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Märchenbasar

Nirwana

1.3
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Auf dem Wege von Delhi nach Lahore im spärlichen Schatten eines Ölbaumes lag im heißen Sand der Straße ein Ausgeworfener, alt und mager, einer ausgedörrten Wurzel ähnlich. Mühsam hob er den Arm, von dem die Lumpen hingen, und stöhnte: „Das Leben hat mich genarrt und betrogen. Ich bin am Ende. O Brahma, laß mich sterben !“ – „Aber die Prüfung dieses Menschen war noch nicht beendet. Vor ihm stand plötzlich ein Jüngling von göttlicher Gestalt, flammenden Auges, schön wie das blühende Leben, von Mitleid ergriffen. – „Ist das ein Mensch?!“ damit kniete dieser Jüngling nieder vor dem Elenden, legte seinen golddurchwirkten und von Juwelen übersäten Mantel vor ihn hin, dazu von seiner Stirn das Diadem im Werte eines Königreichs. Er nahm dafür die braunen Lumpen, den Wanderstab mit Kürbisflasche und ging des Weges weiter.

Durch das Wunderland „Indien“ pilgerte gesenkten Hauptes ein Königssohn in braunen Lumpen – in düstere Gedanken versunken über das Leid der Sterblichen. Er sah die Menschen in Habsucht und Gier verzweifeln. Als ihm Erkenntnis geworden war, zog er nach Delhi, in die Stadt der goldenen Zinnen zu den Verblendeten, die das Leben lebten in der Sklaverei irdischer Güter; er ging durch die Gassen, hierhin, dorthin, und kam vor einen prächtigen Palast, aus dem ein jämmerliches Stöhnen drang. – „O Brahma, laß mich leben!“ Der schöne Jüngling in den braunen Lumpen erkannte die Stimme. Es war dieselbe, die einst im Staube der Straße das Gegenteil gewünscht: „O Brahma, laß mich sterben!“ In Reichtum und Pracht, inmitten der seltensten Kostbarkeiten des Landes, wankte in Seiden- und Kaschmirgewändern die Schattengestalt eines Menschen. Ein Schatten nur noch, der nicht sterben wollte, sich nicht trennen konnte von diesem weltlichen Tand. Um ihn standen die Weisen Indiens und waren am Ende all ihrer Weisheit; unbegreiflich schien es ihnen, daß dieser Schatten von einem Menschen immerfort noch leben konnte. Doch unentwegt durchdrang des Schattens schwacher Hilferuf den aufgehäuften Reichtum: „O Brahma, laß mich leben!“ – Da trat durch die hohen Pforten des Palastes ein Fremdling, schön und strahlend wie das blühende Leben, in braune Lumpen gehüllt und einen Wanderstab in der Hand. Dieser Fremdling verlangte nach dem Schatten. Mit Aufwand seiner letzten Kräfte sprang dieser dem Jüngling entgegen, packte blindlings ihm ins Zeug, als wolle er sich dieses junge Leben nehmen. Da sah er zwischen seinen welken Fingern braune Lumpen und taumelte zurück. – „Erkennst Du sie?“ fragte der Eingetretene. „In diesen braunen Lumpen sehntest Du einst den Tod herbei; heute, in Samt, Seide und Kaschmir, mit Gold und Flittertand behangen, fürchtest Du ihn! Zieh aus Dein lästiges Gewand, nimm Deine Lumpen wieder; in ihnen wirst Du ruhig sterben !“ – „Nein! Ich will leben!“ stöhnte der Schatten und sank zurück in seinen Reichtum. – Da hob der Fremdling warnend seine Hand: „Ich, Buddha Marga, der Erweckte“ sage Dir, daß Du im irdischen Begehren sündigst. Du wirst so oft geboren werden, die ErdenquaI so oft erdulden müssen, bis du gelernt hast, zu entsagen, um einzugehen in das Himmelreich ‚Nirwana‘.“

Quelle:
(Altindisches Märchen)

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