde die Schulden bezahlen.«
Die Gläubiger kamen, aber in solcher Anzahl, dass dem Prinzen vor Einbruch der Nacht fast nichts von seinem Gelde übrig geblieben war.
Jack, der Riesentödter, der gerade des Weges kam, war so hingerissen von der Großmuth des Prinzen, dass er den Wunsch aussprach, in seine Dienste zu treten. Nachdem sie sich geeinigt hatten, setzten sie am nächsten Morgen gemeinsam die Reise fort. Als sie aus der Stadt ritten, rief ein altes Weib den Prinzen an und sagte: »Er ist mir sieben Jahre lang zwei Pence schuldig geblieben, bitte, zahlt mir die Schuld, so gut wie Ihr sie den andern bezahlt habt.«
Der Prinz griff in die Tasche und gab der Frau alles, was er noch besaß, so dass am Abend, nachdem Jack für ihren Imbiss all sein Geld ausgegeben hatte, beiden zusammen kein Heller mehr übrig geblieben war. Als die Sonne unterzugehen begann, sagte der Königssohn: »Wo werden wir heute nachts schlafen, Jack, da wir kein Geld mehr haben?«
Aber Jack erwiderte: »Es wird uns ganz wohl ergehen, Herr, denn ich habe einen Onkel, der zwei Meilen von hier wohnt. Er ist ein ungeheurer Riese mit drei Köpfen, der es mit fünfhundert bewaffneten Männern aufnimmt und sie in die Flucht schlägt.«
»Ach,« seufzte der Prinz, »was sollen wir dort? Er wird uns sicherlich auf einen Bissen verzehren; nein, wir werden ihm nicht einmal einen hohlen Zahn ausfüllen!«
»Davon ist nicht die Rede,« antwortete Jack, »ich will vorausgehen und Euch die Wege ebnen, verzieht hier und wartet, bis ich zurückkehre.«
Jack ritt nun im schnellsten Galopp davon, und als er bei dem Schloss angelangt war, klopfte er so laut an das Thor, dass die umliegenden Hügel erdröhnten.
Der Riese brüllte, dass es wie das Rollen des Donners klang: »Wer da?«
»Nur Dein armer Vetter Jack,« war die Antwort.
Da frug er wieder: »Was bringt mein armer Vetter Jack für Nachrichten?«
Jack erwiderte: »Böse Nachrichten, weiß Gott, lieber Onkel.«
»Ich bitte dich,« sagte der Riese, »wie kann es für mich böse Nachrichten geben? Du weißt, dass ich es mit fünfhundert bewaffneten Männern aufnehme, und dass sie wie Spreu im Winde vor mir zerstieben.«
»Jawohl, aber der Sohn des Königs ist mit tausend bewaffneten Männern im Anzuge, um dich zu tödten und alle deine Besitzungen zu verwüsten.«
»Ach, Vetter Jack,« rief der Riese aus, »das sind wirklich böse Nachrichten! Ich will mich schnell verstecken, schließe und riegle du fest hinter mir zu und behalte die Schlüssel, bis der Prinz wieder fort ist.«
Nachdem Jack sich so vor dem Riesen geschützt hatte, holte er seinen Herrn, und sie ließen sich’s beide wohlgehen, während der arme Riese zitternd in einem unterirdischen Gewölbe lag. Am nächsten Morgen versah Jack den Prinzen reichlich mit Gold und Silber und ließ ihn drei Meilen vorausreiten. Als er längst aus der Spurweite des Riesen war, ließ Jack den Riesen aus dem Gewölbe heraus, und sein Onkel fragte ihn, was er ihm dafür geben sollte, dass er das Schloss vor der Zerstörung bewahrt hatte.
»Ich verlange nichts,« sagte Jack, »als den alten Rock, die Kappe, das alte rostige Schwert und die Pantoffeln, die sich zu Häupten deines Bettes befinden.«
»Du sollst sie haben,« erwiderte der Riese. »Behalte sie zur Erinnerung an mich, sie werden dir von außerordentlichem Nutzen sein. Der Rock wird dich unsichtbar machen, die Mütze wird dir Allwissenheit verleihen, das Schwert schneidet entzwei, was immer du auch damit berührst, und die Schuhe verleihen ungewöhnliche Schnelligkeit. Sie können dir nützlich sein, vom Herzen gern geb‘ ich sie dir.«
Jack nahm sie und dankte seinem Onkel. Dann holte er rasch seinen Herrn ein, und bald erreichten sie das Haus der Jungfrau, welche der Prinz suchte. Als sie sah, dass der Prinz ein Freier war, bereitete sie ein glänzendes Mahl für ihn. Am Schlusse desselben wischte sie sich die Lippen mit einem Taschentuch ab und sagte: »Morgen früh müsst Ihr mir dieses Taschentuch zeigen, sonst kostet’s Euch den Hals.« Bei diesen Worten steckte sie das Taschentuch in ihren Busen.
Kummervollen Herzens gieng der Prinz zu Bette, aber Jacks Kappe der Allwissenheit lehrte ihn, wie er in den Besitz des Taschentuches gelangen konnte. Um Mitternacht berief die Jungfrau ihren vertrauten Geist, dass er sie zu Lucifer trage. Aber Jack zog den Rock an, der ihn unsichtbar machte, und fuhr in die Siebenmeilenschuhe, und so kam er mit ihr zugleich an. Als sie das Haus des Bösen betrat, gab sie dem alten Lucifer das Taschentuch, das that er auf ein Sims. Aber Jack nahm es von dort und brachte es seinem Herrn, und der zeigte es am folgenden Tage der Jungfrau, und so entgieng er dem Tode.
An diesem Tage küsste sie den Prinzen und sagte ihm, morgen früh müsse er ihr die Lippen zeigen, die sie den Abend zuvor geküsst, sonst verliere er seinen Kopf.
»Gewiss werd‘ ich das, wenn Ihr keine anderen Lippen küsst, als die meinigen,« erwiderte er.
»Das ist ganz gleich,« sagte sie, »könnt‘ Ihr’s nicht, dann ist Euch der Tod gewiss!«
Um Mitternacht gieng sie wie nachts zuvor zu Lucifer und war böse auf ihn, dass er sich das Taschentuch hatte entwenden lassen. »Nun aber,« sagte sie, »wird es dem Königssohn schon schwerer werden, denn ich werde dich küssen, und er muss mir deine Lippen zeigen.«
Gesagt, gethan. Aber Jack, der daneben stand, hieb dem Teufel den Kopf ab und brachte ihn unter seinem unsichtbaren Rock seinem Herrn, der ihn am nächsten Morgen in Gegenwart der Jungfrau bei den Hörnern hervorzog.
Da war der böse Zauber gebrochen, und sie erstrahlte in ihrer ganzen Schönheit. Am folgenden Morgen heirateten sie und begaben sich bald darauf an den Hof König Arthurs, wo Jack für seine Heldenthaten zum Ritter der Tafelrunde geschlagen wurde.
Nachdem Jack so alle seine Unternehmungen geglückt waren, beschloss er, nicht müßig auf seinen Lorbeeren auszuruhen, sondern alles, was in seiner Kraft stand, zur Ehre seines Königs und seines Vaterlandes zu thun. Und so bat er den König Arthur, ihn mit einem Pferde und dem nöthigen Gelde auszurüsten, damit er sich auf die Suche nach neuen, seltsamen Abenteuern begeben könne. »Denn, Majestät,« sagte er zum Könige, »es gibt noch viele Riesen in den entfernten Theilen von Wales, die zum unaussprechlichen Schaden Eurer Unterthanen ihr Wesen treiben. Wenn es also Euerer Majestät gefällt, mich darin zu unterstützen, so zweifle ich nicht daran, dass es mir in kurzer Zeit gelingen wird, sie mit Stumpf und Stiel auszurotten und so das ganze Königreich von den Riesen und Ungeheuern zu befreien.«
Als der König von Jacks edlem Vorhaben hörte, rüstete er ihn mit allem Nöthigen aus, und Jack machte sich auf den Weg. Er nahm die Kappe der Allwissenheit, das Schwert der Schnelligkeit, die Siebenmeilenschuhe und den unsichtbaren Rock mit, damit er sein gefährliches Vorhaben leichter ausführen könne.
Jack kam über hohe, wunderbare Berge, und als er am dritten Tage einen großen Wald betrat, drang ihm furchtbares Kreischen und Schreien entgegen.
Er ließ seine Blicke umherschweifen und gewahrte mit Schrecken einen ungeheuren Riesen, der eine schöne Frau und einen Ritter so gemächlich an ihrem Haare hinter sich herzog, wie man ein Paar Handschuhe trägt. Bei diesem Anblick vergoß Jack Thränen des Mitleids. Er sprang vom Pferde, zog seinen unsichtbaren Rock an und hieb mit einem Schwung seines scharfen Schwertes dem Riesen beide Beine unter dem Knie ab, so dass bei seinem Fall die Bäume zitterten. Darauf dankten der höfliche Ritter und seine holde Dame ihm herzlich und luden ihn in ihr Haus ein, damit er sich nach der furchtbaren Anstrengung erfrische und für seinen großen Dienst eine reiche Belohnung erhalte. Aber Jack schwur, nicht eher zu ruhen, als bis er die Höhle des Riesen gefunden. Als der Ritter dies hörte, versetzte er sehr betrübt: »Edler Fremdling, es wäre zu viel, sich noch einmal in Gefahr zu begeben. Das Ungeheuer wohnt zusammen mit einem noch wilderen und scheußlicheren Bruder in einer Höhle in dem Berge dort drüben. Es wäre herzbrechend für mich und meine Dame, wenn Ihr dorthin gienget und den Tod fändet. Ich bitt‘ Euch also, kommt mit uns und steht von weiterer Verfolgung ab.«
»Nein,« erwiderte Jack, »und wären ihrer zwanzig, so sollte keiner meinem Zorn entgehen. Aber wenn ich mein Vorhaben ausgeführt habe, dann will ich kommen und Euch meine Aufwartung machen.«
Jack war kaum ein und eine halbe Meile weiter geritten, als er der von dem Ritter erwähnten Höhle ansichtig wurde. Vor derselben saß auf einem Holzblock der Riese, an der Seite hatte er eine knorrige Eisenkeule; Jack vermuthete, daß er die Rückkehr seines grausamen Bruders und dessen Beute erwartete. Seine Glotzaugen waren wie feurige Flammen, seine Zunge grimmig und scheußlich, seine Backen wie zwei große Speckseiten, die Borsten an seinem Kinn wie Eisenruthen und die Locken, die auf seine fleischigen Schultern niederfielen, wie Schlangen oder zischende Nattern. Jack sprang vom Pferde, zog seinen unsichtbaren Rock an, näherte sich dem Riesen und sagte leise: »Ah, bist du da? Es wird nicht lange dauern, so werde ich dich fest beim Bart zausen.«
Da der Riese ihn nicht sehen konnte, so kam Jack ganz nahe heran und versetzte ihm mit seinem Schwert einen Hieb auf den Kopf, verfehlte aber sein Ziel und schnitt ihm die Nase ab. Da begann das Ungeheuer zu brüllen, dass es wie das Rollen des Donners klang, und schwang seine Eisenkeule wie ein Wahnsinniger.
Aber Jack rannte nach hinten und trieb sein Schwert bis zum Heft dem Riesen in den Rücken, dass er todt niedersank. Darauf hieb ihm Jack den Kopf ab und sandte diesen sammt dem Kopf seines Bruders durch einen Fuhrmann, den er zu diesem Zwecke mietete, an König Arthur.
Nun beschloss Jack, in der Höhle des Riesen nach Schätzen zu suchen. Durch viele Windungen und Krümmungen kam er endlich in ein großes Zimmer, das mit Sandstein gepflastert war. An dem oberen Ende desselben befand sich ein siedender Kessel und rechts davon ein großer Tisch, an welchem die Riesen zu essen pflegten. Als er ein eisenvergittertes Fenster sah, blickte er durch dasselbe und gewahrte ein großes, ödes Feld voll unglücklicher Gefangener, welche, als sie ihn erblickten, ausriefen: »Ach, du Armer, bist du ein Leidensgenosse?«
»Jawohl,« versetzte Jack, »aber bitte, sagt mir, zu welchem Zwecke seid ihr hier gefangen?«
»So oft die Riesen Lust verspüren zu einer Schmauserei,« versetzte einer von ihnen, »wird der fetteste von uns getödtet! Und ach, wie oft überkommt sie die Lust dazu!«
»Steht es so«, sagte Jack, und auf der Stelle schloss er das Thor auf und setzte sie in Freiheit. Sie freuten sich alle über Maßen.
Dann durchsuchte Jack die Truhen der Riesen und vertheilte das vorgefundene Gold und Silber gleichmäßig unter ihnen.
Bei Sonnenaufgang am nächsten Morgen machten sich die Gefangenen alle auf den Weg in ihre Heimat, und Jack bestieg sein Pferd, um seine Reise fortzusetzen. Dank der Anleitung des Ritters erreichte er dessen Haus um die Mittagsstunde. Er wurde von dem Ritter und seiner Gemahlin mit großen Freudenbezeugungen empfangen, und es wurde ein Fest zu seinen Ehren gegeben, das viele Tage dauerte, und an dem der ganze Adel der Nachbarschaft theilnahm. Der würdige Ritter beschenkte Jack mit einem schönen Ringe, auf welchem im Bilde zu sehen war, wie der Riese den unglücklichen Ritter und seine Gemahlin fortschleppte.
Aber mitten in all dem Jubel brachte ein Bote die traurige Mär, dass ein gewisser Thunderdell, ein zweiköpfiger Riese, der von dem Tode seiner beiden Verwandten gehört hatte, aus dem Norden des Landes herbeigeeilt sei, um an Jack Rache zu nehmen. Er war nur noch eine Meile von dem Schlosse des Ritters entfernt, und die Leute flohen vor ihm wie Spreu. Aber Jack erschrack nicht im geringsten, sondern sagte: »Er mag nur kommen! Ich habe ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Gehen Sie, meine Damen und Herren, nur ruhig in den Garten, Sie können von dort den Fall und Tod des Riesen Thunderdell mit ansehen.«
Das Haus des Ritters lag mitten auf einer kleinen Insel, die von einem dreißig Fuß tiefen und zwanzig Fuß breiten Wassergraben umgeben war, über welchen eine Zugbrücke führte. Gegen die Mitte zu sägte nun Jack mit Hilfe einiger Männer die Brücke an beiden Seiten durch, dann zog er seinen unsichtbaren Rock an und marschierte, das scharfe Schwert in der Hand, auf den Riesen los. Obgleich der Riese Jack nicht sehen konnte, so roch er doch seine Nähe und begann zu schreien:
»Feh, fei, foh, fum!
Ich riech‘ einen Menschen hier herum;
Er sei lebendig, er sei todt,
Aus seinen Knochen mahl‘ ich Brot.«
»Nach deinen Worten zu schließen, bist du ja ein fürchterlicher Müller,« sagte Jack.
Darauf schrie der Riese wieder: »Bist du der Elende, der meine Vettern erschlug? Dann will ich dich mit meinen Zähnen zerreißen, dein Blut aussaugen und deine Knochen zu Pulver zermahlen.«
»Da musst du mich aber erst haben,« erwiderte Jack. Mit diesen Worten warf er seinen unsichtbaren Rock ab, damit ihn der Riese sehe, und nachdem er seine Siebenmeilenschuhe angezogen hatte, rannte er fort. Der Riese folgte ihm wie ein wanderndes Castell, so dass die Erde bei jedem seiner Schritte in ihren Grundfesten zu erzittern schien. Auf langen Umwegen, damit die Herren und Damen im Garten es sähen, führte Jack so den Riesen an der Nase herum; endlich rannte er, um der Sache ein Ende zu machen, über die Zugbrücke, der Riese, so schnell er konnte, mit seiner Keule hinterdrein. Als aber der Riese in die Mitte der Brücke gekommen war, brach dieselbe unter seiner großen Schwere, und er plumpste kopfüber in das Wasser, wo er sich wie ein Walfisch umherwälzte. Jack stand am Graben und lachte ihn aus; aber obwohl der Riese darob vor Wuth schäumte und in dem Graben rathlos herumfuhr, so konnte er doch nicht heraus, um sich zu rächen. Endlich nahm Jack ein Wagenseil, warf es dem Riesen um seine beiden Köpfe und zog ihn mit Hilfe von zwei Pferden heraus. Darauf schnitt er ihm mit seinem scharfen Schwerte beide Köpfe ab und schickte dieselben dem Könige Arthur.
Nachdem Jack einige Zeit der Muße gepflegt hatte, nahm er von den Damen und Rittern Abschied und gieng auf neue Abenteuer aus. Durch viele Wälder kam er und gelangte endlich an den Fuß eines Berges. Dort stand ein einsames Haus, und da es spät in der Nacht war, klopfte er an das Thor. Ein alter Mann mit schneeweißem Haupthaar öffnete ihm.
»Vater,« sagte Jack, »könnt Ihr einem Reisenden, den die Nacht überrascht hat, Unterkunft geben?«
»Jawohl,« erwiderte der alte Mann, »sei willkommen in meiner armen Hütte.«
Darauf trat Jack ein, sie setzten sich zusammen nieder, und der alte Mann begann folgendermaßen: »Mein Sohn, ich merke, du bist der große Riesentödter. Siehst du das verwunschene Schloss da oben auf dem Gipfel des Berges, mein Sohn? Das bewohnt ein Riese namens Galligantus, der lockt mit Hilfe eines alten Zauberers viele Ritter und Damen in sein Schloss, wo er sie durch magische Kunst in allerlei Gestalten verwandelt. Vor allem aber beklage ich das Unglück eines Herzogs, dessen Tochter sie aus seinem Garten entführten.
In einem brennenden, von feurigen Drachen gezogenen Wagen brachten sie sie durch die Lüfte in das Schloss, wo sie sie in eine weiße Hirschkuh verwandelten. Und trotzdem schon viele Ritter versucht haben, den Zauber zu brechen und sie zu befreien, so ist es doch noch keinem gelungen, denn am Thore des Schlosses stehen zwei furchtbare Greife, welche jeden tödten, der sich naht. Aber du, mein Sohn, besitzest ja einen Rock, der dich unsichtbar macht, du kannst ungesehen an ihnen vorbeikommen. Über den Thoren des Schlosses steht in großen Lettern geschrieben, auf welche Art der Zauber gebrochen werden kann.«
Als der alte Mann geendet hatte, reichte Jack ihm die Hand und gab ihm das Versprechen, am folgenden Morgen sein Leben zu wagen, um die Jungfrau zu befreien.
In der Früh stand Jack auf und bereitete sich zu seinem Unternehmen vor, indem er seinen unsichtbaren Rock und die Siebenmeilenschuhe anzog und die Kappe der Allwissenheit aufsetzte. Als er den Gipfel des Berges erreicht hatte, sah er sogleich die beiden feurigen Greife, gieng aber, da er seinen unsichtbaren Rock anhatte, ohne Furcht an ihnen vorüber. Über dem Thore sah er an einer Silberkette eine goldene Trompete hängen, und darunter waren folgende Zeilen eingraviert:
In wessen Hand dies Horn erschallt,
Der schlägt den Riesen mit Gewalt;
Gen schwarze Kunst ist er gefeit,
Und alle werden durch ihn befreit.
Kaum hatte Jack dies gelesen, als er auch schon in die Trompete stieß, worauf das Schloss in seinen Grundfesten zu erzittern begann. Der Riese aber und der Zauberer, die nun wussten, dass ihre Herrlichkeit zu Ende war, bissen sich in ihrer Verzweiflung in die Daumen und rissen sich das Haar aus dem Kopfe. Endlich bückte sich der Riese, um seine Keule aufzuheben, da trennte ihm Jack mit einem Hieb den Kopf vom Rumpfe, worauf der Zauberer in die Luft flog und von einem Wirbelwind davongetragen wurde. Somit war der Zauber gebrochen, all die Damen und Ritter, die so lange in Vögel und Thiere verwandelt waren, nahmen ihre frühere Gestalt wieder an, und das Schloss verschwand in einer Rauchwolke. In gewohnter Weise sandte nun Jack den Kopf des Riesen an den Hof König Arthurs; er selbst folgte mit den Damen und Rittern, die er auf so ehrenvolle Weise erlöst hatte, am folgenden Tage nach.
Zur Belohnung für seine treuen Dienste bewog der König den erwähnten Herzog, dem biederen Jack seine Tochter zur Frau zu geben. So feierten sie denn ihre Hochzeit, und das ganze Königreich nahm an der Freude theil. Der König verlieh Jack ein herrliches Gut mit einem sehr schönen Schlosse, wo der Riesentödter und seine Gemahlin sehr froh und glücklich bis an ihr Ende lebten.
[Anna Kellner: Englische Märchen]