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Märchenbasar

Nadir und Nadine

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Zwischen unersteiglichen Felsen, die sich nur auf einer Seite auftun, wo das Meer einen kleinen Busen in das Land hinein macht, zieht sich ein langes, fruchtbares, der Welt unbekanntes Tal, das die Einwohner in ihrer Sprache «die ruhige Aue» nennen. Es wird seit undenklichen Zeiten von einer gutherzigen Art von Hirten bewohnt, die so glücklich sind, keinen andern Gesetzgeber zu kennen als die Natur. Sie haben kein gemeinschaftliches Oberhaupt, weil sie keinen Anführer gegen ihre Feinde und keinen Richter nötig haben, der ihre Händel entscheide oder ihre Verbrechen bestrafe; denn sie haben keinen Feind, fangen keine Händel an und begehen keine Verbrechen: sie sind alle gleich und leben zusammen wie gutartige Geschwister. Ihre Herden geben ihnen Nahrung und Kleidung, sie sind ihr vornehmster Reichtum; und wiewohl jede Familie ihre eigene hat, so werden sie doch von den benachbarten Bergen, die bis auf einen gewissen Grad von Höhe fruchtbar sind, so reichlich mit Weide und Futter versehen, daß nie kein Streit deswegen unter ihnen entstehen kann.

Diese guten Leute stehen, man weiß nicht warum, unter dem Schutze eines Zauberers, der in ihrer Nachbarschaft auf einem hohen Felsen wohnt und dem sie es zuschreiben, daß ihre Täler vor allen Arten von Raubtieren und ihre Herden vor ansteckenden Krankheiten gesichert sind. Indessen muß man gestehen, daß er sie diesen Schutz teuer genug bezahlen läßt, denn alle vier Jahre müssen ihm, vermöge eines Rechtes oder Herkommens, dessen Ursprung und Gültigkeit niemals untersucht worden ist, alle junge Mädchen von vierzehn Jahren vorgeführt werden; er nimmt sie in Augenschein, wählt sich aus, welche ihm am besten gefällt, und fährt sie in seinem Wagen davon, ohne daß man weiter etwas von ihr zu hören bekommt. Weil nun im Tale der Ruhe alle Eltern ihre Kinder sehr zärtlich lieben und jedes Mädchen von vierzehn Jahren, unter den Knaben von sechzehn oder siebzehn, irgendeinen guten Freund hat, der im Notfall seine beiden Augen um sie gäbe, so ist dieser Tribut den guten Hirten überaus lästig; und die Angst, in der sie alle vier Jahre leben, wenn die Zeit des Besuchs von ihrem Beschützer herannahet, verbittert das Glück, dessen sie sonst genössen, nicht wenig. Indessen, da sie es nicht ändern können, begnügen sie sich, darüber zu seufzen, und suchen sich mit dem Gedanken zu trösten, daß der Zauberer noch immer gütig genug sei, sich alle vier Jahre an einem Mädchen zu begnügen; denn, sagen sie, was wollten wir machen, wenn er ihrer zwei oder drei mit sich nähme? Er würde es immer so anzugehen wissen, daß er am Ende recht behielte.

Einer von den guten Hirten dieses kleinen Arkadiens, namens Sadik, hatte eine Tochter, die der Liebling aller ihrer Gespielinnen war, wiewohl sie einhellig für das schönste Mädchen im Lande gehalten wurde. Sadik hatte auch noch einen Pflegsohn, den er, um die Zeit, da ihm sein Weib die besagte Tochter geboren, am Ufer des Meeres in einem Korbe gefunden und aus Mitleiden wie sein eigen Kind erzogen hatte.

Die Erziehung ist, wie man leicht denken kann, in diesem kleinen Hirtenlande etwas sehr Einfaches; was die Kinder zu lernen haben, ist wenig; aber dafür brauchen sie, wenn sie zu Verstande gekommen sind, sich keine Mühe zu geben, wieder zu vergessen, was sie als Kinder gelernt haben. Ihre Spiele sind Übungen, die den Körper entwickeln, ihn stärken, geschmeidig machen und gesund erhalten; außerdem lernen sie, sich an wenigem genügen zu lassen, den Alten zu gehorchen, ihre Geschwister und Gespielen zu lieben und immer die Wahrheit zu sagen. Auch erzählen ihnen die Alten nach und nach, wie es die Gelegenheit gibt, was sie selbst in ihrer Jugend von ihren Alten gehört haben, lehren sie alles, was sie selbst können, und üben ihren Verstand durch Fragen, worauf die Kinder die Antwort aus ihrem eigenen Kopfe finden müssen. Und so kommt es dann, daß die jungen Leute in diesem Lande ganz verständige und gutartige Geschöpfe werden, ohne daß eines von ihnen sagen könnte, wie es damit zugegangen sei.

Wie Nadine und Nadir (so nannte man die Tochter und den Pflegsohn des guten Sadiks) ihr sechzehntes Jahr erreicht hatten, war nichts Liebenswürdigers im ganzen Lande als Nadir und Nadine; jedermann fand sie so, und so hatte auch jedes von ihnen beiden das andere gefunden. Sie hatten sich geliebt, ehe sie wissen konnten, was Liebe war; es war ihnen nie eingefallen, ihr Herz deswegen zur Rechenschaft zu ziehen; ihre Liebe war ihnen immer ebenso natürlich gewesen wie das Atemholen, und nun fand sich’s, daß sie ihnen auch ebenso unentbehrlich war. Sadik, der in ihren Herzen wie in seinem eigenen las, hatte immer seine Freude daran gehabt, dem Wachstum ihrer gegenseitigen Neigung zuzusehen: sie erfüllte seinen liebsten Wunsch; und da er keinen Begriff von einem glücklichern Leben hatte, als man in diesen Tälern lebte, so fiel ihm auch nicht ein, daß er etwas Bessers für Nadirn tun könnte, als ihn mit Nadinen zu vereinigen, wiewohl er vielleicht zu einem glänzendern Glücke geboren sein möchte. Ihre Verbindung war also eine beschlossene Sache, die ganze Gegend nahm Anteil daran; aber noch stand ihr ein Hindernis im Wege, das ihnen zuweilen bange Gedanken machte. Astramond (so hieß der Zauberer) hatte Nadinen noch nicht gesehen, seitdem sie das vierzehnte Jahr zurückgelegt. Die Zeit der Musterung rückte immer näher; endlich war sie so nahe, daß man schon die Anstalten dazu machte und von nichts anderm sprach, als wer wohl die Unglückliche sein möchte, auf die seine Wahl fallen werde. Nadine war nicht sehr unruhig, denn ihr däuchte, die meisten von ihren Gespielinnen seien schöner als sie und müßten den Vorzug vor ihr erhalten; aber Nadir dachte anders. Er fand es ganz unmöglich, daß der Zauberer, wenn er Augen hätte, eine andre wählen könnte als Nadinen. Die junge Schäferin hatte eine geheime Freude an Nadirs Unruhe, weil sie ihr ein Beweis seiner Liebe war; aber da die letzten Tage vor der Musterung herbeikamen, fing auch sie zu fürchten an; und der Gedanke, es sei gleichwohl nicht unmöglich, daß sie von ihrem Geliebten getrennt werden könnte, machte sie am ganzen Leibe zittern. Sie schwur ihm tausendmal zu, daß sie lieber sterben als eines andern Eigentum werden wollte, und dies war freilich einiger Trost für Nadirn; aber weil es ihm unmöglich war, sein Unglück nicht für etwas ganz Gewisses anzusehen, so brachte er die letzten vierzehn Nächte hin, ohne ein Auge zuschließen zu können. Nadinen erging es nicht besser, und ehe diese Zeit noch vorüber war, sahen beide so elend aus, daß sie nicht mehr kenntlich waren. Sadik wurde unruhig darüber und sprach mit seiner Tochter davon. «Seid ohne Kummer, lieber Vater», antwortete sie, «ich kann nicht zuviel von dem verlieren, was mir die Wahl des Zauberers zuziehen könnte; fällt sie auf eine andere, und bin ich so glücklich, mit demjenigen zu leben, den ihr zu meinem Gatten bestimmt habt, so werde ich bald wieder so wohl auf sein, als Ihr es wünschet; hat hingegen der Himmel mein Unglück beschlossen, wozu hälfe mir dann ein Leben, das ich ferne von meinem Vater und von Nadirn hinschmachten müßte?»

Am letzten Morgen vor dem gefürchteten Tage ging Nadir mit Anbruch der Morgenröte zu Nadinen und sagte zu ihr: «Liebe Nadine, ich habe dir einen Vorschlag zu tun. Der Zauberer wird sich in dich verlieben, sobald er dich sieht, das ist ausgemacht; wir können gar nicht hoffen, daß er eine andere wähle als dich; aber vielleicht ist er kein ganz hartherziger Mann: er weiß nichts von unsrer Liebe, er weiß nicht, daß seine Wahl das Todesurteil eines Menschen ist, der ihn nie beleidiget hat. Ich will ihm entgegengehen, will ihm zu Füßen fallen, will ihn mit weinenden Augen um die einzige Gnade bitten, dich nicht zu sehen und zu erlauben, daß du von der Musterung wegbleibest. Entweder sterbe ich zu seinen Füßen, oder ich erweiche ihn. Kurz, liebste Nadine, wir haben keinen andern Ausweg; sieht er dich, so bist du für mich verloren!» Während Nadir so redete, brach seine Geliebte in einen Strom von Tränen aus; Tränen der Zärtlichkeit, die ihrem Herzen eine wollüstig schmerzliche Erleichterung verschafften und in das seinige den Trost, geliebt zu sein, wie einen heilenden Balsam träufelten. Der Gedanke ihres Geliebten kam Nadinen ganz vernünftig vor; sie begriff nicht, wie man Nadirn etwas abschlagen könnte; aber der alte Sadik, ohne dessen Einwilligung sie gleichwohl nichts tun wollten, mißbilligte dieses Vorhaben gänzlich. «Ihr bildet euch ein, alle Herzen seien wie das eurige», sagte er. «Hier, in diesen Tälern, meine Kinder, ist es wohl so; aber weiter hinaus ist alles ganz anders als bei uns. Wir kennen nichts als die unverdorbene Natur; die übrige Welt hat ihr einziges Geschäfte daraus gemacht, sie zu ersticken oder zu verfälschen. Der Schritt, den ihr tun wollt, würde keine andre Würkung auf Astramond haben, als ihn desto neugieriger zu machen. Erwartet euer Schicksal in Geduld, meine Kinder, und hoffet das Beste von den unsichtbaren Mächten, die den guten Menschen hold sind.» Die armen Kinder, denen mit ihrem Anschlage der letzte Strahl von Hoffnung verschwand, fühlten, wie wenig dieser Trost in einem Falle wie der ihrige vermag, und brachten den Rest des Tages und die Nacht in unaussprechlicher Beängstigung zu.

Endlich erschien der Morgen, der ihnen und allen Liebenden der ruhigen Aue so schrecklich war. Alle Mädchen über vierzehn Jahren wurden in einem großen Saal von grünen Zweigen, der mitten auf der Aue errichtet war, in Reihen gestellt. Der Zauberer selbst hatte es so angeordnet, daß der Saal kein ander Licht empfing als von oben herab, damit es sich auf alle Gesichter gleich verteilte. Außen um den Saal standen alle diejenigen Hirten, deren Mädchen in demselben eingeschlossen waren. Die Angst, ihre Geliebten zu verlieren, war auf allen Gesichtern und in allen ihren Bewegungen sichtbar. Man hörte überall nichts als ein dumpfes Gemurmel, und sie zitterten und schwankten wie junge Bäumchen, die vom Sturm geschüttelt werden. Mitten unter ihnen unterschied sich Nadir durch seine Totenblässe und seinen fast wahnsinnigen Blick, die einzigen Merkmale, woran man ihn erkennen konnte, so sehr hatte die Furcht, Nadinen zu verlieren, sein schönes Gesicht entstellt. Der Zauberer wurde mit Ungeduld erwartet; endlich erschien er und trat in den Saal. Seine Gesichtszüge kündigten Güte und sein ganzes Betragen Ruhe an; ein Ausdruck von sanfter Traurigkeit war über seine ganze Person verbreitet; er zeigte wenig Lust, eine Wahl zu treffen, und seine Augen schweiften ziemlich kaltsinnig über eine so reizende Versammlung hin. Diese Gemütsfassung des Zauberers, welche von keiner anwesenden Person unbemerkt blieb, beruhigte die zärtliche Nadine und gab ihr den Mut, eine Bewegung zu machen, wodurch sie Gefahr lief, bemerkt zu werden.

Wir haben vergessen, einer kleinen schwarz und weißen Hündin zu erwähnen, welche der alte Sadik ehmals bei dem Korbe, worin Nadir als ein kaum gebornes Kind ans Ufer getrieben worden war, gefunden hatte. Dieses kleine Tier hatte sowohl damals, da es neben dem Korbe her schwamm und alle seine Kräfte anstrengte, ihn unbeschädigt an den Strand zu bringen, als in der Folge bei allen Gelegenheiten so viel Verstand und Geschicklichkeit gezeigt, daß Nadir, dem es auf eine außerordentliche Art ergeben war, sich nicht aus dem Kopfe bringen ließ, es müßte mehr als ein gewöhnlicher Hund und vielleicht eine Fee sein, die, aus welcher Ursache es auch geschehen möchte, sich in dieser Gestalt zu seinem Dienste gewidmet hätte. Es war nichts, das er seiner kleinen Hündin nicht zutraute. Er war also darauf bestanden, daß Nadine das Hündchen mit sich in den grünen Saal nehmen sollte, in Hoffnung, es werde seine Geliebte vor der Gefahr, die sie liefe, zu schützen wissen. Das kleine Tier hatte sich auch bisher ganz ruhig gehalten; aber sobald es den Zauberer hereintreten sah, fing es an, am ganzen Leibe zu zittern, und schien entfliehen zu wollen. Nadine, von welcher es sich schon einige Schritte entfernt hatte, besorgte, es zu verlieren, und verließ ihren Platz, um es auf ihren Arm zu nehmen. Diese Bewegung machte den Zauberer aufmerksam; er näherte sich und stand Nadinen gegenüber, eben da sie sich wieder aufgerichtet und das Hündchen auf den Arm genommen hatte. Man bemerkte, daß Astramond plötzlich in Bewegung geriet; er wurde feuerrot, und niemand zweifelte, daß eine für Nadinen gefaßte heftige Leidenschaft die Ursache davon sei. In der Tat berührte er sie mit seinem Stabe, und in einem Augenblicke befand sie sich an Astramonds Seite in einem Wagen, der sogleich von einer Wolke den Augen der Zuschauer entrückt wurde.

Alle übrigen Schäferinnen kamen haufenweise aus dem Saal hervor, und ihre entzückten Liebhaber, die von Astramond nun nichts mehr zu befürchten hatten, stürzten sich in ihre Arme. Aber in diesem Lande unverderbter Menschen machte die Liebe der Freundschaft nicht vergessen. In wenigen Augenblicken drängten sich alle diese Glücklichen um Nadir her, der auf die Nachricht von der Wahl des Zauberers in Ohnmacht gefallen war und nach Hause getragen wurde, ehe man ihn wieder zur Besinnung bringen konnte. Die ersten Lebenszeichen, die er von sich gab, waren Ausbrüche von Verzweiflung: alle seine Bewegungen waren wütend und seine Reden ohne Zusammenhang. Der tiefe Schmerz, worin er Nadinens Eltern versunken sah, brachte ihn allmählich zu sich selbst; sein Schmerz wurde gelassen; es kam endlich dazu, daß er sich beklagen, daß er weinen konnte; und zuletzt vermochte das flehentliche Bitten seiner Pflegeltern so viel über ihn, daß er einen schwachen Funken von Hoffnung zu nähren anfing und sein Leben zu erhalten beschloß, weil er es für möglich zu halten anfing, seine geliebte Nadine wiederzufinden und den Zauberer zu erbitten. In wenigen Tagen würkte dieser Gedanke schon so gewaltig auf seine Einbildung, daß er dem alten Sadik seinen Entschluß entdeckte, sie so lange zu suchen, bis er sie gefunden hätte. Keine Vorstellungen, keine Bitten, keine Gefahren konnten ihn zurückhalten; man mochte ihn noch so sehr versichern, daß Astramonds Aufenthalt unzugangbar, daß er sogar den Augen eines Sterblichen unerreichbar sei, es half alles nichts: er machte sich auf den Weg und ließ das ganze Hirtental in allgemeiner Betrübnis über seinen Verlust und sein Unglück. Sadik und seine Gattin wollten ihn begleiten; aber er erlaubte ihnen nicht, weiter mitzugehen als bis an die Berge, wo er den zärtlichsten Abschied von ihnen nahm, um sich, auf Geratewohl, in einen Labyrinth pfadloser Felsen zu wagen, welche vor ihm kein Menschenfuß betreten hatte und wo der Tod das einzige war, was er zu finden gewiß sein konnte.

Hier war es, wo er zum ersten Male gewahr wurde, daß er mit Nadinen auch sein Hündchen verloren hatte, dessen Treue und wunderbare Gaben ihm in seiner gegenwärtigen Lage so wohl zustatten gekommen sein würden. Dieser Umstand vermehrte seinen Kummer, ohne seine Entschließung wankend zu machen. Er stieg und kletterte zwei Tage und zwei Nächte an einem fort, ohne zu wissen, wo er hinkam, und beinahe, ohne sich aufzuhalten. Waldströme löschten seinen Durst, einige wilde Früchte waren seine Nahrung, und wenn die Finsternis der Nacht und die Ermattung ihn nötigten, stillzuhalten, so warf er sich unter einer hohen Klippe auf den harten Stein, um etliche Stunden schlaflos oder in ängstlichen Träumen hinzubringen. Der unglückliche Jüngling merkte nicht, daß er in diesen schrecklichen Felsen immer nur im Kreise ging; sein Kopf war zu verwirrt, um auf seinen Weg achtzugeben, und nach einem achttägigen, beinahe ununterbrochnen Marsch ward er endlich mit Schrecken gewahr, daß er sich kaum hundert Schritte von dem Orte befand, wo er von Sadik Abschied genommen hatte. Der Schmerz, der ihn bei dieser Entdeckung befiel, und der Gedanke, so viele Zeit gänzlich für seinen Zweck verloren zu haben, hätte ihn zu einem verzweifelten Entschluß bringen können, wenn er noch so viel Kräfte übrig gehabt hätte, ihn auszuführen; aber so abgemattet und erschöpft, als er war, blieb ihm einige Augenblicke nichts als das Gefühl seines Elendes. Bald überwältigte ihn auch dieses: er sank zu Boden, seine Sinnen verließen ihn, und aller Wahrscheinlichkeit nach hätte der arme Unglückliche in dieser Ohnmacht das Ende seines Lebens finden sollen.

Gleichwohl kam er wieder zu sich selbst, und seine erste Bewegung war, über sich zu zürnen, daß er sich in einer viel ruhigern Fassung fühlte; aber wie groß war sein Erstaunen, da er nun gewahr wurde, daß er in einem prächtigen Gemach auf einem schönen Bette lag, zu dessen Füßen er sein schwarz und weißes Hündchen und zur Seite eine weiße Taube von außerordentlicher Schönheit erblickte. Bei diesem Anblick fühlte er sich von der innigsten Freude durchdrungen; er küßte das Hündchen tausendmal mit Entzücken und fragte es, ob es ihm keine Nachricht von seiner lieben Nadine geben könne. Bei diesem Namen schlug die Taube mit den Flügeln, und das Hündchen schien durch seine Bewegungen lauter fröhliche Nachrichten anzukündigen. Diese stumme Unterhaltung dauerte eine gute Weile. Nadir konnte es nicht müde werden, diesen Tieren Liebkosungen zu machen, und fühlte mit jedem Augenblicke Ruhe und Hoffnung in seinem Gemüte wieder aufleben, als auf einmal ein Mann von majestätischem Ansehen in das Zimmer trat. «Du siehest», sagte er zu Nadirn, indem er sich dem Bette näherte, «denjenigen vor dir, der dir das Leben gerettet; aber es ist eben der, der dir Nadinen und dein Hündchen entrissen hat.» Bei diesen Worten sprang Nadir in einer Bewegung, worin Zorn und Ehrfurcht einander bekämpften, vom Bette auf, und eine zweite Bewegung warf ihn dem Zauberer zu Füßen. Er überströmte sie mit Tränen, ohne daß er vermögend war, ein Wort herauszubringen; die kleine Hündin und die Taube weinten mit, und sogar dem Zauberer fielen einige Tränen aus den Augen. Aber er nahm sich zusammen, hob Nadirn freundlich auf und redete ihn folgendermaßen an: «Du betrachtest mich als einen strengen Richter, von dem dein Leben oder Tod abhängt; und du selbst bist gleichwohl so notwendig zu meinem Glücke als ich zu dem deinigen. Liebe immerhin Nadinen, wie sie dich liebt; ich werde euch nicht entgegen sein; aber besitzen kannst du sie nie, wofern du mir nicht den Ring der Gewalt überlieferst, der im Palaste des Geisterkönigs Geoncha verwahrt wird. Gehe, und wenn du sieben Tage lang gegen Mittag gegangen bist, wirst du vor diesem Palaste anlangen. Nimm daselbst den Ring in Empfang, den man dir nicht verweigern wird; und sei gewiß, wenn du mir ihn eingehändigt haben wirst, sollst du Nadinen dagegen erhalten, um nie wieder von ihr getrennt zu werden. Noch kann ich dir weder dein Hündchen noch die Taube verabfolgen lassen; aber ich bewahre dir beide getreulich auf. Gehe, und sei nochmals versichert, daß ihr Glück und das meinige, ebensowohl als das deinige, davon abhängt, daß deine Unternehmung wohl vonstatten gehe.»

Diese Rede des Zauberers gab Nadirn großen Mut; er dankte ihm für seinen guten Willen und machte sich mit Freuden anheischig, ihm den wundervollen Ring zu verschaffen, und wenn er ihn auch aus dem Mittelpunkt der Erde holen müßte, wofern Nadine die Belohnung sein sollte. Er bezeugte freilich große Lust, das Hündchen und die Taube, für die er eine sonderbare Zuneigung gefaßt hatte, mitzunehmen, aber der Zauberer fand nicht für gut, sich ihrer zu entäußern, und Nadir mußte sich gefallen lassen, allein abzureisen.

Astramond hatte ihm einen Beweggrund zur Eilfertigkeit gegeben, der ihn Tag und Nacht anspornte. Er machte so große Schritte, daß er schon am Morgen des siebenten Tages den Palast des Geisterkönigs erblickte, der, wegen des Funkelns der Edelsteine, woraus er erbaut ist, in großer Ferne schon zu sehen war. Dieser Anblick verdoppelte seine Ungeduld, aber seine Kräfte versagten ihm auf einmal, da er sie aufs neue anstrengen wollte; er fühlte sich ganz erschöpft und war genötigt, sich unter einen Palmbaum hinzulegen. Er schlief ein, und beim Erwachen fand er sich zu seiner Verwunderung unter einem Zelt von goldnem Stoffe auf einem reichen Sofa, an dessen einem Ende ein Mann von einer etwas düstern, aber majestätischen Miene saß, dessen Züge einige Ähnlichkeit mit Astramonds hatten und der ihn in einem einnehmenden Ton also anredete: «Du siehest ein unglückliches Opfer der Bosheit Astramonds vor dir. Dieser Grausame ist mein Bruder; aber die Gefühle der Natur sind ihm etwas Unbekanntes, und er verfolgt mich seit dem Augenblicke meiner Geburt. Wir sind einander an Macht gleich; er hat mich der meinigen nicht berauben können, aber er hat mir was noch Schlimmeres zugefügt: er hat mir meine Geliebte geraubt. Du seufzest?» fuhr er fort, da er den Eindruck sah, den dieses Wort auf Nadirn machte. «Laß uns unsre Tränen und unsre Rache vereinigen! Er hält die Fee, die ich liebe, unter der Gestalt einer schwarz und weißen Hündin und deine Nadine in Gestalt einer weißen Taube gefangen; aber der Ring der Gewalt kann uns beiden helfen. Weder er noch ich können Besitzer desselben sein; dir allein, liebenswürdiger und unglücklicher Nadir, ist er aufbehalten. Bediene dich seiner zu unserem Glücke und zu unserer Rache. Sobald du im Besitze des Ringes bist, brauchst du nur zu wünschen, in meinem Palaste zu sein, so wirst du im Nu dahin versetzt werden. Du wirst mir den Ring anvertrauen, und in einem Augenblicke soll der grausame Feind unsrer Liebe gestraft und Nadine in deinen Armen sein. Du hast dann nichts mehr von Astramond zu befürchten: der Ring macht dich zu seinem Herrn; und da man ihn nie anders als mit gutem Willen des Besitzers erhalten kann, so würde jeder Versuch, ihn dir mit Gewalt abzunehmen, fruchtlos sein. Lebe wohl, lieber Nadir! Ich könnte dir noch mehr sagen, könnte dich mit einem Namen nennen, der dir Liebe und Ehrerbietung einflößen würde; aber ich will alles bloß deiner Dankbarkeit und deinem Mitleiden schuldig sein. Verliere nun keine Zeit, und wenn du den Dienst erkennest, den ich dir leiste, indem ich dich mit den Ursachen deines Unglücks und den Mitteln, dir zu helfen, bekannt mache, so vergiß nicht, mich an deinem Glücke teilnehmen zu lassen! Ich erwarte dich morgen in meinem Palaste.»

Mit diesen Worten verschwand der Unbekannte, ohne Nadirn zu einer Antwort Zeit zu lassen, der sich in keiner kleinen Unruhe befand, indem er sich bemühte, alles, was er gehört hatte, wieder vor seine Stirne zu rufen. Sein gutes Herz, dem Argwohn so fremde war als Betrug, neigte sich schon auf die Seite dieses Unbekannten, bloß weil er unglücklich war; überdies schien ihn sein eigner Vorteil mit demselben zu verbinden; und wie zurückhaltend er sich auch am Schlusse seiner Rede ausgedrückt hatte, so glaubte Nadir doch zu merken, daß er am Ende wohl gar sein Vater sei. Diese Vermutung schien sehr gut zu der Erzählung zu stimmen, die ihm Sadik von den Umständen gemacht hatte, worin er ihn gefunden, und wie er von der kleinen schwarz und weißen Hündin ans Gestade gebracht worden, welche ohne Zweifel seine Mutter und von Astramond, wie der Unbekannte sagte, so verwandelt worden war. Alles dies gab Nadirn so viel zu denken, daß er seinen Weg ziemlich langsam fortsetzte und daher erst mit Einbruch der Nacht in dem Palaste ankam, wo der Geisterkönig seinen Hof hält und alle Begebenheiten in der Welt nach seinem Belieben lenket, weil die unsichtbaren Mächte, welche die Hand im Spiele haben, von seinen Winken abhangen. Nadir wurde auf seinen Befehl wohl aufgenommen und, als es Schlafenszeit war, in das Traumgemach geführt; etwas, das nur denen widerfuhr, die der Geisterkönig vorzüglich begünstigte. Den Menschen ihr künftiges Schicksal ganz aufzudecken, ist ihren unsichtbaren Beschützern nicht erlaubt; aber sie dürfen denen, welche sie dessen würdig achten, einen Fingerzeig geben, der sie aufmerksam macht, ohne sie gänzlich zu belehren; und sie tun dies gemeiniglich durch Träume.

Nadir, der von der Reise müde war, legte sich an der Hinterwand des Zimmers auf eine mit Sammet beschlagene Estrade und entschlief. Gegen das Ende der Nacht, wenn die Träume den lebhaftesten Eindruck zu machen pflegen, däuchtete ihm, er befinde sich wieder in der nehmlichen Ebene, wo er Tages zuvor den Unbekannten unter dem goldbrokatnen Zelte angetroffen hatte. Er war nicht allein. Zu seiner Linken stund der Zauberer Astramond, der ihn bei der Hand hielt, zur Linken Astramonds ein ehrwürdiger Greis und neben diesem ein Mann, den er sogleich für eben den erkannte, den er gestern unter dem Zelte angetroffen und für seinen Vater hielt. Ihnen gegenüber sah er einen Mann, der, ungeachtet seiner menschlichen Gestalt, etwas so Großes und Übermenschliches in seinem ganzen Ansehen hatte, daß Nadir von seinem Anblick ebenso geblendet wurde, als ob er in die Sonne gesehen hätte. Dieser Mann empfing aus der Hand des Greises einen Ring mit einem geschnittnen Türkis, den er Nadirn überreichte. Kaum hatte dieser den Ring am Finger, so verschwand dieser Mann, der Greis und Astramond, und Nadir blieb einen Augenblick allein. Aber eh‘ er sich aus seiner Verwunderung erholen konnte, sah er den Unbekannten, der Nadinen an der Hand hatte und sie ihm mit freundlichem Blicke zuzuführen schien. Er flog ihnen mit Entzückung entgegen; aber kaum hatte er sie berührt, so verwandelte sich Nadine in eine andre Person, und der Unbekannte versank in die Erde.

Die Bestürzung über einen so unerwarteten Ausgang weckte Nadirn aus seinem Traume; aber alle Erscheinungen desselben standen noch so lebendig vor seiner Seele da, daß es ihm beinahe unmöglich war, sie für einen bloßen Traum zu halten. Er fiel darüber in ein tiefes Nachdenken; und da er einen geheimen Unterricht darin zu finden glaubte, so bemühte er sich, seinen Traum mit der Rede des Unbekannten, der selbst darin aufgetreten war, zu vereinigen; aber er fand es schwer, aus allen diesen Ideen ein Ganzes zu machen, und arbeitete noch vergebens daran, als ihm gemeldet wurde, vor dem Geisterkönige zu erscheinen. Beim ersten Blicke erkannte Nadir den Mann in ihm, den er in seinem Traume den Türkis aus der Hand des Greises empfangen gesehen; und wie er damals schon von seinem Anblick wie geblendet worden war, so würde er jetzt, da er den mächtigsten der Geister (wiewohl in einer menschlichen Hülle) würklich vor sich sah, seine Gegenwart kaum ausgehalten haben, wenn Geoncha ihm nicht mit einem Blick voll Milde und Huld entgegengekommen wäre. «Ich kenne dich, Jüngling», sprach er zu ihm, «und liebe dich, weil du edel bist und gut. Sei auch weise und hüte dich für den Fallstricken, die dir gelegt sind. Vergiß niemals empfangene Wohltaten, wenn du gleich von derselben Hand Unrecht erlitten hättest. Du bist im Begriffe, der Besitzer eines Schatzes zu werden, der dir zugehört und der dich mächtiger machen wird als die größten Könige der Erde. Sei immer eingedenk, daß Macht ohne Gerechtigkeit weder ihrem Besitzer noch andern wohltätig ist und daß Gerechtigkeit eine genaue Kenntnis der Wahrheit voraussetzt. Nimm meine Warnungen wohl zu Herzen, lieber Nadir! Traue nie dem äußern Schein; siehe alles selbst und tue alles selbst, soviel es nur immer möglich ist: nur dadurch wirst du bald dich selbst und alles, was ein Recht an deine Liebe hat, glücklich machen.» Mit diesen Worten überreichte er ihm den Talisman hin; aber wie groß war die Verwirrung, in welche Nadir geriet, da er den Türkis mit den eingegrabenen magischen Zeichen für eben den erkannte, den er im Traum empfangen hatte! «Nimm ihn hin, Nadir», fuhr Geoncha fort, wie er den Jüngling mit niedergesenktem Blicke zaudern sah, «nimm, was dein ist, und denke an nichts, als wie du ihn wohl gebrauchen wollest! Erinnere dich deines Traumes und meiner Warnungen! Ich weiß, wohin du gehest. Säume dich nicht, dein Schicksal wird sich dort entwickeln.»

Nadir empfing itzt den Ring mit Ehrfurcht aus der Hand des Geisterkönigs, und da er sich in den Palast des unbekannten Zauberers wünschte, wurde er auf einmal gewahr, daß er würklich darin sei. Dieser Palast wich an Pracht und Schönheit keinem andern Zauberschlosse in der Welt und war mit einer Menge sehr schöner Personen beiderlei Geschlechtes angefüllt, in deren Mitte der Zauberer Nadirn entgegen kam. Dieser ganze Hof hatte mit allem seinem Glanze ein so trauriges Aussehen, daß es Nadirn, wie unerfahren er auch war, hätte auffallen müssen, wenn ihm der Herr des Palastes Zeit dazu gelassen hätte. Aber dieser bemächtigte sich seiner sogleich mit der verbindlichsten Freundlichkeit; und nachdem er ihm alle Herrlichkeiten seines Palastes, die von keiner geringen Macht zeugten, gewiesen hatte, führte er ihn in einen prächtigen Garten, setzte sich mit ihm unter eine einsame Laube und fing damit an, daß er ihm zu dem Schatze, der ihm zuteil worden, in Ausdrücken, die eine mehr als gewöhnliche Teilnehmung und Zärtlichkeit zu verraten schienen, Glück wünschte, aber ihn zugleich zu überreden suchte, das, was nun weiter zu tun sei, um Nadinen in Freiheit zu setzen und den Verräter Astramond zu bestrafen, ihm, dem Unbekannten, zu überlassen und ihm zu diesem Behuf den magischen Ring anzuvertrauen. Wie groß auch immer die Gewalt sei, die dieser Ring seinem Besitzer mitteile, so würde sie ihm doch, sagte er, gegen Astramond wenig helfen, weil er sich ihrer nicht zu bedienen wisse; man müsse hiezu in den Geheimnissen der Magie eingeweiht sein, und ohne diese Kunst seien die mächtigsten Talismane nichts. Nadir habe sich nicht das geringste Bedenken zu machen, ihm dieses Vertrauen zu schenken, da er solches unmöglich mißbrauchen könnte, wenn er es auch zu wollen fähig wäre, indem keine Macht in der Welt ihm den Ring wider seinen Willen rauben oder vorenthalten könne. Sie hätten gleiches Interesse, gleiche Hoffnungen, und natürlicherweise müßte auch ihre Rache gemeinschaftlich sein. Er selbst besitze alle die Kenntnisse und Erfahrenheit, die ihr Vorhaben erfordere; und wofern ihm Nadir seinen Talisman sogleich anvertrauen wolle, so sollte er noch vor Sonnenuntergang ihren gemeinschaftlichen Feind zu seinen Füßen und Nadinen in seinen Armen sehen.

Der Zauberer sah nach dieser Rede dem Jüngling sehr scharf in die Augen und erwartete stillschweigend seine Antwort, mit welcher aber Nadir sich nicht übereilen wollte. Er erinnerte sich seines Traumes und der Warnungen des Geisterkönigs, der ihm so ernstlich empfohlen hatte, dem Scheine nicht zu trauen und alles, was er könnte, selbst zu tun. Überdies glaubte er in den Reden und dem Betragen des Unbekannten Dunkelheiten zu finden, die ihm eine geheime Absicht zu verraten schienen. Er begriff nicht, warum dieser Mann sich nicht geradezu für seinen Vater erkläre, wie er es schon bei ihrer ersten Unterredung und jetzt abermal zu verstehen gegeben hatte. Kurz, Nadir faßte, nachdem er alles wohl überlegt hatte, die Entschließung, seinen Ring nicht von seiner Hand zu geben und seinen und Nadinens Trübsalen mit Hülfe desselben selbst ein Ende zu machen. Der Zauberer schien mit dieser Entschließung sehr übel zu frieden zu sein: seine Stirne zog sich einen Augenblick zusammen; aber er brauchte auch nicht mehr als diesen Augenblick, um seinem Gesichte wieder die vorige Heiterkeit zu geben. Er nahm das Wort wieder mit der treuherzigsten Miene von der Welt, und ohne sich über Nadirs Eigensinn zu beschweren, begnügte er sich, ihm zu sagen, daß der Weg, den er einschlagen wolle, der längste und unsicherste sei. «Das Schwerste ist nicht, Nadinen wiederzubekommen», fuhr er fort; «das getraue ich mir wohl allein durch meine Kunst zu bewerkstelligen; aber was kann uns das helfen, wenn wir Astramonden nicht außerstand setzen, sie noch einmal zu entführen? Der Ring, dessen Besitzer du bist, dieser Ring allein ist stärker als alle Beschwörungen Astramonds; aber dir fehlt es an der Wissenschaft, den gehörigen Gebrauch davon zu machen; dein Mißtrauen hilft also zu nichts, als dein Glück und das meinige aufzuziehen. Indessen soll dies meinen Eifer, dir zu dienen, nicht erkälten, und ich hoffe, bevor die Sonne wieder aufgegangen sein wird, dir Nadinen wiederzugeben. Vielleicht wird mir diese neue Probe meiner Liebe deine Freundschaft verdienen, und du wirst dann nicht länger glauben, gegen die Klugheit zu handeln, wenn du mir diesen mächtigen Ring anvertrauest, dessen sehr schwerer Gebrauch allein mein Glück machen und das deinige befestigen kann.»

Nach diesen Worten klatschte der Zauberer in die Hand, und sogleich eilte sein ganzer Hof herbei, seine Befehle zu vernehmen. «Meine Freunde», sagte er zu ihnen, «ich empfehle euch meinen liebenswürdigen Gast; wendet in meiner Abwesenheit alles an, seine Schwermut zu zerstreuen und ihm soviel Vergnügen zu machen, als nur immer in eurem Vermögen ist.» Er forderte hierauf seinen Wagen, bestieg ihn und erhob sich in die Lüfte, wo man ihn bald aus den Augen verlor. Nadir kehrte in den Palast zurück; aber das Nachsinnen über alle die Wunderdinge, die ihm begegnet waren, und die Ungewißheit, was er davon denken und wozu er sich entschließen sollte, ließ ihn wenig Anteil an den Vergnügungen nehmen, die man ihm zu machen suchte. Man zeigte ihm alle die schönen und seltnen Dinge, womit der Palast angefüllt war; man gab ihm ein Schauspiel und führte ihn endlich in einen herrlich beleuchteten Saal, wo eine köstliche Tafel für ihn gedeckt war, bei welcher die Höflinge des Zauberers ihn bedienten und alle die schönen Personen, die in diesem bezauberten Orte beisammen waren, sich in die Wette bestrebten, ihn mit Musik und Tänzen zu unterhalten. Aber das alles machte nur einen schwachen Eindruck auf seine Sinnen. Hingegen fiel ihm der Zwang und die Traurigkeit, die er auf allen Gesichtern ausgedrückt sah, desto stärker auf, je mehr er mit der Beeiferung, ihm Vergnügen zu machen, kontrastierte; und sobald er es nur mit Anständigkeit tun konnte, stund er von der Tafel auf, bedankte sich sehr höflich gegen die Personen, die sich so viele Mühe mit ihm gegeben hatten, und ließ sich in das für ihn bereitete Schlafgemach führen.

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