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Märchenbasar

Neangir und seine Brüder, Argentine und ihre Schwestern

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Kaum hatte sich Sumi von Neangirn entfernt, der sich noch in dem Vorsaale bei den drei Juden verweilte, als er eine alte Sklavin mit einem Manne hereinkommen sah, den er nicht gleich für den nehmlichen erkannte, der ihn vor zwei Tagen so freundlich bewirtet hatte, weil er jetzt in einem ganz andern Aufzug erschien; denn er war in einen prächtigen, mit Zobel gefütterten Kaftan gekleidet und trug einen Busch von Reigerfedern (das Zeichen der Feldherrnwürde) auf seinem Turban und einen reich mit Edelsteinen besetzten Säbel an seinem Gürtel. Aber die alte Sklavin erkannte er sogleich für die nehmliche, die er bei dem Unbekannten gesehen hatte. «Mein gebietender Herr», sagte die Sklavin zu dem Feldherrn, «ich habe mich nicht geirret, da ich ihnen von dem Hause des Kadi bis zu diesem Palaste nachging; es sind die nehmlichen; Ihr könnet Eure Rache sicher an ihnen nehmen.»

Alsbald entflammte sich das Angesicht des Unbekannten; er zog seinen Säbel und war im Begriff, auf die drei Juden einzuhauen, wenn ihn Neangir und die Bedienten des Bassa nicht zurückgehalten hätten. «Was habt Ihr vor, mein Herr», rief ihm Neangir zu; «wollt Ihr Leute anfallen, denen der Bassa in seinem Hause Zuflucht gegeben hat?» «O mein Sohn», antwortete der Feldherr, der ihn augenblicklich erkannte, «wenn dies ist, so kennt der Bassa weder die Leute, denen er Zuflucht gibt, noch Euch selbst.» – «Herr», erwiderte Neangir, «er kennt sie und weiß, daß ich sein Sohn bin; erlaubet, daß ich Euch zu ihm führe; er wird Euern Unwillen am besten besänftigen können.»

Der Unbekannte und die alte Sklavin folgten Neangirn in das Innere des Palastes; aber wie groß war das Erstaunen des jungen Menschen, da er seinen Vater den Feldherrn mit allen Zeichen der lebhaftesten Freude umarmen sah! «Wie», rief der Bassa, «seid Ihr’s, mein liebster Siroco? Ihr, der, nach der allgemeinen Sage in jenem unglücklichen Treffen, wo die Feinde des Glaubens obsiegten, umgekommen war? Aber warum sehe ich Euer Gesicht von eben dem Feuer glühen, wovon es flammte, da wir gegen die Feinde unsers allgebietenden Sultans stritten? Stillet Euern Grimm und überlaßt Euch den frohesten Hoffnungen; daß ich meinen Sohn wiedergefunden habe, den Ihr hier sehet, ist mir ein sicherer Verbote unsers gemeinschaftlichen Glückes.»

«Ich zweifelte nicht», sagte Siroco, nachdem sie sich gesetzt hatten, «Ihr würdet bald die Freude haben, einen so geliebten Sohn wiederzusehen; es sind erst drei Tage, seitdem mir der Prophet im Traum erschien und mir befahl, daß ich um die Stunde des Sonnenuntergangs nach dem Tore von Galata gehen sollte. ‹Du wirst›, sagte er zu mir, ‹einen jungen Menschen daselbst finden, den du in deine Wohnung führen sollst; er ist der zweite Sohn deines alten Freundes, des Bassa vom Meere; und damit du nicht irren könnest, so greife ihm oben an seinen Turban; du wirst das kupferne Blech fühlen, worein mein Name in sieben Sprachen gegraben ist.› Ich gehorchte dem Befehle des Propheten», fuhr Siroco fort, «und ich fand diesen jungen Menschen; er gefiel mir, und mit dem größten Vergnügen habe ich ihn in Argentinen, deren Bildnis ich ihm gab, verliebt gemacht; aber während daß ich dem Vergnügen nachhing, meiner Tochter einen so liebenswürdigen Gatten zu versichern und Euch Euern Sohn wiederzugeben, wurden durch einen Zufall etliche Tropfen von dem Elixier der vollkommenen Liebe auf den Tisch verschüttet, und in dem dicken Rauche, der dadurch verursacht wurde, verlor ich Euern Sohn. Diesen Morgen berichtete mich die Sklavin, die Ihr hier sehet, sie habe die Verräter entdeckt, die mir meine beiden Töchter geraubt haben; ich flog zur Rache, aber wenn sie, wie Ihr mich versichert, zu nichts helfen würde, so will ich mich Eurer Leitung und meinem Schicksal unterwerfen.»

«Ich hoffe, es wird uns günstig sein», versetzte der Bassa; «wenigstens sind wir so gut als gewiß, daß wir diese Nacht die goldene und die silberne Uhr haben werden. Schicket sogleich nach der jungen Zelide; laßt sie in Zambaks Arme kommen, um das Vergnügen, zwei so zärtlich geliebte Schwestern wiederzusehen, mit ihr teilen zu können.» Siroco winkte der alten Sklavin seinen Befehl zu, und sie ging ab.

In diesem Augenblicke traten Ibrahim und Hassan, deren Buße für heute vorüber war, herein und umarmten Neangirn, welchen der Bassa ihnen als ihren Bruder darstellte. Es schien, als ob sie in diesem Augenblick alle ihren Kummer vergessen hätten; und auf die Nachricht, die man ihnen von dem Versprechen der Tochter Moyses gab, öffneten sich ihre Seelen den tröstlichen Hoffnungen.

Gegen Abend stellte sich die schöne Jüdin mit ihrem Buche ein. Sie öffnete es und rief den Hassan auf, zu kommen und sein Schicksal darin zu lesen. Wirklich fand man in hebräischer Sprache diese Worte auf einem eigenen Blatte: «Die rechte Hand ist schwarz und zu Ebenholz geworden, weil sie das Fett eines unreinen Tieres angerührt, da die christliche Sklavin ihren Kuchen knetete; und sie wird so lange Ebenholz bleiben, bis das letzte von der Rasse des unreinen Tieres im Meer ersäuft worden sein wird.»

«Leider!» sagte Hassan, «erinnere ich mich dessen nur zu wohl; ich sah eine christliche Sklavin einen Kuchen zubereiten; sie warnte mich, ihn nicht anzurühren, weil er mit Schweinfett gemacht sei; ich tastete ihn aber demungeachtet an, und plötzlich wurde meine Hand so, wie Ihr sie sehet.»- «O weiser Derwisch», rief der Bassa aus, «du hattest wohl recht: sobald mein Sohn der Lehre ungehorsam ward, die du ihm gabst, als du ihm das Armband schenktest, so wurde er nach der Strenge dafür bestraft. Aber, gute Sumi, wo werden wir das letzte von der Rasse des unreinen Tieres finden, das zum Unglück meines Sohnes den Anlaß gab?» – «Leset», antwortete Sumi, nachdem sie ein paar Blätter umgeschlagen; und der Bassa fand diese Worte: «Das schwarze Ferkel ist in dem Sacke von rosenfarbem Taft, den die zwei zirkassischen Tänzerinnen tragen.» Bei diesen Worten stürzte der Bassa voll Verzweiflung auf den Sofa hin. «Oh, ganz gewiß», rief er, «ist das der Sack, den mir diesen Morgen zwei unbekannte Weibspersonen um dreihundert Zechinen verkaufen wollten; und allem Ansehen nach sind sie es eben die Zirkasserinnen, welche die beiden Brüder der schönen Sumi tanzen machten und ihnen die Talismane der Töchter Sirocos entwendeten. Wehe mir, daß ich sie davongehen ließ! Sie hätten aller unsrer Not ein Ende machen können. Man eile, sie aufzusuchen, sie wiederzubringen; ich bin bereit, ihnen die Hälfte meiner Schätze zu geben.»

Während daß der Bassa seinen Unmut so ausließ, hatte Ibrahim das Buch der Geheimnisse ebenfalls aufgeschlagen und mit Beschämung diese Worte darin gefunden: «Der Tesbusch wurde abgereihet, um Gerad oder Ungerad zu spielen: der Eigentümer desselben wollte betrügen und ein Kügelchen heimlich auf die Seite schaffen; der Unredliche mag so lange suchen, bis er die fehlende Koralle findet.» – «O Himmel», rief lbrahim, «itzt besinne ich mich der unseligen Geschichte wieder; ich hatte den Faden der Betschnur abgeschnitten, um mit der schönen Aurore zu spielen; ich hatte alle neunundneunzig Korallen in der Hand, und sie riet ungerade; um zu gewinnen, ließ ich eine fallen; es war nun gerade, und sie verlor; aber wiewohl ich täglich drei ganzer Stunden suchen muß, hab‘ ich doch mit allem meinem Suchen das Kügelchen, das ich fallenließ, nicht wiederfinden können.» – «O du weiser Derwisch», sagte der Bassa, «wohl behältst du recht! Sobald der Tesbusch, den du meinem Sohne schenktest, nicht mehr vollzählig war, mußte er schwer dafür büßen! Aber sollte uns das Buch des Moyses kein Mittel zeigen, wie der arme Ibrahim seiner täglichen Marter wieder loswerden könnte?» – «Höret», sagte Sumi, «was ich hier lese: ‹Die Koralle ist in die fünfte Falte der Robe von goldnem Mohr gefallen.›» – «Wie glücklich», rief der Bassa; «wir werden die schöne Aurore nun bald zu sehen bekommen; vergiß ja nicht, mein Sohn, in der fünften Falte ihrer Robe zu suchen: denn gewiß meint das Buch der Geheimnisse keine andre.»

Kaum hatte die schöne Jüdin das Buch wieder zugemacht, so erschien die alte Sklavin mit der jüngsten Tochter des Siroco, unter der Bedeckung verschiedener Kämmerlinge. Die Freude, ihren geliebten Hassan zu sehen, hatte das holde Kind noch reizender gemacht, als Neangir an dem Abend, da er mit ihr zu Nacht speiste, sie gefunden hatte. Hassan war vor Entzücken außer sich; und Zambak, welche Zelide noch nie gesehen hatte, konnte nicht müde werden, sie mit Liebkosungen zu überschütten, so sehr war sie von ihrer Anmut und Artigkeit bezaubert. Die beiden andern Brüder hätten sich kaum erwehren können, Hassans Glück mit neidischen Augen anzusehen, wenn die Hoffnung, womit Sumi sie bei guter Laune zu erhalten suchte, ihrer Erfüllung nicht mit jeder Stunde nähergekommen wäre.

Indessen war es Abend geworden, und die Gesellschaft stieg in die Gärten des Bassa herab, um der frischen Luft zu genießen, die den Wohlgeruch unzähliger Gattungen von Blumen und blühenden Büschen überall umherstreute. Was die größte Schönheit dieser Gärten ausmachte, waren verschiedene große Terrassen, von denen man nach und nach wie auf Stufen bis zum Meerufer herabstieg. Die schöne Zambak erwählte die unterste dieser Terrassen, um daselbst unter einer großen Laube von Jasminen, die am äußersten Ende stand, mit der ganzen Gesellschaft auszuruhen. Sie hatten sich kaum niedergelassen, als sie durch ein Getöse überrascht wurden und, indem sie aufmerksam gegen die Mauer, woher es kam, hinhorchten, mit großer Heftigkeit reden hörten. «Undankbare», sagte eine männliche Stimme, «können fünf Jahre, seit ich Euch mit der feurigsten Leidenschaft liebe, mir keine bessere Begegnung von Euch verschaffen? Sehet selbst, was für eine unerträgliche Beleidigung Ihr mir da wieder zugefügt habt! Ich muß mich nun gänzlich aus der Welt verbannen, und diese Höhle selbst ist noch nicht finster genug, mich vor den Augen aller Menschen zu verbergen.» Diese Rede erregte eine allgemeine Aufmerksamkeit; aber man hörte statt der Antwort nichts als ein Gelächter, das kein Ende nehmen wollte. «Ah, ihr treulosen Geschöpfe», fuhr die nehmliche Stimme fort, «hätte ich mich nach den großen Wohltaten, die ich euch erwiesen, einer solchen Begegnung zu euch versehen sollen? Ist’s das, was ihr mir versprachet, als ich euch die Talismane der Schönheit in die Hände spielte? Leider seid ihr dadurch nur angereizt worden, mich treuloserweise zu verlassen; und da ich euch endlich wiedergefunden, so macht ihr euch kein Bedenken, mir den empfindlichsten Schimpf anzutun! Ist das der Dank dafür, daß ich euch das kleine schwarze Ferkel geschenkt habe, womit ihr das größte Glück machen könnt?»

Bei diesen Worten stieg die Verwunderung und die Begierde, noch mehr zu wissen, bei den Zuhörern auf den höchsten Grad. Der Bassa ließ sogleich alle seine Leute zusammenrufen und befahl ihnen, die Mauer einzureißen, die ihn von den Unsichtbaren trennte, deren Stimme man gehört hatte. Sein Befehl war in wenig Augenblicken ins Werk gesetzt; aber man fand den Mann, der gesprochen hatte, nicht mehr: man sah bloß zwei junge Personen von außerordentlicher Schönheit, die, ohne die mindeste Unruhe über diesen Vorgang blicken zu lassen, mit leichten tanzenden Schritten der Gesellschaft auf der Terrasse sich näherten. Ein alter Schwarzer kam hinter ihnen drein, den der Bassa für eben den Guluku erkannte, dem er Neangirn anvertraut hatte, ehe er in einen kupfernen Kochtiegel verwandelt wurde.

Sobald der Sklave den Bassa ansichtig wurde, warf er sich mit dem Angesicht auf die Erde vor ihm hin und sprach sich selbst sein Urteil. «Ich verdiene den Tod», sprach er, «weil ich Euern Sohn verlorengehen ließ; aber mein Verbrechen war unvorsetzlich und verdient keine grausame Bestrafung.» – «Stehe auf, Guluku», sagte der Bassa; «ich habe meinen Sohn wiedergefunden; dein Versehen soll dir verziehen sein, zumal da du dich, wie man mir sagte, selbst bestrafen wolltest und dich ins Meer stürztest, als mein Sohn verschwunden war. Aber sage mir, wie es zuging, daß ich dich noch am Leben finde? Und vor allem sage, wer sind diese beiden schönen Mädchen, und was bedeuten die Reden, die soeben in dieser Höhle geführt wurden?» – «Mein gebietender Herr», antwortete Guluku, «aus Verzweiflung über den Verlust meines jungen Herrn hatte ich mich zwar ins Meer gestürzt; aber sobald ich im Wasser war, behielt die Liebe zum Leben die Oberhand. Ich schwamm, so lang ich konnte, und erreichte endlich mit vieler Mühe das Ufer. Dort fand ich einen guten Derwisch, der mich das eingeschluckte Wasser wieder von mir geben ließ und Sorge zu mir hatte. Ich erzählte ihm das Unglück, das mir zugestoßen, und er schien alles für bekannt anzunehmen. ‹Ich weiß, was aus deinem jungen Herrn geworden ist›, sagte er; ‹er wird sich wiederfinden; aber inzwischen wirst du wohl tun, wenn du deinem Herren aus dem Wege gehst. Ich will dich als Bedienten zu einem Paar junger Frauenzimmer bringen; du sollst sie heute noch zu einer großen Lustbarkeit begleiten und in allem zu ihrem Befehle sein.› Ich folgte also dem Derwisch, und so stellte er mich diesen beiden jungen Damen vor, die ich seit diesem immer als ihr getreuer Sklave begleitet habe; aber was ihren Stand und ihre Geschichte betrifft, darüber werden sie Euch selbst die beste Auskunft geben können.» – «Vor allem sagt mir», fuhr der Bassa etwas rasch heraus, «wo ist das schwarze Ferkel, dessen ich erwähnen hörte?» – «Herr», antwortete sogleich eine von den beiden Mädchen, wiewohl die Frage nicht an sie gerichtet war, «sobald der Alte, bei dem wir waren, die Mauer einreißen hörte, entfloh er durch eine Öffnung, die ins Feld hinausgeht, und da hat er den Sack zusamt dem Ferkel mitgenommen.» «Man laufe ihm eilends nach», rief der Bassa, «und ergreife ihn!» – «Ihr könnt ganz ruhig sein, mein Herr», sagte das andere Mädchen; «der Mann ist ein Derwisch, er ist in uns verliebt, und er kommt ganz gewiß wieder; gebt nur Befehl, daß man den Eingang bewache, um ihm, sobald er wieder drin ist, den Ausgang zu versperren.»

Weil der Tag beinahe gesunken war, kehrte die ganze Gesellschaft in den Palast zurück. Der Bassa und Siroco schienen sehr von den Reizungen der beiden Unbekannten eingenommen und erwiesen ihnen große Achtung; aber was ihnen eigentlich am Herzen lag, war doch, je bälder, je lieber herauszubringen, ob sie nicht diejenigen seien, die im Besitz der zwei Talismane waren, welche Izif und Izuf Auroren und Argentinen entwendet hatten.

Man trat in einer prächtigen Galerie ab, die den Harem von dem vordern Teile des Palastes absonderte. Sie war durch eine große Anzahl kristallner Kronleuchter mit silbernen Lampen beleuchtet. Sobald man Platz genommen hatte, wurde die Gesellschaft mit Kaffee, Sorbet, trocknen und eingemachten Früchten und einer Menge anderer Erfrischungen bedient. Der Bassa, dem seine Zweifel lästig zu werden anfingen, befahl die drei Juden herbeizuholen, um zu sehen, ob sie die beiden jungen Personen für diejenigen erkennen würden, die ihnen in dem Karawanserei ihre Kostbarkeiten abgenommen; aber man brachte ihm die Nachricht: Während daß die Sklaven gegangen seien, die Mauer einzureißen, hätten sich die drei Juden aus dem Staube gemacht. Die schöne Sumi erblaßte bei dieser Zeitung, beruhigte sich aber bald wieder, nachdem sie, ohne bemerkt zu werden, ihr Buch hervorgezogen und einen Blick dareingetan hatte. Sie steckte es geschwind wieder ein und sagte halblaut: «Sie werden den Derwisch erwischen, man braucht ihrentwegen in keiner Unruhe zu sein.» Indessen konnte sich Hassan doch nicht enthalten, seinen Unmut laut werden zu lassen. «Wir sind doch sehr unglücklich», rief er aus; «wenn uns das Glück auf der einen Seite in die Hände läuft, so geschieht es immer nur, um uns auf der andern wieder zu entwischen.»

Ein Leibpasche des Bassa, der alles bei ihm galt, konnte sich über diesen Gedanken des Lachens nicht enthalten. «Gnädiger Herr», sagte er zu Hassan, «was kümmern Euch die drei Juden? Ich würde mich an Eurer Stelle an diesen beiden jungen Personen erholen, die ich nicht gegen alle Juden in der Welt vertauschen wollte. Dies Glück kam uns tanzend, jenes lief auf Krücken davon; es wird nicht sehr weit laufen.» Der Bassa, dem diese Freiheit seines Paschen in der bösen Laune, worin er sich eben befand, anstößig war, befahl ihm, sich sogleich zu entfernen und ihm nicht wieder vor die Augen zu kommen. «Ich gehorche, mein Gebieter», sagte der Pasche; «aber es soll nicht lange anstehen, so will ich in so guter Gesellschaft wiederkommen, daß Ihr mich mit Vergnügen sehen sollt.» Und damit verschwand er, ohne daß man begriff, was er sagen wollte.

Die Ungeduld, zu wissen, ob die beiden schönen Unbekannten die Talismane der Töchter Sirocos in ihrer Gewalt hätten oder nicht, wurde inzwischen immer dringender; und Neangir konnte sich endlich nicht länger halten. «Ihr sehet hier», sagte er zu ihnen, «drei junge Leute, die von der heftigsten Leidenschaft eingenommen sind. Nichts ist liebenswürdiger als die Gegenstände unsrer Sehnsucht; aber zwei von ihnen leiden großes Ungemach und sind aller ihrer Vorzüge beraubt. Wenn es nur bei Euch stände, wolltet Ihr ihnen nicht ihre Reize und ihre Freiheit wiedergeben?»

Bei diesen Worten schienen die beiden Unbekannten vor Zorn feuerrot zu werden. «Was?» sagte eine von ihnen mit einer Heftigkeit, die ans Komische grenzte. «Wir? Wir sollten den Leiden irgendeines Liebenden abhelfen? Nein, macht Euch keine Hoffnung dazu! Wir sind Eure Sklavinnen nicht, und Ihr könnt uns nicht dazu zwingen. Nachdem das Schicksal so grausam gegen uns gewesen ist, uns unsrer Geliebten auf ewig zu berauben, möchte doch die ganze Welt ebenso unglücklich sein als wir. Ja, meine liebe Schwester», setzte sie hinzu, sich zu ihrer Gefährtin wendend, «wiewohl mein Kopf leicht geworden ist, so werde ich doch unsrer Schwüre nie vergessen; und sofern es in unsrer Macht steht, soll niemand, den die Liebe begünstigen will, unsers Unglücks durch seine Freude spotten!»

Diese Reden setzten alle Anwesenden in große Verwunderung, und man ersuchte die Unbekannte, sich zu erklären, was es mit ihrem Unglück für eine Bewandtnis habe und durch was für einen Zufall ihr Kopf leicht geworden sei. Sie bezeugte sich dazu nicht abgeneigt, und nachdem sie einen Blick auf ihre Gesellin geworfen, als ob sie sich ihre Einwilligung ausbäte, begann sie ihre Erzählung folgendermaßen:

«Mein Name ist Dely, und meine Schwester hier nennt sich Tezile. Wir sind in Zirkassien geboren und wurden von unsern Eltern, die sich große Hoffnungen von unsrer Gestalt machten, von früher Kindheit an für den Harem des Großherrn bestimmt; eine Spekulation, womit Leute von geringem Stande und Vermögen in unserm Lande sehr gewöhnlich ihre Glücksumstände zu verbessern pflegen. Zu diesem Zwecke wurden wir frühzeitig in allen Künsten geübt, die den natürlichen Reiz der Jugend und Schönheit erhöhen; und ich darf sagen, daß wir schon als sehr junge Mädchen auf allen Arten von Instrumenten, im Singen und vornehmlich im Tanzen wenige unsersgleichen hatten. So hart es auch unsre Eltern anzukommen schien, sich von uns zu trennen, so vergnügt waren sie doch, als diejenigen, welche sich damit abgeben, Odalisken für den Harem des Großherrn aufzukaufen, nachdem sie uns in Augenschein genommen hatten, uns würdig fanden, dem obersten Beherrscher der Gläubigen dargestellt zu werden. Der Tag, an welchem wir nach Konstantinopel abgehen sollten, war nun bestimmt, als wir des Abends zuvor zwei junge Unbekannte von der einnehmendsten Gestalt in unsre Wohnung treten sahen. Der eine schien zwanzig Jahre alt; seine Haare waren rabenschwarz, seine Augen voll Feuer, und sein Gesicht glühte in der lebhaftesten Farbe der Gesundheit; der andere, der kaum fünfzehn zu haben schien, war blond, hatte himmelblaue Augen, eine blendendweiße Haut, die das frischeste Rosenrot durchschimmern ließ, und überhaupt so feine Züge und eine so zarte Bildung, daß er für das schönste Mädchen hätte verkauft werden können. Sie redeten uns mit einem furchtsamen Anstand an und gaben vor, daß sie sich verirret und wegen einbrechender Nacht genötiget gesehen hätten, eine Zuflucht bei uns zu suchen. Unsre Mutter, wiewohl nicht ohne Angst vor unsern Käufern, denen ein solcher Besuch nicht anständig hätte sein mögen, konnte es doch nicht über ihr Herz bringen, sie abzuweisen, und erlaubte ihnen also, die Nacht in unsrer Hütte zuzubringen. Wenn diese beiden jungen Fremdlinge auf unsre Eltern selbst Eindruck gemacht hatten, so war es wohl kein Wunder, daß wir junge Mädchen, die außer unserm Vater noch keinen Mann gesehen hatten, ganz von ihrem Anblick bezaubert wurden. Vorher hatten wir uns auf unsre Abreise gefreut, in der kindischen Hoffnung, daß es uns nicht fehlen werde, große Damen im Harem des Sultans zu werden; nun stellten wir uns unser Schicksal als das fürchterlichste Elend vor: wir seufzten wider Willen bei jedem Atemzuge, und kurz, die heftigste Leidenschaft hatte sich in einem Augenblick unsrer kleinen Herzen bemeistert.

Inzwischen ward es Nacht. Ich lag neben Tezilen; aber beide ganz mit dem Bilde der jungen Fremdlinge beschäftigt, hatte keine von uns den Schlaf finden können. Endlich hörte ich dicht an meinem Ohre flüstern; ich war im Begriffe, laut aufzuschreien, aber zum Glücke ließ mich der erste anbrechende Tagesschimmer sehen, daß es der jüngste der beiden Fremden war, der neben mir saß, indes sein Gefährte sich auf der andern Seite mit Tezilen unterhielt. ‹Ruhig, schöne Dely›, flüsterte er mir zu, indem er mich bei der Hand nahm, ‹höre einen Prinzen an, den im ersten Augenblicke, da er dich sah, die Liebe zu deinem Sklaven gemacht hat.› Ich war außer mir, zitterte und verstummte und hatte nicht so viel Kraft, meine Hand zurückzuziehen, die er mit der zärtlichsten Inbrunst küßte. Er sagte mir hierauf, er nenne sich Alidor, sei der Sohn des Königs der schwarzen Marmorinsel; sein Gefährte sei zwar kein Königssohn, aber er besitze Geheimnisse, die ihn den größten Königen gleich machten; er selbst sei von dem Hofe seines Vaters heimlich entflohen, weil man ihn mit der Prinzessin Okimpare, einer Nichte des Königs, habe vermählen wollen, die zwar ein Wunder von Verstand und Schönheit sei, aber das rechte Auge ein wenig größer habe als das linke. Meine kleine Eitelkeit fand sich von einer so glänzenden Eroberung unendlich geschmeichelt, und ich kehrte ihm mit einem schmachtenden Blicke beide Augen zu, um ihm zu zeigen, daß die meinigen einander vollkommen gleich seien, aber dieser Blick hätte ihm beinahe den Verstand gekostet; ich sah, daß er die Augen verdrehte und in Gefahr war, unmächtig hinzusinken. Ich hatte nichts um mich als die Haut eines Tigers, den mein Vater auf der Jagd erlegt und womit er mir ein Geschenke gemacht hatte; ich konnte also unmöglich aufstehen, aber Tezile, die meine Verlegenheit merkte, warf einen Rock um und kam ihm mit Thelamir zu Hülfe. Als Alidor wieder zu sich selbst kam, fand er sich in einer Lage, die ihm mehr als die stärkste Liebeserklärung von meiner Seite wert sein mußte, denn ich hatte mich mit dem halben Leibe aufgerichtet, um seinen Kopf zu unterstützen, der, anstatt auf den Boden (wie ich gefürchtet hatte), an meinen Busen gesunken war. Meine Schwester, die vor Angst zitterte, daß man uns in diesem Zustande überraschen möchte, mußte alle ihre Stärke anwenden, ihn von mir wegzureißen.

Einen Augenblick darauf hörten wir ein Getöse, und unsre jungen Liebhaber hatten kaum noch Zeit, uns die Hand zu küssen und sich unsichtbar zu machen. Es waren unsre Führer, die uns abzuholen kamen. In der Verwirrung, worin wir uns befanden, mußten wir alles mit uns machen lassen, was man wollte. Wir sahen eine Karawane von mehreren Kamelen, deren jedes zwei große hölzerne Kasten trug. Unsre Eltern umarmten uns zum letzten Male, und man packte uns, mich und meine Schwester, in eines dieser Gehäuse ein, das oben durch ein Fenster Licht empfing und worin wir ganz bequem sitzen und liegen konnten. Wir reiseten auf diese Weise etliche Tage lang in großer Unruhe, was aus unsern Liebhabern geworden sei, die indessen Tag und Nacht der Inhalt unsrer Gespräche und Träume waren. Endlich erblickte ich eines Morgens durch das Fenster, das über meinem Kasten war, eine junge Person in einer Kleidung wie die unsrige, die mich bei meinem Namen rief. Ich sprang in Entzückung auf und erkannte den Prinzen Alidor, der mir sagte, Thelamir habe ihn auf diese Art verkleidet, indem er sich für einen Sklavenhändler ausgegeben, der dem Sultan eine wunderschöne Sklavin zum Geschenke bringen wollte. Diesem zufolge habe er einen Kasten auf eben dem Kamele, wo der unsrige war, gemietet und ihn als die vergebliche Sklavin darein verschlossen; und durch Thelamirs Beihülfe habe er Mittel gefunden, den Deckel seines Kastens aufzuheben und über den Saumsattel des Kamels bis an unser Fenster zu steigen. Wir waren außer uns vor Freude über diese schlaue Erfindung, die uns, verschiedene Tage durch, das Vergnügen verschaffte, einander zu sprechen oder wenigstens zu sehen; denn um nicht entdeckt zu werden, mußten wir bescheidener sein, als uns lieb war. Aber inzwischen näherten wir uns täglich dem fürchterlichen Orte unsrer Bestimmung, und die Frage war, wie wir es anstellen wollten, um uns in Freiheit zu setzen. Endlich meldete uns Alidor, Thelamir habe unterweges einen guten Derwisch gefunden, dem er weisgemacht, wir wären seine Schwestern, die ihm wider seinen Willen entführt würden; er habe ihn um eine Zuflucht gebeten, auf den Fall, daß er uns den Händen unsrer Räuber entreißen könnte; der Derwisch habe sich erbitten lassen, und es käme also nur darauf an, in der nächsten Nacht, wenn unsre Führer schliefen, durch die obere Öffnung unsrer Gehäuse herauszusteigen und mit ihm davonzugehen. Die Sache kam mit Hülfe unsrer Liebhaber glücklich zustande; wir stiegen heraus, ließen das Kamel stehen, und unsre Führer langten ohne Zweifel des folgenden Tages mit den leeren Kasten bei guter Zeit in Konstantinopel an.

Thelamir war inzwischen unser Wegweiser; wir gingen wieder zurück, und nachdem wir eine Zeitlang durch Pfade, die sonst keinem Menschen bekannt waren, fortgekrochen waren, langten wir an die Einsiedelei des Derwischen an, der uns erwartete. Wir fanden bei ihm eine gute Mahlzeit bereitet, wozu ihm Thelamir Geld gegeben hatte, und entschädigten uns nun für die auf unserm Kamele ausgestandene Langeweile durch das Vergnügen, an einem Orte, der der ganzen Welt verborgen war, in Freiheit und beisammen zu sein. Thelamir und Tezile, die einander seit vielen Tagen nicht gesehen hatten, schienen über dem Vergnügen ihrer Wiedervereinigung alles andere zu vergessen; ich hingegen überließ mich meiner natürlichen Fröhlichkeit. Da ich bemerkte, daß der gute Derwisch mich und meine Schwester nicht gleichgültig ansehen konnte, so verführte ich ihn, mehr Wein zu trinken, als seiner Weisheit zuträglich war, um ihn noch mehr zu entzünden und mit seiner lächerlichen Leidenschaft unser Spiel zu treiben. Tezile sang ein paar Liedchen, die ihn ganz aus seiner Fassung brachten; und ich selbst machte ihm, boshafterweise, so viele Liebkosungen, daß mein geliebter Alidor beinahe eifersüchtig darüber geworden wäre. So brachten wir die Nacht sehr kurzweilig hin. Des folgenden Tages schenkte uns der Derwisch einen schwarzen Sklaven zu unsrer Bedienung und sagte, es läge nur an uns, so wollte er uns zu den schönsten Personen in der ganzen Welt machen. ‹Folget mir alle›, sprach er, ‹in ein Karawanserei, das nicht weit von hier liegt; ihr werdet dort zwei Juden finden, die im Besitze unschätzbarer Kleinode sind, so sie gestohlen haben: trachtet sie in euere Gewalt zu bekommen.› Thelamir riet uns, von dieser Nachricht Gebrauch zu machen; wir folgten dem Derwisch in das Karawanserei, wo wir von einigen Kaufleuten wohl empfangen wurden und uns mit ihnen zu Tische setzten. Es währte nicht lange, so sahen wir die beiden Juden anlangen, die uns der Derwisch beschrieben hatte. Wir setzten sie zwischen uns; und da uns der Derwisch (ohne daß wir begriffen, was er damit sagen wollte) ins Ohr raunte, ihr Bruder habe getanzt, so mußten sie auch mit uns tanzen. Sie können sich rühmen, einen sehr vergnügten Abend mit uns zugebracht zu haben. Wir setzten sie in einen solchen Zustand, daß wir ihnen ohne Mühe alles, was sie hatten, abnahmen, und so überließen wir sie ihrem Schicksal.

Wir hatten sie kaum verlassen, so kam es dem Prinzen und Thelamir und mir selber vor, als ob Tezile hundertmal schöner geworden sei, als sie zuvor war; und das nehmliche sagten sie auch von mir. Thelamir, der selbst eine Menge Geheimnisse besaß, wünschte uns zu dem Schatze, den wir besäßen, Glück, sagte aber nicht, was es wäre.»

Siroco und der Bassa sahen einander hier mit einer Miene an, welche zu erkennen gab, daß sie einerlei Gedanken hatten: sie wollten aber die schöne Dely in ihrer Erzählung nicht unterbrechen.

«Wiewohl Alidor mehr als jemals von mir bezaubert schien, so mißbilligte er doch unsre Unternehmung und wollte schlechterdings nicht, daß wir zu dem gefährlichen Derwisch zurückkehren sollten. Wir schifften uns also, weil es doch nirgends sichrer für uns war, nach der schwarzen Marmorinsel ein und langten ohne einen widrigen Zufall in einem Schlosse an, das mitten in einem großen Walde lag und dem Thelamir zugehörte.

Wir erfuhren hier, daß des Prinzen Vater über seine heimliche Entweichung sehr aufgebracht sei, daß er noch immer auf seiner Vermählung mit der Prinzessin Okimpare bestehe und es also nicht ratsam für den Prinzen wäre, ihm unter die Augen zu kommen. Ich gestehe, wiewohl ich eben nicht ehrgeizig bin und meinen Prinzen bloß um seiner selbst willen liebte, so würde es mir doch unendlich geschmeichelt haben, an einem Hofe zu schimmern und alles dort unter mir zu sehen. Da es aber unter solchen Umständen nicht sein konnte, so überredeten wir einander ohne Mühe, daß wir, um glücklicher als Könige zu sein, nichts als unsre Liebe nötig hätten, zumal da unsre Liebe noch so jung war und uns in Thelamirs Schlosse nichts abging, was wir zu unserm Vergnügen wünschen konnten. Es glich einem wahren Zauberpalaste und war aus einem so glatt polierten Marmor erbaut, daß sich die Gärten, wovon es umgeben war, mit allen ihren Bäumen, Springbrunnen, Lauben, Teichen und Gebüschen darin wie in einem Spiegel abbildeten. Es war von einem ungeheuren Umfang und inwendig aufs prächtigste, bequemste und zierlichste eingerichtet. Besonders war da ein kleines, mit blaßgelbem Taft und Silber möbliertes Appartement, das ich für mich auswählte, weil es zu meinen pechschwarzen Haaren einen ganz entzückenden Effekt machte. Meine Schwester und ich wurden wie ein Paar kleine Königinnen gehalten. Wir hatten eine Menge bildschöner Sklavinnen zu unsrer Bedienung und alle Tage andere Kleider anzuziehen; kurz, wir waren über alle Maßen glücklich; und leider! fehlte nichts als daß es nicht länger dauerte. Doch eines hätte ich bald vergessen, wiewohl es in der Tat mehr dazu diente, unsre Glückseligkeit zu erhöhen als zu unterbrechen. Meine Schwester, die von Natur reicher an Zärtlichkeit ist als ich, befand sich in einem solchen Überflusse, daß ihr, nach allem, was sie davon an Thelamir verschwendete, noch etwas für den Prinzen übrigblieb und würklich (mit ihrer Erlaubnis) mehr als nötig war, um den armen Thelamir in die heftigste Eifersucht zu setzen. Dies brachte von Zeit zu Zeit kleine Stürme hervor, die aber durch Tezilens Tränen und meine gefällige Vermittlung sich immer wieder zu ihrem Vorteile legten und Aussöhnungen veranlaßte, wobei wir alle gewannen.

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