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Märchenbasar

Prinz Achu und die schöne Ngoman

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Vor vielen tausend Jahren gab es fern vom Lande Luorou das Reich Bula, zu dem weite Gebiete dicht besiedlelter Landstriche gehörten. Die Leute in diesem Reich nährten sich vom Fleisch der Rinder und von der Milch der Schafe. Nur im königlichen Garten standen ein paar Obstbäume, deren Früchte die Herrscher und seine Minister genossen. Achu der Königssohn, war ein aufrichtiger, kluger und wagemutiger junger Prinz. Er hatte gehört, dass der Geist der Berge, Riwuda über4 große Mengen Getreide verfüge, das man nur auf der Erde auszusäen brauche, um für alle Menschen wohlschmeckende und kräftige Nahrung zu schaffen. Er wollte daher Riwuda aufsuchen und ihn um Getreidesamen für alle Menschen seines Landes bitten. Als der Prinz den Eltern von seinem Vorhaben erzählte, erschraken sie sehr und wollten ihn um keinen Preis ziehen lassen. König und Königin wussten nämlich, dass der Weg zu Riwuda weit und gefährlich war. Wer zu Riwuda gelangen wollte, musste neuntausend Meilen reiten, neunundneunzig Gebirge überwinden und neunundneunzig breite Ströme überqueren, und deshalb befürchteten die besorgten Eltern, ihren einzigen Sohn nie wiederzusehen. Da sich Achu jedoch nicht abbringen ließ von seinem Ziel, willigten König und Königin schließlich ein und gaben ihm zwanzig tüchtige Krieger zur Begleitung mit. Schon am nächsten Morgen rüsteten sich Achu und seine respekteinflössende Eskorte zum Aufbruch. Bewaffnet mit Lanzen und Dolchen bestiegen sie die besten Rosse und sprengten davon.
Die kleine verwegene Schar bahnte sich ihren Weg durch die Gebirge und über die Flüsse. Aber Achus Begleiter fielen einer nach dem anderen. Manche wurden im Kampf mit wilden Räubern erschlagen, andere wurden Opfer giftiger Schlangen und wilder Tiere. Nachdem achtundneunzig Gebirge und achtundneunzig Ströme hinter ihm lagen, hatte Achu alle seine Krieger verloren, und er musste den Weg alleine fortsetzen. Sein Pferd am Zügel führend, erklomm Prinz Achu das neunundneunzigste und letzte Gebirge. Kurz vor dem höchsten Gipfel brach plötzlich ein gewaltiger Sturm los und Regen peitschte hernieder. An sein treues Pferd geklammert, konnte Achu geradezu rechtzeitig eine schützende Höhle erreichen. Nachdem das Unwetter vorüber war, stieg er rasch auf den Gipfel. Hier bot sich ihm ein Anblick von unermesslicher Schönheit. Der feuerrote Sonnenball beschien die Bergketten, und nirgends war mehr eine Spur der entfesselten Elemente. Da sah er vor sich eine große Eibe, unter der ein altes Mütterchen saß und Schafwolle spann. Achu ging zu ihr, verbeugte sich und fragte, ob sie den Weg zu Riwuda wüsste. Aber das Mütterchen ließ sich erst genau die ganze Lebensgeschichte des Prinzen und sein Anliegehn erzählen. Dann antwortete es dem aufrechten Achu freundlich: „Es ist ganz einfach, zu Riwuda, dem Geist der Berge, zu gelangen. Hinter diesen Bergketten kommst du an einen Fluss, den du aufwärts gehen musst, bis zu einem Wasserfall, dort rufst du dreimal den Namen des großes Berggeistes, und dann wird Riwuda erscheinen!“ Das alte Mütterchen war niemand anders als die Erdmutter selbst. Das aufrichtige Wesen des Prinzen hatte sie so gerührt, dass sie eigens erschien, ihm den Weg zu weisen. Als Achu ihr danken wollte, war sie bereits verschwunden. Am Ende des neunundneunzigsten Flussufers stürzte ein Wasserfall mit großem Getöse eine hohe Felswand herab. Angesichts des Wasserfalles machte Achu eine tiefe Verbeugung und rief gegen das tosende Wasser gewandt: „Meine hohe Verehrung, dem großen Geist Riwuda. Erscheint, dass ich Euch um Hilfe bitten kann!“ Nachdem der dritte Ruf verhallt war, kam ein riesenhafter, alter Mann hervor, dessen schlohweißer Bart herniederwallte und gänzlich mit dem Wasserfall verschmolz. Diese berggleiche Gestalt war Riwuda. „Wer rief mich?“ Als er den Kopf senkte und Achu erblickte, fuhr er gleich fort: „Ach, du bist es. Woher kommst du? Was soll ich für dich tun?“…“Ehrenwerter Geist der Berge“ Achu, der Prinz des Landes Bula, rief Euch. Ich habe gehört dass ihr viel Getreide habt, daher möchte ich Euch bitten, mir ein wenig davon abzugeben. Wir wollen es aussäen, damit unser Volk auch Getreide essen kann.“ Zu Ende gesprochen, verbeugte sich Achu höflich vor Riwuda. „Getreidekörner willst du haben?“ fragte der Berggeist verwundert. Dann lachte er so unbändig, dass die Berge erbebten und der Fluss seinen Lauf unterbrach. „Aber junger Prinz! Was hast du für einen Fehler gemacht? Ich habe nicht ein einziges Getreidekörnchen. Vielleicht meinst du den Schlangenkönig Kebule. Der baut Getreide an, und nur von ihm könntest du welches bekommen!“ Achu war ganz verwirrt. Er fragte Riwuda, wo der Schlangenkönig zu finden sei, und wie man von ihm Getreidekörner bekäme. „Der Schlangenkönig lebt nicht weit von hier; mit einem tüchtigen Renner kannst es in sieben Tagen und sieben Nächte schaffen. Wenn jedoch in irgendeinem Winkel des Herzens auch nur ein bisschen Angst sitzen sollte, dann gehe lieber nicht hin.
Er ist nämlich grausam und niederträchtig, und noch niemals war er willens, den Menschen von seinen Getreidekörnern etwas abzugeben.
Alle, die ihn bisher um Getreidekörner baten, hat er zur Strafe in Hunde verwandelt und dann aufgefressen. Wenn du vor ihm erscheinst, wird es dir nicht besser ergehen. Auch dich wird er in einen Hund verwandeln und verspeisen. Hast du gar keine Furcht?“
„Ich fürchte mich vor nichts“, antwortete Achu. „Wenn ich nur Getreidesamen erlange, dann werde ich alle Gefahren auf mich nehmen.“ Als sich Riwuda überzeugt hatte, dass der tapfere und kluge Achu von seinem Vorhaben nicht abzubringen war, erklärte er ihm ganz genau den Weg zum Schlangenkönig, Er schärfte Achu ein: „Wenn du in Besitz von Getreidekörnern gelangen willst, dann bleibt nichts anderes übrig, als sie dem Schlangenkönig zu stehlen. Du musst wissen, dass der Schlangenkönig das Getreide nach der Ernte im Herbst in Säcke füllt und unter seinem Thron versteckt, der von einer Garde furchtbarer Krieger scharf bewacht wird. Aber an Opfertagen verlässt der Schlangenkönig den Thron, um am benachbarten Bergsee dem Drachenkönig ein Besuch abzustatten. Dort hält er sich nur so lange auf, bis ein Weihrauchstäbchen verglommen ist; aber diese Zeit nutzen die Wächter für ein Schläfchen, und in diesem kurzen Augenblick bietet sich eine Gelegenheit, an die Getreidekörner zu gelangen.“ Bei diesen Worten holte Riwuda ein bohnengroßes Kügelchen aus seinem Gewand und gab es Achu. „Ich bin schon alt und kann dir nicht viel helfen; aber ich gebe dir eine Windperle, gerätst du in eine ausweglose Lage, dann lege die Perle in den Mund, und schon wirst du wie der Wind davoneilen.“ Achu bedankte sich höflich bei Riwuda, der ihn zum Schluß noch ermahnte: „Sollte dich der Schlangenkönig unglücklicherweise doch in einen Hund verwandeln, dann sause so schnell wie du nur kannst, immer gen Osten. Erst wenn du ein Mädchen triffst, das dich liebt, kannst du in dein Land zurückkehren und wieder menschliche Gestalt annehmen. Nun geh mein Sohn, ein gutes Geschick mit dir. Mit Vorbedacht ritt Achu sehr langsam. Nach zweitägigem Marsch rastete er immer einen ganzen Tag, damit er nicht schon vor dem Herbst an sein Ziel gelangte. Zudem bekam ihm das ruhsame Reiten seht gut. Während der strapaziösen Reise zu Riwuda war er nämlich erschreckend abgemagert. Nun hatte er Zeit, sich zu erholen und wieder zu Kräften zu gelangen. Eines Tages erreichte Achu das Land des Schlangenkönigs, das er an den abgeernteten Getreidefelder erkannte. So weit sein Auge blickte sah er nur Stoppeln. Da Achu wusste, das der Schlangenkönig auf einem Berg hauste, beschleunigte er seinen Ritt, um den rechten Zeitpunkt nicht zu versäumen. Am Fuße des Berges angelangt, stieg er vom Pferd, nahm seinen Proviantbeutel herunter und schickte sein braves Pferd zurück nach Bula. Er wollte nicht direkt zum Sitz des Schlangenkönigs vordringen, sondern erstieg einen Berg der danebenlag, um sich gegenüber dem Palast eine Höhle einzurichten. Er machte sich aus trockenem Gras und Zweigen ein Lager zurecht, vom dem aus er den Eingang zum Hof des Schlangenkönigs übersehen konnte. Nur eine Bergschlucht trennte ihn davon. Gegen Mittag eines Opfertages lag Achu auf seinem Lager und war gerade ein wenig eingeschlummert, als plötzlich das Klingen vieler Glocken an sein Ohr drang. Er schreckte auf und sah, wie der Schlangenkönig – umgeben von seiner Leibgarde – den Bergpfad hinanstieg. Der Schlangenkönig war sehr groß.
Er trug ein Schuppenkleid, das an seinem unteren Saum mit vielen Silberglöckchen besetzt war. Da Achu wusste, dass der Schlangenkönig jetzt unterwegs war zum Bergsee, eilte er so schnell es ging in die Schlucht hinab., und den gegenüberliegenden
Berghang wieder hinauf, um in den Palast zu gelangen. Tatsächlich fand er die Wächter schlafend vor, doch als er gerade durch das Tor wollte, näherte sich bereits das Glockenklingen des zurückkehrenden Schlangenkönigs. Die Torwächter erwachten wieder und Achu blieb nichts anderes übrig, als sich in einem Gebüsch zu verstecken. Er wagte nicht, sich zu rühren, bis der Schlangenkönig mit seinem Gefolge verschwunden war. Erst dann schlich er vorsichtig davon, um bitter enttäuscht seine Höhle aufzusuchen. Es war ihm also nicht gelungen, etwas Getreide zu stehlen. Ja. er war noch nicht einmal bis zum Thron vorgedrungen! Kein Wunder, dass Achu untröstlich war und sich sehr über sein Missgeschick ärgerte. Aber nach einer Weile fiel ihm ein, wie er es das nächste Mal besser machen könnte. und bei diesem Gedanken lächelte er schon wieder. Er wollte ein Seil zum Baum auf der anderen Seite der Schlucht werfen und sich dann hinüberhangeln. Auf diese Weise käme er viel schneller über die Schlucht, und könnte die kurze Zeit des Verglimmen eines Weihrauchstäbchens besser nützen. Sogleich zog er zwei wollene Kleidungsstücke aus, trennte sie auf und flocht aus den Fäden ein genügend dickes Seil.

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