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Märchenbasar

Murmel Gänseei

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Es waren einmal fünf Frauen, die standen auf einem Acker und mähten; keine von ihnen hatte ein Kind, und jede wünschte sich eins. Da sahen sie auf einmal ein unerhört großes Gänseei, fast so groß wie ein Mannskopf. »Ich habe es zuerst gesehen«, sagte die eine. »Ich habe es zur gleichen Zeit gesehen wie du«, schrie die andere. »Aber ich will es haben, denn ich habe es zuallererst gesehen«, behauptete die dritte. So machten sie weiter und stritten sich so sehr um das Ei, daß sie sich fast in die Haare kamen. Schließlich einigten sie sich darüber, daß es ihnen allen fünf gehören sollte, und alle sollten sich daraufsetzen, wie es die Gans macht, und das kleine Gänschen ausbrüten. Die erste blieb acht Tage darauf sitzen und brütete und rührte sich nicht und tat gar nichts, während der Zeit mußten die anderen für sich und sie zugleich um Nahrung sorgen. Darüber war eine böse geworden und fing an zu schelten.
»Du bist auch nicht aus dem Ei gekrochen, ehe du Piep sagen konntest«, sagte die, die auf dem Ei saß und brütete. »Aber ich glaube fast, aus dem Ei kommt ein Menschenkind herausgeschlüpft, denn es murmelt da drinnen in einem fort: ‚Hering und Brei und Grütze und Milch’«, sagte sie; »jetzt setze du dich acht Tage darauf, dann bringen wir dir das Essen.«
Als die fünfte auch acht Tage daraufsaß, hörte sie ganz deutlich, daß ein Kind in dem Ei war, das immer rief: »Hering und Brei und Grütze und Milch«, und da klopfte sie ein Loch in das Ei; und statt eines Gänschens kam ein Kind heraus, und das war ganz entsetzlich häßlich, mit einem großen Kopf und kleinem Körper, und kaum war es ausgekrochen, so schrie es schon: »Hering und Brei, Grütze und Milch!« Da nannten sie das Kind Murmel Gänseei.
So häßlich das Kind auch war, so hatten die Frauen am Anfang doch ihre Freude daran; aber es dauerte nicht lang, so wurde es so gefräßig, daß es alles aufaß, was sie hatten. Wenn sie eine Schüssel Brei oder einen Topf Grütze kochten, der für alle sechs reichen sollte, so verschlang das Kind alles allein. Da wollten sie es nicht länger behalten. »Ich bin noch nicht ein einziges Mal satt geworden, seit der Wechselbalg ausgekrochen ist«, sagte eine von ihnen, und als Murmel Gänseei das hörte und die anderen zustimmten, sagte er, er wolle gerne seiner Wege gehen; »brauchten sie ihn nicht, so brauche er sie auch nicht«, und damit ging er davon. Schließlich kam er auf einen Bauernhof, der in steiniger Gegend lag, und fragte nach Arbeit. Ja, sie brauchten einen Arbeiter, und der Herr hieß ihn die Steine auf dem Acker zusammenlesen. Da sammelte Murmel Gänseei die Steine auf dem Acker; er hob welche auf, die waren so groß, daß viele Pferde sie nicht hätten schleppen können, und alle miteinander, ob groß oder klein, steckte er in seine Tasche. Es dauerte nicht lange, so war er mit seiner Arbeit fertig und wollte wissen, was er weiter tun solle.
»Die Steine auf dem Acker zusammenlesen«, sagte der Bauer, »du kannst doch unmöglich fertig sein, ehe du recht angefangen hast.«
Aber Murmel Gänseei leerte seine Taschen aus und warf die Steine auf einen Haufen. Da merkte der Bauer, daß er mit seiner Arbeit fertig war und daß man mit einem so starken Kerl behutsam umgehen müsse. Da sagte er denn, er solle hereinkommen und essen. Das war Murmel Gänseei recht, und er aß alles auf, was für die Bauersleute und das Gesinde reichen sollte, und dann war er erst halbsatt.
Das sei ein ganz prächtiger Arbeiter, aber auch ein gefährlicher Esser, wie ein Faß ohne Boden, meinte der Bauer. »Ein solcher Arbeiter könnte einen armen Bauern von Grund und Boden essen, ehe man es nur merkt«, sagte er. Er habe jetzt keine Arbeit mehr für ihn, es sei wohl am besten, wenn er auf das Schloß des Königs gehe.
Murmel Gänseei ging also zum König und wurde gleich angestellt; im Schloß gab es genug Essen und Arbeit. Er sollte Laufbursche sein und den Mädchen beim Holz- und Wasserholen helfen und andere kleine Arbeiten tun. Da fragte er, was er zuerst tun solle.
Vorläufig solle er Brennholz spalten, sagten sie. Da fing Murmel Gänseei an, Holz zu spalten, und hieb dermaßen drein, daß die Splitter nur so flogen; es dauerte nicht lange, so hatte er alles gespalten, was da war. Brennholz und Zimmerholz, Balken und Bretter, und als er damit fertig war, kam er und fragte, was er nun tun sollte.
»Du kannst das Brennholz fertig spalten«, sagten sie.
»Es ist nichts mehr da«, sagte Murmel Gänseei.
Das sei nicht möglich, sagte der Aufseher und sah im Schuppen nach. Aber doch, Murmel Gänseei hatte alles kurz und klein geschlagen, Balken und Bretter. Das war sehr schlimm, und deshalb sagte der Aufseher, Murmel Gänseei solle nichts zu essen bekommen, bis er draußen im Wald so viel Holz gefällt habe, wie jetzt zu Brennholz zerhackt sei.
Da ging Murmel Gänseei in die Schmiede und ließ sich vom Schmied eine Axt von fünf Zentner Eisen machen. Damit ging er dann in den Wald und fing an, Holz zu schlagen; er fällte dicke Tannen und Fichten, dick wie Mastbäume, und alles, was er auf des Königs Grund und Boden fand und auch auf dem des Nachbarn. Er schnitt aber weder Zweige noch Gipfel ab, so daß alles dalag, wie vom Sturm umgerissen. Dann lud er eine gehörige Fuhre auf den Schlitten und spannte die Pferde davor. Aber sie brachten die Last nicht vom Fleck, und als er sie beim Kopf faßte, um sie vorwärtszubringen, riß er ihnen die Köpfe ab. Dann zog er sie aus dem Geschirr heraus und ließ sie auf dem Feld liegen und spannte sich selbst ein und fuhr mit der Last allein ab.
Als er in das Königsschloß kam, stand der König mit dem Zimmermeister auf dem Hausgang und wollte ihm einen bösen Empfang bereiten, weil er im Walde so schlimm gehaust hatte. Der Zimmermeister war nämlich dort gewesen und hatte sich die Verwüstung angesehen. Aber als Murmel Gänseei mit dem halben Hochwald daherkam, kam dem König außer dem Zorn auch noch die Angst, und er dachte, wenn Murmel so stark sei, müsse man ihn behutsam anfassen.
»Du bist ja ein ausgezeichneter Arbeiter«, sagte der König, »aber sag mir, wieviel ißt du denn auf einmal«, fuhr er fort, »denn du bist doch gewiß hungrig?«
Wenn er genug Grütze bekommen solle, so müsse man zwölf Tonnen Mehl dazu nehmen; aber wenn er das gegessen habe, so könne er auch wieder eine Weile warten, sagte Murmel Gänseei.
Es dauerte eine Zeitlang, bis diese Portion Grütze gekocht war, und indessen sollte Murmel Holz in die Küche schaffen. Da packte er den ganzen Haufen Holz auf einen Schlitten, aber als er damit durch die Tür fuhr, ging er nicht eben sanft zu Werke. Das Haus ging fast aus den Fugen, und beinahe hätte er das ganze Schloß niedergerissen. Als schließlich das Essen fertig war, schickte man ihn hinaus aufs Feld, um das Gesinde hereinzurufen. Da rief er so laut, daß es in Berg und Tal widerhallte, aber die Leute kamen ihm doch nicht schnell genug herbei. Da fing er Händel mit ihnen an und erschlug ihrer zwölf.
»Zwölf Leute schlägt er mir tot«, sagte der König, »und essen tut er für zwölf mal zwölf, aber für wie viele arbeitest du?«
»Auch für zwölf mal zwölf«, sagte Murmel.
Als er gegessen hatte, sollte er in die Scheune und dreschen. Da zog er den Balken aus dem Dachfirst und machte sich einen Dreschflegel daraus, und als das Dach einstürzen wollte, nahm er eine Tanne mit allen ihren Ästen und Zweigen daran und setzte sie als Dachbalken ein. Dann drosch er Korn und Heu und Stroh auf einmal. Viel ging zugrunde. Denn Körner und Spreu wirbelten durcheinander, und es stand wie eine Wolke über dem Königsschloß.
Als Murmel Gänseei nahezu mit dem Dreschen fertig war, brach der Feind ins Land, und es gab Krieg. Da sagte der König zu Murmel, er solle Leute um sich sammeln und dem Feind entgegenziehen und ihn bekriegen; denn er dachte, die Feinde würden ihn wohl erschlagen.
Nein, sagte Murmel Gänseei, er wolle nicht, daß des Königs Leute totgeschlagen würden, er wolle schon allein mit den Feinden fertig werden.
Um so besser, dachte der König, da werde ich ihn ganz gewiß los! Aber eine tüchtige Keule brauche er, sagte Murmel. Da schickte man zum Schmied, und der schmiedete eine zwei Zentner schwere Keule. Die sei zum Nußknacken gut, sagte Murmel Gänseei. Da schmiedete er eine, die wog sechs Zentner; damit könne man gerade Schuhe nageln, sagte Murmel. Der Schmied aber sagte, eine größere könne er mit allen seinen Arbeitern nicht fertigbringen.
Da ging Murmel Gänseei selbst in die Schmiede und schmiedete sich eine Keule von dreißig Zentnern, und um diese auf dem Amboß umzudrehen, hätte man hundert Mann gebraucht. Diese ginge zur Not an, meinte Murmel. Dann wollte er noch einen Ranzen mit Mundvorrat. Aus fünfzehn Ochsenhäuten wurde er zusammengenäht und ganz mit Proviant vollgestopft, und dann wanderte Murmel mit dem Ranzen auf dem Rücken und der Keule über der Schulter den Berg hinunter.
Als er so nahe kam, daß die Kriegsleute ihn sehen konnten, ließen sie anfragen, ob er im Sinn habe, sie anzugreifen.
»Wartet nur, bis ich gegessen habe«, sagte Murmel und setzte sich hinter seinen Ranzen, um zu essen. Aber die Feinde wollten nicht warten und begannen auf ihn zu schießen; es regnete und hagelte ordentliche Flintenkugeln um Murmel her.
»Aus diesen Blaubeeren mache ich mir gar nichts«, sagte Murmel Gänseei und schmauste getrost weiter. Weder Blei noch Eisen konnte ihm etwas anhaben, und sein Ranzen stand vor ihm und hielt die Kugeln auf wie ein Wall.
Da fingen die Feinde an, Bomben zu werfen und mit Kanonen zu schießen. Er rührte sich kaum, wenn er getroffen wurde. »Ach, das macht nichts«, sagte er.
Aber da fuhr ihm eine Bombe in die falsche Kehle. »Pfui!« sagte er und spuckte sie wieder aus, und da kam eine Kettenkugel und flog in die Butterbüchse, und eine andere riß ihm den Bissen zwischen den Fingern weg.
Da wurde er zornig, stand auf, nahm seine Keule, schlug damit auf den Boden und fragte, ob sie ihm mit den Blaubeeren, die sie aus ihren groben Blasrohren herauspusteten, das Essen vom Munde wegnehmen wollten. Dann tat er noch ein paar Schläge, daß Berge und Hügel rings erbebten und die Feinde wie Spreu in die Höhe flogen, und damit war der Krieg zu Ende.
Als Murmel wieder zurückkam und neue Arbeit verlangte, wurde es dem König unheimlich, denn er hatte gemeint, er würde ihn nun ganz gewiß los. Er wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er ihn in die Hölle schickte.
»Du kannst jetzt zum Teufel gehen und den Tribut dort holen!« sagte der König. Murmel Gänseei zog ab mit dem Ranzen auf dem Rücken und der Keule über der Schulter. Er war bald an Ort und Stelle; aber als er hinkam, war der Teufel gerade bei einem Verhör. Es war niemand daheim als seine Großmutter, und die sagte, sie habe noch nie etwas von einem Tribut gehört, und er solle ein andermal wiederkommen.
»Ja freilich, komm morgen wieder«, sagte er, »diese Ausrede kenne ich schon«; aber jetzt sei er einmal da, nun bleibe er da, denn er müsse den Tribut heimbringen, und Zeit zu warten habe er ja. Aber als er seinen ganzen Mundvorrat aufgezehrt hatte, bekam er Langeweile und verlangte von der Großmutter den Tribut.
»Von mir bekommst du nichts, das steht so fest wie die alte Föhre draußen«, sagte des Teufels Großmutter. Die Föhre stand draußen vor dem Höllentor und war so groß, daß fünfzehn Mann sie kaum umspannen konnten. Aber Murmel kletterte hinauf auf den Gipfel und bog und schüttelte sie wie eine Weidengerte hin und her, und dann fragte er die Großmutter des Teufels noch einmal, ob sie jetzt den Tribut bezahlen wolle.
Nun wagte sie sich nicht mehr zu wehren und brachte so viel Geld zum Vorschein, als er nur in seinem Rucksack tragen konnte. Dann machte er sich mit dem Tribut auf den Heimweg, und kaum war er fort, kam der Teufel heim, und als er hörte, daß Murmel einen großen Sack voll Geld mitbekommen hatte, prügelte er erst seine Großmutter und setzte dann dem Murmel nach. Er erreichte ihn auch bald, denn er rannte über Stock und Stein und flog auch wohl zwischendurch, Murmel aber mußte sich mit dem schweren Ranzen auf der Landstraße halten. Als ihm aber der Teufel auf den Fersen war, fing er an zu rennen, so rasch er konnte, und streckte die Keule hinter sich, um sich den Teufel vom Leib zu halten, und so liefen sie hintereinander her: Murmel hielt den Schaft und der Teufel die Keule, bis sie an ein tiefes Tal kamen; da sprang Murmel von dem einen Berggipfel zum anderen hinüber, und der Teufel setzte ihm so hitzig nach, daß er auf die Keule rannte, ins Tal hinabstürzte und sich den Fuß brach. – Da lag er.
»Da habt Ihr den Tribut«, rief Murmel Gänseei, als er das Königsschloß erreicht hatte, und warf dem König den Ranzen voll Geld hin, daß das ganze Schloß wackelte.
Der König dankte ihm freundlich, versprach ihm auch einen guten Lohn und ein gutes Zeugnis, wenn er es verlange, aber Murmel wollte nur neue Arbeit haben.
»Was soll ich jetzt tun?« fragte er. Der König dachte eine Weile nach; dann sagte er, Murmel solle zu dem Bergtroll reisen, der ihm das Schwert seiner Ahnen geraubt habe; er wohne in einem Schloß am Meer, wo sich niemand hingetraue.
Murmel bekam in seinen großen Ranzen einige Fuder Proviant und machte sich wieder auf den Weg, er wanderte lange durch Feld und Wald, über Berg und tiefes Tal, bis er an ein großes Gebirge kam, wo der wohnen sollte, der das Schwert geraubt hatte.
Aber der Troll hielt sich nicht im Freien auf, und der Berg war zu, so konnte Murmel nicht hineinkommen. Da gesellte er sich zu einigen Steinbrechern, die an einer Berglehne arbeiteten, und schaffte mit ihnen. So tüchtige Hilfe hatten sie noch nie gehabt, denn Murmel hieb auf die Felsen los, daß sie zersprangen und Felsblöcke, so groß wie Häuser, herunterrollten. Als er sich aber ausruhen und das erste Fuder von seinem Mundvorrat in Angriff nehmen wollte, war es bereits aufgegessen. »Ich hab selbst einen guten Appetit«, sagte Murmel, »aber, wer hier darübergekommen ist, der kann es noch besser, denn er hat gleich auch die Knochen mitgegessen.«
So war es am ersten Tag, und am zweiten ging es nicht besser. Am dritten Tag ging er wieder an die Arbeit und nahm das dritte Fuder mit, legte sich dahinter und tat, als ob er schliefe.
Da kam aus dem Berg heraus ein Troll mit sieben Köpfen, der fing an zu schmatzen und von seinem Vorrat zu essen.
»Jetzt ist angerichtet, jetzt will ich essen«, sagte er.
»Das wollen wir erst sehen«, sagte Murmel und hieb mit seiner Keule auf den Troll los, daß ihm die Köpfe vom Rumpf flogen.
Dann ging er in den Berg hinein, wo der Troll herausgekommen war, und darinnen stand ein Pferd, das fraß aus einer Tonne voll glühender Asche, und hinter ihm stand eine Hafertonne.
»Warum frißt du nicht aus der Hafertonne?« fragte Murmel Gänseei.
»Weil ich mich nicht umdrehen kann«, sagte das Pferd.
»Ich will dich umdrehen«, sagte Murmel Gänseei.
»Reiß mir lieber den Kopf ab«, bat das Pferd.
Murmel tat es, und da wurde das Pferd zu einem stattlichen Mann. Der sagte, er sei von dem Troll verzaubert und in ein Pferd verwandelt worden. Dann half er Murmel das Schwert suchen, das der Troll unter dem Bett versteckt hatte. In dem Bett aber lag die Großmutter des Trolls und schnarchte.
Der Heimweg wurde zu Wasser zurückgelegt; als sie gerade abfuhren, kam die Alte hinter ihnen her; sie konnte ihnen aber nicht beikommen, und da fing sie an zu trinken, daß das Wasser abnahm und fiel. Aber schließlich konnte sie doch nicht das ganze Meer austrinken, und da zerplatzte sie.
Als sie an Land kamen, schickte Murmel zum König und ließ ihm sagen, er solle das Schwert holen. Der König schickte vier Pferde, aber die konnten es nicht von der Stelle bringen, er sandte acht, er sandte zwölf, aber das Schwert blieb, wo es war, und war auf keine Weise vom Fleck zu bringen. Aber Murmel Gänseei nahm es und trug es allein.
Der König traute seinen Augen nicht, als er Murmel wieder sah, aber er war sehr freundlich und verhieß ihm Gold und grüne Wälder. Als aber Murmel weitere Arbeit verlangte, sagte er, er solle auf sein Trollschloß reisen, wo sich niemand hingetraute, und solle so lange dort bleiben, bis er eine Brücke über den Sund gebaut hätte, daß die Leute hinüberkommen könnten. Wenn er das fertigbringe, so wolle er ihn gut belohnen, ja ihm sogar seine Tochter geben, sagte der König.
Das werde er schon fertigbringen, meinte Murmel.
Es war aber von dort noch nie ein Mensch lebendig zurückgekehrt; alle, die so weit gekommen waren, lagen tot und zu Brei zermalmt auf der Erde, und der König dachte, wenn er ihn dorthin schicke, würde er ihn nie mehr erblicken.
Aber Murmel machte sich auf den Weg; er nahm seinen Proviantranzen mit und einen gehörig gezerrten und gedrehten Föhrenklotz, auch eine Axt, einen Keil und einige Kienspäne nebst einem kleinen Betteljungen, der sich auf dem Schloß herumtrieb.
Als er an den Sund kam, war der Fluß voller Treibeis und rauschte daher wie ein Wasserfall. Er aber stemmte die Beine fest auf den Grund und watete durch, bis er hinüberkam.
Als er sich gewärmt und seinen Hunger gestillt hatte, wollte er schlafen; aber es dauerte nicht lange, so erhob sich ein Lärm und ein Dröhnen, als ob das ganze Schloß auf den Kopf gestellt werden sollte. Das Tor sprang sperrangelweit auf, und Murmel sah nichts als einen weit aufgerissenen Rachen, der von der Schwelle bis oben an den Türbalken reichte.
»Da hast du was, versuch einmal!« rief Murmel und warf den Betteljungen in den Rachen. »Wer bist du denn, laß einmal sehen? Vielleicht gar ein alter Bekannter?«
Und wirklich! Es war Herr Urian. Nun spielten die beiden miteinander Karten. Der Teufel wollte wohl gern etwas von dem Tribut zurückgewinnen, den Murmel seiner Großmutter für den König abgezwungen hatte. Aber er mochte spielen, wie er wollte, Murmel gewann stets, denn er machte ein Kreuz auf die Karten. Und nachdem er dem Teufel alles abgewonnen hatte, was dieser bei sich trug, mußte er ihm auch noch von dem Gold und Silber geben, das sich auf dem Schlosse befand.
Mitten im Spiel ging ihnen auf einmal das Feuer aus, so daß sie die Karten nicht mehr unterscheiden konnten.
»Nun müssen wir Holz spalten«, sagte Murmel. Er hieb seine Axt in den Föhrenklotz und trieb den Keil hinein, aber der Baumstumpf war zäh und wollte nicht gleich auseinandergehen, obwohl Murmel sich unter Fluchen abmühte.
»Du giltst doch für so stark«, sagte er zum Teufel. »Spuck in die Hände, hau deine Klauen hier hinein und reiße den Klotz entzwei, damit man sieht, was du fertigbringst!«
Der Teufel fuhr folgsam mit beiden Händen in den Spalt hinein und riß und zerrte aus Leibeskräften; aber plötzlich schlug Murmel Gänseei den Keil heraus, und nun saß der Teufel in der Klemme; dann bearbeitete er seinen Rücken mit der Axt.
Der Teufel jammerte und bat, Murmel möge ihn doch loslassen; aber Murmel wollte gar nicht hören, bis er ihm versprach, nie wieder herzukommen und den Störenfried zu spielen. Außerdem mußte er noch versprechen, eine Brücke über den Sund zu bauen, auf der man zu allen Jahreszeiten herüber und hinüber könne. Die Brücke aber sollte gleich nach dem Eisgang fertig sein.
»O weh«, sagte der Teufel, aber es blieb ihm nichts übrig, wenn er loskommen wollte, mußte er das Versprechen geben. Eine Bedingung stellte er aber doch: die erste Seele, die über die Brücke ginge, wollte er als Sundzoll haben.
Die könne er haben, sagte Murmel. Da durfte der Teufel heraus und rannte schnurstracks nach Hause. Murmel aber legte sich schlafen und schlief bis tief in den nächsten Tag hinein.
Als nun der König kam, um zu sehen, ob Murmel Gänseei zerschmettert am Boden liege oder nur zerbleut sei, mußte er durch lauter Geld hindurchwaten, um zu dem Bette zu gelangen; in Haufen und Säcken lag das Geld hoch an den Wänden hinauf, und in dem Bett lag Murmel und schnarchte.
»Gott sei mir und meiner Tochter gnädig!« rief der König, als er sah, daß Murmel Gänseei noch bei bestem Wohlsein war; ja, alles sei gut und wohl vollbracht, das könne niemand leugnen, sagte der König, aber von der Hochzeit könne noch keine Rede sein, solange die Brücke nicht fertig sei.
Eines Tages aber war die Brücke fertig; und darauf stand der Teufel, der seinen versprochenen Zoll in Empfang nehmen wollte.
Murmel Gänseei wollte, der König solle zuerst die Brücke mit ihm probieren; aber dazu hatte der König keine Lust; da setzte sich Murmel selbst auf ein Pferd und riß die dicke Viehmagd vom Schlosse vor sich auf den Sattelknopf – sie sah fast aus wie ein riesiger Holzklotz – und sprengte mit ihr über die Brücke, daß es nur so donnerte.
»Wo ist der Sundzoll? Wo ist die Seele?« schrie der Teufel. – »In dem Holzklotz sitzt sie! Wenn du sie haben willst, mußt du in die Hände spucken und sie packen«, sagte Murmel Gänseei. – »Nein, danke schön! Wenn sie mich nicht packt, packe ich sie gewiß nicht«, sagte der Teufel. »Einmal hast du mich in die Klemme gebracht, aber ein zweites Mal gehe ich dir nicht auf den Leim«, sagte er und flog stracks heim zu seiner Großmutter, und seither hat er sich weder hören noch sehen lassen.
Aber Murmel Gänseei kehrte eiligst ins Schloß zurück und begehrte den Lohn, den ihm der König versprochen hatte; und als der König zögerte und allerhand Ausreden vorbrachte, um sein Versprechen nicht halten zu müssen, sagte Murmel, es wäre am besten, wenn er sich einen ordentlichen Ranzen voll Mundvorrat zurechtmachte, denn nun wolle er, Murmel, sich seinen Lohn selbst nehmen. Das tat der König, und als der Ranzen bereit war, nahm Murmel den König mit vors Schloß hinaus und gab ihm einen ordentlichen Schubs, daß er hoch in die Luft hinaufflog. Den Ranzen warf er ihm auch noch nach, damit er nicht ganz ohne Proviant sei; und wenn er noch nicht wieder heruntergekommen ist, dann schwebt er mitsamt seinem Ranzen bis auf den heutigen Tag zwischen Himmel und Erde.

[Norwegen: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen]

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