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Märchenbasar

Marja Morewna

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In einem Zarenreich, in einem Staat zugleich lebte einst Iwan – Zarensohn.
Er besaß drei Schwestern: die älteste Marja – Zarentochter, die zweite Olga – Zarentochter und die dritte Anna Zarentochter. Vater und Mutter waren gestorben. Auf dem Sterbebett hatten sie dem Sohn aufgetragen: „Wer als erster um deine Schwestern freit, dem gib sie zum Weib – halte sie nicht lange in deinem Haus zurück. Der Zarensohn bettete die Eltern zur letzten Ruhe und beschloß, sich tiefbekümmert mit den Schwestern im Garten zu ergehen.
Miteins zog am Himmel eine schwarze Wolke auf, und ein schreckliches Gewitter brach aus.
„Kommt ins Haus, liebe Schwestern“, sprach Iwan – Zarensohn. Kaum hatten sie das Schloß betreten, da grollte Donnerschlag, die Decke riß auf, und ein edler Falke flog ins Gemach.
Der Falke schlug auf den Boden, verwandelte sich in einen wackeren Gesellen und sprach:
„Sei gegrüßt Iwan – Zarensohn, früher kam ich als Gast zu dir, nun stehe ich als Freier hier, halte um deine Schwester Marja – Zarentochter an.“
„Wenn du meiner Schwester gefällst, will ich’s nicht hindern. Möge sie, so Gott will, mit dir ziehen.“ Marja – Zarentochter war es zufrieden. Der Falke vermählte sich mit ihr und trug sie fort in sein Reich. Die Tage eilten dahin, die Stunden verrannen, bald war ein ganzes Jahr vergangen. Eines Tages beschloß Iwan – Zarensohn, sich mit seinen beiden Schwestern im Garten zu ergehen. Abermals zog eine Wolke mit Wirbelsturm und Blitzen auf. „Kommt ins Haus, liebe Schwestern“, sprach der Zarensohn. Kaum hatten sie das Schloß betreten, da grollte Donnerschlag, das Dach stürzte ein, die Decke riß auf, und ein Adler flog ins Gemach, schlug auf den Boden und verwandelte sich in einen wackren Gesellen.
„Sei gegrüßt, Iwan – Zarensohn, früher kam ich als Gast zu Dir, nun stehe ich als Freier hier.“ Und er hielt um Olga – Zarentochter an.Iwan – Zarensohn gab ihm also Bescheid:
„Wenn du Olga – Zarentochter gefällst, so mag sie mit dir gehen. Will mich ihrem Willen nicht widersetzen.“ Olga – Zarentochter willigte ein und vermählte sich mit dem Adler.
Abermals verging ein Jahr. Da sprach Iwan – Zarensohn zu seiner jüngsten Schwester: „Wir wollen uns im grünen Garten ergehen.“ Und sie gingen im Garten spazieren; bald zog eine Wolke mit Wirbelsturm und Blitzen auf. „Komm ins Haus, liebes Schwesterlein!“
Sie gingen heim, doch sie saßen noch nicht, da grollte Donnerschlag, die Decke riß auf, und ein Rabe flog herein. Der Rabe schlug auf den Boden und verwandelte sich in einen wackren Gesellen. Schon die anderen waren schmuck anzusehen, doch dieser war von gar stattlicher Figur. „Iwan – Zarensohn, früher kam ich als Gast zu dir, nun stehe ich als Freier hier, gib mir Anna – Zarentochter zum Weib.“ So nahm Anna – Zarentochter den Raben zum Mann, der aber trug sie fort in sein Reich. Iwan – Zarensohn blieb alleine zurück.
Ein Jahr lang lebte er ohne seine Schwestern, dann begann ihn die Langeweile zu plagen.
Drum beschloß er bei sich: Will ausziehen und meine Schwestern suchen gehen. Er begab sich auf den Weg, wanderte aufs Geratewohl los und erblickte miteins eine geschlagene Streitmacht auf freiem Feld. Fragte Iwan – Zarensohn: „Wenn hier noch einer am Leben ist, so melde er sich! Wer hat diese große Streitmacht geschlagen?“ Erwiderte einer, der noch am Leben war: „Diese große Streitmacht hat Marja – Morewna, die herrliche Königin geschlagen. Iwan – Zarensohn setzte seinen Weg fort und gelangte an weiße Zelte.
Da trat ihm Marja – Morewna, die herrliche Königin entgegen. „Sei gegrüßt, Zarensohn, wohin führt dich dein Weg, wanderst du aus eigenem Willen oder wurdest du getrieben?“ Antwortete Iwan – Zarensohn: „Wackre Gesellen ziehen nicht auf höheres Betreiben aus.“ „Wenn du keine Eile hast, so verweile in meinem Zelt und sei mein Gast,“
Iwan – Zarensohn freute sich über das Angebot: Zwei Nächte verbrachte er im weißen Zelt, gewann Marja – Morewna lieb und vermählte sich mit ihr. Marja – Morewna, die herrliche Königin, nahm ihn mit in ihr Reich; dort lebten sie zusammen, bis die Königin beschloß, zu einem neuen Feldzug zu rüsten. Sie übergab Iwan – Zarensohn die Wirtschaft und trug ihm auf: „Geh durch alle Räume, habe ein Auge auf alle Gemächer, doch wage nicht, in diese Kammer zu schaun.“ Er aber konnte sich nicht gedulden. Kaum war Marja – Morewna davongeritten, da stürzte er zu der verbotene Kammer, riegelte die Tür auf und blickte hinein. Koschtschej der Unsterbliche hing, an zwölf Ketten gefesselt an der Decke. Bat Koschtschej Iwan Zarensohn: „Erbarme dich, gib mir zu trinken! Seit Jahren schon schmachte ich hier, hab nichts gegessen und nichts getrunken, mir ist die Kehle ganz ausgetrocknet.“ Der Zarensohn reichte ihm einen Eimer voll Wasser.
Der Unsterbliche leerte ihn und bat: „An einem einzigen Eimer vermag ich meinen Durst nicht zu stillen, gib mir mehr.“ Der Zarensohn reichte ihm noch einen Eimer voll Wasser. Koschtschej leerte ihn und bat um einen dritten. Nachdem er ihm auch geleert hatte, gewann er seine alten Kräfte zurück. Er schüttelte seine Ketten und zerriß alsbald alle zwölf. „Hab Dank, Iwan – Zarensohn!“ sprach Koschtschej der Unsterbliche.
„Nun wirst du niemals mehr Marja Morewna wiedersehen, ebenso so wenig wie deine Ohren.“ Als bald stürmte er wie ein schrecklicher Wirbelwind aus dem Fenster, holte Marja Morewna, die herrliche Königin ein, packte sie und trug sie fort.

Iwan – Zarensohn aber brach in bittere Tränen aus und rüstete sich zur Fahrt: Was auch immer passieren mag, ich will Marja Morewna wiederfinden! So verging ein Tag, der zweite Tag ging schon zur Neige, und im Morgengrauen des dritten Tages erblickte er ein herrliches Schloß. Vor dem Schloß eine Eiche stand, auf der Eiche ein edler Falke saß.
Der Falke flog vom Baum herab, schlug auf den Boden, verwandelte sich in einen wackren Gesellen und rief: „Ach lieber Schwager mein! Auf welchen Wegen hat Gott dich zu uns geführt?“ Marja – Zarentochter eilte herbei, empfing Iwan – Zarensohn freudig, fragte ihn nach seinem Ergehen und erzählte von ihrem eigenen Leben. Drei Tage weilte der Zarensohn bei ihnen zu Gast, alsdann sprach er: „Kann nicht länger zu Gast bei euch weilen.
Bin vielmehr ausgezogen, um mein Weib, Marja Morewna, die herrliche Königin, zu befreien.“ „Es wird dich Mühe kosten, sie wiederzufinden“, erwiderte der Falke.
„Drum laß uns deinen silbernen Löffel zurück. Wollen ihn ansehen und deiner gedenken.“
Iwan – Zarensohn ließ dem Falken seinen silbernen Löffel zurück und machte sich auf den Weg. Er wanderte einen Tag, wanderte den zweiten Tag, und im Morgenrot des dritten Tages erblickte er einen Palast, noch schöner anzusehen, als der erste es war. Vor dem Palast eine Eiche stand, auf der Eiche ein Adler saß. Der Adler flog vom Baum herab, schlug auf den Boden, verwandelte sich in einen wackren Gesellen und rief:
„Steh auf, Olga – Zarentochter, unser lieber Bruder ist zu uns gekommen!“ Alsbald eilte Olga – Zarentochter herbei, herzte und küßte den Bruder, fragte ihn nach seinem Ergehen und erzählte von ihrem eigenen Leben. Iwan – Zarensohn weilte bei ihnen drei Tage zu Gast und sprach: „Kann nicht länger bei euch verweilen: ich will weiterwandern und mein Weib, Marja Morewna, die herrliche Königin suchen.“ Antwortete der Adler:„Es wird dich Mühe kosten, sie wiederzufinden. Drum laß uns deine silberne Gabel zurück. Wollen sie ansehen und uns deiner erinnern.“ Er ließ die silberne Gabel zurück und zog von dannen. Er wanderte einen Tag, den zweiten und erblickte im Morgenrot des dritten Tages einen Palast, noch schöner anzusehen, als die zwei ersten. Vor dem Palast eine Eiche stand, auf der Eiche ein Rabe saß.
Der Rabe flog von der Eiche herab, schlug auf den Boden, verwandelte sich in einen wackren Gesellen und rief: „Anna – Zarentochter, tritt rasch heraus, unser Bruder ist hier!“
Anna – Zarentochter kam aus dem Palast gelaufen, empfing den Bruder voll Freude, herzte und küßte ihn, fragte ihn nach seinem Ergehen und erzählte von ihrem eigenem Leben. Iwan – Zarensohn blieb drei Tage bei ihnen zu Gast und sprach alsdann: „Lebt wohl, ich muß mein Eheweib suchen gehen, Marja Morewna, die herrliche Königin.“ Antwortete der Rabe: „Es wie dich Mühe kosten, sie wiederzufinden. Laß uns deine silberne Tabakdose zurück. Wir wollen sie ansehen und deiner gedenken.“ Der Zarensohn reichte ihnen seine silberne Tabakdose, nahm Abschied von ihnen und begab sich auf den Weg. Er wanderte einen Tag, den zweiten und gelangte am dritten Tag zu Marja Morewna.
Als sie ihren Herzallerliebsten erblickte, warf sie sich ihm an den Hals, brach in heftige Tränen aus und rief: „Ach Iwan – Zarensohn, warum hast du nicht auf meine Worte gehört – bist in die Kammer gegangen und hast Koschtschej den Unsterblichen freigelassen.“
„Verzeih mir, Marja Morewna, vergiß, was vergangen ist, komm lieber mit mir fort von hier, bevor Koschtschej der Unsterbliche uns gesehen hat. Vielleicht holt er uns nicht mehr ein.“ Sie machten sich bereit und zogen von dannen. Koschtschej aber war auf der Jagd.
Gegen Abend kehrte er heim, da scheute sein wackeres Roß. „Was scheust du zurück, unersättliche Mähre? Oder witterst du Unglück?“ Erwiderte das Roß: „Iwan – Zarensohn ist hergekommen und hat Marja Morewna mit sich genommen.“ „Sind sie noch einzuholen? „Du kannst Weizen aussäen, die Ernte einbringen, dreschen, das Korn zu feinem Mehl mahlen, fünf Öfen voll frisches Brot backen lassen, alles Brot verzehren und dich alsdann auf den Weg machen. Wir werden es schaffen.“ Koschtschej ritt los und holte Iwan – Zarensohn ein. Er sprach: „Das erste Mal will ich dir verzeihen für deine Güte, du hast mich mit Wasser getränkt.
Auch das zweite Mal will ich dir noch verzeihen, beim dritten Mal aber hüte dich, ich will dich in Stücke zerschlagen.“ Er packte Marja Morewna und schleppte sie fort.
Iwan – Zarensohn aber setzte sich auf einen Stein und brach in Tränen aus. Er weinte und weinte und machte sich endlich auf, Marja Morewna zu holen. Koschtschej der Unsterbliche war nicht daheim. „Komm mit mir, Marja Morewna.“ „Ach, Iwan – Zarensohn, er holt uns ein und wird dich in Stücke schlagen.“ „Mag er mich in Stücke schlagen! Kann ich ohne dich nicht mehr leben!“ Sie machten sich auf den Weg und zogen fort. Koschtschej der Unsterbliche kehrte heim, da scheute sein Roß. „Was schaust du zurück? Oder witterst du Unheil?“ „Iwan – Zarensohn ist gekommen und hat Marja Morewna mit sich genommen.“
Koschtschej galoppierte davon, holte Iwan – Zarensohn ein, säbelte ihn in kleine Stücke und legte sie in ein geteertes Faß. Das Faß verschloß er mit eisernen Ringen, schleuderte es ins blaue Meer, Marja Morewna nahm er mit sich.

 

Da färbte sich das Silber bei den Schwägern von Iwan – Zarensohn schwarz. „Ach“, riefen sie ihm aus, „ihm ist ein Unglück zugestoßen!“ Der Adler flog über das blaue Meer, packte das Faß und trug es an den Strand; der Falke flog nach dem Wasser des Lebens und der Rabe eilte nach dem Wasser des Todes. Alsdann trafen sie sich, schlugen das Faß auf, holten den zerstückelten Iwan – Zarensohn hervor, wuschen alle Stückchen und fügten sie aneinander. Der Rabe besprengte sie mit dem Wasser des Lebens, da regte sich Iwan – Zarensohn, erhob sich und sprach: „Ach, habe ich lange geschlafen!“
„Du hättest noch länger geschlafen, wenn wir nicht gewesen wären“, entgegneten die Schwäger. „Komm mit uns und sei unser Gast.“ „Nein Brüder, ich will Marja Morewna suchen gehen.“ Er kam zu ihr und bat: „Frage Koschtschej den Unsterblichen, wo er ein so wackeres Roß erworben hat.“ Als der Augenblick günstig war, hub Maja Morewna zu fragen an. Koschtschej erwiderte:„Über dreimal neun Länder, im dreimal neunten Zarenreich, jenseits des Flammenflusses, wohnt die böse Hexe Baba – Jaga. Sie besitzt eine Stute, auf der sie Tag für Tag um die Erde reitet. Auch viele andere herrliche Stuten nennt sie ihr eigen. Ich habe drei Tage als Hirte ihr gedient und hab keine einzige Stute verloren, dafür gab Baba – Jaga mir zum Lohn ein Fohlen.“ „Und wie bist du über den Flammenfluß gelangt?“
„Ich besitze ein Tuch – wenn ich es dreimal nach rechts schwenke, so erhebt sich eine hohe Brücke über den Fluß, und das Feuer kann mir keinen Schaden antun.“ Marja Morewna hatte aufmerksam zugehört, erzählte Iwan – Zarensohn alles, was sie vernommen, brachte das Tuch an sich und gab es ihm. Iwan – Zarensohn ritt über den Flammenfluß und begab sich zur Baba – Jaga.Lange wanderte er und litt Hunger und Durst.
Als er einen fremdländischen Vogel mit seinen Jungen sah, sprach Iwan – Zarensohn:
„Will einen Jungvogel verzehren.“ „Tue es nicht, Iwan – Zarensohn, es wird eine Zeit kommen, da ich dir nutzen kann.“ Und Iwan wanderte fürbaß. Im Wald erblickte r einen Bienenstock und sprach: „Ich will ein wenig Honig zu mir nehmen.“ Ließ sich die Bienenkönigin vernehmen: „Rühre meinen Honig nicht an, Iwan – Zarensohn, es wird eine Zeit kommen, da ich dir nutzen kann.“ Er rührte den Honig nicht an und wanderte weiter. Da begegnete ihm ein Löwe mit ihrem Löwenkind: „Will wenigstens dieses Löwenkind verspeisen. Kann mich vor Hunger kaum mehr auf den Beinen halten.“ „Rühre mein Kind nicht an, Iwan – Zarensohn, es wird eine Zeit kommen, da ich dir nützen kann.“ „Schön, mag es geschehen, wie du sagst!“
Hungrig zog er fürbaß. Als er so ausritt, stand da miteins das Haus der Baba – Jaga, umgeben von zwölf Pfählen, auf elf steckten Menschenschädel, ein einziger war noch frei.
„Sei gegrüßt, Großmutter!“ „Sei gegrüßt, Iwan – Zarensohn! Kommst du aus eigenem Begehren oder auf höheren Willen?“ „Bin gekommen, um mir bei dir ein Reckenpferd zu verdienen.“ „Oh, Zarensohn, brauchst mir kein Jahr zu dienen, mußt nur drei Tage die Pferde hüten. Wenn dir keine einzige Stute entkommt, lohne ich dir deinen Dienst mit einem Reckenpferd, gelingt es dir nicht, so mußt du es büßen: Dein Schädel soll auf dem letzten Pfahl stecken.“ Iwan – Zarensohn war es zufrieden. Baba – Jaga reichte ihm Speis und Trank und hieß ihn, sich ans Tagewerk zu machen. Kaum hatte er die Stuten aufs Feld getrieben, da reckten sie steil ihre Schwänze in die Höhe und verstreuten sich flugs über die Wiesen. Ehe es sich der Zarensohn versah, waren sie auf und davon. Iwan – Zarensohn brach in Tränen aus.
Zu Tode betrübt setzte er sich auf einen Stein und schlief ein. Als die liebe Sonne sich neigte, kam der fremdländische Vogel geflogen und weckte ihn: „Steh auf, Iwan – Zarensohn, die Stuten sind daheim.“
Der Zarensohn stand auf und kehrte zurück. Baba – Jaga aber schrie und schalt ihre Stuten:
„Warum seid ihr heimgekehrt?“ „Wie hätten wir nicht heimkehren sollen! Aus aller Welt kamen Vögel geflogen und hätten uns fast die Augen ausgepickt.“ Morgen verstreut euch nicht über die Wiesen, sondern flücjtet in die düsteren Wälder.“ Iwan – Zarensohn schlief in dieser Nacht fest. Morgens warnte ihn Baba – Jaga: „Hab acht, Zarensohn, wenn du die Stuten nicht hütest, wenn du auch nur eine einzige verlierst, so kommt dein toller Kopf auf den Pfahl.“ Er trieb die Stuten aufs Feld. Alsbald richteten sie die Schwänze steil in die Höhe und flüchteten in die finsteren Wälder. Abermals setzte sich der Zarensohn auf einen Stein, weinte und schlief schließlich ein.

Die liebe Sonne versank hinter dem Wald, da kam die Löwin angetrabt: „Steh auf, Iwan – Zarensohn, die Stuten sind alle beisammen.“ Iwan – Zarensohn stand auf und kehrt zurück.
Baba – Jaga aber schrei noch lauter als am ersten Tag und schalt ihre Stuten: „Weshalb seid ihr heimgekehrt?“ „Wie hätten wir nicht heimkehren sollen! Wilde Tiere aus aller Welt sind über uns hergefallen, sie hätten uns fast zerrissen!“ „So rettet euch morgen ins blaue Meer.“ Abermals schlief Iwan – Zarensohn in der Nacht. Morgens schickte ihn die Baba – Jaga, die Stuten hüten. „Wenn du sie nicht zu hüten vermagst, kommt dein widerspenstiger
Kopf auf den Pfahl.“ Er trieb die Stuten aufs Feld. Alsbald richteten sie die Schwänze steil
in die Höhe, waren seinen Blicken entschwunden und trabten zum blauen Meer.
Schon standen sie bis zum Halse im Wasser. Iwan – Zarensohn setzte sich auf einen Stein,
brach in Tränen aus und schlief ein. Als die liebe Sonne hinter dem Wald unterging, flog eine Biene herbei und sprach: „Steh auf, Zarensohn, die Stuten sind alle beisammen:
doch wenn du heimkehrst, komm Baba – Jaga nicht unter die Augen, sondern geh in den Pferdestall und verstecke dich hinter der Krippe. Dort erblickst du grindiges Fohlen im Pferdemist. Bring es an dich und verlasse um Mitternacht das Haus. Iwan – Zarensohn stand auf, schlich in den Pferdestall und legte sich hinter die Futterkrippe. Baba – Jaga aber schrie und schalt die Stuten aus: „Weshalb seid ihr heimgekehrt?“ „Wie hätten wir heimkehren sollen! Bienenschwärme zu Hauf aus aller Welt fielen über uns her. Sie haben uns bis aufs Blut gepiesackt und gestochen.“ Baba – Jaga schlief ein, um Mitternacht aber stahl Iwan – Zarensohn ihr grindiges Fohlen, sattelte es, schwang sich auf seinen Rücken und galoppierte zum Flammenfluß. Dort schwenkte er das Tuch nach rechts, da führte eine hohe feste Brücke über den Fluß. Der Zarensohn ritt über die Brücke und schwenkte das Tuch links, doch nur zweimal – da blieb ein morsches schmales Brücklein zurück. Morgens, als Baba – Jaga erwachte, war das grindige Fohlen verschwunden!
Sie nahm alsogleich die Verfolgung auf. Ritt auf eisernem Mörser daher, stieß sich mit dem Stößel ab und verwischte mit dem Besen dieSpur. Als sie Flammenfluß erreichte, sah sie sich um und dachte: Ach, ist dort eine schöne Brücke! Sie preschte auf die Brücke, doch als sie die Mitte erreichte, barst das Gebälk, und Baba – Jaga stürzte kopfüber in den Fluß. So mußte sie den bitteren Tod erleiden. Iwan – Zarensohn ließ das Fohlen auf grünen Wiesen weiden, da wurde es zu einem kräftigen, stattlichen Roß. Der Zarensohn ritt zu Marja Morewna. Sie lief aus dem Haus und fiel ihrem Herzallerliebsten um den Hals. „Wie hat dich der liebe Gott nur zum Leben erweckt?“ „So und so ist es geschehen“, erzählte er, „doch nun komm und folge mir.“ „Ich hab solche Angst, Iwan – Zarensohn, wenn Koschtschej uns einholt, wird er dich abermals in Stücke schlagen!“ „Nein, jetzt kannst er uns nimmermehr einholen!
Jetzt besitze ich ein stattliches Reckenpferd, das wie ein Vogel dahinfliegt.“ Sie bestiegen das Roß und ritten davon. Koschtschej der Unsterbliche kehrte heim, da scheute sein Roß.
„Was scheust du so zurück, unersättliche Schindmähre? Oder witterst du ein Unglück?“
„Iwan – Zarensohn ist hergekommen und hat Marja Morewna mit sich genommen.“
„Sind sie noch einzuholen?“ „Das weiß Gott allein, Iwan – Zarensohn besitzt ein Reckenpferd, kräftiger als ich es bin.“ „Nein, ich will es nicht dulden“, schrie Koschtschej der Unsterbliche, „ich nehme die Verfolgung auf!“ Ob nach langer oder nach kurzer Zeit, endlich holte er Iwan – Zarensohn ein, sprang aus dem Sattel und schickte sich an, ihn niederzumähen. Da schlug das Roß von Iwan – Zarensohn aus und zertrümmerte mit einem Huf dem Bösewicht den Schädel. Der Zarensohn aber gab Koschtschej dem Unsterblichen mit seinem Streitkolben den Rest. Alsdann stapelte der Zarensohn Holzscheite auf, zündete ein Feuer an, verbrannte Koschtschej den Unsterblichen auf dem Scheiterhaufen und verstreute die Asche in alle Winde. Marja Morewna bestieg Kochtschejs Pferd, Iwan – Zarensohn das seine, und sie ritten von dannen. Sie weilten zu Gast beim Raben, alsdann beim Adler und schließlich beim Falken. Überall wurden sie mit Freuden empfangen. „Ach, Iwan – Zarensohn, wir hatten kaum mehr gehofft, dich wiederzusehen, Doch du hast nicht umsonst all die Mühen auf dich genommen. Ein so schönes Weib gibt es nimmermehr auf der großen weiten Welt!“ Sie waren hochgeachtete Gäste, feierten fröhliche Feste und kehrten schließlich heim in ihr Reich. Dort lebten sie in Reichtum und Freud lange Zeit und labten sich an Bier und Honigwein.
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Märchen der Völker der RSFRS

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