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Märchenbasar

Kalebs Geschenk

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Es war einmal ein fernes Wüstenreich. Dort herrschte der gutherzige Kalif Muhab. Ihm zur Seite stand sein ehrgeiziger Großwesir Kaleb. Dieser war nicht nur von gemeiner Boshaftigkeit zerfressen, nein, er verstand sich auch auf Schwarze Magie. Die fünf Söhne Muhabs hatten dem Palast vor langer Zeit den Rücken gekehrt und waren in die Welt gezogen. Nur die liebreizende Naima, des Kalifen einzige Tochter, hielt ihrem Vater die Treue. Kaleb trachtete danach, die Stelle des Herrschers einzunehmen. Des weiteren wollte er die Prinzessin zur Gemahlin nehmen und spionierte ihr aus diesem Grunde ständig hinterher. Jedoch liebte Naima insgeheim Baghir, den Sohn des Stallmeisters. Das war dem Großwesir ein Dorn im Auge und so sann er darauf, wie er seinen Nebenbuhler loswerden könnte.

Die Prinzessin verweilte gerade bei den Jagdfalken, als ihre Leibdienerin erschien.
,,Herrin schnell! Eurem Vater geht es sehr schlecht und der Medikus wünscht Euch dringend zu sprechen.“
Völlig außer Atem trat Naima in das Gemach des Kalifen. Sie fand ihn bleich und ausgezehrt in den Kissen liegen. Der anwesende Leibarzt trat auf sie zu, verneigte sich ehrgebietend, dann sprach er leise:
,,Ich befürchte das Schlimmste, Prinzessin. Kalif Muhab verweigert sowohl Speise als auch jegliche Medizin.“
,,Was rätst du mir? Wie kann ich ihm bloß helfen?“, fragte sie besorgt.
,,Vielleicht könnt Ihr den Herrn dazu bewegen, ein stärkendes Mittel einzunehmen.“ Von Stunde an verbrachte Naima Tag und Nacht am Krankenlager ihres Vaters. Bald nahm er von ihrer Hand gereichte Mahlzeiten und heilende Pülverchen ein. So begann Muhab dann endlich, nach tagelangem Bangen, langsam zu genesen. Als der Kalif wieder kräftig genug war, um auf eigenen Beinen zu stehen, verließ die Prinzessin zum ersten Mal nach Wochen den Palast. Ihre Schritte führten sie geradewegs zum Marstall.

,,Gib Acht Sohn, die Stute gebiert jeden Moment ihr Fohlen“, forderte der Stallmeister.
,,Oh! Da komme ich ja gerade noch rechtzeitig“, rief Naima erfreut und kniete augenblicklich neben dem Kopf des Pferdes nieder. Sie strich ihm beruhigend über die schmerzgeweiteten Nüstern. Kaum hatte das Kleine den Mutterleib verlassen, rappelte sich die Stute auf und kümmerte sich liebevoll um ihren Nachwuchs.
,,Wie geht es deinem Vater, Liebste?“, fragte Baghir.
,,Zum Glück wieder gut genug“, erwiderte sie und bot ihm ihren Honigmund. Während das junge Paar sich innig umarmte und zärtlich küsste, wurde es neidvoll von Kaleb beobachtet.
,,Na warte nur! Du törichter Pferdeknecht wirst mir nicht länger ein Rivale sein“, murmelte der Großwesir hasserfüllt.

Einige Tage später stand Prinzessin Naimas Geburtstag an. Nun hielt Kaleb die Zeit für gekommen, ihr einen lang ersehnten Wunsch zu erfüllen und seine eigene Person in den Vordergrund zu rücken. Noch bevor der Kalif selbst seiner Tochter ein kostbares Geburtstagsgeschenk überbringen konnte, erschien Großwesir Kaleb. Er trug einen stolzen Jagdfalken bei sich. Obwohl er genau wusste, dass es ausschließlich den Männern vorbehalten war, mittels dieser erhabenen Raubvögel zu jagen, sprach er heuchlerisch zu Naima:
,,Meine einzig wahre Herrin. Bitte nehmt dieses bescheidene Geschenk von Eurem unwürdigen Diener.“
Überrascht ließ sie den Vogel auf ihrem Arm Platz nehmen. Indessen sie ihn aufmerksam betrachtete, schlurfte Muhab herbei. Naima übergab den Falken ihrer Dienerin und Kaleb zog sich zurück. Der Kalif umarmte die Prinzessin, legte ihr einen blauen, faustgroßen Diamanten in die Hand und flüsterte:
,,Verwahre ihn sicher, denn in ihm steckt ein Leben. Ich weiß nur nicht mehr, wessen. Deines, meines, oder von wem auch immer.“
Naima bedankte sich herzlich und verließ rasch ihr Gemach. Es zog sie zum Marstall. Auf dem Weg dorthin begegnete ihr Kaleb abermals.
,,So in Eile?“, fragte er hinterlistig, ,,ist etwas geschehen?“
,,Nein“, antwortete sie ein wenig verlegen, ,,ich möchte nur nach dem Füllen sehen.“
,,Da könnt Ihr unbesorgt sein, dem geht es bestens. Aber Baghir werdet Ihr leider nicht antreffen.“
,,Wie … Wie kommst du auf Baghir?“
,,Ach nur …, weil ich ihn gestern Abend mit einer Dienerin wegreiten sah. Ja, und als ich fragte, wo er denn zu so später Stunde noch hin wolle, da rief er mir nur zu, dass er mit seiner Braut für immer fortgehe.“
Der gemeine Kerl frohlockte innerlich, als er sah, dass sie bei jener Nachricht bis in die Nasenspitze erbleichte.

Fortan zog sich die Kalifentochter weitgehendst in ihre Gemächer zurück. Sie duldete lediglich die Anwesenheit der Leibdienerin und beschäftigte sich nur noch mit ihrem Falken. Dieser musste ein besonders gelehriges Tier sein, denn in kürzester Zeit beherrschte es alle Kommandos.
Eines Tages, Naima war gerade mit dem Jagdfalken zugange, kam ihre Dienerin gelaufen.
,,Herrin schnell! Der Kalif ist erneut schwer erkrankt.“
,,Das kann nicht möglich sein. Mein Vater war doch vollkommen genesen. Du musst dich irren“, erwiderte die Prinzessin mürrisch.
Schließlich gab sie dem Drängen des Mädchens nach und suchte den Kalifen auf.
Wieder fand sie ihn bleich und ausgezehrt in den Kissen.
,,Was ist es denn?“, fragte sie ängstlich den Leibarzt.
,,Das gleiche Dilemma“, antwortete dieser ratlos.
Naima verfuhr wie zuvor. Sie verweilte wochenlang, ohne zu ruhen, bei ihrem Vater. Versorgte ihn selbst mit allem Nötigen. Auch dieses Mal sollte Kalif Muhab wieder zu Kräften kommen und genesen.

Erleichtert über die glückliche Fügung, widmete sich Naima wieder ihrem Falken. Sie berichtete ihm über jene beiden seltsamen Erkrankungen des Vaters. Der Vogel lauschte jedem einzelnen Wort.
,,Selbst unser heilkundiger Medikus kommt der krankmachenden Schwäche nicht auf die Spur. Er behauptet sogar, dass eine dritte Heimsuchung unweigerlich mit dem Tod enden wird.“
Während sie so mit dem geliebten Jagdfalken redete, reichte sie ihm Fleischbrocken. Doch das gesunde, kräftige Tier verweigerte plötzlich die Äsung. Verwundert schalt Naima:
,,Was fällt dir denn ein, dieses zarte Hühnerfleisch zu verschmähen? Du gebärdest dich ja gerade so, als wollte ich dich vergiften.“
,,Vergiften?“, fuhr es ihr durch den Sinn, ,,aber wer im Palast könnte einer solchen Schurkentat fähig sein? Kalif Muhab ist im ganzen Lande wegen seiner Herzensgüte beliebt. Ich muss herausfinden, wer meinem Vater nach dem Leben trachtet.“
Von diesem Moment an hielt sich die Prinzessin immer an der Seite Muhabs auf. Sie ließ keinen der Bediensteten aus den Augen, jedoch geschah vorerst nichts Ungewöhnliches.

Dann aber, in einer dunklen, mondlosen Nacht, erwachte Naima vom Geschrei ihres Falken. Da er sich frei in ihrem Gemach bewegen durfte, hockte er auf dem Boden und gebärdete sich wie toll. Sie nahm ihn auf und sogleich verstummte er. Plötzlich lief ihr ein eiskalter Schauer über den Körper. Ein ungutes, beängstigendes Gefühl bemächtigte sich ihrer und wie von einer fremden Macht getrieben, lief sie zum Gemach ihres Vaters.
Der Kalif lag röchelnd auf seinem Lager, nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen, aber zeigte mit zitternder Hand zu einem schweren, sich bewegenden Brokatvorhang. Ohne zu überlegen, stürzte die Prinzessin darauf zu und riss ihn zur Seite. Doch es befand sich niemand dahinter. Nun bemerkte sie auf dem Grund des Weinkelches, aus dem der Kalif allabendlich seinen Schlummertrunk nahm, eine winzige Pflanzenfaser.
Sie musste also den Halunken bei seiner Missetat gestört haben.
,,Vater“, sprach sie liebevoll, ,,ich werde diesen mordgierigen Unhold erwischen. Nun werde ich auch die Nächte an deiner Seite bleiben.“
Er strich sanft über ihre Hand, lächelte gequält und schlief ein.

Am nächsten Tag bestätigte der Leibarzt Naimas Vermutung, dass jemand Schierling in den Wein gemischt hatte.
Das liebreizende Mädchen hütete den Kalifen wie ihren eigenen Augapfel. Sie saß an seinem Lager, las ihm vor, spielte sanfte Weisen auf der Laute und kostete alle Speisen vor. Die liebevolle Zuwendung seiner Tochter stärkte Muhab zusehends.
Zur späten Abendstunde fragte der Kalif auf einmal:
,,Kind, wo hast du den blauen Stein?“
,,Keine Sorge, er ist an einem sicheren Ort.“
,,Nein! Schaff ihn herbei, ich will ihn sehen.“
,,Gut“, erwiderte sie und rief nach ihrer Leibdienerin. Naima verriet ihr leise das Versteck des Kleinods und kurz darauf hielt sie es in der Hand.
,,Siehst du Vater, hier ist er.“
Erleichtert sank Muhab auf das Kissen zurück und bat seine Tochter, etwas Heiteres vorzulesen. Doch noch ehe sie beginnen konnte, trat unvermittelt der Großwesir ein.
,,Verzeiht, mein Herr und Gebieter. Ich bringe Euch den Schlummertrunk lieber eigenhändig, bevor jener feige Meuchelmörder erneut Gelegenheit dazu bekommt“, sprach er unterwürfig.
,,Ein seltsamer Treuebeweis, Kaleb. Das hast du ja noch nie getan. Oder doch? Etwa immer dann, wenn der Kalif schwer erkrankte?“, fragte Naima drohend und griff nach dem Kelch. Obwohl die Prinzessin ihn an ihre Lippen setzte, zuckte der Halunke mit keiner Wimper. Aber anstatt zu trinken, schüttete sie den Wein aus und fand Reste vom Schierlingskraut im Bodensatz.
,,Du trachtest meinem Vater nach dem Leben“, rief sie wutentbrannt.
Großwesir Kaleb sah die Prinzessin verwundert an und meinte verschlagen:
,,Ihr tut mir Unrecht, Herrin. Niemals wäre ich einer solch abscheulichen Tat fähig. Das kann ich Euch sogar beweisen.“
,,Ich glaube dir kein Wort!“
,,Bei meinem Leben schwöre ich, dass Ihr den Beweis meiner Unschuld in euren zarten Händen haltet.“
Naima stutzte einen Moment und durchschaute sein Spiel.
,,Du meinst also, mit Hilfe des blauen Steines kannst du mich überzeugen?“
Kaleb wähnte sich schon fast am Ziel, er nickte und streckte begierig die Hand danach aus. Noch ehe Naima reagieren konnte, kam ihr Jagdfalke im Sturzflug herbei und schlug seinen scharfen Schnabel in die Wange des Großwesirs. Vor Schreck entglitt dem Mädchen der Diamant, schlug krachend auf den steinernen Mosaikboden und zerbarst in tausend Stücke. Das bekam dem Schurken Kaleb gar nicht gut, denn er begann sich vor den Augen seiner Herrschaft in einen räudigen Straßenköter zu verwandeln und wurde augenblicklich aus dem Palast gejagt. Prinzessin Naima umarmte ihren vollkommen genesenen Vater und rief den Falken herbei.
,,Das hast du ausgezeichnet gemacht, mein treuer Freund“, lobte sie den Vogel, ,,dafür sollst du auch nicht länger namenlos bleiben. Ich werde dich Baghir nennen, weil ich dich genauso liebe, wie ich ihn immer noch liebe.“
Zärtlich strich sie über das weiche Gefieder. Plötzlich plusterte der Jagdfalke sich auf, wurde größer, glitt vom Arm auf den Boden und ward zum Riesenvogel. Erschrocken wich Naima zurück und traute ihren Augen nicht. Gesund und wohlbehalten stieg Baghir aus dem Federkleid.

Schon bald gab es im Palast eine glückliche Vermählung. Kalif Muhab legte die Geschicke seines Volkes in die Hände des jungen Kalifen Baghir. Naima schenkte ihrem Gemahl zwei liebreizende Töchter. So lebten sie alle Zeit glücklich und zufrieden.

 Quelle: Ulla Magonz

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