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Märchen von dem berühmten und starken Ritter Jeruslan Lasarewitsch

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von seiner Tapferkeit, und der unvergleichlichen Schönheit der Prinzeß Anastasia Worcholomejewna

In einem Reiche lebte ein Zar, namens Kartaus. Dieser Zar Kartaus hatte zwölf Ritter, und über diese Ritter hatte der Zar einen Aufseher, den Fürsten Lasar Lasarewitsch, mit seiner Fürstin Epistimia. Dieser Fürst Lasar lebte siebenzig Jahre und hatte kein einziges Kind, und sie fingen an, mit Thränen zu Gott zu flehen, ihnen ein Kind zu geben, in ihren späteren Jahren zur Wonne, und nach dem Tode zum Seelengedächtnis. Und Gott erhörte ihr Flehen, und die Fürstin Epistimia fühlte sich schwanger. Als die Zeit der Entbindung kam, genas sie eines Söhnleins, und Fürst Lasar Lasarewitsch gab ihm den Namen Jeruslan. Von Angesicht war er roth, hatte blondes Haar und helle Augen. Fürst Lasar Lasarewitsch und die Fürstin Epistimia waren sehr darüber erfreut, und veranstalteten ein großes Fest. Als Jeruslan Lasarewitsch ein Alter von fünfzehn Jahren erreicht hatte, fing er an, auf den zarischen Hof zu gehen, und mit den Kindern der Fürsten und Bojaren zu spielen. Da begannen die Fürsten und Bojaren über ihn Rath zu halten, gingen zu dem Zaren Kartaus, und sprachen folgende Worte: »Unser Herr Zar Kartaus, beweise uns deine zarische Gnade: du hast einen Aufseher, den Fürsten Lasar Lasarewitsch. Derselbe hat einen Sohn, Jeruslan Lasarewitsch, welcher auf deinen zarischen Hof kommt, und mit unsern und den Bojaren-Kindern spielt; aber seine Spiele sind nicht gut, denn wen er beim Kopfe nimmt, dem fällt der Kopf ab, und wen er bei der Hand faßt, dem fällt die Hand ab, und wir haben davon großen Kummer. Herr, beweise uns deine zarische Gnade und schicke Jeruslan aus deinem Reiche oder gib uns den Abschied, denn leben können wir mit Jeruslan nicht.«

Zar Kartaus schickte sogleich nach seinem Aufseher, dem Fürsten Lasar Lasarewitsch, und ließ ihm befehlen, er solle schnell vor ihm erscheinen. Da kam Fürst Lasar zum Zaren Kartaus, und der Zar kam ihm entgegen in die Mitte des Hofes. Aber Fürst Lasar Lasarewitsch stieg vom Pferde und sprach: »Viele Jahre Wohlergehen, Herr Zar! Wie hat Gott deiner wahrgenommen, mein Gebieter? Warum hast du, o Herr, mich zu dir kommen lassen?« Sogleich antwortete ihm der Zar Kartaus: »Mein Herr Vater, Fürst Lasar Lasarewitsch, ich habe nach dir deßhalb geschickt und dir befohlen, schnell zu kommen, weil Fürsten, Bojaren und mächtige Ritter zu mir kamen, und deinen Sohn Jeruslan Lasarewitsch anklagten, daß er zu mir auf den zarischen Hof gehe, und mit den Kindern der Fürsten und Bojaren spiele, aber wen er beim Kopf nehme, dem falle der Kopf ab, und wen er bei der Hand fasse, dem falle die Hand ab, und solche Späße gefallen mir nicht. Dein Sohn ist mir im Reiche nicht nöthig, und ich werde meine Leute seinetwegen nicht fortschicken.«

Als Fürst Lasar Lasarewitsch diese Worte vom Zaren gehört hatte, ritt er traurig von ihm fort, und ließ seinen Kopf niedriger hängen, als die Schultern. Jeruslan kam seinem Vater entgegen, und neigte sich vor ihm mit dem Angesicht bis zur Erde: »Viele Jahre Wohlergehen, mein Herr Vater! Wie hat Gott deiner wahrgenommen, Herr? Warum reitest du so betrübt, o Herr? Hast du vom Zaren ein kränkendes Wort vernommen?« Sein Vater, Fürst Lasar Lasarewitsch, antwortete ihm: »Mein liebes Kind Jeruslan Lasarewitsch, ich habe ein kränkendes Wort vom Zaren vernommen. Andere Kinder dienen ihrem Vater von Jugend an zur Freude, im Alter zur Unterstützung, und nach dem Tode zum Seelengedächtnisse. Du aber, mein Söhnlein, dienst nicht von Jugend an zur Unterstützung, nicht nach dem Tode zum Seelengedächtnisse: du gehst auf den Hof des Zaren, und treibst schlechte Späße mit den Kindern der Fürsten und Bojaren; und darüber haben sich bei dem Zaren Kartaus die Fürsten und Bojaren gegen dich in Ehrfurcht beklagt, und der Zar hat befohlen, dich aus dem Reiche fortzuschicken.«

Da lächelte Jeruslan und sprach: »Mein Herr Vater, grämet Euch nicht um mich, daß man mich aus dem Reiche verbannt hat. Ich habe nur Einen Kummer: ich bin funfzehn Jahr alt geworden, und war in deinem Stalle, konnte aber kein gutes Roß für mich finden, das für alle Zeit mir dienen könnte.« Dann gingen sie in die weißsteinernen Gemächer, und Jeruslan Lasarewitsch bat seinen Vater und seine Mutter um die Erlaubnis, in’s freie Feld zu spazieren, Menschen zu sehen und sich zu zeigen. Der Vater und die Mutter entließen ihn, und gaben ihm zwölf Jünglinge, und funfzig kunstgeübte Meister mit, um am Meere einen weißsteinernen Palast zu bauen. Diese Meister bauten in drei Tagen diesen Palast, und schickten an den Fürsten Lasar Lasarewitsch einen Boten. Der Bote kam zu dem Fürsten Lasar Lasarewitsch und der Fürstin Epistimia, und meldete, daß der prächtige Palast fertig sei, und Jeruslan Lasarewitsch fing abermals an, seine Aeltern um Erlaubnis zu bitten, in’s freie Feld spazieren zu gehen. Fürst Lasar Lasarewitsch und die Fürstin Epistimia weinten bitterlich, daß sie sich von ihrem Sohne trennen sollten, und gaben ihm ihren älterlichen Segen.

Jeruslan Lasarewitsch ritt zu dem Meere in seinen weißsteinernen Palast. Vater und Mutter gaben ihm eine Menge Gold, Silber, Edelsteine, gute Rosse und ausgewählte Jünglinge mit, aber Jeruslan Lasarewitsch wollte nichts mit sich nehmen, keine Jünglinge, keine Rosse und keine Schätze. Er wählte sich nur ein krätziges Pferd, einen tscherkassischen Sattel, eine Trensenschnur, einen Filz und eine kleine Lederpeitsche. Alles Uebrige schickte er seinem Vater zurück. Und so kam Jeruslan Lasarewitsch an das blaue Meer zu seinem weißsteinernen Palast, legte den Filz unter sich, den tscherkassischen Sattel unter den Kopf und streckte sich nieder, um zu schlafen. Morgens sehr früh stand er auf, ging am Gestade des Meeres spazieren und schoß viele wilde Gänse, Schwäne und graue Enten. Damit nährte er sich, und so ging Jeruslan Lasarewitsch ein, zwei, drei Monate herum. Da traf er einen Weg, dessen Breite so groß war, daß ihn ein Schütze eben überschießen konnte, und dessen Tiefe so groß, daß er einem guten Rosse bis an die Ohren ging. Jeruslan Lasarewitsch betrachtete diesen Weg und sprach zu sich selbst: »Wer zieht diese Straße, ein großes Heer oder ein mächtiger Ritter?« – Aber bald begab sich’s, daß ein alter Mann auf ihn zuritt; unter ihm war das graue Roß Alotjagilei. Dieser Alte stieg von seinem Rosse, ehe er dem Jeruslan Lasarewitsch nahe kam, und warf sich mit dem Gesicht auf die Erde. »Auf viele Jahre Wohlergehen, Jeruslan Lasarewitsch! Wie bewahrt dich Gott, mein Herr? Warum bist du an diesem Ort, mein Herr, in solcher Einöde? Welche stürmische Winde haben dich hierher verschlagen?« – Jeruslan Lasarewitsch fragte ihn: »Alter Bruder, wie nennest du dich mit Namen?« – Der Alte gab zur Antwort: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, ich nenne mich Iwaschka, und mein graues Roß heißt Alotjagilei. Ich bin ein großer Schütze und mächtiger Ringer im Heere der Ritter.« – »Aber,« fuhr Jeruslan Lasarewitsch fort, »woher kennest du mich, daß du mich bei Namen nennest?« – Darauf entgegnete ihm Iwaschka: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, wie sollte ich dich nicht kennen, ich bin ein alter Diener deines Vaters, hüte die Pferde schon drei und dreißig Jahre im Felde, und komme zu deinem Vater jedes Jahr ein Mal, um meinen Lohn zu holen. Daher kenne ich dich.«– Jeruslan aber antwortete: »Ich gehe hier auf die Jagd, und spaziere im freien Felde umher. Wer das Bittere nicht genossen, der bekommt das Süße nicht zu sehen. Noch als junger Knabe bin ich in meiner Unwissenheit am Hofe spazieren gegangen, und habe mit den Kindern der Fürsten und Bojaren gespielt. Aber wen ich beim Kopfe fasse, dem fällt der Kopf ab, und wen ich bei der Hand nehme, dem fällt die Hand ab. Dem Zaren war dies nicht angenehm, und er verbannte mich aus dem Reiche; aber dieser Kummer ist mir nichts, sondern ein anderer größerer Kummer peinigt mich. Ich bin schon funfzehn Jahre alt und ging in den Stall meines Vaters, konnte aber kein gutes Roß finden, welches mir Zeit Lebens dienen könnte.« – Da sprach Iwaschka: »Mein Herr Jeruslan Lasarewitsch, ich habe in meiner Heerde ein Roß, welches Podlas heißt. Dieses Roß muß man einfangen, und es wird dir ewig dienen. Wenn du aber es jezt nicht fängst, so wirst du es in Ewigkeit nicht fangen.« – »Aber wie kann ich das Roß sehen, Bruder Iwaschka?« Darauf entgegnete Iwaschka: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, du kannst dieses Roß früh morgens sehen, wenn ich die Pferde an’s Meer zur Tränke treibe, und wenn du es siehest und nicht auf der Stelle es fängst, so wirst du es in Ewigkeit nicht fangen und nicht sehen.«

Darauf ging Jeruslan Lasarewitsch in seinen weißsteinernen Palast, legte den Filz unter sich, und den tscherkassischen Sattel und die Trensenschnur unter den Kopf, und streckte sich aus, zu schlafen. Den andern Morgen stand er früh auf, ging in das Feld und nahm die Trensenschnur, den tscherkassischen Sattel und die Lederpeitsche mit sich. Er stellte sich an einen verborgenen Ort unter eine Eiche. Bald darauf sah er, daß Iwaschka die Pferde an’s Meer in die Tränke trieb, und bemerkte, als er an’s Meer sah, daß ein Hengst Wasser trank und an dieser Stelle die Wogen furchtbar aufbrausten. Ueber der Eiche pfiffen die Adler, und auf den Bergen knirschten die Löwen, und Niemand konnte sich dieser Stelle nähern. Jeruslan Lasarewitsch wunderte sich sehr darüber, und als das Roß ihm gegenüber zu stehen kam, sprang Jeruslan von der Eiche hervor, und schlug das Roß mit dem Rücken der Hand. Das Roß stürzte auf die Kniee. Er faßte es bei der grauen Mähne und sprach folgende Worte: »Ach! du gutes Roß, wer soll auf dir reiten, wenn nicht ich, der Ritter?« Er warf ihm die Trense über, legte ihm den tscherkassischen Sattel auf, und ritt zu dem weißsteinernen Palast, und Iwaschka folgte ihm nach. Jeruslan Lasarewitsch fing an, auf seinem Rosse herumzureiten, und war gränzenlos froh, daß ihm Gott ein so gutes Roß beschieden, das ihm ewig dienen konnte. Dann sagte er zu Iwaschka: »Bruder Iwaschka, welchen Namen soll ich diesem Rosse geben?« – Er antwortete: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, wie kann ein Diener besser, als du, o Herr, solchem Rosse einen Namen geben? Du hast es selbst gefangen, so gib du ihm auch selbst einen Namen.« Und Jeruslan Lasarewitsch nannte es Uroschtsch Weschei, und dann sprach er zu Iwaschka: »Reite, Bruder Iwaschka, zu meinem Vater, dem Fürsten Lasar Lasarewitsch, und zu meiner Mutter, der Fürstin Epistimia, und sage ihnen, daß ich gesund bin, und ein gutes Roß bekommen habe, welches mir ewig dienen kann.«

Alsdann ritt Jeruslan Lasarewitsch in das freie Feld nach Iwan, dem russischen Ritter; er ritt auf seinem guten Rosse Trab, und hinter ihm Iwaschka in vollem Galopp, und so verschwand Jeruslan Lasarewitsch aus seinen Augen.

Iwaschka kehrte zurück zu dem Reiche des Zaren Kartaus, zu dem Vater des Jeruslan Lasarewitsch, dem Fürsten Lasar Lasarewitsch, und seiner Mutter Epistimia. Als er angelangt war, brachte er Nachricht von der Gesundheit Jeruslan’s, und sagte, wo er hingeritten war, und wie er sich das gute Roß verschafft habe, das ihm ewig dienen könne. Vater und Mutter freuten sich sehr über ihren Sohn Jeruslan, beschenkten Iwaschka reichlich, und entließen ihn wieder zu seinem Geschäft.

Jeruslan Lasarewitsch aber ritt ein, zwei und drei Monate und kam auf ein Feld, wo ein zahlreiches Heer erschlagen lag. Da rief er mit lauter Stimme: »Ist nicht ein Mensch hier, der bei Leben geblieben ist?« – Da stand ein Mensch auf und fragte ihn: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, wen verlangst du, und wer ist dir nöthig?« – Jeruslan Lasarewitsch sprach: »Ich will einen lebendigen Menschen.« – Und dann fragte er ihn, wem dieses Heer angehöre, und wer es erschlagen hätte. Jener Mensch antwortete: »Das erschlagene Heer gehörte dem Feodul, dem Drachenzaren, und erschlagen hat es der mächtige russische Ritter Iwan, welcher bei ihm um seine Tochter, die schöne Prinzeß Kandaula Feodulowna, angehalten hat, und, da er sie ihm nicht freiwillig gab, sie mit Gewalt nehmen wollte.« – Darauf fragte Jeruslan Lasarewitsch, wie weit dieser Fürst, der russische Ritter, entfernt sei, und es antwortete ihm der Mensch: »Jeruslan Lasarewitsch, es wird zu weit sein, ihn einzuholen: wenn du um das Heer herum reitest, so wirst du die Fußtapfen des Fürsten Iwan, des russischen Ritters, sehen.« Jeruslan ritt um das Heer herum, und sah die Spuren von den Sprüngen des Rosses; wo es ausgegriffen hatte, waren Haufen Erde aufgeworfen. Er folgte der Spur und traf auf ein anderes erschlagenes Heer. Hier schrie er mit lauter Stimme: »Befindet sich hier nicht ein lebendiger Mensch, der von der Schlacht übrig geblieben ist?« Da stand ein Mensch auf und sprach folgende Worte: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, das eine Roß ist besser, als das andere, und der eine Jüngling noch weit besser, als der andere.« – Dann ritt Jeruslan Lasarewitsch noch weiter fort, und er ritt einen, zwei und drei Monate. Da kam er auf das freie Feld und sah ein weißes Zelt. Bei dem Zelt stand ein gutes Roß. Auf einer weißen Leinewand war weißer Waizen vor ihm ausgeschüttet. Jeruslan Lasarewitsch stieg von seinem guten Roß ab, und ließ es zu dem Futter, das ausgestreut da lag, und das Roß des Jeruslan Lasarewitsch vertrieb das andere von dem Futter. Jeruslan Lasarewitsch ging in das Zelt, wo ein guter Jüngling in festem Schlafe lag. Jeruslan zog sein scharfes Schwert und wollte ihm bösen Tod geben; aber er besann sich und sprach zu sich: »Es wird mir keine Ehre sein, wenn ich einen Schlafenden tödte: ein Schlafender ist gleich einem Todten.« Er legte sich in dem Zelte auf die andere Seite nahe bei dem Fürsten Iwan, dem russischen Ritter. Als dieser erwachte, ging er aus seinem Zelte und sah, daß sein gutes Roß weit vom Futter weggetrieben war, und auf dem Felde graste, und daß bei dem weißen Waizen ein fremdes Roß stand und ihn fraß. Er ging zurück in das Zelt und bemerkte, daß hier ein guter Jüngling im Todtenschlafe liege. Fürst Iwan, der russische Ritter, ergrimmte gegen ihn, zog sein scharfes Schwert heraus, und wollte ihm bösen Tod geben; aber er besann sich und sprach zu sich: »Es wird mir gutem Jünglinge kein Lob und Ruhm sein, wenn ich einen schlafenden Menschen tödte, denn ein Schlafender ist gleich einem Todten. Und er fing an, ihn zu wecken: »Stehe auf, Mensch, nicht, weil ich dich wecke, sondern damit du dich rettest. Kamerad, du hast nicht Einen deines Gleichen beleidigt, denn deßwegen vergießt man Blut. Warum hast du dein Roß zu fremdem Futter gestellt, und in einem fremden Zelte dich schlafen gelegt? Dafür wirst du mit dem Tode büßen.« – Da erwachte Jeruslan Lasarewitsch. Der Fürst Iwan, der russische Ritter, fragte ihn nach seinem Namen, woher er komme, und welches Vaters und welcher Mutter Sohn er sei. – »Ich bin aus Kartaus Reiche,« antwortete Jeruslan Lasarewitsch, »und bin der Sohn des Fürsten Lasar Lasarewitsch und der Fürstin Epistimia, und nenne mich Jeruslan. Dein Roß ist nicht von mir weggejagt worden, sondern von meinem Rosse, und gute Leute begegnen den Fremden nicht mit schlechten Worten, sondern nehmen sie gastfreundschaftlich auf. Wenn du ein Glas Wasser hast, so gib mir es, denn ich bin bei dir als Gast.« – »Du bist noch jung,« sagte Iwan, der russische Ritter, »und es schickt sich nicht für mich, dir Wasser zu bringen, sondern du mußt mir es bringen.« – »Du pflückst den Vogel, den du noch nicht gefangen hast, und tadelst auch den guten Jüngling, ohne mich zu versuchen.« – Da sprach Fürst Iwan, der russische Ritter: »Ich bin der Fürst der Fürsten und der Ritter der Ritter, und du bist ein Kosak.« – »Ja,« antwortete Jeruslan Lasarewitsch, »du bist Fürst in deinem Zelte, aber wenn du dich im freien Felde befindest, so stehen wir einander gleich.« – Da sah Fürst Iwan, der russische Ritter, daß er keinen Feigen vor sich habe, nahm einen goldenen Becher, ging nach kaltem Wasser und gab dem Jeruslan Lasarewitsch zu trinken. Dann setzten sie sich auf ihre Rosse und ritten in das freie Feld. Da ritt Fürst Iwan, der russische Ritter, in vollem Galopp auf seinem Pferde, aber Jeruslan Lasarewitsch ritt im Schritt; dann schlug er sein gutes Roß auf die steilen Hüften, und das Roß Uroschtsch Weschei holte den Fürsten Iwan, den russischen Ritter, ein, und überlief ihn. Da betete er zu Gott, er sollte es fügen, daß er diesen Menschen nicht tödte, sondern ihn blos mit dem stumpfen Ende aus dem Sattel stoße. Dann schlug Jeruslan Lasarewitsch sein gutes Roß noch ein Mal auf die steilen Hüften, und sie fingen an, den Anlauf zu nehmen. Da schlug Jeruslan Lasarewitsch den Fürsten Iwan, den russischen Ritter, mit dem stumpfen Ende gegen das Herz und hob ihn aus dem Sattel auf die Erde, und das Roß faßte ihn an der Kehle und drückte ihn zu Boden. Jeruslan Lasarewitsch wendete das spitzige Ende um, setzte es ihm auf die Brust und sprach folgende Worte: »Fürst Iwan, russischer Ritter, willst du Todt oder Leben haben?« – Da bat Fürst Iwan, der russische Ritter: Herr Jeruslan Lasarewitsch, sei mir der ältere Bruder; gib mir nicht den Tod, sondern schenke mir das Leben.«

Jeruslan stieg von seinem Rosse ab, nahm den Fürsten Iwan, den russischen Ritter, bei der rechten Hand, hob ihn auf, umarmte und küßte ihn, und nannte ihn den jüngsten Bruder; dann setzten sie sich auf ihre guten Rosse und ritten zu dem weißen Zelte. Sie ließen ihre beiden Rosse zu einem Futter, und gingen selbst in das weiße Zelt und fingen an zu essen, zu trinken und Kurzweil zu treiben. Und als Jeruslan Lasarewitsch lustig wurde, sagte er zu seinem Bruder: »Mein Herr Bruder, Fürst Iwan, russischer Ritter, ich spazierte im freien Felde, und traf auf zwei erschlagene Heere.« – Da antwortete Fürst Iwan, der russische Ritter: »Mein Herr Bruder, Jeruslan Lasarewitsch, das erste Heer des Zaren Feodul, des Drachen, habe ich getödtet, weil ich mich um seine Tochter, die schöne Prinzeß Kandaula Feodulowna, bewarb; und ich will sie mit Gewalt nehmen, denn man sagt, daß es solche Schönheit auf der Welt nicht gebe. Morgen werde ich mit ihm die letzte Schlacht haben, und du, Jeruslan Lasarewitsch, kannst Zeuge meiner Tapferkeit sein.« Dann legte er sich schlafen. Den folgenden Morgen stand Fürst Iwan, der russische Ritter, früh auf, sattelte sein gutes Roß und ritt zu dem Reiche des Feodul, des Drachenzaren, und Jeruslan Lasarewitsch ging zu Fuße, und stellte sich an einen verborgenen Ort unter eine Eiche, um der Schlacht zuzusehen.

Darauf rief Fürst Iwan, der russische Ritter, mit lauter Stimme, und Zar Feodul, der Drache, befahl in die Trompete zu stoßen, und ein Heer von hunderttausend tapfern Männern zu sammeln, und sein ganzes Heer bestand aus drei Mal hundert tausend Mann. Zar Feodul, der Drache, ritt dem Fürsten Iwan, dem russischen Ritter, in zarischer Kleidung entgegen, und vor ihm und hinter ihm gingen so viel Leute, daß sie sich nicht zählen ließen. Fürst Iwan, der russische Ritter, nahm den Schild in die eine Hand, und die Lanze in die andere. Wie der Falk auf Gänse, Schwäne und graue Enten stürzt, so stürzte Fürst Iwan, der russische Ritter, auf die große Macht, von welcher sein Roß doppelt so viel zu Boden trat, als er mit dem Schwerte niederhaute. Und er erschlug das ganze Heer, und nur den Alten und den Jungen ließ er das Leben, die ihm nicht widerstehen konnten, und den Zaren Feodul, den Drachen, machte er zum Gefangenen und gab ihm bösen Tod. Dann eilte er in sein Reich und nahm die schöne Prinzeß Kandaula Feodulowna. Er faßte sie bei den weißen Händen, küßte sie auf die süßen Lippen, und führte sie in sein weißes Zelt. Jeruslan Lasarewitsch kam auch bald dahin, und sie fingen an zu essen, zu trinken und Kurzweil zu treiben. Dann befahl Fürst Iwan, der russische Ritter, der schönen Prinzeß Kandaula Feodulowna das Bett zu machen; darauf legte er sich mit ihr schlafen, fing an, sie zu liebkosen und bei dem weißen Busen zu nehmen.

Jeruslan Lasarewitsch ging aus dem Zelte fort. Da sprach Fürst Iwan, der russische Ritter, zu ihr: »Meine geliebte und schöne Prinzeß, sage mir, gibt es in der Welt eine schönere, als du, und einen tapferern Ritter, als meinen Bruder Jeruslan Lasarewitsch? Ich bin viel herum gezogen und habe keine bessern gefunden, als du bist.« – »Nein,« antwortete die schöne Prinzeß Kandaula Feodulowna, »es gibt schönere, als ich bin. Im freien Felde ist ein weißes Zelt, und in dem Zelte sind drei Schwestern, die Töchter des Zaren Bugrigor. Mit Namen nennen sie sich die älteste Prodora, die mittelste Tiwobriga, die jüngste Legia. Diese sind zehn Mal besser, als ich; ich bin gegen sie nur, wie die Nacht gegen den Tag. Als ich bei meinen Aeltern war, war ich noch schön, aber jezt ist mein Leib von Gram abgezehrt. Und es steht an dem indischen Reiche am Wege ein Ritter bei dem Zaren Dalmat. Dieser Ritter nennt sich Iwaschka Weißmantel Sarazenenmütze. Ich habe von meinem Vater gehört, daß er schon drei und dreißig Jahre das indische Reich bewacht, und daß kein Fußgänger bei ihm vorüber ging, kein Ritter vorüber ritt, kein Thier vorbeilief und kein Vogel vorbeiflog, und ich weiß nicht, wer von ihnen tapferer ist, denn ich habe von der Tapferkeit des Jeruslan Lasarewitsch noch nichts gehört.« –

Jeruslan Lasarewitsch hatte diese ganze Rede gehört, und sein Ritterherz ertrug es nicht. Er trat in das weiße Zelt, betete zum Heiligenbilde, verneigte sich vor seinem Bruder, dem Fürsten Iwan, dem russischen Ritter, und der Prinzeß Kandaula Feodulowna. Dann begleiteten sie ihn aus dem weißen Zelte; er sattelte sein gutes Roß, küßte seinen Bruder, den Fürsten Iwan, den russischen Ritter, und die Prinzeß Kandaula Feodulowna zum letzten Male und ritt ab auf das freie Feld nach dem indischen Reiche des Zaren Dalmat, um mit Iwaschka Weißmantel, Sarazenenmütze, zusammenzutreffen. Jeruslan Lasarewitsch reiste schon lange auf seiner Straße, da besann er sich und sagte: »Ich bin nach einem entfernten Reiche, und zu einem Kampf auf Leben und Tod ausgeritten, und habe von Vater und Mutter keinen Abschied genommen. Er kehrte also zurück zu seinem Vater und kam in das Reich des Zaren Kartaus, in dessen Gebiete er den Fürsten Daniil den Weißen, mit drei Mal hundert tausend Mann traf, welcher prahlte, er werde nun das Reich des Zaren Kartaus unterjochen, den Zaren selbst, den Fürsten Lasar Lasarewitsch, und die zwölf Ritter gefangen nehmen, und sie in sein Land, als Gefangene, abführen. Aber hier wußte Jeruslan Lasarewitsch nicht, was er machen sollte, denn er hatte keinen festen Schild, kein scharfes Schwert und keine lange Lanze. Er ritt gerade auf die Stadt zu, und als die Einwohner sahen, daß Jeruslan Lasarewitsch nahte, machten sie ihm die Stadtthore auf, und als er hineinkam in die Stadt, sah er, daß sein Vater, Fürst Lasar Lasarewitsch, ein Heer zur Schlacht ordnete. Jeruslan Lasarewitsch stieg von seinem guten Rosse ab, ehe er ihm nahe kam, warf sich mit dem Angesicht auf die Erde und sprach: »Viele Jahre Wohlergehen, mein Herr Vater! Wie behütet dich der liebe Gott? Warum bist du so traurig, o Herr?« – Da sprach zu ihm der Fürst Lasar Lasarewitsch: »Mein liebes Kind Jeruslan Lasarewitsch, von wo bist du wie eine Sonne erschienen und hast mich so erwärmt? O mein lieber Sohn, wie soll ich mich nicht grämen? In unsere Gränzen ist Fürst Daniil der Weiße mit drei Mal hundert tausend Mann eingerückt und prahlt, daß er es unterjochen, den Zaren Kartaus, mich und die zwölf Ritter als Gefangene in sein Reich abführen werde.« Da sprach zu ihm Jeruslan Lasarewitsch: »Mein Herr Vater, Fürst Lasar Lasarewitsch, gib mir deinen festen Schild, dein scharfes Schwert und die Lanze, ich werde mit dem Feinde kämpfen.« – Da antwortete ihm sein Vater, Fürst Lasar Lasarewitsch: »Mein liebes Kind, du willst gegen so viele Feinde kämpfen, und warst noch nie bei einem Kampfe. Wenn du das Schreien und Winseln der Tataren hören wirst, so wirst du erschrecken, und sie werden dich tödten.« – Da antwortete ihm Jeruslan Lasarewitsch: »Lehre nicht, Herr Vater, die Gans im Wasser schwimmen, und einen Rittersohn mit Tataren kämpfen. Gib mir nur, was ich verlange, und ich werde kühn mit den Tataren mich schlagen.« –

Da gab ihm Fürst Lasar Lasarewitsch einen festen Schild, ein scharfes Schwert, eine lange Lanze und sprach folgende Worte: »Gehe, mein lieber Sohn Jeruslan Lasarewitsch, gehe und kämpfe mit dem großen Heer, da hast du meinen Segen.« – Jeruslan Lasarewitsch nahm den Schild in die linke, das Schwert in die rechte Hand, setzte sich auf sein gutes Roß, und ritt aus der Stadt dem feindlichen Heere entgegen. Wie ein Falke auf Gänse und Schwäne stürzt, so stürzte Jeruslan Lasarewitsch auf das große Heer des Fürsten Daniil des Weißen. Und so viel haute er nicht mit dem Schwerte nieder, als sein Roß mit den Füßen zertrat, und Daniil den Weißen selbst machte er zum Gefangenen, und nahm von ihm einen schweren Eid, nie wieder das Reich des Zaren Kartaus zu betreten, und seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln dasselbe zu verbieten, denn wenn er noch ein Mal in seine Hände fiele, so würde er es mit bösem Tode büßen. Dann entließ er ihn in sein Land zurück, und ritt selbst in die Stadt, und Zar Kartaus kam ihm unter den Stadtpforten entgegen, und Jeruslan Lasarewitsch stieg ab von seinem Rosse, ehe er sich ihm nahete, warf sich mit dem Angesicht auf die Erde und sprach: »Viele Jahre Wohlergehen dir, mein Herr Zar Kartaus, und deinem ganzen Reiche! Wie behütet dich Gott, mein Gebieter?« – Da antwortete ihm Kartaus: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, ich bin schuldig vor dir, daß ich dich aus meinem Reiche verbannt habe. Wohne jezt in meinem Reiche, und wähle die beste Stadt und schöne Kirchdörfer. Meine Schätze sollen nicht verschlossen sein vor dir; nimm, soviel dir beliebt. Deine Stelle ist neben mir, die andere mir gegenüber, die dritte, wo du selbst willst.« Da gab ihm Jeruslan Lasarewitsch zur Antwort: »Herr Zar Kartaus, ich bin nicht gewohnt, in deinem Reiche zu leben, sondern ich pflege im freien Felde zu spazieren und zu kämpfen.« Und als er Salz und Brod bei dem Zaren Kartaus, und bei seinem Vater, dem Fürsten Lasar Lasarewitsch, und seiner Mutter Epistimia, gegessen hatte, nahm er Abschied von allen Einwohnern, und ritt in’s freie Feld spazieren.

Und er ritt einen, zwei, und drei Monate; da traf er in einem Felde auf ein weißes Zelt, in welchem die drei schönen Jungfrauen, die Töchter des Zaren Bogrigor, saßen; dergleichen Schönheit gibt es nicht weiter in der Welt. Sie hatten Handarbeiten vor. Jeruslan Lasarewitsch trat in das weiße Zelt und vergaß, zu dem Heiligenbilde zu beten. Sein jugendliches Herz entbrannte von Liebe. Er nahm die älteste Schwester, die schöne Prinzeß Prodora, bei der Hand, und den übrigen Schwestern befahl er, aus dem Zelte herauszugehen, und sprach folgende Worte: »Meine holde und schöne Prodora Bogrigorowna, gibt es auf der Weit eine schönere als du, und einen tapferern als ich?« Da antwortet ihm Prodora: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, wie magst du mich schön nennen? Es gibt in der Stadt Debri eine Jungfrau, die Tochter des Zaren Worcholomei, die schöne Prinzeß Anastasia, die ist die schönste auf der Welt, und wir sind gegen sie, wie die Nacht gegen den Tag. Am Wege in das indische Reich des Zaren Dalmat gibt es einen Ritter, er heißt Iwaschka, mit dem Zunamen Weißmantel, Sarazenenmütze, und ich habe von meinem Vater gehört, daß er sehr stark sei, und das indische Reich drei und dreißig Jahr hüte, und ihm vorüber geht kein Fußgänger, reitet kein Ritter, läuft kein Thier, fliegt kein Vogel. Aber was bist du für ein tapferer Ritter, daß du uns Mädchen hier aus dem Zelte vertreibst?« – Da stand Jeruslan Lasarewitsch auf und war verdrüßlich. Er bückte den Kopf der Prinzeß, schlug ihn mit dem Schwerte ab und warf ihn unter das Bette. Dann nahm er die andere Prinzeß Tiwobriga herein, fing an, sie zu liebkosen und bei dem weißen Busen zu fassen, und sprach zu ihr: »Meine holde und schöne Prinzeß Tiwobriga, gibts auf der Welt eine schönere, als du, und einen tapferern, als ich?« – Und sie antwortete ihm eben so, wie die älteste. Da schlug er auch ihr den Kopf ab und warf ihn unter das Bette.

Da nahm er die dritte Schwester Legia, liebkoste sie mehr, als die vorigen, und sprach zu ihr: »Meine holde und schönste Prinzeß auf der Welt, Legia Bugrigorowna, gibt es auf der Welt eine schönere, als du, und einen tapferern, als ich?« – Da antwortete Legia: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, ich bin nicht schön und auch nicht gut. Als ich bei meinem Vater und meiner Mutter war, da war ich schön und gut; aber jezt ist mein Leib abgezehrt und ich bin gar nicht schön. Der Zar Worcholomei hat in seinem Reiche in der Stadt Debri eine Tochter, die schöne Prinzeß Anastasia; eine solche Schönheit gibt es auf der Welt nicht weiter, und sie ist zehn Mal besser, als ich. Und noch gibt es auf dem Wege in das indische Reich des Zaren Dalmat einen Ritter Iwaschka, mit dem Beinamen Weißmantel, Sarazenenmütze, und ich habe von meinem Vater gehört, daß er stark ist und das indische Reich drei und dreißig Jahre hütet: ihm vorüber geht kein Fußgänger, reitet kein Ritter, läuft kein Thier, fliegt kein Vogel, und ich weiß nicht, wer von euch tapferer und stärker ist.« – Jeruslan Lasarewitsch sprach zu ihr: »Meine liebe und schöne Prinzeß Legia Bugrigorowna, du hast mich getröstet mit deinen lieblichen Worten, und mein Ritterherz beruhigt.« – Dann ging er aus dem Zelte, und Prinzeß Legia sprach zu ihm: Warum bist du aus dem Zelte gegangen, ohne zu Gott zu beten, oder habe ich dir etwas Grobes gesagt?« Dem Jeruslan Lasarewitsch gefiel dieses Wort, er kehrte zurück in das Zelt, betete zu dem Heiligenbilde, nahm Abschied von der Prinzeß und sagte zu ihr folgende Worte: »Lebe wohl, meine liebe Prinzeß Legia Bugrigorowna, bleibe auf diesem freien Felde, und fürchte dich vor keinem Zaren, vor keinem Fürsten, Niemand wagt, dich zu beleidigen, wenn sie von meiner Tapferkeit hören werden. Begrabe deine Schwestern und erwarte mich bald wieder bei dir.«

Dann setzte er sich auf sein gutes Roß und ritt nach dem indischen Reiche ab, um sich dem Zaren Dalmat zu empfehlen und mit Iwaschka Weißmantel, Sarazenenmütze, zusammen zu treffen. Und er ritt einen, zwei und drei Monate; und ohngefähr fünf Rennbahnen weit von der Stadt im freien Felde auf der Straße, stand ein Mensch, namens Iwaschka. Er stüzte sich auf eine Lanze und hatte eine Sarazenenmütze auf, und einen weißen Mantel um. Jeruslan Lasarewitsch ritt auf ihn zu, schlug ihn mit seiner Peitsche auf die Mütze und sprach: »Du kannst dich legen und ausschlafen, und brauchst nicht zu stehen.« – Da fragte ihn Iwaschka: »Wer bist du, und wie ist dein Name? wo kommst du her? und welches Vaters, welcher Mutter Sohn bist du?« – Da antwortete ihm Jeruslan Lasarewitsch: »Ich komme aus dem Reiche des Zaren Kartaus, bin der Sohn des berühmten Fürsten Lasar Lasarewitsch und der schönen Fürstin Epistimia, und nenne mich Jeruslan Lasarewitsch; ich reite in das indische Reich, um mich dem Zaren Dalmat zu empfehlen.« – Iwaschka aber, der Weißmantel, sprach zu ihm: »Jeruslan Lasarewitsch, vor dir ist kein Fußgänger bei mir vorübergegangen, kein Ritter geritten, kein Thier gelaufen, kein Vogel geflogen, und du willst bei mir vorüber reiten? Laß uns erst in das freie Feld gehen, und die starken Ritterarme versuchen.« Sogleich setzte er sich auf sein gutes Roß, und sie ritten in das freie Feld. Sie nahmen mit den Rossen den Anlauf, und Jeruslan Lasarewitsch stieß den Iwaschka mit der Lanze gegen das Herz und warf ihn aus dem Sattel, und Iwaschka fiel auf den Boden wie eine Habergarbe, und das Roß Uroschtsch Weschei trat ihm auf die Kehle und drückte ihn nieder. Jeruslan Lasarewitsch wendete die Lanze um mit dem spitzigen Ende und sagte: »Bruder Iwaschka, willst du Tod oder Leben haben?« – Da flehte Iwaschka: »Herr Jeruslan Lasarewitsch, gib mir nicht den Tod, sondern schenke mir das Leben; wir haben uns nie mit einander entzweit, und werden uns niemals entzweien.« Da antwortete ihm Jeruslan Lasarewitsch: »Ich würde dich nicht umbringen, aber ich will dich deßwegen tödten, weil dich im freien Felde viele schöne Jungfrauen loben.« Er drückte seine Lanze ihm in die Brust und gab ihm bösen Tod. Darauf ritt er in das indische Reich zu dem Zaren Dalmat.

Als er in der Stadt ankam, kehrte er bei einem Posadnik ein, und ging in das Zarenschloß zu dem Zaren Dalmat, sich bei ihm zu empfehlen. Er trat in die weißsteinernen Gemächer und verneigte sich vor dem Zaren: »Viele Jahre Wohlergehen dir, Zar, mit deiner ganzen Familie und allen deinen Fürsten und Bojaren! Und mich, Zar, nimm in deinen Dienst auf.« – Da sprach der Zar Dalmat: »Mensch, woher kommst du? wie ist dein Name? und welches Vaters und welcher Mutter Sohn bist du?« – »Ich bin aus dem Reiche des Zaren Kartaus, Sohn des Fürsten Lasar Lasarewitsch und der Fürstin Epistimia, und nenne mich Jeruslan.« – Da sprach der Zar Dalmat: »Jeruslan Lasarewitsch, welchen Weg bist du zu mir gekommen, zu Lande oder zu Wasser?« – Jeruslan Lasarewitsch sagte ihm, daß er zu Lande gekommen sei. Da sagte ihm Zar Dalmat: »Ich habe einen Menschen, welcher im freien Felde steht, und mein Reich schon drei und dreißig Jahre hütet, und bei ihm vorüber geht kein Fußgänger, reitet kein Ritter, läuft kein Thier, und fliegt kein Vogel in mein Reich, und wie bist du bei ihm vorbei geritten?« – Da antwortete Jeruslan Lasarewitsch: »Ich habe diesen Menschen erschlagen, mein Gebieter, aber ich wußte nicht, daß er dir gehöre.« – Da erschrak der Zar vor ihm, und dachte bei sich: »Wenn er mir einen solchen Menschen getödtet hat, so kann er sich leicht meines Reiches bemächtigen, und er will nur deßwegen in meinen Dienst treten, um mich des Thrones zu berauben.« Und er wurde sehr traurig, befahl, Jeruslan Lasarewitsch zu ehren, und gab ihm von seinem Getränk. Da bemerkte Jeruslan Lasarewitsch, daß der Zar Furcht vor ihm hatte. Er ging aus dem Schlosse, sattelte sein gutes Roß, kam dann wieder in den Palast, verneigte sich vor dem Zaren, und ritt alsdann aus dem Reiche des Zaren Dalmat.

Zar Dalmat wurde sehr froh, daß ihn Gott von Jeruslan ohne Krieg befreit hatte, und befahl, die Thore hinter ihm fest zu verschließen, damit Jeruslan nicht zurückkehre, und sich des Reiches bemächtige.

Da wollte Jeruslan Lasarewitsch zur Stadt Debri in das Reich des Zaren Worcholomei reiten, und die Schönheit der schönen Prinzeß Anastasia sehen, von welcher er von so vielen Jungfrauen gehört hatte, und er ritt einen, zwei, drei Monate. Da dachte er bei sich: »Ich bin geritten in ein fremdes Land, und heirathe vielleicht die schöne Jungfrau, oder empfange den Tod, und ich habe von meinem Vater und meiner Mutter den Segen nicht erhalten.«

Da ritt er in das Reich des Zaren Kartaus, und nachdem er eine Zeit lang geritten war, gelangte er in das Reich, und fand es bezwungen, mit Feuer verheert, und mit Moos bewachsen. Da stand nur eine Hütte, in welcher ein alter einäugiger Mann wohnte. Jeruslan Lasarewitsch trat in die Hütte, verneigte sich vor dem alten Manne und sprach: »Bruder, alter Mann, wo ist dieses Reich hin?« – Da antwortete der alte Mann: »Tapferer Herr Ritter, von wo bist du gekommen, aus welchem Reiche? welches Vaters, welcher Mutter Sohn bist du, und wie nennest du dich mit Namen?« Aber Jeruslan Lasarewitsch antwortete: »Kennst du mich denn nicht? ich bin ja aus diesem Reiche gebürtig, der Sohn des Fürsten Lasar Lasarewitsch, und nenne mich Jeruslan.« – Da fiel der alte Mann zu Boden, und sprach mit Thränen folgende Worte: »Seit du weggeritten bist, ist viel Zeit verflossen. Da ist Daniil der Weiße wieder zu uns gekommen, und mit ihm fünf Mal hundert tausend Mann. Er hat sich dies Reich unterworfen, es mit Feuer verheert, und hundert tausend tapfere Krieger getödtet. Fünf Millionen gemeines Volk, und alle Pfaffen und Mönche hat er auf dem Felde verbrannt, zwölf tausend Säuglinge an den Ecksteinen zerschlagen, den Zaren Kartaus mit den zwölf Rittern und deinen Vater lebendig gefangen genommen, und der Zarin, des Kartaus Gemahlin, und deiner Mutter, der Fürstin Epistimia, hat er bösen Tod in seinem Reiche gegeben! Ich bin allein unter den Menschenleichen geblieben, und habe neun Tage lang vor Furcht wie todt gelegen.«

Da weinte Jeruslan Lasarewitsch bitterlich, und sprach mit großem Schmerze: »Barmherziger Gott, warum hast du dieses Reich so furchtbar heimgesucht?« Und als er sich ausgeweint hatte, betete er zu dem Heiligenbilde, verneigte sich vor dem alten Manne, setzte sich auf sein gutes Roß, und ritt zu dem Zaren Daniil dem Weißen. Und er kam in die Stadt um Mittag, und Niemand hatte ihn gesehen. Nur kleine Knaben sahen ihn, welche auf der Gasse spielten. Jeruslan fragte sie, wo der Zar Kartaus säße, in welchem Gefängnisse? er wolle ihm ein Almosen geben. Und sie zeigten ihm das Gefängnis. Jeruslan Lasarewitsch ritt zu dem Gefängnisse und sah, daß eine Wache dabei stand. Jeruslan Lasarewitsch haute diese Wache nieder, riß die Schlösser von der Thüre ab, und schlug die Thüre heraus. Als er in das Gefängnis trat, erblickte er den Zaren Kartaus, seine Vater Lasar Lasarewitsch, und die zwölf Ritter, welchen allen die Augen ausgestochen waren. Da fiel er zu Boden nieder und rief mit Thränen aus: »Viele Jahre Wohlergehen dir, Zar Kartaus, und dir, mein Vater, Fürst Lasar Lasarewitsch, und euch, ihr zwölf tapfern Ritter!« Da antwortete Zar Kartaus: »Ich höre deine Stimme, aber dein Angesicht sehe ich nicht. Woher bist du gekommen? wen suchst du? wie ist dein Name? aus welchem Reiche bist du, und welches Vaters, und welcher Mutter Sohn?« –

Da sagte ihm Jeruslan Lasarewitsch, wer er wäre; aber Zar Kartaus antwortete: »Mensch, gehe fort von uns, dahin, woher du gekommen bist, und spotte unserer nicht.« – Jeruslan Lasarewitsch entgegnete: »Ich bin der wahre Jeruslan, und bin zu euch gekommen, um euer Schicksal zu mildern.« – Da sprach der Zar Kartaus wieder: »Mensch, lüge nicht, wenn unser Jeruslan Lasarewitsch am Leben wäre, so würden wir nicht im Gefängnisse sitzen und so bitteres Elend erdulden, sondern ich herrschte in meinem Reiche, und wäre immer der berühmte Zar mit meinem Fürsten Lasar Lasarewitsch und diesen zwölf Rittern geblieben. Aber da er nicht mehr ist, so hat uns Gott für unsere Sünden gestraft, und wir sitzen hier ohne Augen und sehen das Licht Gottes nicht. Aber wenn du, Mensch, wirklich Jeruslan Lasarewitsch bist, so reite hinter die stillen Wässer und warmen Meere zu der podolischen Horde in die Stadt Schtschetin zu dem freien Zaren Feuerschild, Flammenlanze. Tödte diesen Zaren und nimm die Galle aus ihm. Und wenn du zu uns zurückkommst, so streiche uns die Augen damit, und wir werden dich sehen und dir glauben; aber jezt trauen wir dir nicht, weil wir dich nicht sehen.«

Jeruslan Lasarewitsch verneigte sich vor dem Zaren Kartaus, seinem Vater und den zwölf Rittern, ging aus dem Gefängnisse, setzte sich auf sein gutes Roß, und ritt ab aus dem Reiche in das freie Feld. Ihn hatten die Jungen auf der Gasse gesehen, und sie sagten es ihren Vätern, und die Väter sagten zu Daniil dem Weißen: »Herr Fürst Daniil der Weiße, es war in unserer Stadt ein tapferer Krieger. Sein Roß war wie ein Löwe, und er war ganz bewaffnet. Er ritt von dem Gefängnisse weg, wo der Zar Kartaus, der Fürst Lasar Lasarewitsch und die zwölf Ritter sitzen.« –

Der Fürst Daniil der Weiße schickte sogleich seinen treuen Diener Mursa in das Gefängnis und befahl zu fragen, wer im Gefängnisse gewesen, und was er gesagt habe. Und als er zum Gefängnisse kam, sah er, daß die Thüre aufstand und die Wache niedergehauen war. Und als Mursa in das Gefängnis trat, fragte er: »Herr Zar Kartaus, sage mir: wer war bei dir im Gefängnisse? Der Fürst Daniil der Weiße läßt dich darnach fragen.« – Zar Kartaus antwortete ihm: »Guter Mensch! fürchte Gott! wie können wir wissen, wer bei uns im Gefängnisse war. Ein Mensch war bei uns, der nannte sich Jeruslan, aber wir haben ihn nicht an der Stimme erkannt.«

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