Suche

Märchenbasar

Neangir und seine Brüder, Argentine und ihre Schwestern

0
(0)

Mitten in diesem wonnevollen Leben kam uns die Nachricht zu, daß der König gefährlich krank liege. Ich riet dem Prinzen, nach Hofe zu gehen, um selbst zu sehen, wie es stünde, und sich den Großen des Reichs zu zeigen. Er konnte sich lange nicht entschließen, sich von uns zu trennen; aber endlich redete ihm Tezile an einem Morgen in Thelamirs Gegenwart so stark zu, daß er ihr nicht widerstehen konnte. Aber da ihm seine Liebe zu mir näher am Herzen lag als die Krone, so versprach er uns, daß er noch vor Nacht wieder bei uns sein wollte. Indessen brach die Nacht herein, ohne daß wir ihn wiederkommen sahen. Tezile, die an seiner Abreise schuld war, ließ eine Unruhe darüber blicken, in welcher Thelamir gar zu viel Zärtlichkeit zu sehen glaubte. Ich, meines Ortes, befand mich in einer unbeschreiblichen Bewegung. Ich stund mitten in der Nacht auf und machte mich, in der Hoffnung, ihm zu begegnen, ganz allein auf den Weg, den ich ihn durch den Wald hatte nehmen sehen. Mein Vorgefühl hatte mich nicht betrogen; ich hörte ein Geräusch: es war mein geliebter Prinz; er stieg vom Pferde, sobald er mich erkannte, und wir setzten uns zusammen ins Gras, um uns unserer beiderseitigen Empfindungen zu erleichtern. Wir hatten keine Zeit, von seiner Reise zu sprechen; das Vergnügen, wieder beisammen zu sein, beschäftigte uns ganz allein. ‹Liebster Prinz›, sagte ich zu ihm, ‹möchte ich Euch doch meine ganze Liebe zeigen können. O gewiß, meine Schwester, mit aller ihrer Zärtlichkeit, kann nicht lieben wie ich!› Mein geliebter Alidor war außer sich vor Vergnügen; und sein Gesicht auf das meinige gedrückt, antwortete er mir: ‹O gewiß, wie feurig auch Thelamir lieben mag, seine Liebe wird die meinige nie erreichen!› Kaum hatte Alidor diese Worte ausgesprochen, so hörte ich ein Geräusch hinter uns; wir hatten nicht Zeit, uns umzusehen, von einem einzigen Säbelzug flogen unsre beiden Köpfe und rollten etliche Schritte von uns im Grase.»

«Beim Mahomed», rief Siroco, «es geschah euch recht: wer wird sich auch so abgenutzter Wendungen bedienen, um seine Liebe auszudrücken? Und was soll das heißen: ‹Ich liebe dich so viel und so viel› – oder: ‹Andre Leute lieben nicht wie ich!› Das nenn‘ ich Plattheiten und klaren Unsinn. Hättet ihr einander was Gescheuteres oder lieber gar nichts gesagt, so würde euch diese Verdrießlichkeit nicht begegnet sein.» – «Oh, was das betrifft», fiel Tezile ein, um sich ihrer Schwester anzunehmen; «wenn das Herz recht voll ist, so hat der Kopf keine Zeit, auf Ausdrücke zu studieren.» – «Ihr seid auch gar zu streng, mein Herr», sagte Dely; «es wäre kein Bleiben mehr in der Welt, wenn man allen Leuten, die ohne Sinn reden, die Köpfe abschlagen wollte.

Aber, um meine Erzählung zu Ende zu bringen, in eben dem Augenblicke, da unsre Köpfe herunterflogen, hörte ich die Stimme Thelamirs, der in äußerstem Grimme zu uns sagte: ‹Treulose, antwortet mir, ich gebe euch auf etliche Augenblicke die Macht dazu: ungetreue Tezile, falscher Alidor, es ist heute nicht zum ersten Male, daß ich euer Einverständnis entdecke; was für Ursache habe ich euch gegeben, mir so mitzuspielen?› Nun sahe ich erst, daß mich Thelamir für meine Schwester gehalten hatte. ‹Ich bin nicht Tezile›, antwortete ihm mein Kopf mit schwacher Stimme; ‹ich bin die arme Dely, die Ihr mit Euerm Freunde unschuldig ums Leben bringt.› – ‹Wenn das ist›, versetzte Thelamir, indem er sich augenblicklich wieder faßte, ‹so seid ohne Kummer, ich kann euch das Leben wiedergeben.› Sogleich suchte er auch den Kopf des Prinzen, schob einem jeden von uns eine magische Pastille in den Mund und setzte uns unsre Köpfe wieder auf, die denn auch, durch die Wunderkraft der magischen Zeltchen, im Nu wieder so gut einpaßten und so fest saßen, daß nicht die mindeste Narbe daran zu sehen war; aber weil es Nacht und Thelamir in Eile war, hatte er sich vergriffen und meinen Kopf auf Alidors Hals und des Prinzen seinen auf den meinigen gesetzt.

Wir wunderten uns nicht wenig über die ungewohnten Vorstellungen, die aus unserm Herzen in unsern Kopf aufstiegen. Wir langten mit den Händen an unsre Stirne; des Prinzen seine waren ebensowenig gewohnt, einen weiblichen Kopfputz, als die meinigen, einen Turban da zu finden; wir konnten gar nicht begreifen, was mit uns vorgegangen sein müsse. Aber bei unsrer Zurückkunft in den Palast, wo uns meine Schwester mit Lichtern entgegenkam, wie groß war mein Erstaunen, da ich meinen Kopf auf einem andern Rumpf als auf dem meinigen stehen sah! Meine Schwester glaubte anfangs, daß ich die Kleider mit dem Prinzen verwechselt hätte; aber da sie ihren Irrtum gewahr wurde, so war ihr Erstaunen nicht kleiner als das unsrige; und weil es unmöglich war, ihr die Geschichte dieser seltsamen Versetzung unsrer Köpfe zu verbergen, so hatte Thelamir, der bei diesem allem die schlimmste Rolle spielte, nicht wenig zu tun, wegen eines so übel angebrachten Beweises seiner Liebe zu ihr, Verzeihung zu erhalten. Um seinen Fehler wiedergutzumachen, sagte er uns: Er habe noch ein paar Zeltchen von gleicher Kraft und Tugend, und wenn es uns gefällig wäre, wollte er die Operation wiederholen und jedem das seinige wiedergeben. Aber wir konnten uns nicht entschließen, die Probe noch einmal an uns machen zu lassen, und begnügten uns, die magischen Pastillen anzunehmen, die er uns anbot, um davon Gebrauch zu machen, falls wir jemals in den Fall kommen sollten, unsre Köpfe zu verlieren.

Inzwischen hatte der Irrtum des Thelamir natürlicherweise eine Menge Folgen, die uns alle Augenblicke in kleine Verlegenheiten setzten. Mein Kopf führte den Prinzen, ohne daran zu denken, in mein gelbes Zimmer, wo ihm aber meine Sklavinnen die Türe vor der Nase zuschlossen, mit der Versicherung, es wäre nichts darin, das ich brauchen könnte; und man führte mich in die Zimmer des Prinzen. Aber da man mich auskleiden wollte, hätte ich gleich vor Beschämung sterben mögen, so viele Mannsgestalten um mich herum zu sehen. Am allermeisten setzte mich meine eigene Person in Befremdung: ich war wie schlaftrunken und konnte mich gar nicht daran gewöhnen, Alidor zu sein, da ich doch in meinen Gedanken Dely war. Ich stellte mir vor, daß es dem Kopfe des Prinzen, der in diesem Augenblick auf meinem Körper in meinem Zimmer war, nicht besser ergehen würde, und ich hätte gar zu gerne sehen mögen, wie er sich dabei benähme; aber mit allen diesen Gedanken war mein Schlaf nicht der ruhigste. Indessen brauchte es doch nur wenige Tage, um uns selbst und alle Personen im Schlosse an diese Metamorphose zu gewöhnen. Ich wurde mit Alidors Kopfe die schönste Blondine von der Welt; Alidor wurde mit dem meinigen, so wie ihr ihn hier vor euch sehet (denn ich bekam ihn in der Folge wieder), ein Brünett, der die Miene hatte, einiges Unheil unter den Weibern anzurichten.

Bald darauf erhielten wir Nachricht, daß der König gestorben sei. Alidor, der mit meinem Kopfe eine Menge Ambition bekommen hatte, war voller Ungeduld, sich nach der Hauptstadt zu erheben und zum König ausrufen zu lassen. Aber nun wurden wir erst der schlimmsten Folge unsers Kopfwechsels gewahr, denn welches von uns beiden sollte den neuen König vorstellen? Die Person, die des Prinzen Gesichtszüge hatte, war ein Mädchen; der Prinz war unkennbar mit einem andern Gesichte als dem, so er immer geführt hatte; und den Großen des Reichs unsre Geschichte zu erzählen, hätte zu nichts helfen können, denn man würde sie nicht geglaubt haben. Es wäre schwer gewesen, uns durch einen vernünftigen Ausweg aus dieser Verlegenheit zu finden; aber mein Kopf ersparte uns diese Mühe: er tat, was er wollte, und so gingen wir, mein Liebhaber und ich, uns den Ständen darzustellen. Allein, wir fanden unsre Sache bereits in einer sehr schlimmen Lage. Der König, da er seinen Tod vor Augen sah, hatte seinen Sohn noch vorher enterbt und die Prinzessin Okimpare auf den Thron gesetzt. Die Großen des Reichs hatten eine Antwort für uns bereit, gegen welche gar nichts einzuwenden war: Sie würden, sagten sie, dem Sohne des verstorbenen Königs ohne Bedenken den Vorzug vor der Prinzessin gegeben haben; aber sie könnten ihn weder in Alidor noch in mir erkennen. Wir wurden also für Betrüger erklärt, man machte uns den Prozeß, und man verurteilte uns, noch zu allem Glücke, den Kopf zu verlieren. Unter andern Umständen würde uns diese Entwicklung unsrer Geschichte nicht die angenehmste gewesen sein, aber jetzt trösteten wir uns mit dem Gedanken, daß dies eine Gelegenheit sei, unsre eigne Köpfe wiederzubekommen und vielleicht dadurch den Sachen eine andre Wendung zu geben. Wir verließen uns auf den Beistand Thelamirs und Tezilens, welche Mittel gefunden hatten, auf das Schafott gelassen zu werden. Alles ging nach Wunsche vonstatten. Sobald unsre Köpfe herunter waren, steckte uns Thelamir die Pastillen, die er noch übrig hatte, in den Mund, setzte uns die Köpfe wieder auf und stellte nun, zu allgemeinem Erstaunen, dem versammelten Volke in Alidor den Sohn des Königs und den rechtmäßigen Thronfolger dar, welcher auch augenblicklich von jedermann dafür erkannt wurde. Okimpare, die auf einem Balkon des königlichen Palastes zusah, fiel in Ohnmacht und wurde weggetragen. Ich lief in Entzückung auf meinen geliebten Prinzen zu, um ihn in meine Arme zu schließen; aber wie groß war mein Entsetzen, da ich sah, daß sein Gesicht leichenblaß wurde, seine Augen allen Glanz verloren und da er mit schwacher Stimme zu mir sagte: ‹Ich sterbe, meine liebe Dely, aber ich sterbe als König und getreu.› Itzt sah ich, daß eine Pulsader seines Halses nicht recht eingepaßt war und das Blut meines lieben Prinzen unter seinem Rocke herabfloß. Kurz, der arme Alidor konnte sich nicht länger auf seinen Füßen erhalten; er sank in unsre Arme und atmete seine Seele aus. In diesem Augenblicke machte mich die Verzweiflung wütend. Ich ergriff das Schwert, das auf den Boden des Schafotts gefallen war. Thelamir wollte mir in die Hand fallen, weil er glaubte, daß ich mich selbst durchbohren wolle; aber ich bestrafte ihn dafür, daß er den Kopf meines geliebten Prinzen nicht besser aufgesetzt hatte, und stieß ihn mitten durchs Herz; er fiel tot zu den Füßen meines Liebhabers hin.»

Jedermann hörte mit größter Aufmerksamkeit einer so wundervollen Geschichte zu, als man gewahr wurde, daß Dely auf einmal todblaß wurde und daß Tezile auf die Polster, worauf sie saß, hingesunken war; so sehr hatte die Erinnerung an diese unglückliche Szene beide Schwestern angegriffen. Zambak befahl ihren Sklavinnen, alles anzuwenden, um sie wieder zurechte zu bringen, und ließ sie in ein Zimmer nahe an dem ihrigen tragen.

Inzwischen, und während daß man über die Geschichte, welche Dely erzählt hatte, allerlei Betrachtungen anstellte, rückte die Mitternacht herbei. Neangir, der neben der schönen Jüdin saß, zeigte ihr das Bildnis der reizenden Argentine und hörte mit großem Vergnügen von ihr, daß sie noch schöner sei, als sie da gemalt war. Die ganze Gesellschaft wartete nun mit Ungeduld auf die beiden Uhren, welche zu Sumi zurückkehren sollten, und der Bassa hatte deswegen befohlen, alle Türen im Palast offenstehen zu lassen; aber man war zugleich in großer Angst, derjenige, der sie diesen Morgen gekauft hatte, möchte sie von ungefehr aufgezogen haben und sie möchten also diese Nacht nicht wiederkommen, als man den jungen Paschen hereintreten sah, den der Bassa diesen Abend aus seiner Gegenwart verbannt hatte. Der Bassa warf einen zürnenden Blick auf ihn. «Asemi», sprach er zu ihm, «ist das der Gehorsam, den du meinen Befehlen leistest? Habe ich dir nicht verboten, mir vor die Augen zu kommen?» – «Mein gebietender Herr», antwortete Asemi mit Demut, «ich stand im Vorsaal bei der Türe und hörte der Erzählung dieser schönen Tänzerinnen zu. Ihr seid ein Liebhaber von Historien: ich weiß eine, die gar nicht lang ist, die Euch aber sehr interessieren wird; habt die Gnade, sie anzuhören, und wenn sie Euch nicht gefällt, so laßt mich nach der Strenge züchtigen.» «Es sei darum», sagte der Bassa; «gib wohl acht, was du sagen wirst.»

«Mein gnädigster Gebieter, ich lustwandelte diesen Morgen in der Stadt herum. Von ungefehr komme ich neben einem Manne zu gehen, dem ein Sklave von gutem Aussehen mit einem großen Korbe folgte. Der Mann geht vor einen Bäckerladen, läßt sich vom besten Brote geben und beladet den Sklaven damit. Hierauf geht er zu einem Obsthändler, kauft von seinen schönsten Früchten ein und übergibt sie dem Sklaven. Von da gehen wir auf den Markt, wo er das beste Wildbret und alle Arten Gewürz zur Zubereitung einkauft und es ebenfalls dem besagten Sklaven gibt.»

«Nun – bei meinem Leben», sagte Siroco, «Asemi wird unter zweihundert Prügeln auf die Fußsohlen nicht davonkommen; seine Erzählung ist nichts weniger als interessant.»

«Ich bin aber auch noch nicht damit zu Ende», sagte der Pasche; «das Interessante wird schon kommen, wenn man mich nur fortfahren läßt. Der Unbekannte sagte hierauf zu seinem Sklaven: ‹Trage nun das alles nach Hause und sorge dafür, daß das Essen bis Mitternacht auf den Punkt fertig ist; ich werde Gesellschaft haben, aber wir können nicht länger als eine Stunde bei Tische sein.› Der Sklave trabte mit diesem Befehle fort, und ich folgte meinem Unbekannten noch immer in einiger Entfernung. Da sah ich, daß er eine Uhr kaufte, sie in seinen Busen steckte und davonging. Einige Schritte vorwärts sah ich, daß er sich bückte, um eine goldne Uhr aufzuheben, die er vor seinen Füßen fand. Ich lief eilends hinzu, um meinen Anteil zu fordern, weil ich die Uhr zu gleicher Zeit gesehen hätte. ‹Das ist billig›, sagte er, führte mich in seine Wohnung, gab mir vierhundert Zechinen für die Hälfte der Kostbarkeit, die er in meiner Gegenwart gefunden hatte, und ließ mich damit gehen. Ich eilte nach Hause, um meinen Dienst zu tun, und begleitete Euch, gnädiger Herr, da Ihr bei dem Kadi abstieget. Hier hörte ich aus der Geschichte der drei Juden, was die beiden Uhren auf sich hätten; ich lief sogleich nach der Wohnung meines Unbekannten; aber ich traf niemand an als den Sklaven, der mich kurz zuvor bei ihm gesehen hatte und mich für einen seiner Freunde halten mochte. Da ich vorgab, ich hätte seinem Herrn etwas Wichtiges zu sagen, so ließ er mich hineingehen, um zu warten, bis sein Herr zurückkäme. Ich sah die beiden Uhren auf einem Tische liegen, steckte sie zu mir, legte statt der goldnen die vierhundert Zechinen und sechse statt der silbernen auf den Tisch und ging davon. Ich vergaß nicht, die Uhren zur gehörigen Zeit aufzuziehen, und in diesem nehmlichen Augenblicke sind Aurore und Argentine unter einem doppelten Schloß in meiner Kammer.»

Bei diesen Worten fiel Siroco, vor Freude außer sich, dem Paschen um den Hals, und alle übrigen liefen hinzu und erstickten ihn beinahe mit Umarmungen. Neangir und seine Brüder sprangen wie unsinnig herum, indessen Asemi auf einmal unsichtbar wurde, aber einen Augenblick darauf mit Auroren an der einen und Argentinen an der andern Hand in den Saal zurückkam.

Die Szene, die nun folgte, läßt sich besser denken als beschreiben. Zelide flog in die Arme ihrer so lange beweinten Schwestern; Siroco weinte vor Freuden, daß er seine Kinder wieder hatte; Zambak ließ sie neben sich auf den Sofa sitzen und konnte sich nicht satt an ihnen sehen; die drei Jünglinge standen und verschlangen sie mit ihren Augen; und Neangir fand seine geliebte Argentine tausendmal reizender, als er sie in ihrem Bilde gefunden hatte.

Inzwischen nahte sich Ibrahim der schönen Aurore, warf sich zu ihren Füßen und suchte und fand in der fünften Falte ihres Kleides die Koralle, die er verloren hatte. Voller Freude reihte er sie geschwinde mit den achtundneunzig übrigen an einen Faden und rief entzückt: «Der Tesbusch ist wieder vollständig, ich werde nicht länger suchen!» – «Aber ich Armer», rief Hassan, «ich werde noch immer weinen müssen und bin nun allein unglücklich. Es war doch wenigstens eine Art von Trost für mich, mein lieber Bruder, wenn ich dich in unserm Zimmer so herumrennen sah, während ich, in der tiefsten Traurigkeit versunken, auf meine schwarze Hand herab weinte!» Man tröstete den armen Hassan so gut als möglich, indem man ihm vorstellte, daß der Derwisch mit dem rosenfarbtaftenen Sack ganz unfehlbar würde eingeholt werden.

Neangir, dem vor dem bloßen Gedanken schauderte, daß seine geliebte Argentine in Gefahr gewesen war, von einem Unbekannten aufgezogen zu werden, erkundigte sich bei ihr, ob sie nicht wisse, wer dieser Mann sei und wie er hinter ihr Geheimnis habe kommen können. «Alles, was ich davon weiß», sagte sie, «ist, daß es der nehmliche Musulmann war, bei dem ihr gestern euer Nachtlager hattet; und daß ich, während ihr eure Tür aufschlosset, um uns auf der Treppe einzuholen, jemand sagen hörte: ‹Geht nur, ihr artigen Kinder, morgen will ich euch kaufen und nicht so nachlässig sein wie er.› Neangir fiel dem Paschen von neuem um den Hals und konnte nicht Worte genug finden, ihm seine Dankbarkeit auszudrücken. Inzwischen wurde eine Kollation für die beiden Schwestern aufgetragen, und nachdem Siroco das Fläschgen mit dem Elixier der vollkommnen Liebe hatte holen lassen, brachten es Neangir und Ibrahim jeder seiner Geliebten zu. Sobald sie davon getrunken hatten, blitzten ihre Augen von einem noch schönern Feuer, und sie wurden nicht müde, einander ewige Zärtlichkeit zuzuschwören. Die Freude war so groß, daß man ganz vergessen hatte, daß sie nur eine Stunde dauern würde. Diese glückliche Stunde war nur zu bald vorbei; auf den Schlag eins verschwanden die Töchter Sirocos und wurden wieder Uhren. Allgemeine Traurigkeit folgte nun auf die allgemeine Freude; aber Asemi versprach bei Verlust seines Kopfes, der Bezauberung binnen vierundzwanzig Stunden ein Ende zu machen, wenn man ihm die Uhren anvertrauen wollte. Seine Bitte wurde ihm zugestanden, und der Bassa, um ihm desto mehr Lust zur Sache zu machen und ihn für die Zechinen, die er dem Unbekannten wiedergegeben, zu entschädigen, warf ihm einen Beutel mit tausend Dukaten zu.

Sobald es tagte, stieg Asemi (den die Freude über seinen Reichtum und sein Versprechen, die Töchter Sirocos zu entzaubern, die ganze Nacht durch wach erhalten hatte) in die Gärten herab. Nachdem er einige einsame Gänge durchloffen, machte ihn eine schöne Stimme aufmerksam, die aus einem nicht weit entfernten Gebüsche zu kommen und sich mit den erwachenden Vögeln, deren anmutig wildes Wirbeln und Gluchzen die Luft erfüllte, wie in die Wette hören zu lassen schien. Der junge Mensch folgte der Stimme, schlich unbemerkt hinzu und erkannte die beiden Zirkasserinnen. Die Sängerin (es war Dely) saß auf dem Rasen und hatte eine Menge Blumen in ihrem Schoße, womit Tezile die Haare ihrer Schwester zu durchflechten beschäftigt war; und da sie ohne Zeugen zu sein glaubten, so dachten sie auch an keine Zurückhaltung. Delys Haare wallten, größtenteils noch aufgelöst, um ihre bloßen Schultern und um ihren Busen; und Tezile, welche die weiten Ärmel ihres Kaftans zurückgeschlagen hatte, ließ Arme von unbeschreiblicher Schönheit sehen. Asemi, der selbst äußerst wohlgebildet und noch in der ersten Jugend war, konnte bei einem so reizenden Schauspiel keinen gleichgültigen Zuschauer abgeben; und beinahe hätte er, über den Regungen, die er fühlte, das Interesse seiner Gebieter und der Töchter Sirocos vergessen. Nachdem er seinen Augen eine Zeitlang gütlich getan, wollte er sich den lieblichen Schwestern nähern. Diese waren, beim ersten Geräusche, das sie hörten, im Begriff davonzulaufen, als er die schöne Dely zurückhielt. «Warum vor mir fliehen», sagte er; «was könnt ihr in den Gärten dieses Palastes fürchten?» – «Was wir fürchten?» versetzte Tezile lächelnd; «nichts, als daß Ihr eine von uns mehr lieben möchtet als die andere und also eine unglücklich sein müßte. Ihr seid nicht der alte Derwisch, der nur die unglücklich macht, der er den Vorzug gibt.» – «Der Derwisch liegt euch sehr am Herzen, wie ich sehe» erwiderte Asemi; «aber erlaubet mir, mich hier neben euch zu setzen, und erzählet mir, wenn ich bitten darf, wie es euch, nach dem unglücklichen Schicksal eurer Liebhaber, in der schwarzen Marmorinsel erging und wie ihr dem alten Derwisch wieder in die Hände geraten seid.»

«Von Herzen gerne», sagte Tezile. «Sobald ich meinen geliebten Thelamir fallen sah…»

«Oh», fiel ihr der Pasche ein,«ich bitte gar schön, laßt Dely erzählen; nicht, als ob Ihr nicht Verstand wie ein Engel hättet, aber sie hat so einen gewissen Ton der Stimme, daß man Musik zu hören glaubt, wenn sie spricht.» – «Gut», sagte Dely, «damit Ihr seht, daß wir die gefälligsten Mädchen von der Welt sind, so will ich erzählen, weil Ihr’s so haben wollt.

Sobald also der arme Prinz und Thelamir das Leben verloren hatten, ließ uns die Königin Okimpare in ihrem Palast abholen; und um sich zu rächen, daß ich ihre Nebenbuhlerin gewesen war, legte sie uns die Strafe auf, noch am nehmlichen Tage in einem großen öffentlichen Schauspiele zu singen und zu tanzen. Es war sehr natürlich, wie Ihr seht, daß mein Kopf, während er zweimal von einem Leibe auf einen andern versetzt wurde, sich ein wenig auslüftete. Würklich war er dadurch so leicht geworden, daß ich nicht merkte, wie übel es sich schicke, an dem nehmlichen Tage zu tanzen, da ich einen Liebhaber wie Alidor verloren hatte: ich bezauberte alle Menschen durch meine Leichtigkeit. Was meine Schwester betrifft, die immer ein weiseres Mädchen gewesen ist als ich, die sang so zärtliche und schmachtende Arien, daß man vor Langerweile dabei seufzte; und die Worte, die sie dazu wählte, waren so albern, daß sie alle Sängerinnen der Welt hätten um den Kopf bringen sollen. Indessen, weil man sich immer wieder am Ballett erholte, so fehlte es unsern Schauspielen nicht an Zuspruch. Um diese Zeit war es, daß meine Schwester mich endlich dahin brachte, den Schwur mit ihr zu tun, daß wir alle Liebhaber so unglücklich machen wollten, als wir es selbst gewesen wären. Sobald wir ein paar Herzen einverstanden sahen, boten wir allen unsern Verführungskünsten auf, um den Liebhaber in unser Garn zu ziehen; die Geliebte wußten wir durch die boshaftesten Afterreden gegen ihn einzunehmen; kurz, es war keine Möglichkeit, dem Gifte zu widerstehen, das wir über alle diejenigen ausspritzten, welche durch Herz, Geschmack oder Konvenienz miteinander verbunden waren. Die Damen machten endlich gemeine Sache gegen uns und bestürmten die Königin mit so bittern Klagen, daß sie uns auf ewig aus ihrer Insel verbannte. Man brachte uns mit unserm Sklaven Guluku auf ein Schiff und setzte uns in der Gegend von Konstantinopel ans Land, ohne sich weiter um unser Schicksal zu bekümmern. Am Ufer der See sahen wir einen Alten in einer Beschäftigung, die uns sonderbar vorkam. Er vertrieb sich die Zeit damit, kleine schwarze Schweinchen, eines nach dem andern, im Meere zu ersäufen, und sprach während dieser Operation mit ihnen, als ob sie ihn hätten verstehen können. ‹Eure unselige Rasse›, sprach er zu ihnen, ‹hat den jungen Menschen unglücklich gemacht, dem ich das Armband von Medina schenkte: dafür sollt ihr mir auch alle sterben!› Wir näherten uns ihm aus Vorwitz und erkannten in ihm den nehmlichen Derwisch, der uns bei sich aufgenommen hatte, als wir den Kaufleuten, die uns ins Serail führten, entflohen waren. Sobald der Derwisch auch uns erkannte, gab er seine Arbeit auf und lief mit unbeschreiblicher Freude auf uns zu. Wir wollten von ihm wissen, was das zu bedeuten hätte, was wir soeben gehört und gesehen hatten. Aber ohne sich in eine Erklärung einzulassen, führte er uns in eine Höhle, die er bewohnte, und machte uns mit dem einzigen Schweinchen, das noch lebte, ein Geschenke. Der Bassa vom Meere, sagte er, würde uns soviel dafür geben, als wir nur verlangen wollten. Da sein Geschenk von solcher Wichtigkeit war, so leerte ich meinen Arbeitssack aus und steckte das Schweinchen hinein. Diesen Morgen wollten wir es dem Bassa anbieten, aber er wies uns spöttisch ab. Wir beschlossen, uns an dem Derwisch, der uns zum besten gehabt hatte, zu rächen; und da wir ihn bei unsrer Zurückkunft schlafend fanden, schnitten wir ihm den ganzen Bart bis auf die Stoppeln ab, so daß er sich vor keinem Menschen mehr sehen lassen darf Das war es, was uns so großen Spaß machte, als man die Mauer der Höhle einschlug, worin wir uns mit ihm befanden.»

Asemi, dem es nicht an Lebhaftigkeit fehlte, scherzte mit Dely über diese neue Probe der Leichtigkeit ihres Kopfes, und von Scherz zu Scherz kam er endlich so weit, daß er den beiden Schwestern, im ganzen Ernste, wie es schien, die zärtlichsten Sachen von der Welt vorsagte. Die Zirkasserinnen schienen, aus Koketterie oder zur Kurzweil, Gefallen daran zu finden; und wiewohl sie sich die Miene gaben, als ob sie einen hohen Wert auf ihre kleinsten Gnadenbezeugungen legten, so schienen sie doch nicht abgeneigt, zugunsten des schönen Paschen eine Ausnahme von ihrem Gelübde zu machen, wofern er Mittel finden könnte, sie von der Aufrichtigkeit seiner Liebe zu überzeugen. Asemi erbot sich zu jeder Bedingung und Probe. «Die sichersten Mittel, euch zu gefallen, meine reizenden Gebieterinnen», sagte er, «werden diejenigen sein, die ihr mich selbst lehren werdet. Sagt mir nur, was ich tun soll und wie ihr mich haben wollt.» – «Das ist so schwer nicht», versetzte Dely, «wer gefallen will, muß angenehm, aufmerksam und verschwiegen sein, muß der geliebten Person immer tausend kleine Dienste erweisen, ihr immer etwas Verbindliches zu sagen haben.» – «Oh», fiel Tezile ein, «wir haben von unsern Gespielinnen auf der Marmorinsel noch ein weit hübscheres Geheimnis gelernt.» – «Und was ist das?» fragte Asemi mit Lebhaftigkeit. «Freigebig sein», antwortete Tezile lachend; «nichts gewinnt die Herzen so schnell als das!» – «Gut, daß ihr mich erinnert», versetzte der kleine Schalk, der seine geheimen Absichten hatte; «darf ich bitten, schöne Dely, diese Uhr von mir anzunehmen, die Euch, eh‘ ich hieherkam, schon zugedacht war?» (Mit diesen Worten gab er ihr die goldne Uhr in die Hand, und Dely nahm sie mit Bewunderung an.) «Und weil Ihr eine Liebhaberin von kleinen Diensten seid, so erlaubet mir, Euern Kopfputz zu vollenden.» – «Ich bin’s zufrieden», sagte die junge Zirkasserin; «wir wollen sehen, wie Ihr Euch dazu anschicken werdet.»

Asemi kniete vor sie hin und schien vor Vergnügen außer sich, ihre langen rabenschwarzen Haare, die ihr bis unter den Gürtel reichten, zu streicheln und auszumessen; er machte sich nun darüber her, sie aufzuwenden und mit Blumen zu durchflechten, aber alle Augenblicke ließ er eine Blume auf ihren Nacken oder in ihren Busen fallen, wo er sich die kleine Freiheit nahm, sie wieder hervorzuholen. Die junge Zirkasserin lachte über diese Kinderei oder bestrafte sie wenigstens nicht sehr strenge. «Aber, wenn man es sagen darf, Tezile», sprach er zu dieser, «Ihr habt eben nicht die schönsten Blumen in diesem Garten ausgesucht; wenn Ihr so gut sein wolltet, andre aus dem Blumenstücke dort zu wählen, so wollte ich Euch mit Vergnügen diese silberne Uhr geben; seht nur, sie ist nicht zu verachten, wiewohl sie nur von Silber ist.» Tezile, die schon darüber eifersüchtig war, daß Asemi ihrer Schwester deutlich genug den Vorzug über sie gab, lachte über das Präsent aus voller Kehle. «Eine wahre Paschen-Galanterie!» rief sie aus; «wenn ist jemals erhört worden, Frauenzimmern von unserer Gattung silberne Uhren anzubieten?» – «Ihr seid etwas schwer zu befriedigen, sehe ich», erwiderte Asemi; «indessen wollte ich darauf wetten, daß eine von euch einen silbernen Siegelring hat, der vollkommen zu dem Geschenke, das ich der schönen Tezile mache, passen sollte.» – «Das ist wahr», sagte Dely; «Schwester, hänge einmal deinen silbernen Siegelring an diese Uhr: ich habe einen goldenen, wie du weißt, ich will ihn sogleich an die meinige hängen.» Die beiden Zirkasserinnen hängten also, gleichsam zum Scherz, den Uhren die Talismane an, die sie den Gebrüdern Izif und Izaf im Karawanserei abgenommen hatten; aber in dem nehmlichen Augenblicke schlüpften ihnen die Uhren aus der Hand, und Aurore und Argentine standen leibhaftig vor ihnen da, jede mit ihrem Talisman der Schönheit am Finger.

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content