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Märchenbasar

Mikko

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Ein Mann war in den Wald gegangen. Dabei geriet er in eine undurchdringliche Wüste. Plötzlich begegnete ihm die Waldfee Tapiotar und redete ihn an: „Wenn du mit mir gehst, dann wird dir nichts geschehen. Kommst du jedoch nicht gutwillig mit, dann töt ich dich auf der Stelle.“ Der Mann erschrak über diese harten Worte der Tapiotar, brachte aber nicht den Mut auf, sich zu widersetzen, sondern ging willig mit ihr mit. Nachdem sie eine Zeitlang durch den düsteren Wald gezogen
waren, gelangten sie nach Tapio. Tapiotar sagte: „Hier kannst du jetzt schalten und walten, wie es dir gefällt; nur mußt du mir treu bleiben.
Aber wenn du mich betrügst, oder zu entfliehen versuchst, dann werde ich dich sofort umbringen.“ Der Mann sah keinen anderen Ausweg; drum unterwarf er
sich dem Willen Tapiotar und nahm sie zur Frau. Sie lebten einige Zeit zusammen, und Tapiotar gebar einen Sohn, den sie Mikko nannten. Als der Junge heranwuchs, wurde er so groß und kräftig, daß es weder Worte gibt noch Verse, es zu beschreiben. Eines Tages war ihnen das Brot ausgegangen, und Tapiotar schickte sich an, etwas zu besorgen. Doch bevor sie sich auf den Weg machte, sagte sie warnend: „Wenn ich fort bin, dürft ihr euch nicht aus dem Haus entfernen, denkt daran!“ Vater und Sohn versprachen auch daheim zu bleiben. Aber kaum hatte Tapiotar den Hof verlassen, da kam Mikko schon zu seinem Vater gelaufen und
redete auf ihn ein: „Väterchen, ich sehne mich danach, dein Land kennenzulernen. Laß uns gehen und deine Heimat besuchen!“ – „Ach, mein
Sohn“, sprach der Vater, „auch ich habe Sehnsucht, meine alte Heimat wiederzusehen. Aber vergiß nicht, deine Mutter hat uns verboten, das Haus zu verlassen.“
Doch Mikko wollte nichts davon wissen und ließ dem Vater keine Ruhe, bis er schließlich dem Verlangen seines Sohnes nachgab. So flohen sie also
zusammen. Sie waren noch nicht weit gekommen, als Tapiotar vom Brot holen zurückkehrte. Da sie im Hause niemand antraf, ahnte sie sofort, was geschehen war, und machte sich auf die Verfolgung der Flüchtigen. Sie brauchte nicht lange, um ihren Mann und ihren Sohn einzuholen. Wutentbrannt vertrat sie ihnen den Weg und schrie: „Warum seid ihr geflohen? Habe ich euch nicht verboten fortzulaufen?“ Da war der Vater vor Schreck gelähmt, so daß er kein Wort hervorbringen konnte. Mikko dagegen faßte sich eine Herz, stellte sich der Tapiotar entgegen und rief: „Gib den Weg frei!“ da wurde Tapiotar noch wilder,
und sie packte ihren Sohn heftig bei der Hand. Doch Mikko litt so etwas nicht, sondern stieß die Rasende gegen einen Zaun, daß ihr die Knochen nur so krachten.
Dann setzte er den Weg mit seinem Vater fort. Endlich erreichten sie ihr Ziel. Hier lebte der Vater mit seinem Sohn in dem Haus, in dem er früher gewohnt hatte.
Mikko wuchs allmählich zum Jüngling heran und wurde immer stärker und stärker. Zuletzt wußte er gar nicht mehr, was er vor lauter Kraft anstellen sollte.
Eines Tages streifte er draußen umher und beteiligte sich auch an den Spielen der anderen Burschen und Mädchen. Sie begannen mit Ballwerfen. Als Mikko an der Reihe war, schluderte er den Ball gegen ein Mädchen, daß er ihm den Hals dabei traf. Darauf gingen die Leute aus dem Dorfe zu seinem Vater und beklagten sich: „Schaff uns deinen Jungen vom Hals, sonst bringt er noch alle Kinder um!“ Der Vater stellte Mikko zur Rede und tadelte ihn: „Was hast du angerichtet, mein Sohn? Nimm dich in acht!“ „Ich habe doch den Ball nur nach der Regel geworfen“, verteidigte sich Mikko. „Aber vielleicht war der Wurf zu scharf.“ Nach diesem Vorfall sagte sich der Vater: Ich müßte den Jungen tüchtig arbeiten lassen, damit er nicht auf den Gedanken kommt, dumme Sachen anzustellen.
Aus diesem Grunde macht er ihm einen Vorschlag: „Geh hin, mein Sohn, und hole mir eine Fuhre Holz aus dem Wald, damit wir die Badestube heizen können!“ „Das ist bald getan“, willigte Mikko ein, „aber wo steht der Schlitten und wo ist das Geschirr für das Zugtier?“ – „Es ist alles vorhanden“, antwortete der Vater und gab seinem Sohn Schlitten und Geschirr. So fuhr denn der Junge in den Kiefernwald, wo die stärksten Stämme standen. Dort erkannten ihn die Tiere des Waldes als Sohn der Tapiotar und griffen ihn an. Aber Mikko hatte keine Furcht, sondern wehrte sich wacker und tötete viele von ihnen. Jetzt bekamen die Tiere Angst und baten den Burschen inständig: „Verschone uns, lieber Junge, wir wollen dir auch zu Diensten sein!“ – „Schön, ihr sollt am Leben bleiben“, ließ Mikko sich erweichen, „aber ihr müßt mir ein paar Fuhren Holz nach Hause schaffen.“ Und dann suchte er sich das schnellste und stärkste Tier des Waldes aus und schirrte es an seinen Schlitten. Darauf fällte Mikko eine riesige Kiefer, lud sie mitsamt den Ästen auf den Schlitten und schaffte sie heim. Auf dem Hofe angelangt, sprang er ab und rief: „Väterchen, hier hast du Holz, und hier ist auch ein Pferd für dich!“ – „Wenn es dir gelungen ist, dieses Tier einzuspannen, mein Sohn, dann sollst du es behalten“, antwortete der Vater. „Mit so einem Pferd weiß ich nichts anzufangen.“ Es dauerte nicht lange, da ging Mikko hinaus und spielte Ballwerfen. Aber als er den Ball schleuderte, wollte es der Zufall, daß er ein Mädchen unglücklich traf und ihm dabei das Bein brach. Diesmal kamen wieder Leute aus dem Dorf zu seinem Vater und beschwerten sich: „Schaff uns deinen Jungen vom Hals, sonst wird er uns noch alle verderben mit seiner rohen Kraft!“
Der Vater war sehr ungehalten über das Treiben seines Sohnes, doch da er sich nicht anders zu helfen wußte, stellte er ihm wiederum eine Aufgabe und sprach: „Du gehst jetzt zum Teich und fängst Fische, damit wollen wir mal eine ordentliche Fischsuppe zu essen bekommen.“ – „Gern, Väterchen, gib mir nur Pferd und Wagen aus dem Stall, damit ich die Fische nach Haus schaffen kann“, erwiderte Mikko. „Bald werden wir genug Fische zu essen haben.“ Da schirrte der Vater das Pferd an, Mikko fuhr zum Teich und nahm Haken mit. Sobald er am Ufer war, schlug er sich eine Fichte als Angelrute ab und warf dann den Köder aus. Er wartete geduldig auf einen Biß, und plötzlich hatte er den Wassergeist Weteinen an der Angel. Mikko zog ihn an Land und bearbeitete ihn unbarmherzig mit dem Angelstock. Weteinen wand sich und schrie und flehte schließlich um Gnade: „Laß mich leben, ich will es dir lohnen!“ – „Abgemacht!“ willigte Mikko ein.
Wenn du mir eine Fuhre Fische aus dem Teich holst, damit mein Vater Fischsuppe bekommt, dann lasse ich dich los.“ Mit diesen Worten warf Mikko den Wassergeist mit dem Haken im Maul in den Teich zurück. Weteinen hatte keine andere Wahl. Er holte einen Arm voll Fische und trug sie an Land. Doch Mikko hob die Last nur an und befahl: „Schaff mir noch eine solche Ladung her, das langt bis jetzt noch nicht zu einer Fuhre für einen Mann!“
Der Wassergeist mußte also noch einmal in den Teich tauchen und brachte bald darauf den zweiten Arm voll Fische ans Ufer.
„Gut gemacht, nun wird’s wohl reichen!“ lobte Mikko den wassertriefenden Geist. „Jetzt mußt du mir diesen Fang Fische auch nach Hause tragen.“ Weteinen blieb nichts anderes übrig. Er lud sich die ganze Last auf den Rücken, und so kamen sie denn zusammen auf dem Hof an. Als sie sich dem Haus näherten, rief Mikko schon von weitem: „Väterchen, nun hast du Fische und auch gleich einen Koch dazu!“ Der Vater machte große Augen, als er die Beute und den Träger sah, und sagte: „Wenn du dieses Geschöpf gefangen hast, dann sollst du es auch selber behalten. Ich weiß nichts anzufangen mit einem Gehilfen!“ Nachdem einige Zeit vergangen war, trieb es Mikko zum dritten Mal hinaus. Wieder spielte er Ballwerfen mit den anderen jungen Leuten. Er warf den Ball nach einem Mädchen und traf es heftig in die Seite. Abermals liefen die Leute zu seinem Vater und verlangten von ihm: „Schaff uns endlich deinen Sohn vom Hals, sonst bringt er uns alle um mit seiner rohen Kraft!“
Jetzt machte sich der Vater die größten Sorgen wegen seines Sohnes und wußte nicht, wie er ihn von seinen gefährlichen Taten abbringen sollte. Zuletzt, nachdem er lange überlegt hatte, beschloß er, ihn auf eine weite Reise zu schicken. „Der König der Waräger“, so sprach der Vater“, schuldet mir schon seit drei Jahren zwei Scheffel Geld. Darum ziehe aus, mein Sohn, um diese Summe einzutreiben.“ Der junge Mann war bereit und machte sich reisefertig.
Mikko spannte nun das Tier aus dem Walde an, setzte sich in den Schlitten und gab dem Wassergeist Weteinen die Zügel in die Hand. So fuhr er viele, viele Tage, bis er ins Land der Waräger kam. Donnernd raste der Schlitten auf den Schlosshof, so daß die Wände zu schwanken begannen. Darüber erschrak der Warägerkönig nicht wenig, und er fürchtete sogar, der Palast könnte einstürzen. Er befahl seinen Dienern: „Erkundigt euch bei dem Reisenden nach seinem Anliegen und gebt ihm, was er begehrt, damit er nur weiterzieht.“ Die Bedienten liefen schnurstracks zu Mikko. Als sie sahen, was für ein Pferd und was für einen Kutscher er hatte, fürchteten sie sich und fragten ängstlich: „Fremder Mann, was verlangst du?“ – „Ich habe zwei Scheffel Silber von eurem König einzufordern“, entgegnete Mikko kühn. Eingedenk des Befehls ihres Herrn, brachten die Diener, ohne zu zögern, die beiden Säcke mit Geld. Mikko lud sie auf seinen Schlitten und fuhr geradewegs heim. Auf dem eigenen Hof angelangt, schirrte er das wilde Tier ab und jagte es in den Wald zurück. Den Wassergeist Weteinen aber entließ er in seinem Teich. Darauf begab er sich zu seinem Vater und sprach: „Väterchen, hier hast du das Geld, daß du mich aus dem Land der Waräger holen ließest.
Nimm es in Empfang!“ Was sollte der Vater nun dazu sagen? Er hatte damit gerechnet, sein Sohn würde von dieser Reise gar nicht zurückkehren. Aber auch das Geld war ihm sehr willkommen. So mußte er sich denn bei Mikko geziemend bedanken, weil er seinen Auftrag so schnell und gründlich erledigt hatte. Lange Zeit gab es für den Vater keinen Verdruß wegen seines Sohnes. Doch Mikko wurde das Leben daheim allmählich langweilig. An den Spielen fand er keinen rechten Gefallen mehr, weil sie stets so unglücklich ausgegangen waren. Eines Tages trat er vor den Vater hin und sprach: „Väterchen, schaff mir einen Ranzen, ich habe Lust mir die Welt anzusehen!“ Dieser Wunsch war ganz nach des Vaters Sinn. Er fertigte einen ledernen Ranzen an und gab ihn seinem Sohn. Mit dem Ranzen auf dem Rücken machte Mikko sich nun auf den Weg. Lange wanderte er durch die Länder, bis er an einen hohen Berg kam. Dort stand ein junger Mann auf dem Gipfel und schlug zwei Felsen zusammen. Als er Mikko gewahrte, begrüßte er ihn und rief: „Willkommen, Mikko, nimm mich mit, ich will dein Kamerad sein!“ Mikko willigte ein: „Komm mit, du scheinst ein starker Bursche zu sein. Es ist sicherer, zu zweit durch die Lande zu ziehen.“ Da stieg der Mann vom Berg herab und schloß sich Mikko an. Sie waren erst eine kurze Strecke gemeinsam gewandert, da entdeckten sie einen Jüngling der zwei Flüsse mit den Händen zusammendrückte. Neugierig näherten sie sich ihm. Der Mann hielt in seiner Tätigkeit inne und sagte zu Mikko: „Willkommen, Mikko, möchtest du mich nicht als Kameraden mitnehmen?“ – „Komm ruhig mit, wenn du willst“, willigte Mikko ein, „ein guter Weggefährte kann niemals schaden.“ So setzten sie zu dritt die Reise fort. Kaum waren sie ein Stück gegangen, da gerieten sie in einen finsteren Wald. Schon von ferne erblickten sie etwas, das wie ein Gebäude aussah. Als sie näher herankamen, war es wirklich ein Haus, zu klein für ein Schloß, zu groß für ein gewöhnliches Bauernhaus. Sie betraten den Hof, fanden einen überdachten Pferch mit Rindern und hielten das Haus für bewohnt. Aber als sie hineingingen, trafen sie keine Menschenseele an. Das ganze Gebäude stand leer.
Die jungen Männer waren müde vom Marschieren und hatten Hunger. Zunächst warfen sie sich nieder und ruhten sich aus.
Später berieten sie, woher sie sich etwas zu essen beschaffen konnten. „Das Haus ist verlassen“, sagte Mikko. „Wir schlachten einfach eine Kuh!“ Dieser Rat war ganz nach dem Sinn der beiden Begleiter. Sofort begaben sie sich in die Pferch, suchten sich das beste Rind aus und schlachteten es.
Dann überließen sie dem Felsenschläger das Ausweiden und Zurichten, während sie in den Wald gingen, um Brennholz zu schlagen. Das Haus im Walde gehörte der garstigen Hexe Syöjatar, der Gefräßigen. Als sie heimkam, fand sie den Burschen bei der Zubereitung des Fleisches.
„Wie kommst du hier herein, du Aasknochen?“ schrie sie ihn an. „Was fällt dir ein, in meinem Haus zu braten und zu kochen!“ Mit diesen Worten packte sie den Burschen und zerrte ihn in eine Ecke. Hier befand sich eine Öffnung in dem Wandbalken. Mit einer Hand hob sie den schweren Riegel hoch und ließ den Kopf des Opfers in ein Loch fallen. Dann ging sie zum Herd, untersuchte die Suppe, stopfte sich den Bauch voll Fleisch und ging hinaus.
Der junge Mann wand und drehte sich solange unter dem Riegel, bis er sich schließlich aus der Falle befreit hatte.
Daraufhin nahm er die übriggebliebenen Knochen und kochte aus ihnen noch einmal Suppe. Als er fertig war, begab er sich auf den Hof und rief die beiden anderen zum Essen. Schnell kamen die Kameraden aus dem Wald herbeigeeilt und fielen über die Suppe her, denn sie waren sehr hungrig. Aber die Mahlzeit wollte ihnen trotzdem nicht recht munden, und sie erkundigten sich bei ihrem Koch: „Warum ist das essen so mager? Wir haben doch die Kuh geschlachtet!“ – „Das Haus ist alt, und beim Kochen hat der Herd so gewackelt, daß der Kessel umgekippt ist“, redete sich der Felsenschläger aus. „Darum habe ich die Suppe
noch einmal aufgesetzt, und sie ist nicht mehr so gut geworden.“ Nun mußten sie sich also mit dem zufrieden geben, was sie vorgesetzt bekamen, und wurden an diesem Tag schlecht und recht satt. Am nächsten Morgen wurde wieder ein Rind aus dem Pferch geschlachtet, und der Flüssedrücker blieb zurück, um zu kochen. Die beiden anderen gingen Holz schlagen wie am Tag zuvor. Während der Bursche beim Kochen war, trat abermals Syöjatar, die Gefräßige in
die Küche. „Wirtschaftet hier schon wieder so ein Lumpenkerl herum, obwohl ich es verboten habe!“ brüllte sie. Und riß den Mann in die Ecke und steckte den Kopf durch das Loch. Dann füllte sie sich den Bauch mit Brühe und Fleisch und schlurfte von dannen. Dem Jungen gelang es ebenfalls sich zu befreien. Schnell nahm er den Rest Suppe und was die Gefräßige noch übriggelassen hatte und kochte alles noch einmal. Dann rief er die beiden Kameraden aus dem Wald zum Essen, und bald saßen alle am Tisch. Kaum hatten sie gekostet, da begannen sie zu schimpfen: „Wie kommt es, daß das Zeug so dünn ist, obwohl wir eine
kräftige Kuh erledigt haben!“ – Aber auch der Flüssedrücker antwortete ähnlich wie gestern der Felsenschläger: „Beim Kochen zitterte das Haus, wobei der Kessel umgekippt ist. Da ich alles noch einmal zubereiten mußte, wurde die Suppe natürlich nicht mehr gut.“ Da war nichts zu machen. Sie verbrachten auch diesen Tag, legten sich abends nieder und schliefen bis der Morgen graute. Nun plagte sie mächtig der Hunger, weil sie zwei Tage lang nur sehr karge Mahlzeit gehabt hatten. Und wieder mußte eine Kuh aus dem Viehhof herhalten. Jetzt war Mikko an der Reihe das Essen zuzubereiten, und die beiden anderen gingen in den Wald an ihre Arbeit. Beim Kochen wurde Mikko die Zeit lang. Während die Suppe im Kessel brodelte, fertigte er sich eine Kantele an, ein zitterähnliches Musikinstrument, mit fünf Saiten. Da in der Stube kein Stuhl stand, holte er vom Hof einen großen Eichtrog, den er umgekehrt auf den Fußboden stellte. Auf den Trog legte er die Kantele und fing an zu spielen. In dem Augenblick kam die Gefräßige in die Stube gestürzt und kreischte: „Oho, du bist selbst gekommen, Mikko, um in meinem Haus Krach zu machen!“ – „Na, na, nur nicht so laut, liebe Alte“, sagte Mikko. „ich spiele doch bloß ein Stückchen für deine Kinder. Wo sind sie denn, die
lieben Kleinen?“ Da wurde die Gefräßige noch wütender und schrie in ihrem Zorn: „Was kümmert mich dein Spiel, du Aasknochen, mach dich bereit zum Kampf!“ Da riß Mikko die Geduld. Er bekam die Alte zu fassen, drückte sie, und steckte sie unter den Eichtrog, der umgekehrt auf dem Boden stand. Alsdann kochte Mikko in aller Ruhe seine Suppe fertig und rief die Gefährten zum Essen. Sie kamen sofort aus dem Wald, und man setzte sich gemeinsam an den Tisch. „Ist die Suppe diesmal gut geworden?“ erkundigte sich Mikko bei seinen Kameraden. „Jawohl, ganz ausgezeichnet!“ lobten sie und priesen Mikkos Kochkunst.
Nach dem Essen stand Mikko auf, hob den Trog an und sprach: „Da sitzt die Hexe, die das Haus wackeln ließ. Warum habt ihr mich nicht vor ihr gewarnt? Jetzt steht das Haus fest; wir aber wollen gehen, denn wir haben hier nichts mehr zu suchen.“ Die anderen schämten sich, wagten nicht, den Mund aufzumachen, sondern setzten die Reise mit Mikko wortlos fort. So zogen sie dahin, wanderten immer weiter und fanden im Wald eine Grube, die so tief war, daß man den Boden nicht erkennen konnte. „Man müßte doch mal feststellen, was dort unten ist“, meinte Mikko. „Aber wie kommen wir bis auf den Grund?“ Sie überlegten hin und
her, und schließlich wußten die Gefährten Rat: „Wir haben doch die drei Rinderhäute aus dem Haus der Gefräßigen mitgenommen. Wie wär’s, wenn wir aus ihnen einen Strick machten, an dem wir uns hinunterließen?“ Auch Mikko fand den Vorschlag gut. Also machten sie aus den Häuten einen Strick. Sie schnitten so viele Riemen, wie sie nur aus den Häuten herausbekamen,damit sie wirklich bis auf den Grund reichten. Unten aber banden sie eine Art Wiege an.
Als der Strick fertig war, fragte Mikko: „Wer von uns steigt nun in diese Wiege?“ „Setz dich selbst hinein, Mikko“, forderten ihn die Kameraden auf. „Wir sind unerfahrene Leute, wir ziehen alles nach oben, was du in die Wiege tust.“ „Einverstanden“, sagte Mikko, stieg ein befahl den anderen, ihn an den Riemen hinabzulassen. Die beiden Gefährten taten wie ihnen geheißen, und Mikko sank tiefer und tiefer, bis er sich tief in der Erde befand.
Plötzlich tat sich vor seinen Augen eine ganz fremde Landschaft auf. Da dehnte sich eine weite Wasserfläche wie ein Meer. An der Küste stand ein Haus. Mikko stieg aus der Wiege und begab sich in das Haus. Hier traf er eine überaus schöne Jungfrau mit leuchtenden Kleidern.

Und sie sang: Webt in ein Gewand aus Goldstoff Silberseidenfäden hinein. Goldglanz gleißt
auf ihren Händen, Silberschein umspielt die Füße, lichtes Leuchten strahlt vom Scheitel,
mondscheinhell die Schläfen schimmern, Sterne steigen von den Schultern, hoch zum Himmel
hebt sich empor vom Nacken das Siebengestirn.“

Als das Mädchen Mikko sah, erschrak es jäh und sprach: „Ach, du Unbekannter aus fremdem Land, Unglückseliger, wie bist du hierher geraten? Wenn meine Mutter heimkehrt, wird sie dich umbringen.“ – „Ich habe noch keinen Mann getroffen, der sich mit mir messen konnte“, erwiderte Mikko. Und Mikko erzählte dem Mädchen, wie er in einer Wiege aus Rinderhaut von der Oberwelt herniedergefahren war. Die Jungfrau hatte Mitleid mit Mikko, denn sie war ihm wohlgesinnt. Sie führte den Jüngling in ihre Kammer, versteckte ihn unter Kleidungsstücken, damit die Mutter ihn nicht fände, und verriegelte die Tür. Bald darauf kam die Alte heim und fuhr ihre Tochter schon auf der Schwelle an: „Wo hast du den Bengel gelassen? Er ist eben hier hereingekommen. Hol ihn aus seinem Versteck, er soll mit mir
kämpfen!“ Da half dem Mädchen kein Leugnen mehr, es mußte den jungen Mann preisgeben. Und es kam sogleich zu einem fürchterlichen Handgemenge mit der Alten. Aber am Ende trug Mikko den Sieg davon und tötete die Alte. Nach ihrer Befreiung war die Jungfrau ihrem Retter in Liebe zugetan, und sie wurde Mikkos Frau. Sie beschlossen die Oberwelt aufzusuchen. Das ganze Hab und Gut, das das Mädchen im Hause hatte, Gold und Silber, alles nahmen sie
mit. Sie trugen es zum Grund der Grube, wo noch die Wiege aus Rinderhaut hing. Sie packten sie voll. Mikkos Kameraden wanden die Wiege hoch, luden sie aus und ließen sie immer wieder leer hinabgleiten. Nach geraumer Zeit hatten sie alle Habe hochgezogen. Als dann die leere Wiege wieder unten war und es nichts mehr einzuladen gab, sprach Mikko zu seiner Frau: „Nun setz dich selbst hinein, meine Liebe, damit du von hier fortkommst, und nach dir bin ich dann an der Reihe.“ Die junge Frau stieg ein, und man zog sie nach oben. Dann schwebte die Wiege wieder hernieder, und nun trat Mikko selbst die letzte Fahrt nach oben an.
Abermals wanden seine beiden Gefährten die Wiege hoch, doch als sie bereits ein gutes Stück gehoben war, sprach der eine zum anderen: „Wenn Mikko aus der Grube heraufkommt, wird er uns vielleicht nichts von seinen Schätzen abgeben, sondern uns selbst in die Tiefe stürzen. Wir wollen ihn also lieber in die Grube fallen lassen und alles für uns behalten. – Der Kumpan war gleich mit diesem Vorschlag einverstanden. Im nächsten Augenblick schnitten sie die Riemen durch, an denen die Wiege hing, und Mikko stürzte hinab. Was sollte er nun anfangen? Betrübt wanderte Mikko unter der Erde am Meeresgestade entlang. Da sah er einen großen Vogel am Himmel fliegen und rief ihn an: „Komm her, lieber Vogel!“ Der Vogel änderte die Richtung, ließ sich bei ihm nieder und sprach: „Sei gegrüßt, Mikko, was hast du im Sinn?“ – „Ich überlege, wie ich nach Hause kommen kann“, entgegnete Mikko. „Bring mich heim, lieber Vogel!“ Der Vogel hatte ein Einsehen, nahm ihn allsogleich auf seinen Rücken und erhob sich in die Luft. Sie flogen und flogen unermeßliche Strecken, bis sie schließlich in die Gegend kamen, in der Mikko mit seinen Gefährten Holz geschlagen hatte um das Rindfleisch zu kochen. Hier setzte ihn der Vogel ab und fragte: „Kennst du den Platz, an dem du dich befindest?“ Mikko sah sich nach allen Seiten um, erkannte bald den Ort und rief: „Jetzt weiß ich, wo ich bin, lieber Vogel, ich danke dir für deinen Dienst!“ Darauf schieden sie voneinander, und der Vogel schwang sich in die Lüfte. Nun begab sich Mikko zu der Grube, an der er die beiden Kumpane zurückgelassen hatte. Als er sich der Stelle näherte, hörte er von weitem schon das Geschrei an der Grube.
Sobald er dichter herangekommen war, hörte er, wie der Felsenschläger und der Flüssedrücker miteinander stritten. „Nimm Gold und Silber, laß mir das Mädchen dafür!“ schrie einer von ihnen. Sie konnten sich beim Teilen der Beute, die sie zutage gefördert hatten, nicht einig werden. Da sprang Mikko unter sie und rief: „Hallo, liebe Freunde, hier seid ihr ja, und ich bin auch noch da!“ Mit diesen Worten packte er den einen und der einen, den anderen mit der anderen Hand und schleuderte sie beide in die Grube. „Fahrt wohl, ihr Brüder!“ schrie er ihnen nach. „Wie es mir ging, soll’s euch auch gehen!“ So stürzten die beiden kopfüber in die Unterwelt, und seitdem hat man sie weder gesehen noch etwas von ihnen gehört. Mikko aber nahm nun seine Schätze und zog mit seiner jungen Frau in das Haus der Gefräßigen. Sie richteten es sich herrlich ein und lebten einträchtig zusammen.

Märchen aus Finnland

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