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Märchenbasar

Märchen von dem berühmten und ausgezeichneten Prinzen Malandrach Ibrahimowitsch und der schönen Prinzeß Salikalla

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In einem Reiche in der Stadt Anderika lebte ein Zar, ein kluger Mann, namens Ibrahim Tuksala. Derselbige Zar lebte mit seiner Gemahlin auf gleiche Weise dreißig Jahr, und sie hatten kein einziges Kind. Und Zar Ibrahim Tuksalamowitsch und die Zarin fingen an, Gott zu bitten, daß er ihnen einen Knaben geben möchte, und Gott erhörte ihr Gebet und erbarmte sich ihrer Thränen, und gab ihnen einen starken Sohn, und sie nannten ihn Malandrach Ibrahimowitsch, mit dem Zunamen Tuksalamowitsch. Und dieser Zarewitsch wuchs nicht nach Tagen, sondern nach Stunden; wie wenn Buchwaizenteig auf Hefenmehl sauer wird, so wuchs der kühne gute Jüngling, der Zarewitsch. Der Zar ließ seinen Sohn in verschiedenen Künsten unterrichten. Und als der Zarewitsch zu reifen Jahren kam, und alle Künste gelernt hatte, ging er zum Zaren Ibrahim Tuksalamowitsch, und sagte zu ihm folgende Worte: »Mein Herr Vater, gewaltiger Zar Ibrahim Tuksalamowitsch, du hast mich in verschiedenen Künsten unterrichtet, nur eine Kunst hast du mich nicht lehren lassen.« –

»Ach, du mein holdes Kind, geliebtester Sohn Malandrach Ibrahimowitsch, sage mir und laß mich wissen, welche Kunst du noch lernen willst,« sprach der Zar zu seinem Sohne. »Ich verschreibe mit Sorgfalt Lehrer.« Darauf gab ihm der Zarewitsch Malandrach zur Antwort: »Mein Herr Vater, Ibrahim Tuksalamowitsch, gestern las ich ein schwedisches Buch, und fand darin, daß es Leute gibt, welche verstehen, mit Flügeln in der Luft zu fliegen. So habe ich nun große Lust, diese Kunst zu erlernen, und deßhalb bitte ich Euch, mein Herr Vater, Lehrer zu verschreiben, welche mich in dieser Kunst unterrichten können.«

Ihm antwortete der Zar: »Ach du mein holdes Kind Malandrach Ibrahimowitsch, es ist unmöglich, daß die Menschen in der Luft fliegen, und du hast gewiß etwas Unsinniges oder ein Märchen gelesen. Daran muß man nicht glauben; dennoch will ich in einige Länder schicken, um über solche Leute Erkundigungen einzuziehen, und wenn man sie findet, so lasse ich sie hierher bringen, und dich in dieser Wissenschaft unterrichten.«

Da bei den Zaren nicht Bier gebraut, nicht Branntwein gebrannt wird, so schickte der Zar in verschiedene entfernte Reiche zugleich mit dem Befehle, Luftflieger zu holen, und wenn man sie fände, befahl er, sie zu ihm zu bringen. Und alle Boten fuhren aus in verschiedene Länder, und nach drei Jahren fanden sie einen solchen Meister in der Stadt Austripa, und brachten ihn zum Zaren Ibrahim Tuksalamowitsch, und sobald der Zarewitsch Malandrach ihn sah, wurde er außerordentlich froh. Zar Ibrahim fing an, diesen Meister zu fragen, ob er diese weise Kunst verstünde. Darauf gab ihm der Flieger zur Antwort: »Gnädiger Gebieter, zarische Majestät, obgleich ich selbst nicht wage, mich zu loben, so bin ich doch der erste Meister in diesem unserem Lande. Wenn Ihr beliebt, daß ich Euren Sohn, den Prinzen Malandrach, in der Luft fliegen lehre, so befehlet, ein großes hohes Zimmer zu erbauen und so einzurichten, daß es in der Länge zwei hundert Ellen, und eben so viel in der Breite, in der Höhe aber hundert Ellen mißt; dieses Zimmer muß ganz leer sein, und in ihm ein Kämmerchen angebracht werden, und dieses Zimmer muß eine Menge Fenster haben.«

Als der Zar diese Rede gehört hatte, befahl er auf der Stelle einen solchen Pallast zu erbauen. Sobald das Zimmer mit Allem fertig war machte der Luftflieger zwei Paar Flügel, die einen für sich, die andern für den Zarewitsch Malandrach, und er fing an, den Zarewitsch in diesem Gemache fliegen zu lehren, und band ihm die einen Flügel an, und sich die andern, und wenn er aufhörte zu lehren, legte er beide Flügelpaare in die Kammer und verschloß sie dort, den Schlüssel aber nahm er zu sich. Nach einiger Zeit aber begab’s sich, als der Zarewitsch Unterricht gehabt, und der Meister die Flügel in die Kammer legte, und das Schloß fest zuschloß, daß der Zarewitsch dieß bemerkte, und, ohne seinem Lehrer etwas zu sagen, mit ihm zusammen zu seinem Vater ging.

Um diese Zeit wurde bei dem Zaren ein Gastmahl zubereitet, und die Menge der Gäste war groß. Da ging Malandrach, der Zarewitsch, fort, ohne Jemandem etwas zu sagen, in jenes große Gemach, nahm seine Flügel aus der Kammer, band sie sich fest an, ging aus dem Gemach heraus und fing an zu flattern. Dann flog er auf jenes hohe Gemach, setzte sich darauf und betrachtete, ein Wenig ausruhend, mit Lust von der Höhe das Reich seines Vaters. Darauf wünschte er, auf die Erde herabzusteigen; aber plözlich befiel ihn ein heftiges Grauen, er fürchtete sich, von einer so großen Höhe sich herabzulassen, und statt herabzufliegen, stieg er immer höher und höher, so daß ihm endlich die Erde wie ein Apfel erschien, denn er hatte sich sehr hoch erhoben, und zu derselben Zeit wehte ein sehr starker Wind, von welchem Malandrach Zarewitsch in eine unbekannte Gegend getragen wurde, und schon fing er an, die Kräfte zu verlieren, so daß er nicht mit den Flügeln lenken konnte, und schon fing er an, herabzufallen, da sah er unter sich das Meer und erschrak außerordentlich, und seine letzten Kräfte sammelnd, hob er sich wieder in die Höhe, und er blickte nach allen vier Seiten, und forschte, ob nicht irgendwo ein Ufer sei. Da bemerkte er in der Ferne eine kleine Insel; er flog nach dieser Gegend und ließ sich herab auf diese Insel, auf welcher er seine Flügel abband und unter die Arme nahm. Er fing an, auf dieser Insel herumzugehen und für sich irgend eine Nahrung zu suchen, denn er wurde von heftigem Hunger gequält, und fand einen Baum, auf welchem süße Früchte wuchsen, an denen er sich satt aß. Dann legte er sich schlafen auf das Gras unter einem laubigem Baum und schlief dort bis zum weißen Licht; aber am Morgen stand er auf und wollte sich die Flügel anbinden, doch seine Arme schmerzten ihn so, daß er sie nicht rühren konnte. Deßhalb war er gezwungen, volle zehn Tage dort zu verweilen. Am elften Tage aber band er sich die Flügel an, segnete sich, hob sich wieder in die Höhe, sah nach allen vier Seiten und suchte mit den Blicken das Reich seines Vaters, doch er konnte es nicht erblicken, und gegen Abend sah er ein Ufer, und auf diesem Ufer war ein dichter Wald, und er ließ sich herab in diesen Wald, band die Flügel ab, und auf einem Wege fortgehend, gelangte er an eine Stadtpforte. Doch er ging nicht in die Stadt, sondern er versteckte vorher seine Flügel unter einem Busche, begab sich dann in die Stadt und fragte, wo der Markt sei. Als man ihm den Markt gezeigt hatte, ging er dorthin und kaufte sich einen langen Mantel. Dann kehrte er wieder in den Wald zurück, nahm seine Flügel unter die Arme und begab sich abermals in die Stadt, wo ihm ein Mensch begegnete, welchen er fragte: »Weißt du nicht, wo eine Wohnung zu vermieten« ist?« Der Unbekannte fragte ihn: »Du bist ohne Zweifel ein Fremder?« – »Wie du sagst,« gab der Zarewitsch Malandrach zur Antwort, »ich bin ein Kaufmann aus dem indischen Reiche und auf einem Schiffe mit Waaren gereist. Durch einen Sturm ist unser Fahrzeug an einem Felsen zerschellt worden, und ich wurde in dieses Reich auf einem Bret verschlagen, an welches ich mich fest angeklammert hatte.«

»Mein Freund,« sagte der unbekannte Mann zu ihm, »wenn du Lust hast, so komme und wohne bei mir, ich werde dich halten wie meinen eigenen Sohn.« – Malandrach Zarewitsch stimmte mit Vergnügen ein und zog zu dem unbekannten Mann in das Haus. Und er lebte in seinem Hause länger als einen Monat, und ging nirgends hin aus dem Gehöfte.

Und der Wirth fing an, ihn zu fragen: »Warum gehst du nicht spazieren in unserer Stadt und besiehst unsere herrlichen Gebäude und die alten Trümmern?« – Da begann Malandrach, der Zarensohn, seinen Wirth, welcher Achron hieß, zu bitten, daß er mit ihm spazieren ginge in der Stadt und ihm den fürstlichen Hof zeige. Der Wirth willfahrte ihm und ging mit ihm zusammen; und er ging in der Stadt bis zum Abend, und sie kamen wieder nach Hause und legten sich schlafen.

Den andern Tag erwachte Malandrach Zarewitsch, stand auf vom Bette, kleidete sich an, wusch sich, betete zu Gott, verneigte sich nach allen vier Seiten und frühstückte. Als er gefrühstückt hatte, ging er allein spazieren in der Stadt und kam endlich hinter die Stadt, und sah ein sehr großes steinernes Gebäude, um welches eine hohe steinerne Mauer gezogen war, und er ging um diese Mauer und fand kein einziges Thor, sondern sah nur ein kleines Pförtchen, welches auf’s Festeste verschloßen war. Prinz Malandrach wunderte sich sehr über dieses große Gebäude, ging nach Hause und fragte nach dem steinernen Gebäude seinen Wirth. Der Wirth antwortete ihm, es sei ein zarisches Gebäude, und in diesem Gebäude sitze die Tochter des Zaren, namens Salikalla; warum sie aber hineingesetzt worden, wisse er nicht.

Als Malandrach Zarewitsch seine Rede gehört hatte, ging er den andern Tag wieder an dieses steinerne Gebäude, und nahm seine Flügel mit sich. Er kam an die steinerne Wand, erwartete den Abend, band sich dann die Flügel an, überflog die steinerne Wand und setzte sich auf einen Baum, denn hinter der Mauer war ein Garten. Auf dem Baume sitzend, sah er nach dem Fenster, an welchem die Zarewna Salikalla saß; sie saß sehr fern. Dann legte sie sich schlafen auf das Bette, und alles das sah Prinz Malandrach, und nach einer Stunde flog er durch das Fenster, welches unverschlossen war. Er ging zur Bettstelle der Zarewna und bemerkte, daß sie schlief, und er fing an, sie zu küssen und wollte sie aufwecken, doch wagte er nicht, dies zu thun. Und so betrachtete er aus der Ferne die Schönheit der reizenden Prinzeß Salikalla. Er verweilte dort fast bis Tagesanbruch, dann beeilte er sich, nach Hause zu gehen, denn er fürchtete, daß die Prinzeß erwachen möchte. Und so nahm er Abschied von der Prinzeß, und hinterließ ein Zeichen, damit die Prinzeß merken sollte, es sei Jemand bei ihr gewesen. Das Zeichen war folgendes: er legte ihre Schuhe zu ihr auf das Bette. Dann flog er aus dem Fenster, ging nach Hause und legte sich schlafen.

Die Zarewna erwachte morgens und dachte, als sie ihre Schuhe auf dem Bette sah, der Knabe habe sie hingelegt, der bei ihr zur Bedienung war und im Nebenzimmer schlief. Sie fragte den Knaben, ob er nicht ihre Schuhe zu ihr auf’s Bette gelegt habe. Der Knabe sagte, er habe es nicht gethan, und sie wunderte sich sehr darüber.

Abends nahm Prinz Malandrach seine Flügel, ging wieder an den steinernen Pallast, band sich die Flügel an, flog wieder durch das Fenster und betrachtete abermals mit Lust die Schönheit der Zarewna Salikalla. Vor Anbruch des Morgens, als er nach Hause gehen mußte, nahm er wieder die Schuhe und legte sie zu ihr auf das Kopfbret des Bettes, küßte die Prinzeß, flog aus dem Fenster, ging nach Hause und legte sich schlafen.

Als die schöne Salikalla am Morgen erwachte und die Schuhe wieder auf dem Kopfbrete ihres Bettes erblickte, fragte sie abermals den Knaben, ob er sie dorthin gelegt habe. Doch der Knabe antwortete ihr, er habe es nicht gethan. Darüber wunderte sie sich noch mehr, als das erste Mal, gelobte die künftige Nacht nicht zu schlafen und aufzupassen, wer die Schuhe zu ihr auf die Bettstelle legte.

Der Zarewitsch Malandrach erwartete wieder den Abend, nahm seine Flügel unter die Arme und ging zu dem steinernen Pallast. Als er vermuthete, daß die Zarewna schlafe, band er die Flügel fest und flog durch das Fenster. Kaum war er an das Bette gegangen, und wollte die Zarewna berühren und küssen, da ergriff ihn plözlich die Zarewna, hielt ihn fest mit beiden Händen und fragte ihn: »Wer bist du? und warum bist du hierher gekommen?« Prinz Malandrach wußte vor Bestürzung nicht, was er darauf antworten sollte; doch fing er an, die Zarewna um Verzeihung zu bitten, wegen des Vergehens, das er an ihr begangen; doch sie ließ ihn nicht aus den Händen, und gebot ihm unter Drohungen, ihr zu sagen, wer er sei, und wie er zu ihr in’s Zimmer gekommen. Da erzählte er ihr von sich Alles der Wahrheit getreu, von welchem Geschlechte er sei, welches Vaters Sohn, wie er heiße, wie er in dieses Reich gerathen, und wie er zu ihr gekommen. Da küßte ihn die schöne Zarewna Salikalla auf den Zuckermund und sprach: »Mein geliebtester Freund und schöner Ritter Zarewitsch Malandrach, zürne nicht auf mich, daß ich mit dir so unhöflich verfahren bin.« –

»O meine allergeliebteste und schönste Zarewna Salikalla, ich bitte dich von ganzem Herzen, melde mir die reine Wahrheit: warum bist du in diesen Pallast von deinen Aeltern eingeschlossen, so ganz allein ohne irgend ein anderes Geschöpf?« –

»Mein geliebtester und theuerster Prinz Malandrach, siehe, warum man mich hier eingesperrt hat: sobald meine Mutter mich geboren hatte, rief mein Vater weise Männer zu sich und fragte sie, wie lange ich leben würde, und als die Weisen ihm darauf sagten, ich würde bis in’s funfzehnte Jahr ehrsam und glücklich leben, aber nach meinem funfzehnten Jahre meinem Vater und meiner Mutter Unglück zufügen, nämlich als ob ich dann schwanger würde; so befahlen Vater und Mutter, solche Worte von den Weisen hörend, dieses Haus zu erbauen, und in meinem zehnten Lebensjahre setzten sie mich hierher auf zehn Jahre, und jetzt sitze ich schon im sechsten Jahre hier. Und meine Mutter besucht mich monatlich ein Mal, und mein Vater in drei Monaten ein Mal. Zu meiner Bedienung ist ein Knabe bei mir, welcher im andern Zimmer schläft. Meine Mutter besuchte mich vor drei Tagen, und wird erst in acht und zwanzig Tagen wieder kommen. So könnt Ihr, geliebtester Prinz, diese Zeit über bei mir bleiben gegen die Langeweile, und Ihr erweist mir eine große Gnade, wenn Ihr es nicht verschmähet, bei mir zu verweilen.«

Prinz Malandrach willigte mit großer Freude in ihre Bitte und blieb bei ihr. Da sprachen sie über verschiedene Gegenstände, und dann fingen sie an, von der Liebe zu sprechen, die sie zu einander hatten, und sie liebkosten sich, und schwuren sich einen Eid, daß der Zarewitsch Malandrach nur die schöne Zarewna Salikalla heirathen, und daß sie ebenso nur ihn zum Manne nehmen wolle. Und als der Morgen gekommen, und der Knabe der Prinzeß schon aufgestanden war, ging die Zarewna Salikalla zu dem Knaben und sagte zu ihm, er solle in den Garten gehen und dort den ganzen Tag spielen. Der Knabe freute sich in seinem kindischen Sinne darüber, und ging in den Garten spielen. Die schöne Zarewna Salikalla that dies, damit der Knabe den Zarewitsch Malandrach nicht sehen und ihrem Vater und ihrer Mutter von ihm sagen möchte. Auf diese Weise lebte der Zarewitsch Malandrach bei der schönen Salikalla acht und zwanzig Tage, und vergnügte sich mit ihr durch verschiedene belustigende Ergötzlichkeiten. Aber am dreißigsten Tage morgens ganz früh weckte die schöne Zarewna Salikalla den Zarewitsch Malandrach und sagte zu ihm, er möchte sie für diesen Tag verlassen, denn ihre Mutter würde zu ihr zu Besuch kommen.

Der Zarewitsch Malandrach sprang sogleich aus dem Bette und fing an, sich anzukleiden, und als er angekleidet war, küßte er sie auf den Zuckermund und drückte sie an sein klopfendes Herz, flog auf den Flügeln zum Fenster hinaus und kam wieder zu seinem Wirthe. Der Wirth fing an, ihn zu fragen, wo er in dieser ganzen Zeit gewesen sei. Darauf antwortete ihm der Zarewitsch: »Ich ging aus der Stadt, kam in einen grünen Wald und verirrte mich, und heute begegnete mir ein Mensch und führte mich aus diesem Wald und geleitete mich in diese Stadt. Der Wirth sagte darauf zu ihm, er möchte in Zukunft nicht wieder so weit gehen, weil die dasige Gegend ihm noch unbekannt sei.

Der Zarewitsch Malandrach, von heftiger Liebe zur schönen Zarewna Salikalla entzündet, ertrug die Trennung von ihr nicht mit Geduld und konnte kaum den Abend erwarten. Er nahm seine Flügel unter den Arm, ging an das steinerne Schloß, band seine Flügel fest, flog über die Mauer, setzte sich auf den hohen Baum, sah in das Fenster zu der Zarewna und gab Acht, ob nicht fremde Leute bei ihr seien; doch bemerkend, daß die Zarewna allein im Zimmer auf und nieder gehe, flog er sogleich zu ihr durch das Fenster. Die Zarewna nahm ihn bei den weißen Händen, küßte ihn auf den Zuckermund und sagte, ihre Mutter sei bei ihr gewesen und würde erst in einem Monat wieder kommen, und sie wünschte, daß er diese Zeit bei ihr bliebe. Der Zarewitsch Malandrach willigte mit Freuden ein, blieb bei ihr diesen ganzen Monat und ging dann wieder nach Hause.

Bei seiner Ankunft fing der Wirth wieder an zu fragen: »Wo bist du diese Zeit gewesen, guter Jüngling?« – Darauf antwortete ihm der Zarewitsch: »Ich machte Bekanntschaft mit einem Kaufmann, welcher aus unserem Reiche hierher gekommen war, und bei ihm bin ich diese ganze Zeit hindurch geblieben.« – Der Wirth glaubte solchen Worten.

Als der Abend nahte, nahm der Zarewitsch wieder seine Flügel, ging an das steinerne Schloß, band die Flügel an, flog durch das Fenster und blieb noch einen Monat. Er flog heraus, als die Mutter der Zarewna wieder kommen mußte, und dann flog er wieder zu ihr. Auf diese Weise ging er fast ein Jahr zu ihr. Aber einstmals bemerkte die Zarin, ihre Mutter, daß die schöne Zarewna Salikalla schwanger geworden sei, und sie fing an, ihre Tochter zu befragen: »Meine geliebteste Tochter Salikalla, ich bemerke, daß du schwanger bist; so gestehe mir die ganze Wahrheit und verhehle mir nichts: mit wem bist du zusammen gekommen, und von wem ist das Kind in deinem Leibe?« – Da antwortete ihr die Zarewna Salikalla: »Gnädige Frau Mutter, ich sage dir die ganze Wahrheit: zu mir kommt ein junger Zarewitsch, namens Malandrach Ibrahimowitsch, der Sohn des starken Zaren Ibrahim Tuksalamowitsch, und wir leben in großer Freundschaft und Liebe, und er fliegt zu mir auf Flügeln, welche er sich an die Arme bindet.« –

Als die Zarin, ihre Mutter, solche Rede vernommen, ging sie sogleich zum Zaren, ihrem Gemahl, und zeigte ihm Alles an, was sie von ihrer Tochter gehört hatte. Der Zar zürnte sehr in seinem Herzen auf seine schöne Tochter, die Zarewna Salikalla. Er ging sogleich mit der Zarin zu ihr, und nach seiner Ankunft fing er an, die Zarewna Salikalla zu fragen: »Wo und bei wem wohnt der Zarewitsch Malandrach?« – Die Zarewna Salikalla zeigte ihrem Vater Alles an. In derselben Zeit schickte der Zar, ihr Vater, ein gutes Heer mit einem Fürsten ab, um den Zarewitsch Malandrach zu ergreifen und vor sein Angesicht zu bringen. Die Krieger gingen in das Haus, wo der Zarewitsch Malandrach wohnte, nahmen ihn unter Wache und führten ihn vor ihren Zaren. Da fing der Zar an, ihn zu fragen, von welchem Geschlecht, welches Vaters Sohn, und aus welchem Reiche er sei, wie er sich nenne, und wie er in sein Reich gekommen? Darauf gestand ihm der Zarewitsch die reine Wahrheit. Alsbald rief der Zar seine Tochter, die schöne Prinzeß Salikalla, zu sich und fragte sie: »Ist dies derselbe, welcher zu dir durch’s Fenster geflogen ist?« – Sie antwortete ihm, es sei derselbe, welchen sie mit ganzer Seele liebe. Deßhalb nahm der Zar seine Tochter bei der Hand und gab sie dem Zarewitsch Malandrach, indem er zu ihm sagte: »Mein geliebtester Schwiegersohn, nimm aus meinen Händen diese meine einzige Tochter dir zur Gattin und lebe mit ihr in Glück, Einigkeit und Liebe.« Und da bei den Zaren nicht Bier gebraut und nicht Branntwein gebrannt wird, so wurde die Hochzeit sogleich vollzogen.

Und so heirathete Malandrach, der Prinz, die schöne Prinzeß Salikalla. Als er verheirathet war, lebte er ein halbes Jahr bei seinem Schwiegervater, und dann fing er an, ihn zu bitten, daß er ihn mit seiner Gattin zu seinem Vater entließe. Der Zar entließ sie mit Segen und befahl, ein Schiff für sie zurecht zu machen. Sobald das Schiff bereit war, nahm Prinz Malandrach Abschied von seinem Schwiegervater und von seiner Schwiegermutter, stieg mit seiner Gemahlin in das Schiff, und sie reisten in sein Vaterland.

Bei ihrer Ankunft am Hofe seines Vaters war Zar Ibrahim Tuksalamowitsch höchst erfreut, daß er seinen innig geliebten Sohn lebend und gesund wiedersah, und er fragte ihn: »Wo bist du diese Zeit gewesen, und durch welchen Zufall hast du dich entfernt aus meinem Reiche?« Der Zarewitsch Malandrach gestand seinem Vater die reine Wahrheit.

Zar Ibrahim Tuksalamowitsch war damals schon hoch bejahrt. Deshalb setzte er die Krone auf das Haupt seines innig geliebten Sohnes, des Zarewitsch Malandrach Ibrahimowitsch, und bald darauf starb er. Malandrach Ibrahimowitsch fing an zu leben mit seiner innig geliebten Gemahlin Salikalla, und er lebte mit ihr viele Jahre in großer Eintracht, Liebe und Freundschaft, und hinterließ nach seinem Tode würdige Erben.

Anton Gotthelf Dietrich (Russische Volksmärchen )

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