Vor ewigen Zeiten, als die Erde noch ganz anders aussah und die Menschen die Gabe besaßen, mit den Tieren, Pflanzen und den Gestirnen zu reden, lebten Jola und Malena.
Die beiden waren sich in inniger Liebe zugetan. Doch ihr Glück war nicht von Dauer, denn der Nordwind begehrte Malena als Gefährtin.
Eines Nachts, als die zwei Liebenden eng umschlungen schliefen, sammelte er all seine Kraft und riss Jola seine Geliebte aus den Armen.
Groß war Jolas Wehklagen, als er Malena morgens nicht an seiner Seite fand. Er befragte jedes Lebewesen, jeden Stein, doch niemand wusste um Malenas Verbleib.
Er wandte sich an das Meer. „Du dringst in jeden noch so kleinen Spalt, bist überall gegenwärtig. Kannst du mir sagen, wo ich meine Herzallerliebste finde?“
Das Wasser sprach: „In der Tat, ich habe den Nordwind mit deiner Malena gesehen. Er blies in der Dunkelheit über mich und trug sie mitten in mein Herz, auf eine Insel.“
„Dann sage mir, wie ich über dich steigen kann.“
„Das kannst du nicht. Ich erstrecke mich endlos in die Weite und endlos in die Tiefe. Nur die Sonne ist mächtiger als ich, denn dort, wo sie scheint, saugen ihre Strahlen mich auf.“
Jola dankte dem Ozean und machte sich auf, die Sonne um Hilfe zu bitten.
Nach vielen Wochen des Herumwanderns trat er schließlich vor die Königin des Tages.
„Du Herrscherin über der Erde, ich bitte dich, hilf mir über das Meer.“
„Das würde ich gerne tun, doch es liegt nicht in meiner Macht“, sprach die Sonne.
„Aber du bist stärker als Wasser. Sammle deine Strahlen und lass Tropfen um Tropfen verdunsten. Und wenn es Jahre dauert! Ich kann ohne Malena nicht sein.“
„Dafür würden nicht einmal zehn Menschenleben reichen. Zudem muss selbst ich dem Mond weichen, wenn es Abend wird. Frag doch ihn, der jeden Sonnenstrahl von der Erde zu verdrängen vermag. Sein Einfluss ist größer als meiner.“
Jola bedankte sich bei der Sonne und machte sich auf den Weg zum Mond. Lange dauerte seine Suche, denn der Mond war weit entfernt und in manchen Nächten blieb er gar verborgen.
Endlich hatte Jola sein Ziel erreicht und er trat mit seinem Anliegen vor den Meister der Nacht.
„Gütiger König des Abends, ich brauche deine Hilfe. Der Nordwind hat meine Malena entführt und hält sie mitten im Herzen des Ozeans gefangen. Weder das Wasser noch die Sonne kann mir helfen. Ich bitte dich, du, der sogar die Sonne von ihrem Platz am Himmel vertreiben kann, bring mich zu meiner Geliebten.“
Der Mond wusste um die große Hingebung zwischen den beiden, hatte er sie Nacht für Nacht gesehen, hatte sie in sein sanftes Licht gehüllt und ihren Liebesschwüren gelauscht.
„Gut, ich werde tun, was ich zu tun vermag, aber erwarte dir nicht zuviel. Selbst meine Macht ist beschränkt.“
Der Mond sammelte seine Kräfte und zog und zerrte am Wasser. Das, was nicht einmal er selbst für möglich gehalten hatte, geschah: Das Meer wich zurück.
Jola wartete klopfenden Herzens darauf, dass der Weg zu Malena frei würde, um zu ihr zu gelangen. Doch als die Hälfte geschafft war, verließ den Mond seine Stärke und nach und nach floss das Wasser wieder zurück, bis es schließlich wieder an seinem Ursprung angekommen war.
Jola aber stand am Ufer, schlug sich die Hände vors Gesicht und weinte bitterliche Tränen.
Der Mond sprach zu ihm: „Der Morgen graut bereits. Die Sonne wartet darauf, aufgehen zu dürfen. Ich muss mich ausruhen, aber morgen, um die gleiche Zeit, versuche ich es noch einmal.“
So ist es bis heute geblieben. Monat für Monat, Jahr für Jahr, zieht der Mond das Meer an, um Jola zu seiner Geliebten zu bringen. Doch bis zum heutigen Tage ist es ihm nicht geglückt.
So wartet Jola auf der einen Seite und Malena auf der anderen Seite des Meeres sehnsüchtig darauf, dass der Mond sie endlich zueinander bringt.
Quelle: Berta Berger