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Märchenbasar

Mutter und Sohn

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Einst lebte eine Frau, die einen Sohn hatte. Ihr Zusammenleben war gut. Beider Vermögen bestand aus einer Schafherde. Der Sohn entwickelte stets grossen Appetit und seine Mutter war über seine Gefrässigkeit oft untröstlich. Er war so dumm, dass man dümmer nicht mehr sein konnte und die Mutter ersah zu ihrem Schmerz, dass er zu gar nichts tauge.

Eines Tages schickte sie ihn mit dem Esel in den Wald, damit er Holz bringe. Dort angelangt, stieg er sofort auf einen Baum und begann den Ast, auf welchem er sass, abzuschneiden. Ein vorübergehender Mann sah das und schrie: »Was machst du da? Du wirst mit dem Aste herabfallen!« – »Ah, woher denn, ich schneide in meinem Leben doch nicht zum erstenmale Äste ab!« – Doch bald hernach fiel er mit dem Ast zur Erde. Trotz seines Schmerzes lief er dem Manne nach, der ihm sein Unglück vorausgesagt hatte, denn er glaubte, dass dieser, da er so voraussehend sei, der Herrgott wäre: »Hollah, hollah! Du bist ohne Zweifel der Herrgott, sage mir daher, wann ich sterben werde.« – »Sobald dein Esel dreimal gefarzt haben wird!«

Der Junge kehrte zu seinem Esel zurück und belud ihn. Währenddem liess der Esel einen Furz und bald hernach noch einen, sodass der Junge zu schreien begann: »Noch einer und ich bin tot!« Da farzte der Esel zum drittenmal und der Dummkopf fiel zur Erde, wo er wie tot liegen blieb. Der Esel ging allein nach Hause und als ihn die Mutter ohne ihren Sohn sah, fürchtete sie, daß letzterem ein Unglück zugestossen sei. Sie sah daher zur Türe hinaus, an der gerade einige Männer vorbeigingen, die aus der Gegend kamen, wo ihr Sohn sein sollte. Sie frug diese, ob sie nicht ihren Sohn gesehen hätten, was diese mit dem Bemerken bejahten, dass er wie ein Toter am Erdboden liege. Sie schickte sofort zwei [23] Männer mit einer Tragbahre zu ihm, damit sie ihn heimholen da sie nicht wusste, was ihm zugestossen sei. Als diese dort hinkamen, wo er lag, legten sie ihn auf die Tragbahre und kehrten um. Es führten jedoch zwei Wege zum Hause seiner Mutter und die Träger stritten nun darüber, welcher der bessere sei. Da erhob sich der Junge und sprach: »Wenn ich lebend wäre, so würde ich diesen Weg hier gehen!« Daraufhin warfen ihn die Träger von der Tragbahre herab und riefen: »So geh‘ ihn nun allein!«

Die Mutter war über diesen Vorfall sehr betrübt, denn sie ersah daraus, dass ihr Sohn zu nichts tauge. Einmal wollte sie eine hübsche Kuh verkaufen und sprach zu ihm: »Weisst du, wie man eine Kuh verkauft?« – »Gewiss, erkläre mir nur, was ich dabei zu tun und welchen Preis ich zu verlangen habe.« Die Mutter befahl ihm, die Kuh demjenigen zu verkaufen, der am wenigsten spreche.

Er begab sich auf den Markt. Da die Kuh sehr hübsch war, so kam bald ein Mann hinzu und frug: »Wieviel willst du für die Kuh?« – »Von dir will ich gar nichts, denn du sprichst mir zuviel.« Ein anderer kam, deutete auf die Kuh und sprach: »Gibt die Kuh Milch? Wieviel willst du dafür?« – »Sie ist nichts für dich, denn du sprichst mir zuviel.« Diese Antwort gab er allen, die herbeikamen und so musste er, da die Nacht inzwischen hereingebrochen war, mit seiner Kuh wieder heimziehen. Als er bei der Kirche vorbeikam, trat er in der Hoffnung ein, hier einen Käufer zu finden. In einem Winkel erspähte er eine Heiligenstatue und sprach zu dieser: »Willst du mir meine Kuh abkaufen? … Du bist ein Käufer nach dem Geschmacke meiner Mutter. In acht Tagen werde ich mir das Geld holen.«

Er befestigte die Kuh an der Heiligenstatue und ging heim. Seine Mutter frug ihn: »Hast du das ausgeführt, was ich dir auftrug?« – »Ja! Er hat nichts gesagt!« – »Wo hast du das Geld?« – »Ich habe gesagt, dass ich es mir in acht Tagen holen werde.« – »Wem hast du die Kuh verkauft?« – »Einem Herrn in einem grossen Haus; deiner Rede gemäss, hat er nicht ein Wort gesprochen und ich habe ihm die Kuh angehängt. Das ist doch ein guter Käufer, nicht wahr!« Die Mutter sah ein, dass er eine Eselei begangen habe und kam noch mehr zur Erkenntnis, dass er zu nichts tauge.

Mutter und Sohn waren einmal zu einer Hochzeit geladen. Die Mutter sprach zu ihm: »Niemand wird dich heiraten [24] wollen, wenn man deine Gefrässigkeit sieht. Sobald ich deinen Fuss berühre, hörst du auf, zu essen!« Er versprach es ihr. Im Hochzeitshause war ein grosser Hund. Als man bei der Tafel sass, kam dieser in die Nähe des jungen Mannes und berührte mit seinem Schweif dessen Fuss. Dieser glaubte, dass die Mutter ihn getupft habe und wollte daher, trotz Zureden aller, nichts mehr essen. Halbtot vor Hunger kehrte er nach Hause zurück. Seine Mutter frug ihn, warum er nicht solange ass, bis sie ihn benachrichtete. Der Sohn antwortete: »Du hast mich doch am Fusse berührt, deshalb hörte ich auf.« Die Mutter stellte in Abrede, dass sie so etwas getan habe. Schliesslich kamen sie darauf, dass es der Hund war.

Diese bedauernswerte Mutter hätte ihren Sohn gern verheiratet. Sie sagte ihm daher, er möge morgens zur Messe gehen, denn da treffe er alle jungen Mädchen an, auf welche er die Augen werfen könne und unter denen er sich eine erwählen möge. Am nächsten Tag, einen Sonntag, begab er sich zur Schafherde und stach allen Schafen die Augen aus und füllte seine Taschen damit. Hierauf ging er zur Kirche und stellte sich in der Vorhalle auf. Wenn nun ein Mädchen herausging, so bewarf er sie mit einem Auge. Sein Vorrat war schon erschöpft, da kam noch ein schönes, junges Mädchen aus der Kirche. Er kehrte heim. Seine Mutter sprach: »Hast du dir eine erwählt?« – »Ja! Aber wie ich keine Augen mehr hatte, da kam noch ein schönes, junges Mädchen aus der Kirche.« – »Was? Keine Augen hattest du mehr?« – »Du hast mir doch gesagt, ich soll die Augen auf die Mädchen werfen. Ich nahm die Augen aller unserer Schafe, um die Mädchen damit bewerfen zu können.«

Die Mutter lief zur Schafherde und sah mit Schmerz, dass alle Tiere, ihr einziges Vermögen, hin waren. Aus Kummer wurde sie krank. Ein herbeigerufener Arzt verordnete ihr ein warmes Bad. Ihr Sohn hitzte einen grossen Kessel und als das Wasser zu sieden begann, goss er es in einen Backtrog. Da hinein setzte er seine Mutter, die ganz verbrüht wurde. Als der Arzt abends wieder kam und nach ihrem Befinden fragte, gab ihm der Junge zur Antwort: »Seit morgens befindet sie sich wohl, sie lächelt beständig.« Der Arzt ging zu ihr und fand sie, ganz verbrüht, tot im Wasser auf. Der junge Mann endete später auf eine ebenso unglückliche Art wie seine Mutter.

Quelle: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes

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