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Märchenbasar

Prinz Achu und die schöne Ngoman

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Zum nächsten Opfertag verließ der Schlangenkönig wieder am Mittag seine Höhle, um diesmal in Begleitung von zwei Gruppen der Leibgarde den Bergsee aufzusuchen. Achu band nun rasch sein Seil um einen starken Baum warf es in die starken Äste des Baumes jenseits der Schlucht, wo es fest hängen blieb. Behend hangelte er hinüber und kam bald zum Eingang. Auf Zehenspitzen ging er an den schlafenden Torwächtern vorbei. Aber in der Höhle war es pechschwarz, sodass er sich mühsam an der Wand entlang tasten musste. Nur langsam drang er zur Thronhalle vor, die den Schein ewiger Butterlampen erleuchtete. Vor dem Thron lag eine Reihe schlafender Wächter, und neben dem Thron lagen ebenfalls Wächter. Bevor Achu jedoch unter den Thron gelangen konnte, wo die Getreidesäcke standen, musste er noch über die Rücken zweier Wächter steigen.
Endlich stand Achu vor den Säcken mit Getreide. Er öffnete einen davon und füllte die kostbaren Körner in einen Beutel, den er an der Brust barg. Er langte noch einmal in den Sack, nahm sich eine Handvoll heraus und ging den gleichen Weg zurück. Im Widerschein des goldenen Thrones besah er sich die begehrten gelben Körnchen in seiner Hand: Es war der Samen der kostbaren Gerste.
Er tastete sich zum Ausgang vor, aber im Eifer ließ er es an Vorsicht fehlen, und streifte einen Wächter mit dem Fuß. Gleich sprangen Kerle auf und wollten mit ihren Lanzen dem Eindringling mit ihren Lanzen den Weg verlegen. Er warf ihnen die Körner ins Gesicht und zog rasch sein Schwert. Während sie sich noch die Augen rieben, schlug er einem der beiden den Kopf ab. Das Waffengeklirr hatte jedoch die übrige Schar der Wächter alarmiert, die nun mit aller Macht auf ihn eindrang. Achu ließ sein Schwert kreisen und bahnte sich einen Weg ins Freie. Im Kampfgetümmel schlug er zu allem Unglück die falsche Richtung ein. Er rannte dem zurückkehrenden Schlangenkönig geradezu in die Arme. Vor sich sah Achu den Schlangenkönig, und hinter sich nahten bereits die grimmigen Wächter. Als ihm nur noch übrig blieb, in die Felsenschlucht zu springen, entsann er sich der Windperle. Er legte sie in den Mund, doch im selben Augenblick erschallte das niederträchtige Lachen des Schlangenkönigs, der mit seinem Fingerzeig, schon den Strahl der Verwandlung gegen ihn geschleudert hatte. Es brach ein schreckliches Gewitter los, Blitze durchzuckten die Wolken und fuhren wie brennende Pfeile auf Achu nieder, der zu einem Hund mit gelbem, zottigem Fell geworden war. Nach dem ersten Schreck fiel Achu Riwudas ein, immer nach dem Osten zu gehen. Er entdeckte, dass er sich leicht wie ein geflügeltes Wesen bewegte. So floh er rasch aus der Schlucht, und bald vermochten ihn auch die Blitze und Donner nicht mehr zu erreichen. Im Frühling des nächsten Jahres gelangte Prinz Achu, der nun die Gestalt eines gelbzotteligen Hundes hatte annehmen müssen, entlang eines Flusses in das Land Louruo. Das war eine weite Steppe mit Graswuchs, auf der große Herden von Rindern und Schafen weideten. Nirgends gab es Getreideanbau, und nur in der Umgebung der Tusse – Spitze standen einige Obstbäume. Achu hörte, dass hier der Tusse Kenpang mit seinen drei Töchtern wohne. Die große Tochter hieß Zetang, die mittlere Hamucuo und die kleine nannte man Ngoman. Die jüngst von den drei war am allerschönsten. Sie war allen Menschen gegenüber freundlich. Dazu zeichnete sie sich durch besondere Klugheit und Herzensgüte aus. Sie liebte die Blumen, die Gräser, die Vögel, die Hunde, die Katzen, und überhaupt alles, was die Natur an Schönem hervorgebracht hatte. Achu verstand sehr bald, dass einzig und allein Ngoman ihn retten könnte. Er wollte sie daher aufsuchen und ihr das Getreide und seine Liebe schenken. Eines Tages umschlich Achu das Anwesen des Tusse, bis endlich Ngoman herauskam, um auf einer Wiese Blumen zu pflücken. Er sprang ihr entgegen und zerrte verspielt an ihrem Rock. Sie sah an seinen Augen, was er für ein liebenswertes Tier war, und streichelte ihn. Der verwandelte Achu hatte seine Klugheit nicht eingebüßt und suchte nach Wegen, der schönen Ngoman sein Anliegen vorzutragen. Durch Bellen, Kopfnicken und Kratzen mit dem Pfoten machte er sie auf den Beutel unter seinem Hals aufmerksam. Verwundert schnürte Ngoman den Beutel los, um ihn zu öffnen. Wie groß war erst ihr Erstaunen, als sie die goldgelben Körnchen darin fand, die sie verzückt durch die Finger rieseln ließ. Sie wusste freilich nicht, woher diese Körnchen kamen und was sie damit anfangen sollte. Achu zupfte daher wieder an ihrem Rock und begann, mit seinen Krallen Löscher zu scharren. Dann gab er ihr ein Zeichen, die Gerstenkörner in die Löscher zu legen und mit Erde zu bedecken. Ngoman verstand ihn sofort, und so arbeiteten beide, bis der Gerstensamen ausgesät war. Das gute Mädchen Ngoman liebte den klugen Hund, der ihr die goldgelben Körnchen gebracht hatte, von ganzem Herzen. Sie brauchte ihm nur in die Augen zu blicken, um zu wissen, was er meinte. Dem kleinen Stückchen Feld das sie gemeinsam bestellt hatten, galt ihre ganze Aufmerksamkeit. An dem braven Hund hing sie mit ganzem Herzen. Von nun an war er immer an ihrer Seite, wohin sie sich wandte. Achu ging mit Ngoman Tag für Tag hinaus zum Gerstenfeld. Er wollte genau sehen, was aus den Körnchen wurde, für die er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, und tatsächlich keimten sie nach kurzer Zeit, trieben ihre Blätter und Halme und brachten schließlich Ähren hervor. Als im Herbst die Gerste herangereift war und die Rinder und Schafe Fett angesetzt hatten, kam es Tusse Kenpang in den Sinn, zu Ehren des reichen Jahres ein großes Tanzfest abzuhalten und seine drei Töchter zu verheiraten. Dazu lud Tusse die Wohlhabenden und Edelleute aus der Nachbarschaft ein, die ihre heiratsfähigen Söhne mitbrachten. Als das Vergnügen mit Gesang und Tanz begann, wich Achu keinen Zoll von der schönen Ngoman. Das Singen und Tanzen machte Durst, und so setzte man sich nieder, und sprach dem Buttertee zu. Dazu flogen Scherzworte hin und her, und bald kamen sich die jungen Menschen näher.
Sie bargen daher an ihrem Busen Obst oder eine andere Näscherei und warfen es dem Jüngling ihres Herzens zu. So war es auch diesmal. Die Töchter des Tusse traten der Reihe nach in den Kreis der Burschen. Zetang tanzte ihren Reigen und warf dem Sohn eines Stammeshäuptlings die Frucht zu. Beide traten dann vor Vater Kenpang, Hamucuo entschied sich für den Sohn eines Tusse, der bald das väterliche Erbe übernehmen sollte. Alle waren gespannt, wen die begehrungswerte Ngoman wählen würde. Sie blickte aber nur ratlos in der Runde umher und musterte die Jünglinge. Alle waren wohlhabend und auch von stattlichem Wuchs, doch vermisste sie bei jedem etwas. Schon dreimal hatte sie den Reigen getanzt, ohne einem Jüngling die Frucht vorzuwerfen. Einer der Gäste fragte geradezu, wer denn schließlich Ngomans Mann werden würde…..Da fiel ihr Blick auf den Hund, der zwischen den Gästen saß und winselte. Plötzlich spürte Ngoman im Herzen eine so starke Zuneigung zu ihm, dass ise nicht anders konnte, als aus dem Kreis der Burschen hinauszutreten und sich neben Achu zu knien.
Niemals zuvor hatte sie daran gedacht, mit einem Hund die Ehe zu schließen, jedoch wollte sie nie und nimmer das treue Tier verlassen, dem sie alles von den Augen ablas. Als ob sie ihrer Sinne nicht mehr mächtig war, nahm sie die Frucht und drückte sie Achu ans Herz. Doch gleich reute sie die Tat, zu der sie sich im Rausch der Gefühle hatte hinreißen lassen. Verwundert verfolgten die Gäste das seltsame Gebahren der schönen Ngoman. Die jungen Burschen ließen es jedoch an Zurückhaltung fehlen und machten sich lustig über das Mädchen, dass sich einen Hund zum Ehemann erkoren hatte. Der Tusse Kenpang wurde vom Zorn gepackt als er sah, dass seine Tochter zum Gespött der Großen des Landes wurde. Auch die Schwestern brachten kein Verständnis für Ngoman und stimmten in das Hohngelächter der Jünglinge ein. Besorgt um sein eigenes Ansehen, wollte Kenpang nichts mehr mit einer solchen Tochter zu tun haben und verstieß sie: „Wenn du einen Hund liebst und dich vor allen Gästen zu deinem Hundegatten bekennst, dann sieh zu, wo du mit ihm bleibst. Nie mehr sollst du dich in meinem Haus blicken lassen!“ Tränen perlten über Ngomans Wangen, als sie gefolgt von ihrem Hund zum Gerstenfeld ging.

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