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Märchenbasar

Ein Lächeln für den kleinen Kaiser

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Einst herrschte große Trauer im Land der roten Sonne, denn der junge Kaiser war, ebenso wie seine Gemahlin, durch ein böses Fieber gestorben. Nach vier Wochen Staatstrauer folgte ihm nun sein Sohn Pen-Tzu auf den Thron. Die Minister regierten für ihn, bis er selbst einmal erwachsen sein würde.
Aber wie traurig war das Leben jetzt für den kleinen Kaiser! Er wurde nur noch in goldene Gewänder gehüllt, musste – starr wie eine Statue sitzend – an allen Beratungen teilnehmen und den ganzen Tag lang Gesandte empfangen. Dabei hätte er viel lieber unter den Kirschbäumen im Park des Palastes gespielt. Pen-Tzu lachte nicht mehr und litt an Schlaflosigkeit. Seine Erzieherin, Frau Wong, machte sich große Sorgen um ihn. „Ach, mein kleiner Min“, sagte sie zu ihrem Sohn, als sie abends aus dem Palast zurückkehrte. „Du hast zwar auch keinen Vater mehr, aber Menschen, die dich lieben. Während ich arbeite, kannst du den ganzen Tag im Garten deiner Großeltern spielen. Am Abend bist du dann müde und glücklich und schläfst wie ein Murmeltier. Der arme Pen-Tzu aber liegt die ganze Nacht wach und starrt den Sternen-Baldachin an.“ Bei der Erzählung seiner Mutter bekam Min großes Mitleid mit dem kleinen Kaiser und beschloss, ihm zu helfen.

Am nächsten Morgen lief er zum Teich im Garten seiner Großeltern und rief: „Liebe Lotosblütenfee, komm schnell herbei und hilf mir!“
„Sei gegrüßt, kleiner Min. Woher kennst du meinen Namen?“, wisperte plötzlich eine feine Stimme. Aufgeregt blickte der Junge sich um, konnte aber nirgendwo eine Gestalt entdecken. Doch da! In der Mitte der schönsten Seerose sah er jetzt ein zartes Wesen, das allenfalls die Größe einer Libelle hatte. Geschwind kniete Min sich an den Rand des Teiches und erwiderte: „Meine Großmutter erzählt mir beinahe täglich von dir. Sie sagt, dass du hilfst, wenn jemand in Not ist, so wie Pen-Tzu. Er kann nämlich nicht mehr schlafen.“
„Du bittest nicht für dich, da will ich dir gerne helfen“, sagte die Fee lächelnd. „Sieh unter dem flachen Stein neben der kleinen Pagode nach. Dort findest du einen Beutel mit Seerosentee. Nimm ihn und schenke ihn morgen dem kleinen Kaiser zu seinem neunten Geburtstag. Zwei Körnchen auf eine Tasse genügen, wenn er daran glaubt. Dann wird er wieder fest und tief schlafen.“ Min bedankte sich bei der Lotosblütenfee mit einer tiefen Verbeugung und lief schnell nach Hause.
Die Sonne schaute gerade über den Rand der Welt, als seine Mutter ihn am folgenden Tag mitnahm und zu Pen-Tzu brachte. Dieser saß schon gemäß dem Hofprotokoll auf seinem Thron. Auf den Tischen stapelten sich die Geschenke. Gold, Silber und Edelsteine hatte man ihm gebracht, aber er schaute alles nur traurig an und gähnte. Als Min ihm sein Geschenk mit einer Verneigung überreichte und ihm sagte, was es mit dem Tee auf sich habe, ließ der kleine Kaiser sofort eine Tasse aufbrühen. Eine halbe Stunde später war er fest eingeschlafen. Der große Geburtstagsempfang musste ohne ihn stattfinden.

Frau Wong war stolz auf ihren Sohn. Als sie ihn zu Bett brachte, umarmte sie ihn lange. „Wenn es jetzt noch einen Tee gäbe, der ihm Mut und Zuversicht schenkte und ihm sein Lächeln zurückbrächte, wäre Pen-Tzu auch bestimmt glücklicher“, dachte sie laut. „Aber man muss bescheiden bleiben.“
Min hatte die Worte seiner Mutter wohl gehört. Sobald der neue Tag anbrach, lief er wieder zum Seerosenteich und rief nach der Lotosblütenfee. Doch die konnte ihm dieses Mal nicht helfen. „Es gibt einen solchen Tee“, sprach sie, „doch den verwahrt der Drachenfürst. Er wohnt hinter dem uralten Teehaus in den Gärten des kaiserlichen Palastes. Du kannst ihn allerdings nur in der Nacht antreffen, denn dann badet er heimlich im goldenen Teich. Aber hüte dich vor den Wachen. Sie töten dich sofort, wenn du ihnen in die Hände fällst. Denn nur der Kaiser und die Kaiserin dürfen diesen Teil des Gartens betreten.“
„Ich will es dennoch versuchen“, rief der Junge und eilte nach Hause.
In der Nacht, als seine Mutter endlich eingeschlafen war, schlich er sich aus dem Haus und machte sich auf den Weg. Er hatte bald den richtigen Garten gefunden. Jedoch versperrten ihm ein hoher Zaun und riesige Bäume den Weg. Und hinter diesen Hindernissen sah er schon die Wachen auf- und abgehen. Geschickt kletterte er auf einen der alten Bäume, hangelte sich an einem überstehenden Ast entlang und ließ sich auf der anderen Seite in das weiche Gras fallen. Wieselflink huschte er an den Wächtern vorbei und war bald am geheimnisvollen Teich angelangt. Das Goldwasser glitzerte und strahlte im Mondschein. Der kleine Min konnte kaum seine Augen abwenden. Plötzlich wurde der stille Spiegel unruhig, kleine Wellen schlugen an den steinernen Rand. Dann schob sich ein dicker Echsenkopf an die Oberfläche, sah sich vorsichtig um und bewegte sich langsam Richtung Ufer. Er hielt genau auf die Stelle zu, an welcher der Junge sich verborgen hielt. Min nahm allen Mut zusammen, trat aus seinem Versteck hervor und flüsterte furchtsam: „Lieber Drachenfürst, erschrick nicht. Die Lotosfee sendet dir Grüße. Ich bin Min und brauche deine Hilfe.“
Dann erzählte er dem Wesen von seinem Anliegen. „Wenn es sich so verhält“, nickte der Drachenfürst zustimmend, „gebe ich dir ein Säckchen von meinem Tee. Er liegt unter dem dicken Moospolster hinter dem alten Teehaus dort drüben. Es ist der Tee der Zuversicht und des Mutes. Den Tee des Lächelns hat die Raupenfee Silberfaden. Sie lebt auf dem ältesten Kirschbaum, der im Vorhof des Kaiserpalastes steht. Wenn du bis in seine höchsten Zweige kletterst, findest du die Fee. Aber die Wachen werden dich töten, sobald du den Baum berührst. Nun geh, ehe dich die kaiserlichen Soldaten sehen, denn sie kommen auf ihrer Runde gleich hier vorbei.“

Am nächsten Morgen erzählte er seiner Mutter von dem nächtlichen Abenteuer und gab ihr den Beutel mit dem Tee. Frau Wong blieb nachträglich fast das Herzen stehen vor Angst, als sie an die Gefahr dachte, in die ihr Kind sich begeben hatte. „Höre zu, Min“, sagte sie streng. „Du wirst nicht zum alten Kirschbaum gehen. Ich verbiete es dir! Das ist zu gefährlich.! Es reicht, was du für Pen-Tzu getan hast. Versprich es mir!“ Mit hängendem Kopf gab ihr Min das Versprechen.
Als Frau Wong von der Arbeit heimkam, sah sie sehr zufrieden aus. „Mein Sohn, du hast dem kleinen Kaiser wirklich Gutes getan“, sprudelte es aus ihr heraus. „Eine halbe Stunde, nachdem er den Tee getrunken hatte, widersprach er zum ersten Mal seinen Ministern und hat zwei Kindern geholfen. Sie dürfen nach dem Tod der Eltern mit ihrer Tante im Palast wohnen bleiben. Dann hat er befohlen, die dicken Vorhänge von den Fenstern des Thronsaals zu entfernen und das Tageslicht hereinzulassen. Vielleicht lernt er das Lächeln auch auf diese Art wieder.“

Einige Monate zogen ins Land, aber Pen-Tzu wurde immer trauriger. Sogar Frau Wong wurde von seiner Trauer angesteckt und lachte nur noch selten. Da beschloss Min, sein Versprechen nicht einzuhalten. Die Sonne stand hoch am Himmel, als er sich entschlossen auf den Weg machte. Zwei Soldaten bewachten den Kirschbaum, der gerade in voller Blüte stand. Min stellte sich zwischen die Schaulustigen, die die Kirschblüte bewunderten, aber unter den drohenden Blicken der Baumwächter gebührenden Abstand hielten. Da rief plötzlich eine alte Frau: „Lasst uns zum Baum. Früher durften wir alle einen Zweig mit nach Hause nehmen, denn er bringt die Zufriedenheit und das Lächeln ins Haus!“ Sofort stürzten sich die Soldaten auf die Greisin und jagten sie fort. Diesen Augenblick nutzte Min, sprang los und kletterte in Windeseile den Stamm hoch, so weit er konnte. Dann stieg er vorsichtig weiter, von Ast zu Ast, um die zarten Blüten nicht zu beschädigen. Als er bei den höchsten Zweigen angekommen war, erspähte er auf einer großen, rosa-weißen Blüte eine silberne Raupe. „Wenn du die Fee Silberfaden bist, bitte ich dich um den Tee des Lächelns“, wisperte er.
„Ich weiß, warum du hier bist“, zirpte die Fee. „Und ich werde dir helfen. Rufe nach Pen-Tzu. Wenn er kommt und sich unter den Kirschbaum stellt, wird alles gut. Schrei, so laut du kannst, die Speere der Soldaten werden dich nicht treffen.“
Min begann zu rufen, immer lauter, bis schließlich Frau Wong die Stimme ihres Sohnes im Palast erkannte. Angst stieg in ihr auf, während sie zum Kirschbaum rannte. Auch Pen-Tzu hatte die Rufe gehört und das erste Mal seit dem Tod der Eltern verließ er den Palast und ging zum Baum. „Es ist mein Sohn, der dort in der Krone sitzt!“, rief Frau Wong verzweifelt. „Bitte, Pen-Tzu, habe Mitleid und strafe ihn nicht. Er will den Tee des Lächelns für dich holen.“ Neugierig trat der kleine Kaiser ganz nahe an den Stamm heran, um zu sehen, wer sich da oben zwischen den Blüten verbarg. Da taumelten zarte Silberfäden auf ihn herab und hüllten ihn ein. Plötzlich fühlte er sich leicht und froh. Ein Lächeln zog über sein Gesicht, während er sagte: „Komm doch herunter, Min, und sei mein Freund. Du hast dein Leben für mich riskiert, nur um mir zu helfen. Mit dir als Gefährten werde ich nie mehr einsam sein und wieder lachen können.“ Die Raupenfee blickte Min an und lächelte. „Sag ihm, er soll den Menschen wieder erlauben, die Zweige des Baumes zu holen, denn in ihnen sind meine Silberfäden eingesponnen. Wenn sie sich dann einen Kirschblütentee kochen, wird ein Lächeln über ihr Gesicht ziehen. Und wer lächelt, wird niemals einsam sein.“
Die Freundschaft zwischen Pen-Tzu und Min hielt ein Leben lang und die Menschen kommen bis in unsere Tage einmal im Jahr zum Baum, um sich einen Kirschblütenzweig zu holen.

Quelle: nicht angegeben

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