Es war einmal mitten im Winter eine böse Königin. Sie saß, während es draußen schneite, an einem Fenster aus schwarzem Ebenholz und sann über schlechte Sachen nach, die man den Gefangenen im königlichen Verließ antun könnte. Und wie sie sich in ihren bösen Gedanken verlor, ritzte sie sich versehentlich mit einem Nagel im Fensterrahmen in den Arm und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil ihr den Anblick von Blut und Schnee so gefiel, dachte sie: „Eigentlich wäre es gar nicht schlecht, ein Kind zu haben, dem ich all meine bösen Zauber und Gifte weiter geben könnte. Eine Tochter mit Lippen so rot wie Blut, mit Haut so weiß wie Schnee und mit einer Seele so schwarz wie Ebenholz.“
Bald darauf bekam sie tatsächlich ein Mädchen mit Lippen so rot wie Blut und Haut so weiß wie Schnee und einer schwarzen Seele und nannte sie Kohlwittchen. Nach der Geburt griff die Königin in ihrer Giftküche nach der falschen Flasche, roch daran und fiel gleich tot zu Boden. Ein Jahr später nahm sich der König eine andere Gemahlin. Sie war eine wunderschöne, gutherzige Frau und die Tochter einer liebenswerten und mächtigen Fee. Die schenkte ihr zur Hochzeit einen Spiegel und sprach: „Er wird dir gute Dienste tun. Wenn du in ihn hineinschaust und fragst:
´Spieglein, Spieglein an der Wand, wer plant etwas Böses hier im Land?´
so verrät er dir sofort, wenn irgendjemand im Schloss oder aus der königlichen Familie etwas Übles plant.“ Die neue Königin war glücklich über das Geschenk und verwahrte es gut. Und von Zeit zu Zeit fragte sie den Spiegel nach bösen Plänen, doch immer antwortete er:
“Frau Königin, niemand plant etwas Böses im Land“
Da war sie zufrieden, denn sie wusste, dass der Spiegel immer die Wahrheit sagte. Kohlwittchen aber wuchs heran und war ebenso wie ihre Mutter voller Schlechtigkeit. Sie fing an, Bücher über Gifte und Hexerei zu lesen, trieb sich mit zwielichtigen Gestalten herum und versetzte damit ihre Eltern in Angst und Schrecken. Mit siebzehn Jahren war sie zwar ebenso hübsch wie ihre schöne Stiefmutter, jedoch abgrundtief böse. Als die Königin nun zu dieser Zeit einmal den Spiegel fragte:
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer plant etwas Böses hier im Land?“
antwortete er:
„Frau Königin, es lebt Kohlwittchen hier, und das plant etwas Böses, glaubet mir.“
Da erschrak die Königin und wusste weder ein noch aus vor Sorge, welch schreckliche Pläne ihre unheimliche Stieftochter hatte. Sie erkundigte sich überall, wo es jemanden gäbe, der einem bösen Mädchen Tugend und Anstand beibringen könnte. Die Kunde davon erreichte einen gewitzten Scharlatan, der sofort eine Gelegenheit witterte, hier einen guten Batzen Gold zu verdienen. Er kleidete sich wie ein Jäger und machte im Schloss die Aufwartung. Er erzählte, er sei der Leiter eines erstklassigen Hauses im großen Wald, wo schlechte Mägdelein einen zwar harten, aber doch guten Kursus zur Erziehung und Unterweisung durchlaufen würden. Zuerst wollte die Königin ihm nicht so recht trauen, dann aber bemerkte sie einen finsteren feindseligen Blick, den ihr Kohlwittchen zuwarf und bekam es mit der Angst, so dass sie dem Betrüger das Mädchen mitgab und ihn für deren Erziehung einen großen Beutel Gold entlohnte. Zum Beweis für den Erfolg seiner Erziehung sollte er nach drei Tagen einen liebenswerten Brief von Kohlwittchens Hand schicken, als Beweis für deren beginnende Läuterung.
Doch der Mann hatte gelogen. Er führte Kohlwittchen nur tief in ihn hinein, um sie dort sich selbst zu überlassen. Vorher diktierte er ihr jedoch noch den verlangten liebenswerten Brief unter der Drohung, sie anderfalls gleich mit seinem Hirschfänger niederstrecken. Dann ließ er die junge Frau im großen Wald alleine. Sie fing an zu laufen, doch die wilden Tiere spürten die böse Aura, die sie umgab und taten ihr nichts. Sie lief und lief, den ganzen Tag und noch einen weiteren bis in den entferntesten Winkel des Königreichs, kam schließlich an ein großes Haus und ging hinein, um dort etwas zu essen und sich auszuruhen. Im Haus war alles riesengroß und sehr schmutzig, doch Kohlwittchen kümmerte sich nicht darum. Stattdessen stieg sie auf einen großen Stuhl und sah auf dem Tisch sieben riesige Teller stehen, auf denen reichlich Essen angerichtet war und sieben große Humpen mit Bier. Weil sie so hungrig und durstig war, aß sie einen Teller und trank einen Krug Bier leer. Dann war sie sehr betrunken, schwankte zu einem von sieben riesigen Betten in der Nachbarstube, fiel hinein und war sofort eingeschlafen.
Als es dunkel geworden war, kamen die Bewohner des Hauses heim. Es waren sieben Riesen, alle recht dumm und grimmig, die vom Anbau eines bösen Rauschkrautes lebten. Wer davon versuchte, dem vernebelte es die Sinne und konnte nicht mehr richtig denken. Es war aber so beschaffen, dass man vom ersten mal kosten süchtig davon wurde und mit der Zeit immer mehr verdummte. Nichts ahnend setzten sich die Sieben zu Tisch und wollten gerade essen, als der erste merkte, dass er gar nichts mehr auf dem Teller hatte. Da sprach er: „Wer hat von meinem Teller gefressen?“ Der zweite sprach: „Wer hat auf meinem Stuhl gesessen?“ Der Dritte: „Wer hat in mein Brot gebissen?“ Der Vierte: „Wer hat in mein Gemüse gebrochen?“ Der Fünfte: „Wer hat meine Gabel auf den Boden geworfen?“ Der Sechste: „Wer hat mein Messer in die Wand gesteckt?“ Der Siebte: „Wer hat meinen Krug leer gesoffen?“ Da blickte sich der erste Riese um und sah, dass in seinem Bett jemand lag und schlief. Er rief die anderen und gemeinsam besahen sich ihren Gast Kohlwittchen. „Was für ein saftiger Brocken“ bemerkten sie und beschlossen, das Mädchen am nächsten Tag zu schlachten und ihr zartes Fleisch zu braten.
Als Kohlwittchen am nächsten Morgen erwachte, erblickte sie all die Riesen, die mit erwartungsvollen Gesichtern rund um ihr Bett standen und ihr schwante nichts Gutes. „Wir werden dich heute braten und fressen“ teilte ihr der eine mit, doch Kohlwittchen war zu abgebrüht, um angesichts dieser Ankündigung in Panik auszubrechen. Stattdessen meinte sie: „Ach ihr seid ja einfallslose Gesellen! Was ist denn schon an mir dünnem Mädchen dran für solch gestandene Riesen, wie ihr es seid? Ich könnte doch nicht einmal einen von euch satt machen!“ Die Riesen widersprachen nicht, auch weil ihr Geist nicht besonders schnell arbeitete. Erst nach einiger Zeit erhielt sie eine Antwort: „Das mag schon sein, dass du für uns etwas mager bist. Aber wie solltest du uns sonst nützlich sein?“ Bis zur Frage hatte sich Kohlwittchen schon eine Begründung ausgedacht: „Nun ja, ihr seit zwar sehr groß und stark, aber ich bin sehr schlau und das ist nicht so eure Stärke. Wenn wir uns zusammen tun, würden wir uns ideal ergänzen und könnten viel mehr ausrichten.“ Nun waren die Riesen zwar sehr dumm, aber es war nicht die Art von Dummheit, bei der die Menschen sich selbst für schlau halten. So überlegten sie, sie könnten das kleine Schlachtfest doch ein paar Tage verschieben und erst einmal ausprobieren, ob an den Worten von Kohlwittchen etwas dran war. Diese erkannte bald, wo sie den Riesen nützlich sein konnte. Sie verkauften ihr Rauschkraut an einen Händler in der Stadt, der ihnen dafür einen kümmerlichen Preis gab, bekam aber von seinen Kunden viel mehr dafür. So übernahm ab sofort Kohlwittchen den Verkauf des Krautes behielt aber weiter den größten Teil des Gewinns für sich selbst. In ihrer Dummheit bemerkten die Riesen das nicht und waren glücklich über die zusätzlichen Einnahmen.
Die Königin war froh, nachdem sie Kohlwittchens liebenswert klingenden Brief gelesen hatte und der Betrüger sicherte ihr zu, dass er sie nach sieben Wochen in seinem Waldlager als brave und sittsame Frau zu ihr zurück schicken würde. Die sieben Wochen jedoch nutzte er, um mit Hilfe des Goldes über sieben Berge ins siebte Königreich zu verschwinden. Die Königin dachte nun, alles wäre in Ordnung und fragte ihren Spiegel:
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer plant etwas Böses hier im Land?“
Da antwortete er:
„Frau Königin, es lebt Kohlwittchen im Wald, und das tut nur Böses, glaubt es mir bald.“
Da erbleichte sie und merkte, dass sie auf einen Betrüger herein gefallen war. Doch sie hatte auch Mitleid mit der jungen Frau im tiefen Wald. Sie fragte sich, ob sie nicht mit Freundlichkeit mehr bei ihr erreichen könnte und ersann einen Plan. Sie verkleidete sich als alte Frau, nahm ein hübsches Schnürmieder mit und lief damit so lange durch das Land, bis sie das Haus der Riesen fand. Dort klopfte sie an die Tür und rief: „Habt ihr ein Glas Wasser für eine müde alte Frau, die schon lange unterwegs ist? Ich bin so durstig.“ Doch Kohlwittchen schaute nur ärgerlich aus dem Fenster: „Wir haben hier nichts zu verschenken, Alte. Pack dich deiner Wege!“ Doch die verkleidete Königin gab noch nicht auf. „Mein Gott Kind, was für ein altes Mieder du trägst. Schau hier, ich habe ein sehr schönes. Für ein Schlückchen Wasser kannst du es gerne von mir haben.“ Kohlwittchen blickte auf das Mieder und sah gleich, dass es viel wertvoller war, als ein kümmerliches Glas Wasser. So ließ sie die Alte ein und wies sie gleich an, ihr das Kleidungsstück anzuziehen und sie ordentlich zu schnüren. So tat es dann die verkleidete Königin. Kohlwittchen war jedoch sehr eitel und wollte auf jeden Fall die dünnste Taille von allen haben. So wies sie die Alte an, das Mieder fester und fester zu schnüren, so dass dieser schon Angst und Bange wurde, dass Kohlwittchen irgendwann der Atem wegbleiben würde. Als es gar nicht mehr fester ging, trank sie hastig ihr Wasser und lief aus dem Haus. Kohlwittchen jedoch bekam nun wirklich keine Luft mehr, da das Mieder viel zu eng saß, und sank, als die verkleidete Königin soeben gegangen war, wie tot hernieder.
Wenig später kehrten die Riesen von ihren Feldern zurück und sahen die junge Frau auf der Erde liegen. Da bekamen sie Angst um ihr gutes Auskommen aus dem Rauschkrauthandel. Sie schüttelten und drehten sie und endlich kam einer auf die Idee, das Mieder aufzuschneiden. Da fing Kohlwittchen wieder an zu atmen und stand auf. Die Riesen kümmerten sich nicht mehr weiter um sie und als sie sich etwas erholt hatte, brachte sie die nächste Lieferung des Rauschkrauts in die Stadt.
Die Königin jedoch war mittlerweile wieder im Schloss angekommen und lief ruhelos hin und her. Schließlich fragte sie noch einmal ihren Spiegel:
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer plant etwas Böses hier im Land?“
Da antwortete er wie davor:
„Frau Königin, es lebt Kohlwittchen im Wald, und das tut nur Böses, glaubt es mir bald.“
So hatte die gute Königin auch weiter keine Ruhe, verkleidete sich als Krämerin, nahm einen prächtigen Kamm mit und lief schon am nächsten Tag wieder los zum Riesenhaus. Kohlwittchen sah sie vor der Tür stehen, erkannte sie jedoch nicht und rief nur aus dem Fenster: „Wir kaufen nichts. Scher dich weg, Krämerin.“ „Ich habe nichts zu kaufen, sondern etwas zu verschenken an solch eine schöne junge Frau. Hier, das ist für dich.“ Kohlwittchen ergriff den Kamm, doch blieb unfreundlich. „Nun gut, ich hab ihn genommen, nun mach dich fort, bevor ich meine Riesen rufen muss, die dich braten und fressen.“ Tot unglücklich und voller Angst eilte die Königin davon. Kohlwittchen legte den Kamm vorerst auf einen Stuhl, da sie vor dem Frisieren einen Spiegel holen wollte. Sie passte jedoch nicht auf und legte ihn direkt auf ein giftiges Kraut, das sie am Vortag im Wald für ein Rezept gepflückt hatte. Als sie nun den Kamm wenig später nahm und mit ihm durch die Haare fuhr, klebte einiges von dem Gift des Krautes daran und Kohlwittchen fiel ohne Besinnung nieder.
Bald war es Abend und die sieben Riesen kehrten heim. Wieder sahen sie Kohlwittchen leblos am Boden liegen und schüttelten und drehten sie in alle Richtungen. Dabei fiel sogleich der giftige Kamm Kohlwittchen aus dem Haar und sie wurde wieder lebendig. Die Königin war wenig später erneut am Schloss angekommen und unglücklicher als jemals davor. Auch der Spiegel gab ihr wieder die gleiche Auskunft und so überlegte sie, was sie noch tun konnte. Da fiel ihr ein, dass das Mädchen immer sehr gerne Äpfel gegessen hatte, vor allen die süßen rotbackigen, die nur in den Obstgärten des Königs hingen. So legte sie einige der Früchte in einen Weidenkorb und brach am folgenden Morgen in Verkleidung einer Bäuerin auf zum Riesenhaus.
Sie klopfte wieder an die Tür und sprach: „Schöne süße Äpfel von königlichem Geschmack.“ Da hörte sie Kohlwittchens Stimme durch die Tür: „Geh deiner Wege Alte, sonst hetze ich meinen Hund auf dich und er zerfleischt dich.“ Dieses mal wollte die verkleidete Königin nicht gleich aufgeben. „Komm Mädchen, wir wollen uns einen Apfel teilen, es wird dich nichts kosten.“ Da öffnete Kohlwittchen die Tür und erblickte den Apfelkorb. Gierig leuchteten ihre Augen und sie riss ihn der vermeintlichen Bäuerin aus der Hand und knallte die Tür zu. Völlig überrascht stand diese erst regungslos da. Dann erholte sie sich von dem Schock und zog weinend von dannen. Kohlwittchen klaubte einen Apfel aus dem Korb, biss voller Gier ein riesiges Stück heraus und wollte es sogleich herunter schlucken. Doch es war zu groß und blieb ihr im Halse stecken, so dass sie keine Luft mehr bekam. Sie röchelte, konnte es aber nicht wieder herauswürgen und fiel ohne Atem tot zur Erde.
Die Königin, zu Hause im Schloss angekommen, befragte wieder ihren Spiegel:
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer plant etwas Böses hier im Land?“
Er antwortete:
“Frau Königin, niemand plant etwas Böses im Land“
Die Königin war erstaunt und konnte sich nicht erklären, wie es zu dieser erfreulichen Wendung gekommen war. Doch irgendwie wollte sie es nach all den Begegnungen mit ihrer Stieftochter gar nicht mehr wissen, blieb im Schloss und kümmerte sich wieder gewissenhaft um ihre eigenen Aufgaben als Königin. Die Riesen kamen wieder nach Hause und waren gar nicht mehr überrascht, als sie Kohlwittchen leblos am Boden liegen sahen. Sie rüttelten und schüttelten es wieder, sie schnitten das Mieder auf und kippten einen Eimer Wasser über die leblose Frau, doch ohne Erfolg. So ließen sie sie erst einmal liegen und aßen zu Abend. Da sie sich bis zum Ende ihres Mahls nicht mehr rührte und offenbar wirklich tot war überlegten sie, was sie nun mit der Leiche anfangen sollten. Da sie wussten, dass Tiere, die schon eine Zeit lang tot herum lagen, nicht gut schmeckten, beschlossen sie, sie erst einmal in einen Sarg zu legen. Doch sie hatten keinen Sarg und waren auch zu faul, nun extra deswegen im Wald einen Baum zu fällen. In ihrem Schuppen jedoch lagen ein paar alte Glasscheiben und so zimmerten sie aus diesen einen Sarg zusammen, legten Kohlwittchen hinein und ließen sie vor ihrem Haus stehen.
Da geschah es, dass ein Königssohn an dem Riesenhaus vorbei kam und den Glassarg sah. Nun war dieser Prinz ein sehr merkwürdiger Geselle, der ein großer Freund von Särgen war und dem in seiner großen Sargsammlung gerade noch einer aus Glas fehlte. Und ein Sarg mit einer echten Leiche darin erschien ihm besonders wertvoll und so wies er seine Diener an, den Sarg mit Kohlwittchen auf der weiteren Reise mitzunehmen. Unterwegs stolperte ein Diener und von dem Schütteln löste sich der stecken gebliebene Apfelbissen und fiel Kohlwittchen aus dem Mund. Wenig später öffnete es die Augen und blickte direkt in das enttäusche Gesicht des Königssohns, der gerade bemerkt hatte, dass seine schöne neue Leiche wieder lebendig war. Er nahm sie dennoch auf seiner weiteren Reise mit und nachdem sie ihm zunächst eine ganze Reihe von Gemeinheiten gesagt hatte bemerkte Kohlwittchen, dass er ein Prinz war und verhielt sich lieb und nett, denn eine Zukunft als dessen Braut erschien ihr gerade recht. Der Prinz, mit dem sie ritt, war schon sehr eigenartig, doch Kohlwittchen verließ sich wieder auf ihren gewitzten Geist, um ihn dennoch um den Finger zu wickeln.
Sieben Monate später war Kohlwittchens Stiefmutter ins Nachbarkönigreich zu einem prächtigen Ball eingeladen. Sie mochte dieses Königspaar wenig, die ihren Sohn all die Jahre vernachlässigt hatte, so dass ein sonderbarer Kauz aus ihm geworden war. Mitten in der Ballnacht wollte sie müde zu ihren Gemächern gehen, doch verlief sie sich im fremden Palast und geriet schließlich in einen Raum, der voll von Särgen war. Sie erschrak sehr und wollte gerade wieder gehen, als sie in einer Ecke ein dumpfes Klopfen hörte. Vorsichtig ging sie in Richtung des Geräusches und sah, das es aus dem Inneren eines Sargs kam, eines Sargs, der ganz aus Glas gemacht war. Und wie war sie bestürzt, als sie ihre gefesselte Stieftochter im Sarg erblickte. Sie wirkte verwahrlost und schmutzig, abgemagert und apathisch. Die gute Königin öffnete den Sarg, ließ sogleich ihre Kutsche rufen und fuhr gemeinsam mit Kohlwittchen ohne sich zu verabschieden davon.
Zu Hause angekommen war Kohlwittchen sehr still und teilnahmslos, man merkte jedoch, dass sie glücklich war, wieder im heimischen Schloss zu sein. Sie unternahm nicht viel und ihre frühere Bösartigkeit schien merklich nachgelassen zu haben, auch wenn sie sich natürlich nicht in einen Engel verwandelt hatte. Die Königin traute ihr nach all der schlechten Erfahrung nicht so recht, ging zu ihrem Spiegel und fragte ihn:
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer plant etwas Böses hier im Land?“
Er antwortete endlich:
“Frau Königin, niemand plant etwas Böses im Land“
Da war die Königin zufrieden. Und in der Tat lebte sie ab diesem Tag gemeinsam mit ihrer Stieftochter recht glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.
Quelle: Roland Bathon